Protocol of the Session on September 6, 2012

Wenn ein Gesetz verlängert wird, muss man dies zum Anlass nehmen, an der einen oder anderen Stellschraube zu drehen. Bei dieser Gelegenheit werden die Erfahrungen aus der Praxis aller Beteiligten einbezogen. So hat auch der Ausschuss eine Anhörung durchgeführt. Hierbei ging es vielfach um redaktionelle Klarstellungen oder Anpassungen an geänderte Gesetzeslagen.

Aber es gab auch einige neue Regelungen, die sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre ergeben haben. Klarer geregelt in dem vorliegenden Gesetzentwurf und neu aufgenommen wurde das Selbsteintrittsrecht der oberen und obersten Gesundheitsbehörden. Das bedeutet, sollte ein Gesundheitsamt seine Aufgabe nicht rechtzeitig oder pflichtgemäß wahrnehmen, kann die Aufsichtsbehörde einschreiten.

Mit diesem Selbsteintrittsrecht sollen erhebliche gesundheitliche Gefahren abgewandt werden. Auch wenn es bis jetzt noch nicht zu einem ernsthaften oder dauerhaften Konflikt gekommen ist, und dies vermutlich auch nur selten vorkommt, sollten wir nicht erst abwarten, bis ein solches Problem gravierend zum Tragen kommt. Vielmehr ist es wichtig und richtig, jetzt für den Ernstfall eine Regelung zu finden, damit dieses Problem auch in Zukunft nicht entstehen kann.

Besonders begrüßen wir die Möglichkeit, nach § 2 Abs. 3 die Leitung eines Gesundheitsamtes für einen befristeten Zeitraum an einen Arzt ohne Facharztanerkennung zu vergeben. Natürlich muss dies die Ausnahme sein. Durch diese Regelung können aber Zeiträume überbrückt werden, bis eine Facharztqualifikation von einem Bewerber erlangt ist oder man einen geeigneten Facharzt gefunden hat.

Neu aufgenommen wird ebenso die Möglichkeit, bei Großschadensereignissen bei der Gesundheitsbehörde einen Krisendienst anzubinden. Die Organisationseinheit der kommunalen Selbstverwaltung wird hier weiterhin geachtet, indem dies als Kannregelung formuliert ist.

Schließlich findet sich in § 16 noch eine Klarstellung für die Aufsichtsbehörde über die Fachberufe im Gesundheitswesen.

Insgesamt, so kann man feststellen, ist der uns vorliegende Gesetzentwurf dazu geeignet, ein gutes Gesetz noch besser zu machen.

(Beifall bei der CDU)

Dem Anrecht der hessischen Bevölkerung auf Schutz vor den gesundheitlichen Gefahren wird entsprochen. Zusammenfassend wird somit dem WHO-Leitsatz aus der Ottawa-Charta Rechnung getragen. Dieser besagt: Gesundheit ist kein abstraktes Gut.

Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben...

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das war die Jungfernrede von Frau Bächle-Scholz. Herzlichen Glückwunsch.

(Allgemeiner Beifall)

Nicht die erste, aber eine von vielen, Herr Dr. Spies, Sie haben das Wort. Herr Dr. Spies, heute ist Ihr Tag, heute bekommen Sie eine Zulage.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die verehrte Kollegin hat eben darauf verwiesen, dass der vorliegende Gesetzentwurf keine spektakulären Veränderungen beinhaltet. Genau das ist das Problem. Das Hessische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst war schon veraltet, als es neu auf den Tisch kam, und es wird durch diese Änderungen keinen Deut besser.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Wieder einmal wird die Chance vertan, ein modernes Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst zu machen.

Selbst wenn man mit dem zufrieden wäre, was als Grundlage vorhanden ist, so gibt es doch auch schon da Einwendungen aus der Anhörung, die nicht berücksichtigt wurden und die das Minimum für eine Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf wären. Zum Beispiel eine ganz einfache Aufforderung aus der Debatte von vorhin, in der von Teilen des Hauses so vehement für offensive verhaltenspräventive Maßnahmen geworben wurde. Da müsste man doch einmal die Präventionsmaßnahmen, die der öffentliche Gesundheitsdienst herbeiführt, evaluieren und überprüfen. Nicht einmal das ist als Aufgabe der Gesundheitsämter vorgesehen.

Es gab eine ganze Reihe weiterer Einwendungen. Sie allein würden genügen, den Gesetzentwurf abzulehnen. Meine Damen und Herren, das Problem geht aber weiter. Das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst, wie es besteht und wie es durch diesen Gesetzentwurf leider nicht adäquat geändert wird, bleibt im Stadium der Siebzigerjahre stecken. Es vermeidet all die Herausforderungen, denen man sich im öffentlichen Gesundheitsdienst heute stellen würde.

Wir erinnern uns, das es bereits bei der Einbringung des originären Gesetzes, das heute nur geändert wird, einen Alternativentwurf gab, der damals von Frau Schulz-Asche

entwickelt und vorgetragen wurde und der uns gezeigt hat, wie ein Gesetzentwurf zum öffentlichen Gesundheitsdienst heute und zukunftsweisend aussehen könnte. Auf dessen Grundlage hätte man fruchtbar weiterdiskutieren können.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich empfehle der Landesregierung, noch einmal in diesen Alternativentwurf hineinzuschauen. Man vergibt sich nichts, wenn man das an der Stelle auch einmal deutlich macht. Die Landesregierung wäre gut beraten, sich diesen Alternativentwurf noch einmal anzuschauen, um zu sehen, wie das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst adäquat weiterzuentwickeln wäre. Deswegen müssen wir diesem Gesetzentwurf leider die Zustimmung versagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Wort hat Frau Abg. Schulz-Asche für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Spies, vielen Dank für dieses große Lob. Ich denke, dass das zeigt, wenn der Regierungswechsel hier vollzogen ist, dass man gute Grundlagen dafür hat, den öffentlichen Gesundheitsdienst zu einem modernen öffentlichen Gesundheitsdienst zu machen.

Meine Fraktion wird den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. Lassen Sie mich kurz zur Begründung am Ende dieses Gesetzentwurfs anfangen.

Dieses Gesetz soll bis zum Jahr 2020 verlängert werden. Viele Prognosen, die wir haben, beziehen sich genau auf das Jahr 2020: die Gefahren globaler Epidemien, der massive Eintritt der sogenannten Babyboomer ins Rentenalter, das Anwachsen der Pflegebedürftigkeit ab dem 75. Lebensjahr, aber auch Prognosen außerhalb des Gesundheitswesens wie der Fachkräftemangel, die steigende Erwerbsintegration von Frauen, der immer spätere Eintritt ins Rentenalter, die steigende Altersarmut insbesondere von Frauen usw. usf.

Wer es mit der Generationengerechtigkeit ernst meint, und zwar sowohl für die ältere als auch für die erwerbstätige Generation, der muss heute die Grundlagen dafür schaffen. Die Herausforderungen an den öffentlichen Gesundheitsdienst lauten, Vorhandenes miteinander zu vernetzen, einen konsequenten Verbraucherschutz, eine wirkungsvolle Prävention und Gesundheitsförderung, einen abgestimmten Infektionsschutz zu betreiben und neue Ideen zur Sicherstellung der Versorgung in sozial benachteiligten Stadtteilen und ländlichen Räumen zu entwickeln – dies alles mit ausreichendendem und gut qualifiziertem Personal.

Meine Damen und Herren, wir haben als Landtagsfraktion versucht, mit dem Konzept „Gesundheit im ländlichen Raum“ den Gesundheitsdienst zu einem „Haus der Gesundheit“ weiterzuentwickeln. Der Gesetzentwurf, der von Ihnen vorgelegt wurde und über den heute abgestimmt wird, zeigt aber, dass CDU und FDP im Bereich

des öffentlichen Gesundheitsdienstes nichts mehr vorhaben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hessen braucht ein Gesetz, das Innovationen für einen öffentlichen Gesundheitsdienst ermöglicht, der für junge Ärztinnen und Ärzte sowie anderes Fachpersonal ein attraktiver Arbeitsplatz ist. Hessen braucht einen Gesundheitsdienst, von dem die Bürgerinnen und Bürger sagen: „Das ist mein Haus der Gesundheit.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat Frau Abg. Schott, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Ich mache es noch kürzer. Alles, was an Kritik zu sagen ist, ist gesagt. Es gäbe noch einige Punkte anzumerken, aber ich glaube, wir haben noch wichtige Aussprachen vor uns, für die wir Zeit und Raum haben sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Rock für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst und anderer Vorschriften. Frau Bächle-Scholz hat aus meiner Sicht schon viel Richtiges zu dem Gesetzentwurf und dem Gesetz gesagt. Das Gesetz hat sich aus unserer Sicht bewährt.

Auf zwei Dinge will ich noch etwas näher eingehen, zum einen die Durchgriffsregelung auf die Kommunen bei Gefahrenlagen und zur Gefahrenabwehr, zum anderen die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, um die Qualität des Infektionsschutzes zu erhöhen. Das sind zwei wichtige Ergänzungen in diesem bewährten Gesetz. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen.

Ich habe eine Frage an Herrn Spies: Sind Sie wirklich sicher, dass Sie den Gesetzentwurf ablehnen? Ich wurde vorhin unsicher, als Sie sich hier geäußert haben. Sie sind also sicher, dass Sie ablehnen?

(Dr. Thomas Spies (SPD): Absolut!)

Damit bin ich am Ende meiner Rede. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, der Herr Sozialminister hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hoffnung stirbt zuletzt, Frau Schulz-Asche. Sie haben eben von einem „vollzogenen Regierungswechsel“ und der Befristung dieses Gesetzes bis zum Jahr 2020 gesprochen. Gehen Sie davon aus, dass die Koalition dieses Gesetz auch noch nach Ablauf der Befristung verlängern wird,

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

um genauso wie heute zu beweisen, dass sie den Herausforderungen, die sich dem öffentlichen Gesundheitsdienst stellen, gerecht wird, indem sie unter anderem die Abwehr erheblicher gesundheitlicher Gefahren durch Prävention und Gesundheitsförderung, die Beobachtung und Bewertung umweltbezogener Einwirkungen, die hygienische Überwachung von Einrichtungen, die Kinder- und Jugendgesundheit sowie die Gesundheitsberichterstattung berücksichtigt.

Wenn Sie die großen Herausforderungen an den öffentlichen Gesundheitsdienst in den vergangenen Jahren noch einmal in den Blick nehmen: Es gibt zwei Stichpunkte, mit denen diese beschrieben werden, auf der einen Seite das Stichwort Schweinegrippe und auf der anderen Seite das Stichwort EHEC. In beiden Situationen hat sich gezeigt, dass der durch das Gesetz geregelte Organisations- und Strukturaufbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes adäquat ist und funktioniert hat.

Es ist aber auch klar, dass mit dem Gesetzentwurf ein Änderungs- und Ergänzungsbedarf aufgezeigt wird. Wir müssen den öffentlichen Gesundheitsdienst mit qualifiziertem Personal ausstatten. Wir dürfen dieses Personal aber nicht überfordern. Ich rufe in diesem Zusammenhang die Diskussion in Erinnerung, die wir gestern Vormittag über die ambulante ärztliche Versorgung geführt haben.