Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb am 20. Juli 2010 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des VW-Gesetzes:
VW ist ein gutes Argument gegen die These, der Staat möge sich aus der Wirtschaft heraushalten. Das oberste Ziel des VW-Gesetzes war es, eine feindliche Übernahme zu verhindern. Das ist nicht nur gelungen. Vielmehr sei die These gewagt, dass vor allem dieser Schutz maßgeblich zum Erfolg beigetragen hat. Denn kurzfristig orientierte Eigner hatten bei VW nie eine Chance, ans Ruder zu gelangen. Der Konzern war vor Ausplünderungen durch seine Anteilseigner geschützt, da langfristige Interessen wie Standortsicherung mindestens dasselbe Gewicht hatten wie ein hoher Gewinn.
Ich finde, dass die „Frankfurter Rundschau“ das sehr gut auf den Punkt bringt und eine gute Einschätzung zum VW-Gesetz hat.
Meine Damen und Herren, damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass bei VW alles prima laufe und das Modell der Weisheit letzter Schluss ist. Gerade bei einem Unternehmen, wo eine so starke Mitsprache der öffentlichen Hand vorhanden ist, müssen Entwicklungen besonders kritisch hinterfragt werden. Es gibt dazu auch bei VW genug Anlass. Das hat sich gezeigt bei der sogenannten Lustreisenaffäre. Aber das zeigt sich vor allem auch an dem völlig überzogenen Jahresgehalt von Herrn Winter
korn, der mit über 17 Millionen € sein Jahreskommen gerade mal verdoppelt hat. Auch darauf muss hingewiesen werden.
(Zurufe der Abg. Holger Bellino (CDU), Tarek AlWazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und weiterer Abgeordneter – Glockenzeichen des Präsidenten)
und bekommt etwa 350-mal so viel, wie ein durchschnittlicher VW-Mitarbeiter verdient. VW hat aufgrund der guten Geschäftszahlen fürs vergangene Jahr Boni für alle Mitarbeiter beschlossen, insgesamt 700 Millionen €. 70 Millionen € davon, also 10 %, gingen allein an die sieben Mitglieder des Vorstandes. Den Rest teilten sich die übrigen Mitarbeiter. So eine Verteilung der Früchte des Erfolgs hat mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun. Das ist auch eines Unternehmens unwürdig, das sich zum Teil in öffentlicher Hand befindet.
Dennoch kann das Vetorecht des Landes Niedersachsen eben gerade verhindern, dass Porsche eines Tages beschließen kann, die Produktion in ein Niedriglohnland zu verlagern. Deshalb ist das VW-Gesetz eine absolut sinnvolle Einrichtung. Deshalb muss es auch erhalten werden.
Aber das VW-Gesetz ist den unbelehrbar Neoliberalen und Marktgläubigen in der Europäischen Kommission ein Dorn im Auge. Seit Jahren kämpft die EU-Kommission gegen die öffentliche Beteiligung an Unternehmen, sei es in der Telekommunikation, bei Versorgungsbetrieben oder auch bei öffentlich-rechtlichen Banken. Dabei beruft sich die Kommission auf das europäische Wettbewerbsrecht, dem – das muss man leider sagen – soziale Kriterien und gesamtgesellschaftliche Verantwortung weitgehend fremd sind.
Die EU-Kommission sieht in dem VW-Gesetz einen Verstoß gegen das Recht auf freien Kapitalverkehr und will daher erneut ein Verfahren gegen Deutschland einleiten, weil wegen des VW-Gesetzes ausländische Großinvestoren abgeschreckt werden könnten – so die Befürchtung der EU-Kommission. Die Leier, die dahintersteht, ist immer dieselbe, nämlich öffentliches Unternehmen ist gleich ineffizient und träge, und private Unternehmen sind effizient, innovativ und letztlich die einzige vernünftige und nachhaltige Form, zu wirtschaften.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass VW durch seine bloße Existenz und seinen Erfolg diese falsche Binsenweisheit infrage stellt. Das Unternehmen hat seine Verkaufszahlen und seine Gewinne in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert. Ein Teil dieser Gewinne geht an das Land Niedersachsen. Und das ist natürlich ein nicht zu unterschätzender Vorteil dieser Besitzform.
Deshalb ist der erneute Angriff auf das VW-Gesetz vollkommen daneben und stößt nicht nur in Niedersachsen auf Kopfschütteln und Unverständnis, zumal – darauf wurde bereits hingewiesen – die aktuell angegriffene Regelung in der Satzung der Volkswagen AG verankert ist, was durch das Aktiengesetz ausdrücklich erlaubt wird. Ich bin der Meinung, die EU-Kommission sollte sich lieber um andere Unternehmen kümmern, statt ein erfolgrei
Grundsätzlich muss auf europäischer Ebene dafür gesorgt werden, dass die Ausrichtung der EU-Politik von einem Dreiklang „Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung“ abkommt. Ginge es nach der EU-Kommission, dann würden sich in öffentlicher Hand überhaupt nur Unternehmen befinden, die ohnehin keinen Gewinn abwerfen; alles andere wäre privat zu organisieren. Deshalb will ich klar darauf hinweisen, dass das Problem auch in einer arbeitnehmerfeindlichen Ausrichtung des gesamten europäischen Institutionengefüges und der EU-Verträge liegt. Wenn die anders gestaltet wären, dann müssten wir uns heute überhaupt keine Sorgen um das VW-Gesetz machen. Das Problem ist gerade, dass die EU-Kommission und das europäische Wettbewerbsrecht Wettbewerb über alles stellen und unheimlich erschweren, solche Fragen wie Tariftreue auf nationaler Ebene überhaupt noch durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, die neue Diskussion um Opel zeigt einmal mehr, dass die Krise in der Automobilindustrie andauert. Die gesamte Autoindustrie ist mit einem schwachen europäischen Markt konfrontiert. Das macht – bei allem Erfolg – auch VW zu schaffen. Beispielsweise brach der Absatz in Spanien ein, in Italien legte er nur minimal zu. Auch im Geschäftsbericht von VW ist nachzulesen, dass sich die Nachfrage in Westeuropa voraussichtlich abschwächen werde; von weiteren Steigerungen ist vorerst nicht die Rede.
Die Abwrackprämie hat in Deutschland ein Strohfeuer ausgelöst. Sie hat dafür gesorgt, dass Käufe vorverlegt wurden. Aber sie hat die Probleme allenfalls aufgeschoben. Ursachen der Krise sind und waren Überproduktion und Absatzprobleme. VW hat die Möglichkeit, auf Märkte außerhalb Europas auszuweichen. Diese Möglichkeit hat Opel so nicht. Deshalb ist entscheidend, dass wir für die Autoindustrie eine Perspektive entwickeln, damit wir in den nächsten Jahren nicht wieder über Rettungspakete reden.
Die Automobilbranche insgesamt ist nicht die Zukunftsbranche, auf die wir im Hinblick auf ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit setzen können. Der Absatz an Autos muss zurückgehen, wenn wir den Klimaschutz und die Energiewende ernst nehmen. Dazu hat Herr Kaufmann leider nichts gesagt. Das hat mich schon gewundert, dass sich die GRÜNEN jetzt dafür einsetzen, dass es mehr Autoexporte geben soll. Das wundert mich schon sehr, weil das klimapolitisch vollkommen kontraproduktiv ist. Wir müssen doch überlegen, wie wir weltweit den Absatz von Autos in Zukunft reduzieren können,
damit wir die Klimaschutzziele überhaupt erreichen können. Dass die GRÜNEN so argumentieren, wundert mich doch sehr, meine Damen und Herren.
Ich komme zum Schluss. – Wir müssen uns rechtzeitig Gedanken über eine sinnvolle Konversionsstrategie für die Automobilindustrie machen. Private Investoren werden sich solche Gedanken nicht machen. Deshalb brauchen wir eine öffentliche Beteiligung gerade an Unternehmen wie VW, aber auch Opel, deren Schicksal nämlich auf so viele Menschen und ganze Regionen Einfluss hat. Wir brauchen mehr Modelle wie das VW-Gesetz und nicht weniger. Deswegen lehnen wir selbstverständlich den Vorstoß der EU-Kommission ab. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man kann zweifelsfrei – alle haben dies heute Morgen getan – feststellen, dass die stabile und überaus erfolgreiche Entwicklung Nordhessens insgesamt auch dem Stabilitätsfaktor VW-Werk in Baunatal zu verdanken ist. In wesentlich schwierigeren Zeiten in Nordhessen war Baunatal immer ein Stabilisator in der Region.
Wir sind sehr froh, dass wir dieses Werk in Hessen haben, dass wir die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort in Baunatal haben und dass es gerade dieses Werk mit seiner Innovationskraft immer wieder schafft, auch im konzerninternen Standortwettbewerb zu bestehen. Herr Schäfer-Gümbel, ich erlaube mir auch die Bemerkung, wenn Sie heute Morgen so ein Lob auf VW und das Werk in Baunatal pflegen: Natürlich gehört dazu auch, wenn Sie sich zu diesen Werken und VW bekennen, dass Sie sich zu dem Produkt Auto bekennen müssen.
Wenn Sie sich zu dem Produkt Auto bekennen müssen, dann müssen Sie sich auch zu der Infrastruktur bekennen, die für dieses Produkt notwendig ist.
Wenn das so ist, dann verstehe ich nicht, warum Sie auf regionaler Ebene Koalitionsvereinbarungen schließen, in denen ein Ausbau des Straßennetzes in Hessen abgelehnt wird.
Meine Damen und Herren, das ist nicht erklärlich. Herr Schäfer-Gümbel, diesen Widerspruch müssen Sie auflösen. Man kann sich nicht einerseits zu dem Produkt bekennen und andererseits gegen die dafür notwendige Infrastruktur Politik machen.
Aber es geht heute in dieser Debatte nicht primär um Herrn Schäfer-Gümbel, sondern es geht um das VW-Gesetz. Es ist sicher richtig, dass Europa und auch die Europäische Kommission eigentlich andere Prioritäten haben sollten, als nunmehr wieder VW und das VW-Gesetz zum Gegenstand einer entsprechenden Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu machen.
Insofern kommt der Zeitpunkt dieser Klageerhebung etwas überraschend. Der Herr Ministerpräsident hat in seinem Schreiben auch deutlich darauf hingewiesen, dass ihm jedes Verständnis dafür fehlt.
Dass sich allerdings – Herr Kaufmann, ich glaube, Sie haben es angesprochen, Herr Schäfer-Gümbel auch – die Kommission auf VW fixiert und nur in Deutschland ein solches Verfahren vorantreibt, ist natürlich nicht richtig. Vielmehr ist die Kommission zurzeit in etwa 40 ähnlich gelagerten Fällen tätig, die über ganz Europa verstreut sind. In allen Fällen geht es um tatsächliche oder vermeintliche Vorrechte staatlicher Gesellschafter bei privatisierten Unternehmen. Man muss auch sagen, es gibt Fälle, Herr Schäfer-Gümbel, in denen sich deutsche Unternehmen in anderen EU-Ländern aufgrund entsprechender gesetzlicher Vorschriften unfair behandelt fühlen. Ich erinnere an den Fall E.ON, die vor einigen Jahren einen spanischen Energieversorger übernehmen wollten, wo dies aus diesen Gründen nicht möglich war.
Wir sollten also nicht die Kommission unreflektiert angreifen und darauf verweisen, dass die Kommission eine besondere Neigung zu VW hat, sondern die Kommission tut ihre Pflicht. Wir sind allerdings als Hessische Landesregierung der Meinung, dass es hierfür keinen Anlass mehr gibt,
nicht nur weil das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2007 schon hinreichende Klarheit gebracht hat, sondern auch weil die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag in einer entsprechenden Gesetzesnovelle das VW-Gesetz angepasst haben und es somit keinen Grund für eine erneute Klageerhebung gibt.
Meine Damen und Herren, man muss aber auch festhalten, es ist ein bisschen der Streit um Kaisers Bart. Frau Wissler, das haben Sie freundlicherweise herausgearbeitet. Die Kommission stört sich am VW-Gesetz, hat aber deutlich erklärt, dass eine entsprechende Regelung in der Satzung aus ihrer Sicht keinen Verstoß gegen das Binnenmarktprinzip bedeutet.