Protocol of the Session on May 31, 2012

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Versucht!)

Das hat sogar Herr Greilich versucht. Ich will noch einmal etwas zu „aus eigenem Willen“ sagen, dazu, wie das alles vonstattengegangen ist. Dazu haben wir schon ein paar Bemerkungen gemacht. Alle anderen Fraktionen haben das sehr wohl in den Mittelpunkt gestellt und haben dann versucht, sich auch inhaltlich mit dem Zustand der Koalition, dem Regierungskurs, dem nicht vorhandenen Kompass zu beschäftigen.

(Zuruf des Abg. Helmut Peuser (CDU))

Aus Sicht der FDP gibt es da einen Kompass. Den teilen wir nicht. Der Teil ist auch völlig unstrittig. Aber außer Plattitüden haben Sie in den letzten fünf Minuten hier gar nichts auf den Punkt gebracht – nichts.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Sie sind auf der einen Seite in der Abarbeitung an der Linkspartei verblieben und auf der anderen Seite in den Verhältnissen vor dem Jahr 1999.

(Günter Rudolph (SPD): Ja! – Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letztes Jahrhundert!)

Letztes Jahrtausend. – Ich will noch einmal sagen: Wir haben das Jahr 2012. Ich will ausdrücklich die Debatte von gestern aufnehmen. Denn diese Debatte war in der Tat interessant und nach vorne gerichtet. Ein paar Ihrer Projekte, die Sie so loben, können wir in fünf Minuten inhaltlich wieder nicht ausreichend würdigen.

Der Rettungsschirm. Ich bleibe dabei: Das Rettungsschirmchen, das Sie jetzt auf den Weg bringen, ist der verzweifelte Versuch, den Kommunen einen Teil des Geldes zurückzugeben, das Sie ihnen vorher genommen haben. Deswegen bleiben wir dabei: Wir wollen, dass die 350 Millionen € in den KFA zurückgeführt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hinsichtlich der Schuldenbremse, die wir in der Tat in einer gemeinsamen Anstrengung umgesetzt haben, bleibt es dabei, Herr Ministerpräsident, dass Sie den Geist der Verfassung nicht umsetzen. Sie bleiben bei Ihrer Steuersenkungspolitik, statt endlich eine gerechte Steuerreform auf den Weg zu bringen, die den Namen auch verdient. Es wird an Steuererhöhungen für Besser- und Höchstverdie

nende wie auch an der Einführung der Transaktionssteuer kein Weg vorbeiführen, wenn wir zukünftig die öffentlichen Aufgaben wie Bildung, Infrastruktur und Sicherheit sicherstellen wollen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Sie haben zur wirtschaftlichen Lage gesprochen. Sie ignorieren vollständig, dass wesentliche Teile der wirtschaftlichen Daten darauf zurückzuführen sind, dass es eine prekäre Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gibt. Jede dritte Frau in Hessen arbeitet im Niedriglohnsektor. 22 % aller Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor, und zwar zu Arbeitszeiten – das ist uns erst letzte Woche wieder dokumentiert worden –, die über die Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitsschutzgesetz hinausgehen. Deswegen: Ja, es gibt eine gute wirtschaftliche Entwicklung, aber von Ordnung am Arbeitsmarkt ist leider nichts zu spüren. Deswegen gibt es da viel zu richten.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will zwei Themen der gestrigen Debatte noch einmal aufnehmen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine der wesentlichen Stellschrauben für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Wir haben das gestern sehr intensiv mit Vertretern der nordhessischen Wirtschaft diskutiert. Es ist doch nach wie vor abenteuerlich, dass Frau Schröder immer noch durch die Republik rennt und versucht, ein Betreuungsgeld zu verteidigen, das im Lichte von Herrn Seehofers Machtwort umgesetzt werden soll, obwohl Ihnen alle, von der Wirtschaft über die Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen, erklären: Lassen Sie den Unfug, und investieren Sie das Geld in den qualifizierten Ausbau der Kinderbetreuung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Noch einmal: Ich kann es Dieter Posch nicht ersparen. Viele der Straßen, von denen er spricht, von denen auch Sie eben gesprochen haben, stehen im Moment leider immer noch nur auf dem Papier.

(Petra Fuhrmann (SPD): Eben!)

Wir würden uns freuen, wenn es mehr davon gäbe.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir nicht!)

Aber es tut mir leid: Ich kann Sie da nicht aus der Verantwortung lassen. Sie haben eine magere Bilanz. Sie bleiben in all dem, was Sie hier sagen, rückwärtsgewandt, und Sie geben keinerlei Anlass für einen positiven Ausblick für das Land,

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

weil Sie schlicht und einfach keine Ideen haben. Sie haben keinen Mut, und Sie haben auch keine Gestaltungskraft mehr für die eigentlichen Aufgaben des Landes. Das bleibt Ihr Problem.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen bleibt die Regierungsumbildung nichts anderes als der Versuch, die Kommunikationsparameter ein bisschen zu ändern. Ein Richtungswechsel sähe anders aus. Dafür werden wir in eineinhalb Jahren sorgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Als Nächste wird Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE zu uns sprechen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil einiges von dem, was Sie gesagt haben, so nicht stehen bleiben kann. Sie haben angesprochen, Hessen sei ein Spitzenland der wirtschaftlichen Entwicklung.

(Judith Lannert (CDU): Was maßen Sie sich eigentlich an?)

Frau Lannert, was ich mir hier anmaße, ist, als frei gewählte Abgeordnete hier meine Meinung zu sagen. Daran werden Sie mich nicht hindern.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, Hessen sei Spitzenland der wirtschaftlichen Entwicklung. Ich will in dem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass das nicht das Verdienst der Landesregierung ist. Das ist in allererster Linie das Verdienst all der Menschen, die tagtäglich diesen Reichtum in diesem Land erarbeiten.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Zurufe von der CDU)

Herr Ministerpräsident, zu glauben, das wäre von der Landesregierung bewirkt: Ich muss sagen, das grenzt schon an planwirtschaftliche Fantasiegespinste.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist schon interessant. Ihre Vorstellung von freier Marktwirtschaft ist, dass, wenn in der freien Marktwirtschaft alles gut läuft, es natürlich die Landesregierung war. Wenn es in der freien Marktwirtschaft schlecht läuft, waren es natürlich andere. So kann man es darstellen und sich auch einreden, dass man alles selbst bewirkt habe.

Ich will aber auch darauf hinweisen, dass man nicht vergessen sollte – auch wenn die Erwerbslosenzahlen vergleichsweise niedrig sind –, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. In Hessen haben wir 300.000 Menschen, die für Niedriglöhne arbeiten, d. h. für Löhne, von denen man nicht leben kann – und das in einem derart reichen Land.

Die Leiharbeit boomt, die befristeten Verträge nehmen Überhand, der Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ist in Hessen im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern sogar unterdurchschnittlich. Das ist die Situation: Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nichts von dem Wachstum der Wirtschaft, und die Landesregierung tut nichts, um das zu ändern.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Sie haben die Bildungspolitik und ausgerechnet den Hochschulpakt angesprochen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wie lange sind Sie denn eigentlich schon eingeschrieben?)

Herr Ministerpräsident, ich bitte Sie: Der Hochschulpakt war eine Mittelkürzung für die Hochschulen. Die Präsidenten haben ihn nur deshalb unterschrieben, weil die Landesregierung sie dazu gezwungen und angedroht hat, dass es andernfalls noch stärkere Mittelkürzungen gäbe. Ausgerechnet den Hochschulpakt, der das Verhältnis zwischen der Ministerin und den Hochschulpräsidenten zerrüttet hat, als positives Beispiel darzustellen, halte ich doch für sehr abenteuerlich.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: So ein Unfug!)

Es gibt ein Ministerranking des Deutschen Hochschulverbandes. Danach belegt die Wissenschaftsministerin den letzten Platz. Darauf mögen Sie stolz sein, aber das ist alles andere als vorwärtsweisend.

Zu Ihrem Leuchtturmprojekt, das gerade zusammengekracht ist, äußern Sie sich überhaupt nicht mehr; Sie kommen ja aus Gießen. Was die Uniklinik in Gießen-Marburg angeht, dazu wollen Sie gar nichts mehr sagen, dazu haben Sie in den letzten Monaten nicht ein Mal das Wort ergriffen. Was hier passiert, geht einfach nur zulasten der Beschäftigten.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Sie haben den Flughafenausbau als erfolgreich dargestellt. Sie gehen einfach darüber hinweg, dass ganze Regionen fast unbewohnbar geworden sind. Sie haben versprochen, es würde am Frankfurter Flughafen ein Jobwunder geben – darauf warten wir bis heute. Wo sind die 100.000 Arbeitsplätze, die versprochen wurden? Mittlerweile reden wir über Arbeitsplatzabbau am Frankfurter Flughafen und nicht über Arbeitsplatzaufbau.

Sie haben die Schuldenbremse angesprochen. Sie gehörten doch zu einer der Regierungen, die jeder Steuerentlastung der letzten Jahre im Bundesrat zugestimmt haben – jeder Steuerentlastung für Reiche und Unternehmen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Spielräume für Politik immer kleiner geworden sind. Wir haben Anträge zur Grunderwerbsteuer eingebracht, dazu kommt von Ihnen nur Kontra.

Was die Frage der Besteuerung höherer Vermögen angeht: Es gibt von Ihnen nicht eine Initiative, die dafür sorgen würde, dass die Spielräume, um Politik gestalten zu können, wieder größer werden.

Deswegen muss ich sagen: Erst die öffentlichen Kassen leeren und dann einen Schuldenberg beklagen – das ist einfach eine absurde Politik. Da wird Ihnen die Schuldenbremse auch überhaupt nicht helfen.