Protocol of the Session on May 31, 2012

Das Gleiche sagt der Bundespräsident aktuell: Er habe die Sorge, dass das Ansehen Israels in Deutschland sinke. Das dürfe nicht geschehen, hat der Bundespräsident zu Recht gesagt. Er hat am Schluss sinngemäß ausgeführt, dass unsere beiden Länder nach der Schoah und dem Krieg gemeinsam Historisches geschaffen hätten, nämlich eine nie für möglich gehaltene Versöhnung und Verständigung auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen. – Dies muss auf Dauer erhalten bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der besondere Charakter der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ergibt sich natürlich in erster Linie aus dem Holocaust, historisch gesehen aber auch aus der engen Verzahnung von Christentum und Judentum sowie den Beiträgen jüdischer Intellektueller zur deutschen und europäischen Geistesgeschichte und Kultur.

Dieses Engagement wird – es ist eben schon angesprochen worden – in vielen Begegnungen deutlich, sei es nun von Vertretern der Kirchen, von politischen Stiftungen, der Bundesländer – ich erinnere nur daran: das DiasporaMuseum in Tel Aviv wird seit 25 Jahren von Hessen unterstützt –, der Landkreise und der Kommunen. Es gibt 100 Städtepartnerschaften. Ausgangspunkt ist die Grundüberlegung: Nur wenn man miteinander spricht, spricht man nicht übereinander.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deswegen begrüßen wir die Vereinbarung zwischen dem Land Hessen und Yad Vashem ausdrücklich. Im Übrigen haben Bayern und Baden-Württemberg das zuvor auch schon gemacht. Das ist ein guter Weg. Das Ziel ist ein Austausch über die Erinnerungspädagogik, ein Austausch zwischen hessischen Einrichtungen und Yad Vashem und eine Intensivierung der Lehrerausbildung und des Schüleraustauschs.

Meine Damen und Herren, auch das hat Herr Kollege Wagner eben zu Recht angesprochen: Wir müssen uns über die Erinnerungskultur Gedanken machen; denn es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen. Aber wir müssen die Erinnerung an die Nazidiktatur, an Konzentrationslager, an KZ-Schergen, an den Totalitarismus, an den millionenfachen Mord an Juden, an politisch Andersdenkenden und an Menschen, die nicht zu dem Rassenbild der Nazis pass ten, aufrechterhalten. Dies ist unsere historische Verpflichtung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Yad Vashem als zentrale Gedenkstätte ist deshalb der richtige Partner. „Yad Vashem“ bedeutet übersetzt: ein Denkmal und ein Name. – Mit anderen Worten: Es gibt den 6 Millionen ermordeten Juden die Namen zurück und gibt ihnen damit ein Gesicht. Es mahnt, forscht und dokumentiert. Es legt – neben dem Zeigen grauenvoller Bilder ermordeter Menschen – den Schwerpunkt auf die Arbeit an Zeitzeugnissen, die individuell zuzuordnen sind, um im Zusammenhang mit jedem Namen auch ein menschliches Schicksal zu dokumentieren.

Der Schüleraustausch und die Gedenkstättenarbeit sind unverzichtbare Pfeiler, um die Erinnerung wachzuhalten. Lassen Sie mich das durch ein sehr persönliches Erlebnis beschreiben. Sie wissen, dass ich 20 Jahre lang im Schuldienst war. Ich habe Oberstufenkurse in Gemeinschaftskunde gegeben und in der Mittelstufe Gesellschaftslehre unterrichtet. Natürlich stand im Rahmen dieses Fachs das Thema Nationalsozialismus auf der Tagesordnung. Ich habe sehr bewusst jedes Jahr Besuche in Konzentrations

lagern durchgeführt, ob in Dachau, in Plötzensee oder in Struthof.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist die beste Pädagogik!)

Sehr beeindruckt hat mich immer die Tatsache, dass man mit jungen fröhlichen Menschen zu einer Klassenfahrt aufbricht – sie sind natürlich darauf vorbereitet, eine solche Gedenkstätte zu besuchen – und dass es, je näher man dem Ziel kommt, im Bus umso ruhiger wird. Sie treten durch das Tor, nehmen an der Führung teil – zwei oder zweieinhalb Stunden, je nachdem – und kommen völlig verändert zurück, teilweise mit Tränen in den Augen, entsetzt, erschüttert. Das ist genau das, was ich unter pädagogischen Aspekten erreichen will: Den Leuten, die schon in jugendlichem Alter Konzentrationslager besucht haben, wird der Besuch für immer in Erinnerung bleiben. Damit sind sie gegen das gefeit, was irgendwelche braunen Horden sagen. Genau das muss unsere Aufgabe sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Die Erinnerung an die Opfer des Holocaust, die Verantwortung, die wir haben, sowie die persönliche Begegnung von Jugendlichen, Pädagogen und von Menschen aller Altersstufen fördern Weltoffenheit und Toleranz. Sie sind die beste Prävention gegen Antisemitismus, Rassismus, religiöse Intoleranz, Rechtsextremismus und Linksextremismus. An der Schwere der Verbrechen in der Vergangenheit können wir den Wert von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit richtig ermessen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen, und deshalb brauchen wir eine Erinnerungskultur.

Das ist die besondere Bedeutung der Gedenkstätte Yad Vashem. Sie vermittelt durch historisches Lernen Menschenrechtsbildung. Deshalb ist diese Vereinbarung hervorragend für die Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Als nächster Redner hat sich Herr van Ooyen, Fraktion DIE LINKE, gemeldet. Bitte schön, Herr van Ooyen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Für das Verständnis israelischer Politik – auch israelischer Regierungspolitik – ist, gerade wenn man sie kritisiert, der Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem unverzichtbar. Das Begreifen des Unbegreiflichen, nämlich der industriellen Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, ist auch heute ein Bestandteil des kollektiven Bewusstseins, leider nicht unbedingt immer auf der Erscheinungsebene.

Seit meinen Begegnungen mit Horst Symanowski in den Siebzigerjahren, der in Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wird, weiß ich, was Widerstandskämpfer gegen den Faschismus für einen Mut besaßen,

um gegen Faschismus, Krieg und Barbarei zu kämpfen. Er und viele andere – auch aus dem kommunistischen Widerstand – haben mich geprägt. Menschen wie Emil Carlebach oder Etty und Peter Gingold sind solche Vorbilder. Deshalb ist für mich der Besuch in Yad Vashem bei einer Israel-Reise Pflicht.

Es gibt natürlich auch in Deutschland Gelegenheiten, sich mit dem faschistischen Terror zu beschäftigen. Jedes Jahr im April gedenken wir der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers in Buchenwald. Die Erinnerung an Bücherverbrennung und Kristallnacht sind in der antifaschistischen und in der Friedensbewegung eine Normalität.

Die Verhinderung neofaschistischer Auftritte und Aktionen – ob in Dresden, in Wetzlar oder demnächst in Hünstetten – sind für uns verpflichtend. Dennoch sollten wir uns, wenn wir in Israel sind, auch mit den aktuellen Fragen der israelischen Politik beschäftigen und Chancen für eine friedliche Lösung in der Nahost-Region diskutieren. Die innenpolitische Lage in Israel und auch in Palästina hat sich – das ist jedenfalls meine Erfahrung aus den letzten Besuchen – weiter zugespitzt, allerdings aus höchst unterschiedlichen Gründen.

In Israel mehren sich religiöse Verwerfungen zwischen gläubigen Jüdinnen und Juden, den sogenannten reformierten und orthodoxen, und die Auseinandersetzungen um demokratische Rechte nehmen einen wachsenden Stellenwert ein. So hat es z. B. im vergangenen Sommer die israelische Occupy-Bewegung, angeführt von sehr jungen Studierenden, innerhalb von kürzester Zeit geschafft, bei 7 Millionen Einwohnern 500.000 Menschen zu Demonstrationen und Kundgebungen für soziale Gerechtigkeit auf die Straßen und Plätze zu bringen.

Israel verfügt über eine quirlige linke Szene von Kulturund anderen Nichtregierungsorganisationen, weltweit anerkannten Künstlerinnen sowie eine mutige Bürgerrechtsbewegung. Wir hatten eine solche jüdische Aktivistin und Frauenrechtlerin beim diesjährigen Ostermarsch in Frankfurt, um über die Sozialproteste und die Diskriminierungen von Menschen in Israel zu sprechen. Wir werden die Kontakte halten und natürlich ausbauen.

Mit einem weiten Blick haben Gesprächspartnerinnen und -partner in Israel und Palästina darauf aufmerksam gemacht, dass weitere Angst, weitere Waffen und mögliche neue Kriege keine Lösung für die Region bedeuten. Mauern müssen fallen und nicht weitere gebaut werden.

(Zuruf von der FDP: Gab es nicht schon jemanden, der Mauern gebaut hat?)

Anknüpfend an die Erfahrungen der ersten Kibbuzbewegungen, sollten nicht Hass und Gewalt, sondern Freiheit und Gleichheit Basis für eine solidarische Entwicklung sein. Auch das sollten wir im Zusammenhang mit Yad Va shem bedenken, und ich bin sehr dankbar für die Initiative, dass die Kooperation hier weiterentwickelt worden ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Staatsministerin Beer gemeldet. Bitte schön, Frau Beer.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Herr Abg. Blechschmidt hat schon darauf hingewiesen, dass sich unser Bundespräsident zurzeit zum Staatsbesuch in Israel befindet. Er hinterließ bei seinem Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem folgende Zeilen im Gästebuch:

So wirst du dann hier stehen, und dein Gefühl, dein Verstand und dein Gewissen werden dir sagen: Vergiss nicht! Niemals. Und steh zu dem Land, das hier derer gedenkt, die nicht leben durften.

Sehr verehrte Damen und Herren, ich glaube, genau das ist es, worum es bei dieser Vereinbarung zwischen Yad Vashem und Hessen geht. Deswegen bin ich zum einen Dorothea Henzler sehr dankbar, dass sie diese Vereinbarung zusammen mit den hessischen Einrichtungen eingefädelt und abgeschlossen hat. Zum anderen bin ich sehr froh, dass ausgerechnet dieses Thema das erste ist, das ich in der neuen Funktion als Kultusministerin begleiten darf.

Ich glaube, dass diese Kooperationsvereinbarung mit Yad Vashem die Chance eröffnet, unsere Zusammenarbeit, auch unsere eigene Arbeit an Erinnerungskultur, noch einmal zu intensivieren, insbesondere, darauf hat auch Herr Wagner schon hingewiesen, im Bereich der pädagogischen Kooperation, der pädagogischen Konzepte, und zwar auf allen Ebenen.

Deswegen danke ich den beteiligten Einrichtungen nicht nur für ihre sehr gute Arbeit, die sie schon jetzt machen, sondern auch dafür, dass sie in sehr, sehr kurzer Zeit so engagiert ihren Beitrag geleistet haben, dass diese Vereinbarung abgeschlossen werden konnte. Wir sind, nachdem erst im Februar dieses Jahres ein Abkommen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland zur weiteren Förderung von Yad Vashem und seiner Arbeit unterzeichnet worden ist, das erste Bundesland, das eine solche Vereinbarung eingeht.

Wir wollen gemeinsam – die Einrichtungen, aber gerade auch wir als Parlamentarier – die Fragen der Erinnerungspädagogik noch einmal neu durchdenken. Darauf ist eben schon hingewiesen worden. Wir haben in dem Moment ein Problem gerade auch der emotionalen Vermittlung, wenn es aufgrund der zeitlichen Distanz zunehmend schwieriger wird, Zeitzeugen in die pädagogische Arbeit mit einzubeziehen.

Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass sich die Zusammensetzung unserer Schülerschaft in den letzten Jahren verändert hat. Die Schülerschaft in Hessen ist multiethnischer geworden, und das bedeutet auch, dass sie einen erweiterten, einen anderen kulturellen Hintergrund mit einbringt. Das sind Elemente, die eben auch in der Erinnerungspädagogik mit berücksichtigt werden müssen. Das heißt, die Erinnerungskultur ist damit einem Wandel unterzogen.

Es geht schlicht auch darum, in einer Zeit, in der mittlerweile neue Medien eine andere Vermittlung, aber vielleicht auch andere Ablenkungen ermöglichen, zeitgemäße Mittel und Medien zu finden, um Jugendliche anzusprechen, aber eben auch selbst zum Nachdenken zu bringen und aus diesem Nachdenken Schlussfolgerungen zu entwickeln, ihnen zu zeigen, dass die Gefahren von Totalitarismus und Rassismus nach wie vor bestehen und wo die Wurzeln sind, all dies aber nicht nur geschichtlich aufzuarbeiten, sondern auch die Verbindung zur Aktualität

zu ziehen und mit einem persönlichen Erleben zu verbinden.

Wir werden in diese Arbeit vor allem die Lehrerinnen und Lehrer einbeziehen müssen. Deswegen ist es wichtig, hier auch an die Lehreraus- und -fortbildung zu denken; denn gerade sie werden es sein, die helfen müssen, innerhalb dieser neuen pädagogischen Mittel, die NS-Zeit, diese unglaublichen Verbrechen dieser Zeit, aufzuarbeiten und bei der jungen Generation die Erinnerung daran wachzuhalten. Sie sind unverzichtbare Mittler und haben hier die sehr große Verantwortung, zu zeigen, dass auch in unserer Zeit, in der leider radikale, unwissende und geschichtsleugnende Kräfte immer mal wieder Zulauf haben, dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte in seiner unmenschlichen Grausamkeit, mit all seinen Konsequenzen, sich eben nicht wiederholen darf. Es geht auch darum, das ist schon sehr richtig gesagt worden, dass sich Jugendliche dann auch einmischen müssen, wenn sie modernen, aktuellen Formen von Rassismus und Menschenfeindlichkeit begegnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Heute sind es noch Jugendliche, aber in ein paar Jahren werden diese jungen Leute in Gesellschaft und Beruf Verantwortung übernehmen. Deswegen ist es wichtig, ihnen zu zeigen, wie man sich couragiert jeglichem Ansatz von Intoleranz und Ausgrenzung entgegenstellen kann. Deswegen ist es richtig, Herr Kollege Irmer hat schon darauf hingewiesen, dass wir hier eine sehr intensive Arbeit mit den Gedenkstätten machen. Wir hoffen natürlich auch darauf, dass sich die Kontakte zwischen hessischen und israelischen Schülergruppen im jeweiligen Gastland noch weiter verstärken werden.

Frau Ministerin Beer, ich darf Sie daran erinnern, dass die Redezeit der Fraktionen erreicht ist.

Ich habe den letzten Satz auf den Lippen, Frau Präsidentin. – Das Kultusministerium wird dieses Thema noch einmal in einer Schulleitungsinformation verstärken und darauf hinweisen, dass wir es sehr begrüßen und unterstützen, dass solche Kontakte initiiert und begleitet werden. Es geht letztendlich darum, dass junge Menschen interkulturelle und moralische Handlungskompetenz entwickeln und diese dann in späteren Jahren auch weiter in unsere Gesellschaft einbringen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin Beer.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 57 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Hessischer Rechnungshof stellt „massive Verga- beverstöße“ beim Innenministerium im IT-Bereich der Polizei fest) – Drucks. 18/5751 –

Herr Rudolph, zur Geschäftsordnung, bitte sehr.

Frau Präsidentin! Wir ziehen die Aktuelle Stunde zurück, weil wir erst heute Morgen erfahren haben, dass der Innenminister auf einer Innenministerkonferenz ist, was wir nicht kritisieren, sondern ausdrücklich akzeptieren. Wir würden ihm aber gern, da es den Innenminister auch persönlich betrifft, die Gelegenheit geben, zu den Vorwürfen vonseiten der SPD-Fraktion Stellung zu nehmen. Wir würden aber bitten, dass uns zukünftig als Fraktion, wie das früher üblich war, in der Geschäftsführerrunde mitgeteilt wird, welche Minister auf welchen Konferenzen sind. Daran kann man sich dann auch orientieren.