Ich habe den Eindruck, es besteht ein Riesenunterschied zwischen den Männern, die die Nabelschnur eines Kindes bei der Geburt durchgeschnitten haben, und denen, die nur durch das Fenster des Kreißsaales geschaut haben. Ich glaube, dass viele Männer, die bei der Geburt dabei waren, jetzt eine Chance sehen, mit ihrem Kind das erste Mal so umzugehen, eine Nähe zu ihm zu haben, wie es für Männer anderer Generationen einfach nicht möglich war. Ich glaube, dass diese Männer ganz anders über dieses Thema denken, als es hier manchmal noch diskutiert wird.
Ich glaube, die Familien – Männer wie Frauen – sind an dieser Stelle viel weiter, als Sie glauben. Die warten nicht auf Sie, sondern sie suchen sich den für sie richtigen Weg. Wir haben die Aufgabe, entsprechende Angebote bereitzustellen, wo immer wir können. Lassen Sie darum die Schubladen zu, malen Sie nicht schwarz-weiß, lassen Sie die Familien das so machen, wie es für sie richtig ist.
Wir haben mit dem Ausbau von U-3-Betreuungsplätzen eine große Aufgabe vor uns. Wir wollen sie gemeinsam stemmen. Dazu brauchen wir die Kommunen, dazu brauchen wir Geld vom Land. Das wird kommen. Wir werden auch weiterhin an dem Thema arbeiten und hoffentlich weiterhin so erfolgreich sein.
Vielen Dank, Kollege Rock. – Bevor der Kollege Merz das Wort für eine Kurzintervention bekommt, begrüße ich auf der Tribüne unseren langjährigen Kollegen Dr. Jürgens. Herzlich willkommen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Rock, ich nehme an, mit den „älteren Männern“ – das nehme ich übrigens übel – haben Sie mich gemeint, denn nach meiner Zählung war ich der älteste Mann hier im Plenum, es sei denn, Sie zählen den Zwischenruf des Kollegen Klee mit; dann würde ich zuständigkeitshalber an diesen abgeben.
Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, um zu dem Thema zwei Bemerkungen zu machen. Erstens. Es kommt vielleicht nicht so sehr darauf an, wer als Mann in einem Kreißsaal eine Nabelschnur durchgeschnitten hat. Das habe ich übrigens zweimal getan. Lieber Kollege, viel entscheidender ist, ob man auch dann noch da ist, wenn der Kreißsaal wieder verlassen ist.
Das führt zu dem Punkt, dass sich die Familien deshalb selber organisieren, weil sie es tun müssen, weil ihnen die Hauptlast der Betreuungsarbeit häufig genug und nach wie vor niemand abnimmt. Sie wissen es doch genauso gut wie ich und alle, die Kinder haben – insbesondere kleinere Kinder –, dass wir ein Betreuungssystem und ein System der frühkindlichen Bildung haben, das so gestaltet ist, dass nichts, aber auch gar nichts schiefgehen darf, dass nichts, aber auch gar nichts ausfallen darf, dass kein pädagogischer Tag, keine Fortbildung, keine Krankheitswelle, kein Grippe-, kein Norovirus in einer Einrichtung wüten darf, ohne dass alles zusammenbricht. Das ist doch die Realität.
Ich weiß nicht, wo Sie leben, und ich weiß nicht, wann Sie zuletzt ein Kind zum Kindergarten oder zur Schule gefahren haben oder alles fallen und stehen lassen mussten, weil die Betreuung oder der Unterricht ausgefallen sind.
Ich habe nicht bestritten, dass es Männer und Frauen gibt, die ein anderes Familienbild pflegen. Genau davon bin ich nämlich ausgegangen. Lieber Kollege Rock, mein Punkt war, dass das bei der CDU noch nicht angekommen ist und dass das Betreuungsgeld deswegen der Ausdruck eines alten, überkommenen, tradierten, veralteten Familien- und auch Männerbildes ist.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN – Zurufe von der CDU)
Herr Präsident, gehen Sie davon aus, dass meine Stimme mit der Zeit besser wird. Gehen Sie davon aus, dass es auch ganz gut ist, wenn man aufgrund einer Beeinträchtigung die Chance hat, etwas mehr Aufmerksamkeit zu bekommen,
auch wenn es mich an dieser Stelle eigentlich reizen würde, gegen die Lautstärke zu reden, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die Debatte und vor allen Dingen die letzte Kurzintervention die Diskussion nicht besser gemacht haben.
Herr Merz, Ihr Beitrag hat die Diskussion deutlich schlechter gemacht. Ich finde nämlich, bei diesem Thema kann man eine Auseinandersetzung in der Sache führen. Es geht nicht um einen antiquierten oder modernen Begriff von Familie, sondern es geht um die Frage, wie man für die Eltern Wahlfreiheit organisieren und in die Realität umsetzen kann.
Deshalb geht es nicht darum, irgendjemanden mit der Frage zu konfrontieren, ob er einen antiquierten Familienbegriff hat, ob er zweimal eine Nabelschnur durchschnitten hat, ob er einen Kreißsaal von innen oder nur von außen kennt, ob er ein gewisses Lebensalter hat, sondern es geht um das Akzeptieren einer gesellschaftlichen Entwicklung und die Frage, wie wir einer solchen gesellschaftlichen Entwicklung begegnen können, wie wir sie mitgestalten und konstitutiv in unserer Gesellschaft verankern können. Wichtig für unsere Gesellschaft sind Wahlfreiheit und Entscheidungsbefugnis für den Einzelnen sowie das Bemühen, Familien in die Lage zu versetzen, ihre Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen. Dafür ist das Betreuungsgeld ein wichtiger Baustein.
Das Betreuungsgeld ist als eine Form der Anerkennung für die von den Familien geleistete Arbeit konzipiert, was die Versorgung, die Erziehung und die Bildung von Kindern betrifft. Wir wollen die Familien nicht gängeln mit dem Hinweis darauf, dass das Allheilmittel die Erziehung in der Kindertagessstätteneinrichtung sei, sondern wir wollen darstellen, dass die Erziehung in der Familie für uns einen wesentlichen Wert darstellt, der eine Anerkennung verdient.
Das ist das Entscheidende. Deswegen brauche ich gar nicht Herrn Dr. Zeh zu zitieren, den Präsidenten des Deutschen Familienverbandes, der gesagt hat, für die Familien seien das Betreuungsgeld und ein bedarfsgerechter Krippenausbau dringend notwendig, um jungen Eltern die Wahlfreiheit und kleinen Kindern einen guten Start in das Leben zu ermöglichen. Allein darum muss es uns gehen.
(Beifall bei der CDU – Marcus Bocklet (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb stecken Sie auch so „viel“ Geld da hinein!)
Das Betreuungsgeld versetzt die Eltern in die Lage, ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren auch familiär zu erziehen und zu betreuen. Der Vorschlag, der von der hessischen CDU-Fraktion, insbesondere von Frau Kollegin Wiesmann in die Diskussion gebracht worden ist, ist der Weg in die richtige Richtung. Man sollte das Betreuungsgeld nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzichts auf Berufstätigkeit, nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzichts auf gesellschaftliche Teilhabe, sondern als Möglichkeit sehen, familiäre Erziehung und Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben zu verbinden.
In dieser Richtung arbeiten wir. Hier gibt es Diskussionen und unterschiedliche Auffassungen unter den Parteien, auch unter den Koalitionspartnern. Für die Koalitionspartner stehen aber die Wahlfreiheit und die Chance für die Familien an erster Stelle, eigenverantwortlich zu entscheiden. Das ist für uns ein hohes Gut. Staatliche oder parteipolitische Gängelung hat bei uns keinen Platz.
Dabei sollte auch zur Kenntnis genommen werden, dass es in vielen Familien so ist, dass die Eltern nach reiflicher Überlegung die Entscheidung treffen, ihr Kind selbst zu betreuen. Das ist in der heutigen Zeit keine einfache Entscheidung. – Sie müssen aufpassen, dass Herr Dr. Jürgens nicht zu sehr stört, indem er von der Tribüne Handzeichen gibt. Ich hätte nie gedacht, dass bei ihm so schnell Entzugserscheinungen auftreten würden und er so rasch wieder hierher kommt.
(Heiterkeit bei der CDU und der FDP – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es freut uns trotzdem!)
Ich habe immer gedacht, wenn man erst zwei Wochen im Amt ist, müsste man noch im Büro arbeiten und dürfte nicht bereits in der Weltgeschichte herumfahren. Insofern bin ich an der Stelle etwas überrascht. Aber das mag jetzt anders sein.
Herr Wagner, meine Einstellung mag anders sein als Ihre. Es kann auch sein, dass meine Fähigkeiten anders sind; das gebe ich zu.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für die freundliche Begrüßung eines Kollegen! – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das werden wir uns merken für den Fall, dass Sie einmal in Kassel sind!)
Herr Bocklet, ich habe mit der Verbandsversammlung mindestens zehn Jahre mehr Erfahrung als Herr Dr. Jürgens. Insofern bin ich auf diese Debatte gespannt.
Vielen Dank. – Um auf das Thema zurückzukommen: Die Familien werden erst nach reiflicher Überlegung eine Entscheidung darüber treffen, ob ihre Mitglieder berufstätig sein müssen oder zu Hause bleiben können, wie sie die Betreuung ihrer Kinder organisieren und welche finanziellen Nachteile ihnen entstehen, wenn sie zu Hause bleiben. Im Interesse ihrer Kinder und der ganzen Familie werden sie ihre Entscheidung nach reiflicher Überlegung treffen.
Ich halte es für fatal, wenn Politiker oder Vertreter von staatlichen Organisationen den Familien vorschreiben wollen, wie sie diese Entscheidungen treffen. Wir müssen
uns als Mitglieder von staatlichen Organisationen, als Mitglieder von Parteien, als Politiker, als Mitglieder von Regierungen und Fraktionen einzig und allein darauf konzentrieren, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Familien eine Wahlfreiheit haben. Das ist unsere Aufgabe, und auf diesem Weg sind wir.
Auf einem solchen Weg befinden wir uns auch bei der Betreuung. Natürlich sind die Krippenbetreuung und die Betreuung der unter Dreijährigen ein wesentlicher Bestandteil unserer Politik. Wir bekennen uns zu dem Ziel, das auf dem Krippengipfel im Hinblick auf die durchschnittliche Ausbauquote vereinbart wurde.
Aber wir wissen auch, dass das vor Ort unterschiedlich ist. Insofern kommt den Kommunen eine entsprechende Verantwortung zu. Deswegen finde ich es ausgesprochen problematisch, zu sagen – um wenigsten einmal auf den Antrag der LINKEN zu rekurrieren –, der Ausbau der Betreuung unter Dreijähriger würde stocken. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiter in den Kommunen, die in ihrer Verantwortung mit einer unglaublichen Anstrengung versuchen, den Ausbau der Betreuung unter Dreijähriger voranzubringen.
Dass wir jetzt – Stand Mai 2012 – einen Versorgungsgrad von 30 % erreicht haben, ist einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern, Kommunen und freien Trägern zu verdanken und bedeutet keineswegs einen Stopp oder ein Stocken des Ausbaus der U-3-Betreuung. Vielmehr sind wir schon einen wichtigen und wesentlichen Schritt gegangen. Im Übrigen haben wir an dieser Stelle schon viel früher mit der Förderung angefangen.