Protocol of the Session on March 28, 2012

dass da regelmäßig evaluiert wird, was noch zu tun ist, und dass man regelmäßig darüber nachdenkt, ob die Ressourcen ausreichen und wie man zu diesen Ressourcen kommt. Denn finanzielle Probleme gibt es auch dort. Aber man unterzieht sich der Mühe.

Frau Ravensburg, die Kritik, dass nicht nur ausgebildete Förderschullehrkräfte in den Klassen sind, halte ich für absurd. Auch wir machen Integrationsarbeit im GU mit Integrationshelfern. Das sind keine ausgebildeten Förderschullehrkräfte. Wir machen GU mit Regelschullehrern, die entsprechend unterstützt werden. Genau diese Multiprofessionalität, die alle so loben, ist das Konzept für inklusiven Unterricht. Ich brauche dafür nicht nur eine Profession.

(Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

Aber jetzt will ich mit Ausführungen zu Kanada Schluss machen. Mich interessiert viel mehr, was hier passiert. Frau Kultusministerin, mir ist doch noch einiges aufgefallen. Ich bekomme das nicht zusammen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Da können wir helfen!)

Sie reden auf der einen Seite von zwei Modellregionen. Diese werden für inklusiven Unterricht ausgestattet. Das wird ausgewertet. Auf der anderen Seite haben Sie eine

Regelung im Schulgesetz, die besagt: „Alle Eltern, die dies wollen, können ihre Kinder in einer Regelschule anmelden.“ Was ist denn mit denen? Werden die dorthin gesetzt, und es gibt keine Förderung, es gibt keine Unterstützung, und die Bedingungen werden so schlecht gemacht, dass die Eltern ganz schnell davon Abstand nehmen, oder wie soll ich das verstehen? Was soll diese Parallelität von Modellregionen und einer Regelung, die in die Fläche umgesetzt gehört? Genau so steht es in Ihrem eigenen Schulgesetz. Diesen inneren Widerspruch müssen Sie auflösen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Ich will Ihnen noch etwas zu Ihrer Modellregion sagen. Das fanden wir damals alle gut. Das hat Herr Banzer noch auf Betreiben des damaligen Landrates Walter im Kreis Offenbach genehmigt. Da gab es noch kein Schulgesetz. Da haben wir gesagt: „Okay, er soll anfangen.“ Die wollten das machen, das ist eine prima Sache. – Dass die Kinder in vier Jahren aus der Grundschule kommen und dann nicht mehr in eine Förderschule wollen, war eigentlich schon damals klar. Dafür brauche ich keine Modellregion. Diese Argumentation ist nahezu absurd.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Deswegen steht die Frage im Raum, die auch ich vorhin schon gestellt habe: Was ist Ihre Zielperspektive? Wann bekommen wir Ihre Gesamtkonzeption für eine Umsetzungsstrategie in ganz Hessen zu sehen? Frau Ministerin, dann unterhalten wir uns darüber, ob das dem Wohl der Kinder dient, was Sie gerade machen, oder ob es eher dem Wohl der Kinder dienen würde, wenn Sie endlich handeln würden und die Schulen, die längst auf dem Weg sind, auch dabei unterstützen würden, damit sie diese Arbeit leisten können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Auf dem Weg zum Rednerpult ist bereits Herr Kollege Döweling für die FDPFraktion.

Herr Präsident, meine verehrten Kollegen von der Opposition! Ich habe vorhin gesagt, wir sollten in der Debatte verbal ein bisschen abrüsten.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Ich glaube auch, Sarkasmus ist in dieser Debatte kein guter Ratgeber.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich kann grundsätzlich nur das unterstreichen, was Frau Kollegin Ravensburg über die Erfahrungen in Kanada gesagt hat.

(Günter Rudolph (SPD): Nicht nur hinfahren, sondern auch richtig aufnehmen!)

Man muss sich das immer wieder vergegenwärtigen: Dort gab es nichts. Man hat gesagt: Aus diesem Nichts heraus

beginnen wir mit der Inklusion. – Es ist mitnichten so, dass die Standards dort auch nur annähernd mit dem vergleichbar wären, was wir in einer allgemeinbildenden Schule ohne Inklusion haben, geschweige denn, mit dem, was wir in einer Förderschule haben, wo wirklich eine individuelle Förderung der Kinder erfolgt. Schauen Sie sich einmal die Fläche, die Gebäude und Ähnliches an. Da gibt es noch eine ganze Menge aufzuholen. Das haben die Leute einem auch ehrlich gesagt. Das gehört zur Wahrheit dazu. Stellen Sie es jetzt nicht als Wunderland und Musterland der Inklusion hin. Ich denke, man kann viel von New Brunswick lernen. Aber man muss mit Ehrlichkeit beginnen. Der Weg ist dort noch lange nicht zu Ende. Das sagen Ihnen die Menschen dort auch, wenn Sie sie fragen. Das ist ein Punkt, den man immer wieder einbeziehen muss.

Es wurde die Frage multiprofessioneller Teams angesprochen. Ja, das ist ein guter Weg. Das ist auch der Weg, den CDU und FDP in diesem Hause konsequent gehen. Dass wir die Schule öffnen wollen, das galt im linken Lager noch vor einigen Jahren als Teufelszeug.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Dass wir Kompetenz an die Schulen holen wollen, Sozialpädagogen usw.,

(Zurufe der Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE), Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Günter Rudolph (SPD))

die dort unterstützen können: Das ist genau der Weg, den wir für alle Schulen mit der selbstständigen Schule wollen. Natürlich wollen wir den auch bei der Inklusion. Aber ich sage eines ganz klar – das wissen Sie doch ganz genau –:

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Wir haben in diesen Berufen doch einen eklatanten Personalmangel. Jetzt tun Sie doch nicht so, als hätten wir auch die Köpfe dazu, wenn wir die Stellen über Nacht in den Haushalt schreiben würden. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Was bringt es denn dem beeinträchtigten Kind, wenn es in einer Klasse mit einer vielleicht geringeren Klassengröße sitzt, und da ist niemand, der sich kümmert? Was bringt es denn dem Kind? Das ist doch die Frage, die man sich stellen muss.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Kollege Wagner, es ist richtig: Wir haben in Hessen vielfältige Erfahrungen aus dem GU. Aber bei dem GU hat man einen entscheidenden Fehler gemacht. Man hat viele kleine Inselchen geschaffen. Jede Schule hat für sich ihre Lösung eingerichtet. Man hat nicht geschaut, wie man so ein Modell in der Fläche umsetzen kann. Wir haben – es erstaunt wenig – beispielsweise in Frankfurt einen relativ hohen Anteil. Dort haben wir ohnehin verschwimmende Grenzen, ein reiches Angebot und Konkurrenz der Schulen untereinander. Da wurde das durchaus auch profilbildend eingesetzt. Aber was ist mit den ländlichen Regionen? Was machen Sie beispielsweise mit dem Vogelsberg? Denn auch dort – das liegt in der Natur der Sache – haben Sie beeinträchtigte Kinder. Dort wohnt aber vielleicht das eine Kind am einen Ende des Kreises und das andere am anderen Ende, und Sie haben Fahrtwege dazwischen. Das sind doch offene Fragen, die geklärt werden müssen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe eine Antwort gegeben!)

Darauf haben Sie keine Antwort gegeben.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch!)

Ich glaube, man kann es keinem Schulträger zumuten, für jedes einzelne Kind möglicherweise eine Ausstattung in der Schule bauen zu müssen, die nur diesem Kind zugutekommt, sondern man muss schauen, wie man das aus Schulträgersicht – das haben wir beim Schulgesetz so debattiert – unter einen Hut bringt. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir aber beantwortet!)

Genauso gehört es dazu, dass wir bei der Lehrerausbildung etwas tun müssen. Wir können nicht alle Pädagogen in diesem Land von heute auf morgen zu Pädagogen machen, die eine inklusive Beschulung aus dem Ärmel schütteln können. Da müssen und da wollen wir etwas tun. Das werden wir auch, aber nicht von heute auf morgen. Das gehört zur Redlichkeit dazu.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Als letzten Aspekt möchte ich noch sagen: Ich finde es wirklich zynisch, wenn Sie von den Oppositionsfraktionen sich hierhin stellen und sagen: „Ja, wir machen jetzt die inklusive Schule. Hättet ihr auf unsere Haushaltsanträge gehört, wäre das alles so weit, dann wäre das alles gut.“ Frau Habermann, Sie winken ab. Was ist eigentlich nach der Schule, wenn wir ein inklusives Schulsystem aufgebaut haben? Schauen Sie sich doch die Wirtschaft an. Auch da sind zwar zarte Bestrebungen im Gange.

(Zurufe der Abg. Heike Habermann (SPD) und Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Aber es ist ein gesellschaftliches Problem, dass wir diesen Menschen dann auch die Teilnahme ermöglichen. Das ist genauso zynisch, wie zu sagen: „Es bringt ihnen nichts, wenn sie nach vier Schuljahren auf der weiterführenden Schule nicht mehr inklusiv beschult werden können.“

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Denn es bringt ihnen auch nichts, wenn sie nach einer inklusiven Beschulung möglicherweise in einer entsprechenden Einrichtung arbeiten müssen und nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Döweling, kommen Sie bitte zum Schluss.

Herr Präsident, letzter Satz. – Hessen stellt sich dieser Herausforderung, CDU und FDP in diesem Hause auch, und zwar mit Augenmaß, mit Sinn und Verstand.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Döweling. – Das Wort ergreift nun Frau Kultusministerin Henzler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist genau das eingetreten, was ich sehr bedauerlich finde: Inklusion als ganz wichtiges und sensibles Thema wird wieder in der politischen Schlacht zerredet. Damit wird man diesem Thema und seiner Ernsthaftigkeit einfach nicht gerecht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)