Protocol of the Session on September 25, 2012

Herr Al-Wazir, Sie denken bitte auch an die Turboklassen, die wir bereits hatten, die erprobt sind und die prima funktioniert haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt macht ihr es wieder anders!)

Mit der CDU und der FDP wird es keine Rücknahme der Stellen für Ganztagsangebote geben, wenn die Schule zu G 9 zurückkehrt. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Angebot eines Mittagstisches und ein hochwertiges Nachmittagsangebot sind unabhängig von der Schulform und dem Bildungsgang an den Gymnasien. Deshalb ist die CDU immer dafür eingetreten, möglichst vielen Schulen den Weg zur Ganztagsschule mit einem breiten Angebot zu ermöglichen. Dabei bleiben wir.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Die Elternrechte werden in dem Gesetzentwurf selbstverständlich beachtet. Der Wechsel des Bildungsgangs von G 8 zu G 9 geschieht nur in Zusammenarbeit mit den Eltern und der Schülervertretung. Letztlich wird die Schulkonferenz mit Zweidrittelmehrheit entscheiden.

Hinsichtlich G 8 und G 9 werden die Eltern bereits bei der Wahl der Schule und bei der Anmeldung entscheiden, in welchem Bildungsgang sie ihr Kind später haben wollen. Natürlich wird die Schule immer im Einvernehmen mit den Schülern eine Empfehlung abgeben, für welchen der Bildungszweige das Kind geeignet ist.

Die Vorsitzende des Landeselternbeirates, Kerstin Geis, spricht von einem Zweiklassenabitur. Sie ignoriert damit die Chancen der vielen Kinder, die den G-8-Zweig problemlos durchlaufen und ein Jahr bei der Schulausbildung gewinnen können. Das gilt insbesondere, wenn die Mehrheit der Eltern den Schulzweig G 9 wählt, was legitim ist. Offenbar versucht Frau Geis mit ihren sozialistischen Parolen von der Zweiklassengesellschaft eine bessere Position im Kampf um die Landtagskandidatur zu erzielen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich möchte Sie daran erinnern: Als die ersten kooperativen Gesamtschulen zu G 9 zurückkehrten, habe ich jedenfalls von ihr nichts von den Nachteilen gegenüber G-8Schülern gehört. Hätten die Eltern tatsächlich solche Ängste, würden sie sich doch erst gar nicht für G 9 entscheiden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion ist davon überzeugt, dass der Gesetzentwurf, den wir Ihnen

heute vorlegen, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir wollen die Bildungspolitik gemeinsam mit den Eltern weiterentwickeln. Die CDU ist dazu bereit. So werden wir während der Anhörung aufmerksam zuhören und freuen uns bereits jetzt auf die Beratungen im Ausschuss. Wir sind davon überzeugt, dass unser Weg der richtige ist. – Danke.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Kollegin Ravensburg, danke. – Ich darf Frau Habermann für die SPD-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ravensburg, ich will gar nicht böse sein. Aber Ihre Bemerkung, dass Sie in der Anhörung aufmerksam zuhören werden, hat mich doch etwas stutzig gemacht. Wenn es so sein wird, wie es bei der Anhörung zur Einführung des Landesschulamtes war, werden wir da nichts Gutes zu erwarten haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Man muss es auch verstehen!)

Ich komme zum Thema. Seit mehr als zehn Jahren wird in Hessen über G 8 diskutiert. Schulen, Eltern, Schülerinnen und Schüler haben sich inzwischen mit G 8 arrangiert. Sie haben aber das Modell der Verkürzung in der Mittelstufe nie akzeptiert.

Auch der Maßnahmenkatalog des damaligen Interimskultusministers Banzer hat nicht zum Abreißen der Kritik geführt. Die Begrenzung der Hausaufgaben, der Zuschuss für Ganztagsmaßnahmen und vor allem die viel zitierte Entschlackung der Lehrpläne und die Erstellung der Kerncurricula haben nicht dazu geführt, die Akzeptanz von G 8 in Hessen zu erhöhen.

Diese Placebos haben deshalb nichts bewirkt, weil das Grundkonzept falsch ist. G 8 war, ist und bleibt Murks. Deswegen nützen auch die ganzen Reparaturmaßnahmen nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wen wundert es da, dass der Vorsitzende des Hessischen Philologenverbandes, Knud Dittmann, der auch Leiter eines Gymnasiums ist, heute Morgen in der Zeitung verkündet hat, dass er hofft, dass seine Schule eine der ersten sein werde, die zu G 9 zurückkehren werde. Der Mann weiß, wovon er redet. Der Hessische Philologenverband hat sich jahrelang sehr entschieden gegen diese Reform gestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Verkürzung der Mittelstufe nimmt den Kindern die Zeit, die sie notwendigerweise zum Lernen brauchen. Sie nimmt den Lehrkräften die Chance, Themen zu vertiefen und auf die Interessen ihrer Schülerinnen und Schüler einzugehen. Sie lässt immer wieder immer weniger Raum für Lernen und Engagement neben den Prüfungsfächern. Das gilt z. B. für Engagements in Sportvereinen oder in sozialen Initiativen.

Der nationale Bildungsbericht 2010 hat die Quote der 14bis 19-jährigen Schülerinnen und Schüler an Gymnasien erhoben, die sich engagieren. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2009. Da hatten fast alle Bundesländer G 8 eingeführt.

Die Entwicklung stellte sich folgendermaßen dar: Die Quote der Schülerinnen und Schüler, die sich engagierten, betrug in G 8 42,9 %, in G 9 betrug sie 52,4 %. Wer dann noch sagt, das habe auf das Engagement und auf die Freizeit der Kinder und der Jugendlichen keine Auswirkungen, der muss diese Zahlen zunächst einmal widerlegen.

Darüber hinaus steigt die Quote der Sitzenbleiber. Die Zahl der frühzeitigen Abschulungen und Abgänge aus den Gymnasien nimmt in Hessen zu.

Aber nicht diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass wir heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP beraten. Volker Bouffier hatte das „grandiose“ Scheitern der ehemaligen Kultusministerin Wolff vor Augen, als er vor der Sommerpause die Wahlfreiheit der Gymnasien zwischen G 8 und G 9 verkündete. Er düpierte damit zwar die Kultusministerin, aber er wollte vermeiden, dass G 8 im nahenden Wahlkampf wiederum zum Bumerang wird und dass die Unzufriedenheit mit der Situation auf das eigene Wahlergebnis zurückfällt.

Entlarvend war, dass Frau Beer dann versuchte, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, und dem Ausschuss zunächst einmal erklärte, die Opposition ärgere sich nur, weil man ihr ein Spielzeug wegnehme.

Das zeigt meines Erachtens ganz deutlich, dass hier die Kritik von Eltern und Betroffenen nicht ernst genommen wird. Sie wurde als subjektive Befindlichkeit abgetan. Die einzige Motivation für diesen Gesetzentwurf ist es, den Vorstoß von Herrn Bouffier nachträglich zu legitimieren.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Judith Lan- nert (CDU))

Es wurde eine eingehende Prüfung verkündet, aber das Resultat war schon vorher bekannt. Damit die Ministerin auch selbst als Entscheiderin und nicht als Getriebene wahrgenommen wird, wurde am letzten Dienstag kurzfristig, innerhalb von zwei Stunden, nach den Fraktionssitzungen eine Pressekonferenz einberufen, um das Ergebnis dieser sogenannten Prüfung zu verkünden.

Meine Damen und Herren, etwas Neues haben wir da allerdings auch gehört: Ministerpräsident Bouffier hatte am Tag zuvor verkündet, er könne sich vorstellen, G 8 und G 9 könnten gleichzeitig an einem Gymnasium angeboten werden. In der Pressekonferenz der Ministerin Beer wurde daraus dann ein völlig unausgegorener Modellversuch: Schulen dürfen G 8 und G 9 anbieten, wenn sie mindestens vierzügig sind und wenn sie nach zwei Jahren Unterricht nach den G-8-Vorgaben am Ende der Klasse 6, notfalls gegen den Willen der Eltern, entscheiden, welches Kind G-8-geeignet ist und welches nicht.

Ich frage Sie ernsthaft: Wo bleibt denn da Ihre viel beschworene Wahlfreiheit der Eltern – wenn letztlich doch die Schulen entscheiden sollen?

(Judith Lannert (CDU): Im Einverständnis!)

Wie erklären Sie den Eltern, dass bisher alle Kinder geeignet waren, G 8 zu durchlaufen, jetzt aber die Schule das empfehlen soll? Wie erklären Sie denn überhaupt, dass Sie

bisher behauptet haben, alles sei eine Frage der schulischen Organisation, G 8 sei gut – aber jetzt plötzlich erkennen, dass Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen?

Wo bleibt eigentlich die Wahlfreiheit der Grundschuleltern? Ich will Ihnen dazu ein nettes Beispiel bringen. In Dieburg wurden die Eltern von Grundschülern befragt, ob sie G 8 oder G 9 wollen. 88 % sprachen sich für die sechsjährige Mittelstufe aus. Die infrage kommende kooperative Gesamtschule ist jedoch bisher nicht bereit, die Mittelstufe wieder zu verlängern.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Hört, hört!)

Das ist Ihre sogenannte Wahlfreiheit für die Eltern in Hessen.

Wenn Sie alle hessischen Eltern fragen, dann hat uns die letzte Bildungsstudie im Auftrag von JAKO-O gezeigt: 89 % der hessischen Eltern wollen die sechsjährige Mittelstufe. – Meine Damen und Herren, diese sechsjährige Mittelstufe wollen wir auch.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Frau Ravensburg, das ist übrigens nicht neu. Das haben wir schon immer so vertreten,

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

denn wir nehmen es ernst, dass Kinder nicht nur unterschiedliche Interessen und Talente haben und dass sie auch unterschiedlich schnell lernen. Mit einer modularisierten Oberstufe im Anschluss wollen wir erreichen,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

dass dieses unterschiedliche Lerntempo in der Schule berücksichtigt wird und Kinder in der Oberstufe nach zwei, drei oder vier Jahren zum Abitur kommen können.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Frau Habermann, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Sie dagegen kehren den Schulen die Probleme vor die Tür, gaukeln den Eltern Wahlfreiheit vor und wollen nur eine Last im Wahlkampf loswerden.

Herr Präsident, mein letzter Satz: Ich will noch eine alte Weisheit der Dakota-Indianer wiederholen:

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Für die Gemeinschaft! – Judith Lannert (CDU): So alt ist Ihre Schulpolitik?)

Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab. – Frau Kultusministerin, da ich selbst reite, kann ich Ihnen versichern: Es nützt nichts, die Sporen zu verwenden und laut „Hü“ zu rufen. Dieser Gaul bleibt tot. G 8 in Hessen in der Mittelstufe ist gescheitert.