Protocol of the Session on May 31, 2012

Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Land Hessen schließt Kooperation mit Yad Va - shem – Bildungskooperation ist Schlüssel für lebendige Erinnerung) – Drucks. 18/5750 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Herr Kollege Blechschmidt, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Das Thema der Aktuellen Stunde ist von der Frau Präsidentin dargestellt worden. Ich glaube, dass eine besondere Aktualität gegeben ist. Das Thema Yad Vashem ist ein Thema, das immer aktuell war, ist und bleiben wird.

(Allgemeiner Beifall)

Die Hessische Landesregierung hat durch eine entsprechende Vereinbarung neue Aktivität entfaltet. Das begrüßen wir und haben es zum Anlass genommen, die Aktuelle Stunde am heutigen Tag aufzurufen. Mit dem Thema verbunden ist auch die Reise unseres Bundespräsidenten, die sehr breit und sehr gut angelegt ist.

„Wer Yad Vashem besucht, muss weinen“ – das war der Arbeitstitel eines Referenten der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Harald Müller, für seine Rede zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus in Wiesbaden am 27.01.2010. Das war eine sehr gute, tiefe und sensible Rede, auf die ich ausdrücklich hinweisen will. In Anbetracht der Redezeit kann sie von mir leider so nicht gehalten werden.

Das Thema Yad Vashem ist Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde. Man muss sich dem Thema zwar nicht kühl, aber dennoch objektiv nähern. Es ist auch ganz gut, dass dieses Thema als erstes aufgerufen wird, um von der Hektik des Vormittags zur tiefsinnigeren Landespolitik zurückkehren zu können.

Ich bin 1961 geboren und habe als Schüler die ersten Anfänge im Schulunterricht erlebt, als das Thema Holocaust Einzug in die Lehrpläne fand. Es gab obligatorische Filmvorführungen. Ich persönlich habe mich seit frühester Jugend für Geschichte interessiert und damit auch für die Geschichte des Holocaust und des Dritten Reichs, im Gegensatz zu vielen meiner Mitschüler. Ich begrüße außerordentlich, dass dieses Thema durch die eingangs erwähnte Vereinbarung auch heute noch in den Schulen eine entsprechende Tiefe bekommt.

1992 habe ich Yad Vashem zum ersten Mal besuchen können und danach im Jahr 2001. Im Februar 2012 war ich ein weiteres Mal dort, anlässlich des Besuchs der FDP-Landtagsfraktion. Ich habe festgestellt, dass sich die Konzepte dort geändert haben, so wie wir feststellen, dass wir unsere Konzepte insgesamt ändern müssen, um Schüler zu erreichen. Dementsprechend hat sich auch in Israel etwas getan. Das, was 1992 und zum Teil 2001 noch galt, dass nämlich die Opfer das Konzept stark mitbestimmt haben, ist jetzt in Yad Vashem mit einem etwas anderen Zungen

schlag versehen worden. Gleichwohl ist Yad Vashem beeindruckend. Wer Yad Vashem besucht, muss weinen oder wird betroffen durch das, was er kennenlernt. Deswegen ist die Vereinbarung des Kultusministeriums der richtige Weg.

Nach 1945 hat die Bundesrepublik erst zögerlich und dann nach und nach, beginnend mit dem Auschwitzprozess in Frankfurt, mit Nachdruck den Blick auf die Schuld der Deutschen gerichtet. Vieles war bei der Aufarbeitung des nationalen Verbrechens unzulänglich. Zu viel ist unterblieben. Zu viele Täter durften bis zu ihrem Tode ein behagliches Leben führen. Das ist ein sichtbares Zeichen für ein beschränktes Arbeiten an der Schuld. Aber immerhin gab es diese Arbeit.

Das „Nie wieder“, das ich auch in den Siebzigerjahren als Jungdemokrat bei vielen Veranstaltungen in dem Mund geführt habe, war ein zentrales deutsches Bekenntnis, das in den Siebzigerjahren vertieft wurde. Beispielhaft für das, was in Deutschland getan wurde, will ich nur den Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal im Warschauer Getto oder die bahnbrechende Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 erwähnen.

Auf der anderen Seite, das habe ich auch in Diskussionen gemerkt, stand in Deutschland immer wieder der häufig geäußerte Wunsch nach Normalität. Liebe Kollegen, was ist normal? Aus meiner Sicht ist es normaler, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen und Lehren daraus zu ziehen. Jede „normale“ Nation sollte dies tun und ihre Vergangenheit hinsichtlich Kolonialismus, Sklaverei, Rassismus und Antisemitismus aufarbeiten. Verdrängung ist keine Normalität, sondern aus meiner Sicht ein psychopathologischer Defekt.

Auch wenn im historischen Gepäck aus deutscher Sicht ein singuläres Verbrechen mitgeführt wird, ist es doch ganz normal, die Schuldarbeit mit besonderem Engagement zu betreiben. Deswegen begrüße ich noch einmal außerordentlich das, was wir in Hessen geleistet haben. Wir gehen noch einen Schritt weiter und bauen dieses Engagement noch weiter aus und bringen es an die Schüler und an die Lehrer heran.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Blechschmidt, Sie müssten zum Ende kommen.

Meine Damen und Herren, es besteht die Notwendigkeit, sich ständig und immer wieder anzustrengen, um sich des Wiederanfangs zu verwehren. Wir als Parteien sind gefordert. Eine Umfrage aus dem Jahr 2006 hat aufgezeigt, dass 62 % der Deutschen gerne einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen würden.

Ich vertrete die Auffassung, dass wir als Politiker nicht nur die Verantwortung haben, den Wählerwillen umzusetzen, sondern dass wir auch Vorbild sein müssen und in der politischen Arbeit eine wesentliche Aufgabe in der politischen Willensbildung sehen müssen, an dieser Aufklärung wesentlich mitzuwirken.

Deshalb ist der Schritt, den Hessen geht, ein ganz wesentlicher Schritt, der mit Yad Vashem verbunden ist. Er ist wirklich mit einem ganz großen Ausrufezeichen zu versehen. Ich appelliere an alle Parteien, diesen Schritt weiter

zugehen und Aufklärung und Diskussion in die Schulen zu bringen. – Danke schön.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Dr. Blechschmidt. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Habermann von der SPDFraktion gemeldet. Bitte schön, Frau Habermann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat einer Besucherin von Yad Va shem beginnen, das im Internet veröffentlicht worden ist. Sie sagt, sie finde an dieser Ausstellung sehr gut, dass man in dieser Gedenkstätte die Wirkung persönlicher Einzelschicksale wirklich nachvollziehen könne und dass man so manchmal einen direkten Zugang zu historischen Prozessen habe; vielleicht kämen daher die Betroffenheit und die Unfähigkeit, ein bisschen Abstand zu bekommen und Distanz zu halten.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses Zitat zeigt sehr gut, worin die Bedeutung und die Wirkung der Auseinandersetzung mit Gedenkstätten des Holocaust – wie Yad Vashem – liegt.

(Allgemeiner Beifall)

Aus namenlosen Opfern werden Gesichter, werden Menschen mit Empfindungen und Erfahrungen, die wir auch selbst haben, werden Schicksale, bei denen wir mitleiden und mitempfinden können. Ich glaube, kein Betrachter kann sich einer solchen subjektiven Anteilnahme und Betrachtung entziehen.

Das bedeutet, eine solche Gedenkstätte ist auch die Basis für eine kritische Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen. Sie sensibilisiert und motiviert dazu, sich damit zu beschäftigen. Mit ihren Namen, mit persönlichen Gegenständen und Erzählungen trivialer, alltäglicher oder auch außergewöhnlicher Lebenssituationen erhalten die Opfer ihre Identität und Individualität zurück. Ihre Geschichte – und damit die Geschichte des faschistischen Deutschland – wird erfahrbar, gerade auch für die Generationen, die ihr Wissen über diese Zeit ansonsten nur noch Büchern entnehmen können. Aus diesem Grunde begrüßt die SPD-Fraktion die vom Hessischen Kultusministerium abgeschlossene Kooperationsvereinbarung mit Yad Vashem. Wir finden es sehr sinnvoll, dass dieser Schritt gegangen wurde.

(Allgemeiner Beifall)

Diese Vereinbarung eröffnet die Chance, Erinnerungen wachzuhalten und geschichtliche Abläufe in Zusammenhängen zu sehen. Man darf aber beim Wachhalten der Erinnerungen nicht stehen bleiben. Die Kooperation der Gedenkstätten für die Opfer der Gräueltaten der Nazis muss eingebettet sein in ein Konzept der politischen Bildung, das es jungen Menschen ermöglicht, Geschehenes im Licht der Gegenwart kritisch zu reflektieren, eine eigene Bewertung und Einordnung zu erarbeiten und – vor allem – verantwortungsvoll zu handeln und sich einzumischen.

(Beifall bei der SPD)

Dies kann in der Schule und in der Jugendarbeit geschehen. Entscheidend ist, dass das Entsetzen über die Ermordung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung in die Erkenntnis mündet, dass in einem demokratischen Staat schon den Anfängen jeder Form von Rassismus und Vorurteilen gegenüber anderen Religionen und anderen Kulturen entgegengetreten werden muss und jeder Einzelne Verantwortung trägt, wenn er sich nicht einmischt. Es bleibt zu wünschen, dass die Vereinbarung in diesem Sinne mit Leben gefüllt wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Austausch, Zusammenarbeit, Lehrerfortbildung und Schulbesuche kosten Geld, ebenso wie Programme für die politische Bildung. Der kleine Topf, der bisher für Gedenkstätten vorgesehen ist, kann sicherlich nicht weiter aufgesplittet werden, und weitere Programme zur Stärkung der Demokratiefähigkeit sind angesichts der Entwicklung rechtsextremer und fremdenfeindlicher Tendenzen in unserer Gesellschaft seit Langem überfällig.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch hier haben Sie unsere Unterstützung, wenn Sie diese Arbeit über die neue Kooperationsvereinbarung verstärken wollen.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Frau Kollegin Habermann. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Wagner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeldet. Bitte schön, Herr Wagner, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt in diesem Hessischen Landtag Themen, da sind sich alle Fraktionen einig. Über eines dieser Themen reden wir heute, nämlich über das Thema, dass das Gedenken und die Erinnerung an die Gräuel, die von Deutschen in Deutschland Bürgerinnen und Bürgern jüdischen Glaubens zugefügt wurden, nie in Vergessenheit geraten dürfen, dass sich das nie wiederholen darf und dass wir den Anfängen wehren müssen.

(Allgemeiner Beifall)

Wir haben in unserem Land sehr viele Einrichtungen, die sich um dieses Gedenken und um das „Nie wieder“ verdient gemacht haben. Sie leisten schon jetzt eine großartige Arbeit. Ich möchte das Engagement von Lehrerinnen und Lehrern an unseren Schulen erwähnen, die an dieser Arbeit beteiligt sind. Ich möchte die Arbeit des FritzBauer-Instituts erwähnen. Ich möchte die Landeszentrale für politische Bildung, die Gedenkstätten in unserem Lande, das Jüdische Museum und viele andere erwähnen. Ich habe jetzt nur die genannt, die sich an der Kooperationsvereinbarung aktiv beteiligt haben, die das Kultusministerium geschlossen hat.

Es ist gut, dass die Akteure, die bei diesem Thema in unserem Land schon sehr viel geleistet haben, sich jetzt zu einer Kooperation mit Yad Vashem zusammengeschlossen haben. Wir unterstützen diese Kooperation ausdrück

lich. Einen herzlichen Dank auch an die frühere Ministerin Henzler, dass sie das möglich gemacht hat. Das ist ein wichtiger Baustein für eine Erinnerungskultur und für ein Aufrechterhalten des „Nie wieder“, damit sich so etwas in unserem Land nie wiederholt.

(Allgemeiner Beifall)

Wenn es um die Erinnerung an die Gräuel geht, die in unserem Land begangen wurden, dann sind wir seit einigen Jahren ein Stück weit in einer neuen Phase, was die pädagogische Vermittlung angeht. Wir hatten Gott sei Dank sehr lange Gelegenheit, mit Zeitzeugen über diese Fragen zu reden und uns direkt berichten zu lassen, welche Gräuel da stattgefunden haben. Diese Phase wird sich durch das Alter dieser Menschen so nicht aufrechterhalten lassen.

Jetzt stehen wir vor der pädagogischen Herausforderung: Wie können wir dennoch eine Erinnerungskultur schaffen, die allen Menschen in unserem Land – jungen wie älteren – die Erinnerung aufrechterhält? Ich glaube, wir können hier sehr von den Erfahrungen aus Yad Vashem profitieren. Es ist sehr gut, dass wir in diesen Fragen zusammenarbeiten. Wir können und müssen sehr dankbar sein, dass Yad Vashem eine Kooperation mit Hessinnen und Hessen, mit Deutschen eingegangen ist. Umgekehrt können wir aber auch sagen, das ist ein Stück weit ein Anerkenntnis der Arbeit, die in Hessen bei diesem Thema schon geleistet wurde. Wenn wir jetzt durch die gemeinsame pädagogische Arbeit noch besser werden, ist das sehr gut.

Es wird um die Herausforderung gehen, im Unterricht, in den Gedenkstätten, in der politischen Weiterbildung und in der Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung auch ohne die eindringlichen Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Erinnerung wachzuhalten, die Menschen zu sensibilisieren und darüber zu informieren: Wie konnte es dazu kommen? Was waren die Anfänge? Wo wurde nicht rechtzeitig Nein gesagt?

Wenn wir all das mit Hilfe dieser Vereinbarung noch verbessern können, ist das ein wichtiger und richtiger Schritt. Es ist gut, dass sich bei diesem Thema alle Fraktionen im Hessischen Landtag einig sind. – Herzlichen Dank noch einmal an Sie, Frau Henzler, und herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Als nächster Redner hat sich Kollege Irmer von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Kollege Irmer.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundespräsident hat vor wenigen Tagen in Israel erklärt, Deutschland und Israel seien enger verbunden als je zuvor. Das Gleiche hat unser Ministerpräsident bei seinem letzten Besuch in Yad Vashem vor wenigen Monaten ausgedrückt: Deutschland müsse wegen seiner historischen Schuld besonders sensibel mit der politischen Lage in Israel und im Nahen Osten umgehen. Man solle sensibel auf eine Entwicklung reagieren, die einen besorgen müsse.

Das Gleiche sagt der Bundespräsident aktuell: Er habe die Sorge, dass das Ansehen Israels in Deutschland sinke. Das dürfe nicht geschehen, hat der Bundespräsident zu Recht gesagt. Er hat am Schluss sinngemäß ausgeführt, dass unsere beiden Länder nach der Schoah und dem Krieg gemeinsam Historisches geschaffen hätten, nämlich eine nie für möglich gehaltene Versöhnung und Verständigung auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen. – Dies muss auf Dauer erhalten bleiben.