Protocol of the Session on June 28, 2012

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Weiter schreibt er, die „Schwarz-rot-geil-Stimmung“ sei der Versuch eines „Ankers auf schwankendem sozialen Boden“. Ein ethnisches Kollektiv solle bieten, was die soziale Marktwirtschaft nicht mehr zu leisten vermag: Darüber „sollen jene Angehörige der Mehrheitsgesellschaft emotional wieder integriert werden, die andererseits sozial desintegriert worden sind“. Das heißt: Nationalstolz soll als Kitt für eine zunehmend gespaltene Gesellschaft dienen.

Patriotismus paart sich oft mit Spekulationen über einen feststehenden Nationalcharakter oder mit obskuren biologischen Annahmen, die es auch bei Thilo Sarrazin gab. Kommentatoren analysieren pseudowissenschaftlich d i e Südeuropäer. Sie feiern die sogenannten deutschen Tugenden. Aber d a s Deutsche gibt es genauso wenig wie d a s Südeuropäische.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie schnell aus solchen Klischees bösartige Anschuldigungen werden können, sieht man bei der nationalistischen Stimmungsmache, die derzeit gegen die Griechen gerichtet ist.

Die These vom unverkrampften Patriotismus wird auch widerlegt durch die Anfeindungen und sogar Gewaltandrohungen, die es gegenüber der Grünen Jugend wegen deren Kampagne „Patriotismus? Nein danke!“ gegeben

hat. Diese Reaktionen zeigen doch, wie ernst es vielen offenbar ist.

Meine Damen und Herren, auch der hessischen CDU geht es hier nicht um den Sport. Es geht darum, solche Ereignisse zu nutzen, um den aus guten Gründen in Verruf geratenen deutschen Patriotismus wieder hoffähig zu machen.

(Zurufe von der CDU)

Dazu hatte die WM 2006, wie eine Berliner Sozialpsychologin es nennt, den „Charakter eines nationalen Comingout“. Das sieht auch der CDU-Fraktionsvorsitzende, Christean Wagner, so. Ich zitiere Sie äußerst ungern, aber ich finde, keiner demaskiert Sie so gut wie Sie sich selbst. Sie haben gesagt:

Die Fußballweltmeisterschaft in unserem Land hat den Umgang mit nationalen Symbolen wieder selbstverständlicher gemacht.... In den Jahrzehnten nach 1945 hatten wir Deutsche große Probleme, zu einem normalen Patriotismus zurückzufinden. Das scheint nun gelungen zu sein.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Hans-Jürgen Ir- mer (CDU))

Herr Wagner, was Sie hier machen, ist, die Fußballbegeisterung zu Ihren Zwecken zu instrumentalisieren. Es gibt genug Gründe, die Rolle Deutschlands in der Welt sehr kritisch zu sehen, nicht nur aufgrund der Vergangenheit, sondern auch aufgrund der Gegenwart. Deutschland wird in Europa zunehmend als Hegemonialmacht wahrgenommen. Wenn Volker Kauder erklärt, in Europa werde zukünftig deutsch gesprochen, dann gruselt es mich.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Gegensatz zur CDU stehen wir nicht für Patriotismus und Nationalstolz, sondern für Internationalismus. Ich muss sagen: Ich habe nie verstanden, warum ich auf Goethe und Schiller stolz sein darf, nicht aber auf Shakespeare oder Dostojewski. Dabei habe ich an den Werken Goethes den gleichen Anteil wie an denen Dostojewskis: nämlich keinen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich wünsche mir, dass die Fans miteinander die Spiele ansehen, ohne sich dabei nationalistisch gegenseitig zu erhöhen. In Hessen leben Menschen aus fast 200 verschiedenen Nationen. Die Hessen brauchen sicher keine Belehrungen der hessischen CDU, wem sie beim Fußball die Daumen zu drücken haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Schönen Dank, Frau Wissler. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Al-Wazir das Wort.

(Unruhe)

Ich glaube, wir wollten bei aller Freude auf heute Abend ein bisschen Ruhe, damit man den Redner auch verstehen kann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuallererst habe ich ein logisches Problem mit dem Titel der Aktuellen Stunde. Wenn Sie schreiben: „Patriotismus und Unterstützung der deutschen Nationalmannschaft schließen sich nicht aus“, dann stelle ich die Frage: Wer hat das bisher bestritten? Doch nicht einmal die Linkspartei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Insofern ist es eine Selbstverständlichkeit. Dabei gilt auch der Umkehrschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Man kann sich auch am schönen Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft erfreuen, ohne den Patrioten-TÜV der Hessen-CDU zu bestehen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich denke gern an die Weltmeisterschaft 2006 in der Bundesrepublik Deutschland zurück. Das war eine sehr weltoffene und fröhliche Party. Wenn man heute zurückblickt, stellt man sich die Frage: Warum war das möglich?

(Petra Fuhrmann (SPD): Weil das Wetter so schön war!)

Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass erstens das Wetter schön war, Frau Kollegin Fuhrmann, aber dass zweitens fast alle in diesem Land mit einer Mannschaft mitgefiebert haben, die im Jahre 2006 erstmals auch das Deutschland von 2006 repräsentiert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vergleichen wir das einmal mit der Weltmeistermannschaft von 1990. Nichts gegen Andi Brehme, Rudi Völler und Guido Buchwald.

(Günter Schork (CDU): Der weiße Brasilianer! Das war sein Spitzname!)

Der weiße Brasilianer, na gut. Guido Buchwald in Ehren, Herr Kollege Schork. – Aber die Mischung von 2006, von Schweinsteiger, Podolski, Owomoyela, Frings, Odonkor und Hitzlsperger, das war erstmals eine Mischung, die dieses Land, die mein Land in seiner ganzen Vielfalt repräsentiert hat.

Ich sage dazu: Hätten CDU, CSU und FDP nicht bis 1998 regiert und sich der Realität des Einwanderungslandes Deutschland verschlossen, dann hätte das auch schon früher so sein können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Peter Beuth (CDU): Da ist kein Zusammenhang! Das ist völlig konstruiert!)

Wenn Sie es mir nicht glauben, dann schauen Sie sich einmal die französische Weltmeistermannschaft von 1998 an. Dann wissen Sie genau, was ich meine.

Im Jahre 2012 ist es so: Wenn Mesut Özil flankt, dann ist es egal, ob Mario Gomez oder Miroslav Klose in der Mitte steht und das Tor macht. Diese Mannschaft ist eine vielfältige Mannschaft. Es ist eine Mannschaft, die das Deutschland von heute repräsentiert, und sie ist deswegen das Gegenteil von Deutschtümelei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage aber auch in Richtung Linksjugend, Linkspartei und auch Bundesverband der Grünen Jugend: Wenn man reflexartig jede Form der Unterstützung der deutschen Mannschaft als Vorstufe zum ausgrenzenden Nationalismus bezeichnet, dann ist das Unsinn. Ich sage ausdrücklich: Wenn die NPD sagt: „Das ist nicht unsere Mannschaft“, dann kann ich umso stärker sagen: Aber meine ist es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Ich will aber auch auf die schwierigen Seiten eingehen; denn die gibt es. Fußball ist in der heutigen Welt eine Art Religionsersatz. So wie jede Religion gefährlich werden kann, wenn sie sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt, so kann Patriotismus sich in Überheblichkeit, in Ausgrenzung steigern. Wenn ich lese, dass am letzten Freitag in Neuwied dunkelhäutigen Fans vom Sicherheitspersonal der Zutritt auf die Fanmeile verwehrt worden ist mit der Begründung: „Du bist schwarz“, dann muss ich Ihnen sagen: Machen Sie sich keine Illusionen. Wir haben Leute in diesem Land, die das, was wir hier vertreten, nicht vertreten.

Ich will in dem Punkt Heiner Geißler zitieren. Er hat zwar viel Unsinn erzählt, als er noch Generalsekretär war. Aber später wurde es besser. Insofern besteht auch beim Kollegen Beuth noch Hoffnung.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Peter Beuth (CDU): Passen Sie auf, dass Sie nicht wieder gerügt werden!)

Heiner Geißler hat einmal den schönen Satz gesagt: „Wenn die Fahne fliegt, ist der Verstand in der Trompete.“ – Darüber sollte man einmal länger nachdenken.

Mir ist eines sehr wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Fußball, es ist nicht Politik. Nicht jeder dumme Spruch muss gemacht werden. Das gilt übrigens auch für alle. Wenn am Samstag die „Frankfurter Rundschau“ titelte: „Euro ohne Griechen“, dann hätte man sich diesen Schenkelklopfer echt sparen können.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Kollege Bellino, in Ihrer Presseerklärung zur Begründung der Aktuellen Stunde sagen Sie:

Deutschland erfährt aus aller Welt Bewunderung für seine Errungenschaften, sei es in Wirtschaft, Kultur, im sozialen oder politischen Bereich. Wir sind erfolgreiches Exportland …

(Beifall des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Das ist alles richtig, aber das alles hat mit Fußball nichts zu tun, Herr Kollege Wagner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)