Protocol of the Session on May 8, 2012

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Leitfaden zur Haushaltskonsolidierung ist ein frontaler Angriff auf die Selbstverwaltung der hessischen Kommunen – Drucks. 18/5643 –

Meine Damen und Herren, Berichterstatter in zweiter Lesung des Gesetzentwurfs ist Herr Kollege Decker. – Herr Kollege Decker, ich darf Sie um Berichterstattung bitten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich ohne Ihre Erlaubnis den Bericht des Ausschusses.

(Heiterkeit des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Herr Kollege, das war unter uns. – Fahren Sie fort, bisher war alles richtig, was Sie gesagt haben.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der LINKEN bei Stimmenthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des Änderungsantrags der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucks. 18/5585, und unter Berücksichtigung des mündlich eingebrachten Änderungsantrags der Fraktionen der CDU und der FDP – ich zitiere ihn –:

In dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucks. 18/5585, werden in Nr. 2 b Satz 2 hinter dem Wort „Haushaltsausschuss“ die Worte „des Landtags“ eingefügt.

in zweiter Lesung anzunehmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Herzlichen Dank, Herr Decker, für die Berichterstattung.

Ich darf die Aussprache eröffnen. Als Erster hat sich Herr Kollege Schmitt für die SPD-Fraktion gemeldet. Herr Schmitt, die Redezeit beträgt zehn Minuten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das sogenannte Schutzschirmgesetz ist und bleibt ein Täuschungsmanöver der Landesregierung. Dieses Täuschungsmanöver hat keine Zustimmung verdient. Es wird von der SPDFraktion Ablehnung erfahren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Herr Präsident, damit ich es nicht vergesse, darf ich es vorwegnehmen: Wir beantragen die dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs,

(Günter Rudolph (SPD): Sehr gut!)

damit die Landesregierung vielleicht doch einmal ins Nachdenken kommt und sich noch einmal besinnt, ob das, was sie hier vorgelegt hat, tatsächlich im Interesse der hessischen Kommunen ist. Wir sind der Meinung, es ist nicht im Interesse der hessischen Kommunen.

Es wäre im Interesse der hessischen Kommunen, wenn Sie die Kürzung um 344 Millionen € endlich zurückzunehmen würden, meine Damen und Herren von CDU und FDP.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung suggeriert mit diesem Schutzschirm eine Hilfsmaßnahme für die Kommunen. In Wirklichkeit liegt aber ein dreister Diebstahl in Höhe von rund 350 Millionen € vor, der mit dem Schutzschirm vertuscht werden soll. Sie haben den Kommunen 350 Millionen € jährlich genommen, während die Zuwendungen aus dem Schutzschirm gerade einmal rund 100 Millionen € betragen. Darüber sollen sich die Kommunen freuen? 350 Millionen € werden ihnen genommen, 100 Millionen € bekommen sie zurück. Herr Bouffier, Sie haben den Schutzschirm groß angekündigt. Das war ja Ihre einzige neue Idee in der Nachfolge von Roland Koch. Herr Dr. Schäfer, Herr Bouffier, glauben Sie tatsächlich, dass Sie damit bei den Kommunen punkten können? So töricht sind die hessischen Kommunen nicht.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Sie bei den Anhörungen und bei der Diskussion so richtig auf die Socken bekommen haben. Ich zitiere aus Artikeln in hessischen Zeitungen aus den letzten Wochen: „Schutzschirm als Täuschungsmanöver“ – im „Darmstädter Echo“ am 27. April 2012. „Massive Vorbehalte gegen Schutzschirm – Viele Kommunen sehen sich nicht in der Lage, die an den Schuldenerlass gekoppelten Auflagen zu erfüllen“ – im „Darmstädter Echo“ am 17. April 2012. „Furcht vor Sparauflagen unter dem Schutzschirm – Kommunen bemängeln Bedingungen für die Landesgelder: Leistungen streichen, Steuern erhöhen“ – in der „Frankfurter Neue Presse“ am 17. April 2012. „Die Kommunen zahlen den Schutzschirm selbst“ – im „Starkenburger Echo“ am 27. April 2012. „Landräte lesen Finanzminister die Leviten“ – im „Bergsträßer Anzeiger“ am 27. April 2012. Eine weitere wunderschöne Überschrift: „Das Geld der anderen“ – im „Starkenburger Echo“ am 30. April 2012. In einem Kommentar des „Bergsträßer Anzeigers“ vom 30. April 2012 wird von einem „Armutszeugnis“ gesprochen. Der Höhepunkt: „Kriegserklärung an die Landkreise“ – in der „Rhein Main Presse“ am 27. April 2012. Im „Starkenburger Echo“ am 27. April 2012: „Landräte kritisieren Hessen“.

Es ist wirklich eine besondere politische Leistung, Herr Dr. Schäfer, die Sie zu verantworten haben, rund 3 Milliarden € Steuermittel zu verteilen und dafür nur auf die Socken zu bekommen – sogar von den eigenen Parteifreunden.

(Beifall bei der SPD)

Ein handwerklich so miserables Gesetz, eine handwerklich so miserable Vorbereitung ist unglaublich. Was Sie in vier Schreiben an die Kommunen mittlerweile zurückgenommen haben, dagegen ist Zickzack eine gerade Linie. Es ist unglaublich.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)

So etwas habe ich noch nicht erlebt, was Sie alles verkündet haben und was Sie jetzt Tag für Tag zurücknehmen. Das spricht dafür, dass das Konzept nicht durchdacht war. Es war klar: Der Ministerpräsident hat etwas ins Fenster gehängt, ohne es mit irgendjemandem abzusprechen und zu koordinieren, auch in der Landesregierung nicht. Herausgekommen ist das, was man jetzt vorgelegt hat: ein Gesetzentwurf, in dem wenig steht.

(Zurufe von der CDU)

Der Schutzschirm ist und bleibt ein löchriger Knirps. Das wissen auch Sie von CDU und FDP. Er ist mit einem Volumen von 3 Milliarden € angesichts der Gesamtverschuldung der hessischen Kommunen in Höhe von 18 Milliarden € völlig unterdimensioniert, und es kommen ja auch nur 106 der 447 kommunalen Gliederungen überhaupt unter diesen Schutzschirm. Deshalb sage ich: Das ist kein Schutzschirm, sondern er ist vergleichbar mit einem Dekoschirmchen, das man zusammen mit einem Eis bekommt, und löchrig ist er noch dazu. Ein echter Schutzschirm würde anders aussehen.

Die mit dem Schutzschirm verbundenen Auflagen sind vielerorts nicht akzeptierbar, weil sie die kommunale Selbstverwaltung endgültig abwürgen. Das Konsolidierungshandbuch zeigt ja, was Sie vorhaben, auch wenn es mittlerweile wohl zurückgezogen worden ist. In dem Handbuch heißt es: Öffentliche Einrichtungen, wie Bibliotheken, Schwimmbäder, Musik- und Volkshochschulen, sollen geschlossen werden. Öffentliche Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Energieversorgungsunternehmen usw., sollen verkauft und privatisiert werden. Die hauptsächliche Befürchtung, auch der kommunalen Seite, ist, dass die Auflagen am Ende dazu führen, dass es zu massiven Gebührenanhebungen und Steuererhöhungen auf der kommunalen Ebene kommt, z. B. zu einer Erhöhung der Kindergartenbeiträge und der Eintrittspreise für Schwimmbäder und andere öffentliche Einrichtungen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein, bei zehn Minuten Redezeit nicht. – Es ist aber auch an massive Steuererhöhungen zu denken, z. B. bei der Grundsteuer. Sie können es sich ausrechnen: Die Vorgabe „100 € pro Jahr und Einwohner“ bedeutet – auch wenn sie relativiert wurde – z. B. in einer Kommune wie Viernheim für eine vierköpfige Familie eine um 1.200 € pro Jahr höhere Belastung im dritten Konsolidierungsjahr. Das kann man niemandem zumuten. Deshalb sagen wir Nein zu diesen Vorgaben und zu diesem Schutzschirm.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Machen Sie Alternativvorschläge!)

Alternativvorschläge? Der erste Alternativvorschlag lautet: Rücknahme der Kürzung um 344 Millionen €.

(Beifall bei der SPD – Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Weitere Alternativvorschläge: Nehmen Sie einfach unseren Antrag an, in dem die Landesregierung aufgefordert wird, sich im Bundesrat endlich dafür einsetzen, dass die Belastungen aufgrund von Bundesgesetzen zurückgenommen werden, und dafür zu sorgen, dass die kommunalen Einrichtungen durch eine geänderte Gesetzgebung,

auch auf Bundesebene, wieder besser finanziert werden, dass das Konnexitätsprinzip in Hessen eingehalten wird und dass Zusagen der Landesregierung, z. B. in Sachen Mindestverordnung, gehalten werden. Das sind die Alternativen, meine Damen und Herren von CDU und FDP. Deshalb war das ein törichter Zwischenruf.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt zwei Änderungsanträge, aber die verschlimmbessern den Gesetzentwurf, und sie sind keine Lösung. Die betroffenen Kommunen werden weiterhin alleingelassen. Es gibt hier einen harten Punkt, über den viel diskutiert worden ist, nämlich die Eigenbetriebe. Sie versuchen jetzt, dem mit einem Änderungsantrag nachzukommen. Die betroffenen Kommunen werden aber auch weiterhin nicht von ihren Schulden für Pflichtaufgaben bei Eigenbetrieben entlastet. Es wird lediglich die Möglichkeit eröffnet, Schulden aus dem Kernhaushalt durch Schulden aus den Eigenbetrieben zu ersetzen. Das Entschuldungsvolumen wird dadurch aber nicht erhöht.

In diesem Zusammenhang gibt es einen erheblichen Streit zwischen Parteifreunden, nämlich dem Bergsträßer Landrat Wilkes und Finanzminister Dr. Schäfer. Der Bergsträßer Landrat Wilkes wird in der Presse vom heutigen Tag wie folgt zitiert:

Dass Schäfer zur Rechtfertigung seines Vorgehens „zur Verbreitung von Unwahrheiten und persönlichen Anwürfen“ übergeht, sei „ein weiterer Tiefpunkt der Politik dieses Ministers“, so Wilkes.

Damit wird deutlich: Die Verärgerung über diese Landesregierung, insbesondere über Finanzminister Dr. Schäfer, ist bei den Kommunen sehr hoch.

(Beifall bei der SPD)

Sie macht längst keinen Halt mehr vor Parteigrenzen. Die Kommunalpolitiker der SPD, der CDU, der GRÜNEN, der FDP, auch der LINKEN, wissen längst, dass sie von der Landesregierung nur zwei Dinge erwarten dürfen: nichts Gutes und zunehmende Belastungen. Das kommt in solchen harten Formulierungen von Parteifreunden Ihnen gegenüber zum Ausdruck.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Konsolidierungsleitfaden ist Ausdruck der Geisteshaltung der Landesregierung. Er ist ein beispielloser Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung. Die abstrusen Vorschläge zur Konsolidierung reichen von der rechtswidrigen Schließung Freiwilliger Feuerwehren bis hin zu lachhaften Vorschlägen, beispielsweise die Zusammenlegung von Neujahrsempfängen von Städten. Das heißt, die Schutzschirmstadt Offenbach gibt zusammen mit Frankfurt einen Neujahrsempfang. Das ist ein toller Vorschlag, das macht sicher viel Freude. Weitere köstliche Vorschläge sind die nächtliche Abschaltung von Straßenbeleuchtungen, die Einführung von Friedhofsunterhaltungsgebühren und die Streichung von Zuschüssen für Energieberatungszentren.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen und komme zum Schluss.

Das Knirpsgesetz löst die Probleme der hessischen Kommunen nicht einmal ansatzweise. Es löst nicht die strukturelle Unterfinanzierung der hessischen Städte und Gemeinden, die bundesweit die höchsten Defizite haben, weil die Hessische Landesregierung sie über Jahre hinweg im Stich gelassen hat. Mit den Auflagen drohen auch erhebliche Gebühren und Steuererhöhungen auf der kommunalen Ebene.

Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf deshalb nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))