Protocol of the Session on May 10, 2012

Die Debatte um das Steuerabkommen mit der Schweiz: Ja, man kann hoffen, wenn man dieses Steuerabkommen nicht abschließt, dass irgendwann die Schweiz die Tore öffnet, deutsche Finanzbeamte einlädt, unmittelbar in den Banken ihre Filialen einzurichten, um deutsche Steuerbürger, die dort ihr Vermögen angelegt haben, zu beraten und dort Steuern zu erheben. Wenn man diese Hoffnung hat, kann man diese Hoffnung zum Maßstab politischen Handelns machen.

Wenn man aber glaubt, dass die Schweiz weiter ihre staatliche Souveränität aufrechterhalten will, dann muss man sich die Frage stellen: Schließt man ein Steuerabkommen ab, wie es jetzt auf dem Tisch liegt und sich möglicherweise in den nächsten Wochen noch einmal verändert, oder akzeptiert man, dass Steuerhinterziehung in dramatischer Dimension in den nächsten Jahren weitergeht und jedes Jahr eine weitere Form von Steuerhinterziehung strafrechtlich und steuerrechtlich verjährt, nur damit man ein gutes Gewissen im Parlament offenbaren kann?

Diese Abwägung muss man treffen. Ganz nebenbei ist es auch eine sehr monetäre Abwägung. Wenn der Betrag, der dort nicht versteuert irgendwie zwischen 80 und 160 Milliarden € liegt – da gehen die Schätzung weit auseinander –, dann bedeutet allein die einmalige Nachzahlung, die nicht auf die Zinsen, sondern auf den Bestand des Vermögens gewährt wird, für unseren hessischen Haushalt im nächsten Jahr einen Betrag zwischen 1,1 Milliarden € und 2,2 Milliarden €.

Ich erinnere mich, das wir vorgestern über die Frage der Grunderwerbsteuer und 150 Millionen € für den hessischen Haushalt mehr oder weniger und über Einnahmeverantwortung intensiv gestritten haben. Allein die in der Nachphase des Inkrafttretens des Steuereinkommens geltende Versteuerung, dass nämlich in der Schweiz liegendes Vermögen genauso besteuert wird wie in Deutschland liegendes – also keine Anregung mehr, Vermögen dorthin zu transferieren –, plus die Zinsersparnis aus den 2,3 Milliarden €, sind die gleichen 150 Millionen €, wegen derer Sie geglaubt haben, man müsse jetzt über die Einnahmeverantwortung diskutieren. Das ist doch schizophren, was teilweise diskutiert wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Lassen Sie mich zum Schluss einen Hinweis geben. Der Existenzminimumbericht wird formal Ende des Jahres vorliegen. Das Bundesfinanzministerium hat den Fraktionen des Deutschen Bundestages und dem Bundesrat eine Vorabinformation zukommen lassen, die zum Ergebnis kommt, dass das Existenzminimum im Jahre 2013 bei 8.124 € zu liegen hat und im Jahr 2014 bei 8.351. Das wird jeweils um 4 € durch die Angaben im Gesetzentwurf überschritten.

Jetzt müssen Sozialdemokraten und GRÜNE gemeinsam entscheiden: Respektieren sie die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und setzen das gesetzgeberisch um,

oder hat am Ende Parteipolitik die Priorität? Zwischen diesen beiden binären Polen müssen Sie sich entscheiden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Danke sehr, Herr Dr. Schäfer. – Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde der CDUFraktion betreffend „,SPD-Blockadepolitik’ im Bundesrat schadet auch den Bürgern in Hessen“.

Ich rufe die nächste Aktuelle Stunde auf, Tagesordnungspunkt 60:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Fußball-EM in der Ukraine: Hessen sagt Ja zum Sport und Nein zu Menschenrechtsverletzungen – Drucks. 18/5630 –

Nach dieser Aktuellen Stunde wird Tagesordnungspunkt 68 aufgerufen:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Fußball-EM in der Ukraine: Hessen sagt Ja zum Sport und Nein zu Menschenrechtsverletzungen – Drucks. 18/5636 –

Herr Mack, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gerade Fans im Stadion und Millionen Zuschauer an den TV-Geräten halten den Atem an, wenn der Ball auf die Eckfahne zurollt und ungewiss ist, ob er sie links oder rechts passieren wird. Denn es ist ein Unterschied, ob es eine Ecke oder einen Einwurf gibt.

Fußball ist mehr als nur ein Spiel. Eine Fußballeuropameisterschaft ist ein Fest der europäischen Einigung und ein Fest des Miteinanders.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für junge Menschen hierzulande sind Fußballer wie Mario Götze und Mesut Özil ebenso wichtige Vorbilder, wie es für frühere Generationen Jürgen Grabowski und Anthony Yeboah waren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Das ist bei Andrij Schewtschenko in der Ukraine genauso. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Deutschland und der Ukraine. Es existieren keine Rechte für die demokratische Opposition. Demonstrations- und Freiheitsrechte werden missachtet.

Man kann zu Frau Timoschenko stehen, wie man will. Jedenfalls ist die Art, wie sie von der Führung der Ukraine behandelt wird, nicht das, was wir unter Rechtsstaat und ordnungsgemäßem Verfahren verstehen.

(Allgemeiner Beifall)

Selbst das der Diplomatie verpflichtete Auswärtige Amt hält fest:

Korruption, Folter und Polizeiübergriffe sind in der Ukraine stark verbreitet.

Seit der Amtsübernahme durch Herrn Janukowitsch mehren sich die Berichte über die Einschränkung der Pressefreiheit. So steht z. B. das Fernsehen ganz überwiegend unter staatlicher Kontrolle.

Es kann daher niemandem gefallen, wenn sich der dafür verantwortliche Herr Janukowitsch bis zum Finale am 1. Juli 2012 neben Herrn Platini, neben Zidane und Franz Beckenbauer im Glanz des europäischen Fußballs sonnt. Es ist wichtig, dass wir Aktionen wie die Absage der Reise des Herrn Bundespräsidenten Gauck begrüßen. So wird der Blick auf die demokratischen Defizite in der Ukraine gelenkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Es braucht auch jetzt, einige Wochen vor der Europameisterschaft, deutliche Worte. Sie gibt es. Es gibt sie vom Präsidenten des FC Bayern, Uli Hoeneß,

(Holger Bellino (CDU) und Thorsten SchäferGümbel (SPD): Ein guter Mann!)

und vom Kapitän der Fußballnationalmannschaft, Philipp Lahm.

Es gibt andere, die sich klarer hätten positionieren können. Da frage ich mich: Was macht da Herr Bouffier?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Zuruf von der CDU: Das war jetzt unnötig!)

Fußball ist international und politisch. Deshalb haben auch wir als Politiker und Fans aus Hessen das Recht und die Pflicht, dazu Stellung zu nehmen. Das gilt ganz besonders deshalb, weil unsere Jungs dort für Deutschland am Start sind und wir am 1. Juli 2012 um den Titel Europameister mitspielen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Horst Klee (CDU) und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Es ist wichtig, dass wir an den Deutschen Fußballbund appellieren, in den Gremien der UEFA aktiv zu werden. Der europäische Fußballverband ist der Ausrichter des Turniers in Polen und in der Ukraine. Wer die Europameisterschaft minutiös regelt und von der Beleuchtung über die Werbung bis zur Musik bestimmt, darf sich nicht um die Frage drücken, wie mit einer Regierung umzugehen ist, die auf dem Weg zur Diktatur ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Wie das geht, hat eindrucksvoll ein ganz Großer gezeigt. César Luis Menotti gewann als Trainer 1978 die Fußballweltmeisterschaft für Argentinien und verweigerte seinem Diktator den Handschlag.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Solcher Mut und solche Haltung sind auch dieses Jahr in der Ukraine gefragt. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Herr Mack, vielen Dank. – Ich darf Herrn Dr. Müller das Wort erteilen. Er spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur, weil dieser Vortrag so wohltuend und sehr kompetent war, werden wir Ihrem Dringlichen Entschließungsantrag zustimmen. Vielmehr werden wir dies auch tun, weil uns die Verbindung zwischen Sport und Politik, die immer sehr brisant und kompliziert ist, und die Frage der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in einem Land genauso wie jeden anderen berühren.

Wir sollten allerdings eines nicht tun. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als sei die Ukraine das einzige Land auf der Welt, in dem die Rechtsstaatlichkeit nicht gewährleistet ist und in dem die Menschenrechte mit den Füßen getreten werden.

(Beifall)

Wir hatten das Formel-1-Rennen in Bahrain. Wir diskutieren über die Eishockeyweltmeisterschaft in Weißrussland. Ich will nur diese beiden Länder nennen. Ich will über die Olympischen Spiele in Russland oder in China gar nicht reden.

Ich will damit deutlich machen: Wir sollten uns mit unserer zu Recht aufgrund unserer Erfahrung gebildeten Moral nicht nur ein Land heraussuchen und so tun, als würden wir den anderen Ländern, die eine ähnliche Situation haben, einen Freibrief geben.

Wir haben natürlich eine besonders brisante Situation in der Ukraine. Alle drei Gruppenspiele der Deutschen Fußballnationalmannschaft werden dort stattfinden. Auch das Endspiel mit Deutschland wird in der Ukraine stattfinden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Von daher ist natürlich das Schlaglicht in besonderer Weise auf dieses Land gerichtet. Wir wissen, dass das Spiel gegen die Niederlande in Charkow stattfindet. Das ist die Stadt, in der Julija Timoschenko in Haft sitzt. Das zeigt symbolträchtig, worüber wir hier diskutieren.

Wenn ich allerdings manche Verlautbarungen gerade aus der Ecke des organisierten europäischen Fußballs höre, könnte ich den Eindruck gewinnen, als gebe es eine strikte Trennung zwischen Sport auf der einen Seite und Politik auf der anderen Seite.