Ich glaube, dass dieser Bericht, so, wie er hier vorgelegt worden ist, in einem Teil der Gemeinsamkeit der Fraktionen in diesem Hause entspricht, die am 8. Juli 2009 in einen Antrag mündete, der die Landesregierung aufforderte, einen Sozialbericht vorzulegen, umfassend: mit Daten, Zahlen und Fakten.
Dieser eine Teil des Antrags ist umgesetzt. Er bietet e i n e Grundlage zur Debatte über die Frage: Wie geht es zukünftig mit der Sozialpolitik in Hessen weiter?
So weit müssten wir in diesem Hause eigentlich einig sein. – Wer die Plenarreden von damals liest, der stellt eine gewisse Euphorie fest. Frau Schulz-Asche hat für uns gesagt:
Das ist ein wichtiger Schritt. Nach mehreren Jahren des Widerstands haben CDU und FDP den Widerstand aufgegeben und gesagt, ja, wir brauchen einen solchen Sozial bericht.
Dann gab es eine sehr intensive Debatte und am Ende einen Beschluss. Dieser Beschluss lautete wie folgt:
Die Berichterstattung enthält auf Grundlage der Analyse zugleich zielgerichtete Handlungsempfehlungen. Die Berichte werden in enger Kooperation mit einem Beraterkreis aus Kommunen, Kirchen, Wissenschaft, Statistischem Landesamt und den Verbänden erstellt.
Frau Schott, wer jetzt, wenige Tage, wenige Wochen, nach dem dieses 500-Seiten-Werk vorliegt, bereits anfängt, Fazite über dessen Inhalt zu ziehen, tut das ein bisschen früh.
Wir sollten es einmal profund und gründlich tun. Herr Kollege Rock, was wir aber heute feststellen müssen, ist, dass dieser Beschluss nicht umgesetzt wurde. Sie haben eine Sammlung von Daten und Zahlen, und in keinem einzigen Wort haben Sie Handlungsempfehlungen oder Vorschläge für Zielvereinbarungen vorgelegt. – Deshalb ist dieser Beschluss nicht umgesetzt worden.
Ich finde es ziemlich empörend: Wenn man als CDU und FDP den eigenen Beschluss nicht ernst nimmt, dann verstehe ich hier die Welt nicht mehr. Wir haben da lange um einige Positionen gerungen. Wir haben gesagt, eine Landessozialberichterstattung kann nicht nur ein Abrufen von Statistiken und Daten und eine Zusammenfassung sein, sondern es muss immer auch eine tatsächliche Grundlage, auch von unabhängiger Seite, geben, die der Politik Handlungsempfehlungen mit auf den Weg gibt.
Herr Rock, das haben auch Sie geteilt. Ich kann Sie aus der damaligen Debatte zitieren. Sie haben damals gesagt: Ohne diese Handlungsempfehlung ist der Landessozialbericht nur eine Aneinanderfügung von Daten und Dateien; das wollen wir so nicht; und deswegen bestehen wir auch auf Handlungsempfehlungen.
Herr Rock, wenn dem so ist und wenn ich Sie heute in dieser Stunde erst nehme, dann freue ich mich auf Ihre Zustimmung zu unserem Antrag; denn der sagt genau: Wir fordern die Landesregierung auf, neben diesem ersten Teil auch den Beschluss umzusetzen und von unabhängiger Seite, von dem Beirat, einen Bericht vorzulegen, der sagt, welche Handlungsempfehlungen an die Politik sich daraus ergeben.
Wir werden dann nicht davon entbunden sein, Prioritäten zu setzen. Wir werden selbst herausarbeiten müssen, was wir als Landespolitik dann tatsächlich tun wollen. Aber es kann doch nicht sein, dass sich eine Landesregierung hinstellt und eine Hälfte des Antrags einfach nicht umsetzt.
Allen Ernstes frage ich mich: Nehmen Sie sich als Koalitionsfraktionen dann noch ernst? Wir diskutieren hier monatelang, wie ein solcher Bericht aussehen muss – dass es eben nicht so sein soll, wie bei vielen anderen Berichten, dass er nur aus vielen Daten und Zahlen besteht, sondern dass daraus etwas folgen soll, dass er der Politik einen Spiegel vorhält und ihr sagt: Aufgrund dieser Daten und Fakten muss Folgendes passieren. Dann können wir uns als Politik mit diesen Empfehlungen auseinandersetzen und sagen: Deshalb werden wir folgenden Maßnahmen umsetzten.
Da will ich mich noch gar nicht damit auseinandersetzten – wahrscheinlich finden wir da sehr schnell Gemeinsamkeiten –, dass wir noch immer viel zu viele Menschen haben, die sich in Sozialhilfe befinden, die in Obdachlosig
keit leben; zu viele Alleinerziehende, die von Armut betroffen sind; zu viele Menschen, die sich keinen bezahlbaren Wohnraum leisten können.
Der spannende Teil, der diese Landesregierung und die Landespolitik unter Druck gesetzt hätte, wären unabhängige Handlungsempfehlungen dafür gewesen, um welche Zielgruppe und um welches Handlungsfeld sich die Landespolitik kümmern solle.
Dieser Teil des Landessozialberichts findet überhaupt nicht statt. Diese Landesregierung hatte Angst vor den Empfehlungen. Ich kann nur darüber spekulieren, mit welcher Mutlosigkeit dieser Bericht erstellt worden ist. So, wie er vorliegt, ist er keine Grundlage für eine weitere Diskussion. Die Hessische Landesregierung hatte Angst davor, einen Spiegel über Defizite und mögliche Ziele vorgehalten zu bekommen. Das ist tatsächlich nicht befriedigend. – Danke.
Was hätte man alles aus einem Landessozialberichts machen können, wenn man es ernsthaft so betrieben hätte wie vereinbart. Das Datengrab, diese Datensammlung, ist nicht nur überaus unvollständig, sondern übersieht an vielen Punkten wesentliche Fragen. Dieser Bericht beinhaltet nicht das, was durch den Landtag vorgesehen und beschlossen und von Ihrem Amtsvorgänger ausdrücklich als notwendig erklärt wurde, nämlich eine eigenständige Datenerhebung.
Die Frage der Reichtumsberichterstattung fehlt nahezu vollständig. Wir erinnern uns noch lebhaft an die Debatte, dass Ihnen die Themen Armut und Reichtum zu wenig gewesen waren. Es sollte darüber hinausgehend eine umfangreiche Sozialberichterstattung sein. Es sollte nicht weniger sein, sondern mehr. Dieses Mehr ist zu einem viel, viel Weniger geworden.
Die Tatsache, dass dieser Bericht vollständig relevanter Empfehlungen entbehrt, ist nun schon hinreichend deutlich gesagt worden. So viel Papier, so wenig Nutzen.
Und der Beirat? Da wird ein Beirat eingerichtet – das ist ja an sich richtig, er tagt nur nie. Er bekommt einmal kurz gesagt, er dürfe Hinweise geben. Das nächste Mal bekommt er einen fertigen Bericht vorgelegt, der schon veröffentlicht ist. Das ist ein Umgang mit den Trägern der sozialen Hilfe in diesem Land, der ist unerträglich, Herr Staatsminister.
Ich will weiter gar nicht darauf eingehen – darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden –, wie in diesem Land die Spanne von Arm und Reich auseinanderreicht. Auch bei einem Rückgang der Armut können in diesem Land die Probleme nicht als gelöst betrachtet werden. Man kann doch auch nicht darauf verzichten, Konzepte zu entwickeln, wie damit umgegangen werden kann. Man kann doch nicht diesen Beirat mit Füßen treten und diese Kompetenz nicht heranziehen, um uns stattdessen ein Monster von Datengrab vorzulegen. Meine Damen und Herren, genau das ist der falsche Ansatz. In der Sozialpolitik kommt es auf ein bisschen mehr an, als Zahlen zu sammeln, und dann auch noch so unvollständig.
Das Mindeste wäre gewesen, zu versuchen, eine Sozial kartierung vorzunehmen. Sozialpolitik findet am Ende immer im regionalen Umfeld der Betroffenen statt. Während einzelne Kommunen hoch engagiert und mit großem Aufwand sich selbst darum kümmern, druckt das Land in seinem Landessozialbericht noch einmal die Sozialstatistik ab. Das war es.
Genau das, was man bräuchte, um Handlungsempfehlungen entwickeln zu können, wird an dieser Stelle nicht herausgebracht. Dieser Landessozialbericht erfüllt in keiner Weise die Vereinbarungen. Er erfüllt in keiner Weise den Beschluss des Landtags. Er erfüllt in keiner Weise das, worauf wir uns – Herr Bocklet hat darauf verwiesen – in einem nicht ganz mühelosen und sehr ernsthaft geführten konsensualen Prozess verständigt haben. Herr Staatsminister, das macht es so unverständlich, warum Sie uns nicht mehr vorlegen mögen als diese Sammlung von viel Papier.
Meine Damen und Herren, es gibt Empfehlungen. Glücklicherweise gibt es noch andere außer dieser Hessischen Landesregierung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat, während Sie sich darauf beschränken, Daten zu sammeln, eine Kommission ins Leben gerufen, die einen umfangreichen Empfehlungsbericht produziert hat, in dem all das steht, was bei Ihnen fehlt, Herr Staatsminister. Ich werde Ihnen ein Exemplar schicken, vielleicht kann man das einarbeiten, dann kommt man ein ganzes Stück weiter.
Die Sozialpolitik in diesem Land verdient ein anderes Niveau als das, was mit diesem Bericht zum Ausdruck gekommen ist. Sie verdient eine Perspektive, Ideen und langfristige Orientierungen, aus denen eine Neukonzeption der Sozialpolitik entwickelt werden kann, die sich den Herausforderungen unserer Gesellschaft angemessen stellt. Ein dickes Paket Papier, das sich Bericht nennt, und doch nur Daten abschreibt, die man vorher schon kannte, leistet dazu überhaupt keinen Beitrag.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der erste Hessische Landessozialbericht ist eine wirkliche Innovation. Er beschreibt die Lebenslagen ausgewählter sozialer
Gruppen auf der Grundlage der demografischen Entwicklung. Er unterscheidet sich von platten Armuts- und Reichtumsberichten, die vielleicht vorgefertigte Emotionen aufpeitschen können, aber für die Debatten und für die Menschen nicht dienlich sind.
Die Situation von Kindern, älteren Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen, Menschen ohne Berufsabschluss wird differenziert beschrieben und gibt Anregungen für Debatten über eine aktive Sozialpolitik. Der Bericht zeigt, dass ein Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt das wirksamste Mittel gegen Armutsgefährdung ist.
Hier stehen wir ganz hervorragend da: die geringste Arbeitslosigkeit mit 5,4 % in Hessen; die höchste Anzahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in Hessen, die wir je gehabt haben; das bundesweit höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.