Protocol of the Session on June 28, 2012

Deswegen verstehen wir auch den Inhalt Ihrer Aktuellen Stunde nicht.

(Holger Bellino (CDU): Das merkt man an Ihrer Rede!)

Denn was passiert im Moment? – Fußball ist eine sehr ernste Angelegenheit. Fußball hat etwas mit Politik zu tun. Wir haben das vor ein paar Monaten schon einmal diskutiert und die Zustände und Verletzungen von Menschenrechten in der Ukraine thematisiert. Das darf man an einer solchen Stelle nicht ausblenden.

Ja, wir freuen uns, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft erfolgreich ist. Wenn am Schluss das bessere Team gewinnt, dann ist es gut. Wir hoffen heute Abend auf ein interessantes Fußballspiel Deutschland gegen Italien. Ich finde es auch gut, wenn die Deutschen nirgendwo, in kein Land der Welt einmarschieren, außer in das Finale der Europameisterschaft und der Weltmeisterschaft.

Wenn Menschen dazu schwarz-rot-goldene Fahnen und Fähnchen schwenken und sich freuen, dann entscheidet das jeder für sich. Wenn Millionen daran Freude haben, dann ist das auch in Ordnung. Dann muss man das nicht parteipolitisch ausschöpfen wollen.

Deswegen war diese Aktuelle Stunde, von der CDU initiiert, überflüssig wie ein Kropf. Ich jedenfalls freue mich auf ein hoffentlich schönes Fußballspiel. Der Bessere möge gewinnen. Wenn es Deutschland ist, freue ich mich umso mehr. Ansonsten ist Sport wichtig, aber das Leben geht weiter. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunden angekommen. Wir freuen uns auf ein hoffentlich schönes Fußballspiel heute Abend. Aber wie beim Fußball ist es auch hier: Vor den Erfolg ist der Fleiß gesetzt. Deshalb fahren wir jetzt entsprechend der Tagesordnung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend „Fiskal pakt“ „stoppen“ und Kommunen „schützen“ – Drucks. 18/5837 –

Hinzu kommt Tagesordnungspunkt 62:

Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Europäischer Stabilitätsmechanismus und Fiskalpakt nach Verhandlungen zustimmungsreif – weitere Schritte zur Euro-Rettung müssen folgen – Drucks. 18/5879 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten pro Fraktion. Als Ers ter erhält Herr van Ooyen für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Ich bitte, alle wichtigen Gespräche, die heute noch geführt werden müssen, außerhalb dieses Plenarsaals zu führen, damit wir hier zügig fortfahren können. – Herr van Ooyen, bitte schön.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wort Kommunen hätte ich auch noch in Anführungszeichen gesetzt! – Weitere Zurufe)

Den Hessenbezug habe ich vorhin vermisst. Ich habe da keinen einzigen Fußballspieler aus Hessen gefunden. Aber wir werden den Hessenbezug Ihrer Aktuellen Stunde irgendwann klären.

(Peter Beuth (CDU): Die hessische Jugend war beteiligt! Sie müssen sich in das Thema ein bisschen hineindenken! – Weitere Zurufe)

Ich habe es da ein bisschen leichter. Mein Jüngster hat einmal gesagt: Papa, ich glaube, dieses Mal werden wir Weltmeister, als Deutsche, als Holländer oder als Franzosen. – Er hatte mehrere Chancen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Vizepräsidentin Ursula Hammann über- nimmt den Vorsitz.)

Ich komme jetzt auf den Fiskalpakt zu sprechen. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich zitiere:

Ein Land steht vor dem wirtschaftlichen und politischen Abgrund. Der Staat steht vor dem Bankrott und die Regierung spart drakonisch: Sie kürzt heftig bei den öffentlichen Bediensteten und erhöht kräftig die Steuern; die Wirtschaft schrumpft dramatisch, und die Arbeitslosigkeit steigt; in den Städten kommt es zu Massendemonstrationen und zu Straßenschlachten; die Banken stehen vor dem Kollaps, weil die internationalen Kapitalgeber ihr Geld aus dem Land abziehen; Banken müssen mit öffentlichen Mitteln vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Griechenland 2011? Nein, Deutschland 1931.

So kommentierte der Wirtschaftswissenschaftler Fabian Lindner im November 2011 die Lage. Wohin die brüningsche Kürzungspolitik Europa einmal getrieben hat, wissen wir.

Statt aber aus der Geschichte zu lernen, dass Kürzungsprogramme eine Krise nur weiter verschärfen und sie nicht beenden, wird Griechenland und den anderen Krisenstaaten eine beispiellose Kürzungsorgie verordnet. Abhilfe ist nicht in Sicht. Noch immer wurden keine wirksamen Maßnahmen gegen die Panik an den Finanzmärkten getroffen.

Vor allem die deutsche Bundesregierung lehnt alle Vorschläge ab, die zu einer gemeinsamen Garantie der Staatsschulden und damit zu Sicherheit und Stabilität in Europa beitragen würden. Sowohl die gemeinsamen europäischen Staatsanleihen als auch die Ausstattung eines Rettungsfonds mit einem Zugang zur Europäischen Zentralbank – wirksame Krisenlösungen wurden bislang stets verhindert, und zwar immer auch mit den Stimmen der SPD und der GRÜNEN. Ganz konkret haben sich nun auch die SPD und die GRÜNEN dazu bekannt, weiterhin Austeritätspolitik auf dem Rücken unserer europäischen Nachbarn, auf Kosten der Kommunen und der Menschen zu betreiben, die auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen sind.

Da nützt es auch nichts, dass sich die Länder für ein paar schwammige Zusagen des Bundes die Zustimmung zum Fiskalpakt haben abkaufen lassen. Halten wir doch noch einmal fest, was es an konkreten Zusagen so gegeben hat.

Erstens. Es geht um einen Betrag von 500 Millionen €, der einmalig für die Kinderbetreuung aufgewendet werden soll. Mit Verlaub: Das hat zum einen gar nichts mit dem

Fiskalpakt zu tun, zum anderen dürfte das nicht annähernd ausreichen, um bald eine angemessene Betreuungssituation in diesem Land zu bekommen.

Zweitens kommen die Hilfen des Bundes für die Grundsicherung im Alter und bei der Wiedereingliederungshilfe zum Tragen. Hierzu muss man allerdings schlicht und einfach feststellen, dass es zu dem ganzen Vorgang keine einzige belastbare Zahl gibt. Selbst wenn die im Raum stehende Summe von 4 Milliarden € zutreffend wäre, würde das sicherlich nicht annähernd ausreichen, um die Kommunen bundesweit wirksam zu entlasten. Selbst der von der SPD zutreffend als Knirps bezeichnete Rettungsschirm dürfte in Hessen wesentlich höher als das ausfallen, was der Bund zur Verfügung stellen will.

(Norbert Schmitt (SPD): Pro Jahr!)

Doch nicht nur auf Länderebene ist das, was Rot und Grün hier verhandelt haben, eine Farce. Auch auf Bundesebene haben sie ihre Position als Opposition endgültig aufgegeben. Das gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass die CDU und die FDP sie nicht nur über den Tisch gezogen haben und eine Finanztransaktionssteuer wirklich durchgesetzt werden kann.

Wenn man dieses Szenario einmal durchrechnet, erkennt man, dass den Kürzungszwängen in der Größenordnung von 480 bis 500 Milliarden € wegen des Fiskalpaktes Einnahmen im unwahrscheinlichsten Idealfall von 125 Milliarden € gegenüberstehen. Kurz gesagt: CDU, SPD, FDP und GRÜNE wollen am Rande einer Rezession ein gigantisches Kürzungsprogramm für ganz Europa beschließen.

Daran ändert auch die geplante Aufstockung der Mittel für die Europäische Investitionsbank nichts. Die GRÜNEN gehen davon aus, dass dies zu jährlich 45 Milliarden € Mitteln für Investitionen führen würde. Mit Verlaub, da ist wohl eher der Wunsch derjenige, der als Vater des Gedankens herhalten muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Europäische Investitionsbank ist da wesentlich skeptischer. Sie wird auch in Zukunft nur in sichere Projekte investieren. Das dürfte am Rande einer schweren Rezession sicherlich schwierig zu beurteilen sein.

Ähnlich verhält es sich mit den hochgelobten Projektbonds, mit denen es Schwarz-Gelb ein weiteres Mal gelungen ist, Eurobonds zu verhindern. Auch hier muss davon ausgegangen werden, dass die Europäische Kommission kaum zusätzliche Projekte finden wird, die sie für förderungswürdig hält.

So bleibt von dem Kompromiss vor allem eines: die Einigkeit der vier Parteien, die der Meinung sind, dass das Haushaltsrecht der Staaten nur noch über die Kommission zu laufen hat, und die Einigkeit, dass man jetzt endlich kräftig kürzen muss, und zwar kürzen auf Kosten der Schwachen, derer ohne Arbeit und derer ohne Besitz.

Während man die Haltung der SPD nur noch als Vorbereitung einer Großen Koalition verstehen kann, sieht man bei den GRÜNEN noch einzelne Abgeordnete, die sich dem Irrsinn der Parteiführung widersetzen. Aber auch hier bleibt nur Resignation, nachdem ein kleiner Parteitag mit denkbar knapper Mehrheit den Fiskalpakt abgesegnet hat.

Reinhard Bütikofer hat es auf den Punkt gebracht. Das will ich durchaus anführen. Er sagte, dass SPD und

GRÜNE deutlich machen, dass sie keine Alternative zu Merkels Anti-Europakurs haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Anstatt den fehlerhaften Kurs zu korrigieren und den Pfad einzuschlagen, der wirksam in Richtung Wachstum und Zinssenkung für Staatsanleihen führt, verlangt die herrschende Anti-Krisenpolitik immer höhere Dosen derselben wirkungslosen Medizin. Wenn der harte Sparkurs bislang nichts bringt, dann muss er künftig eben Verfassungsrang bekommen, so lautet die offizielle Schlussfolgerung. Dementsprechend soll jetzt mit dem Fiskalpakt die Schuldenbremse europaweit und für alle Ewigkeit festgeschrieben werden. Italien wird wie Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern durch diese Kürzungspolitik in die Rezession getrieben. Die wirtschaftliche Basis, um Zinsen und Tilgung bedienen zu können, wird zerstört.

Die Krise wird sich immer weiter verschärfen. Mit der geplanten Rettung der spanischen Banken ist schon jetzt fast der letzte Euro des bestehenden Euro-Rettungsschirms verschossen. Der permanente Rettungsschirm ESM ist aber noch gar nicht einsatzbereit. Aber selbst wenn das der Fall wäre, dann würde sein Kreditvolumen in Höhe von etwa 500 Milliarden € nicht ausreichen, um Spanien und Italien mit Staatsschulden von rund 2,6 Billionen € für mehrere Jahre von den Finanzmärkten abzukoppeln.

Es ist offensichtlich, dass bei einer Fortsetzung der Ban ken rettungs- und Rezessionspolitik Europa nicht in einer politischen Union, sondern in die Spaltung geführt werden wird. In Anbetracht der unverantwortlichen Politik der herrschenden Klasse, insbesondere der der CDU und der FDP, ist leider auch das Auseinanderbrechen der Europäischen Union wahrscheinlich.

Klar ist jedenfalls: Staatliche Ausgabenkürzungen gehen praktisch immer zulasten der Schwächeren in der Gesellschaft. Denn gerade diese Menschen sind auf ein gutes Angebot an öffentlichen Gütern und auf einen starken Sozialstaat angewiesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Letztendlich wird der Fiskalpakt dazu führen, das europaweit und quer durch alle Ressorts Staatsausgaben gekürzt werden müssen: vom Sozialetat über Bildung und Forschung bis hin zu Projekten des Verbraucherschutzes und der Umweltpolitik. Das ist die Politik, die SPD und GRÜNE jetzt mittragen, abgekauft für das Feigenblatt einer vagen Zusage einer Regierung, die bisher wirklich alles blockiert, was die Krisenursachen wirksam angehen könnte. Das ist für uns unerträglich.

SPD und GRÜNE haben ihr Feigenblatt. Sie wollten von Anbeginn an die Schuldenbremse, die sie für Deutschland und Hessen selbst mit eingeführt haben, in verschärfter Form auf Europa übertragen. Faktisch wollen SPD und GRÜNE ihre Politik der Agenda 2010 fortsetzten. Deshalb stehen sie an der Seite von Merkel und Brüderle.

Die Dramatik beschreibt der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Stephan Schulmeister, der sagt: „Gegen den Fiskalpakt ist Hartz IV eine Lappalie.“

Gegen eine solche Politik müssen Protest und Widerstand organisiert werden. Wir werden dies tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Erfurth vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin Erfurth, Sie haben das Wort.