Protocol of the Session on March 7, 2012

In der Realität bleibt den Pflegekräften oft gar keine andere Wahl, als zu Notmaßnahmen zu greifen. Sie tun es, um noch Schlimmeres zu verhindern. Mehr noch: Pflegekräfte – das gilt auch für pflegende Angehörige – leiden selbst nachweislich unter diesen Verhältnissen. Die sattsam bekannten gesundheitlichen Probleme sowohl der pflegenden Angehörigen als auch des Pflegepersonals sprechen hier eine eindeutige Sprache. Der Krankenstand und die gesundheitlichen Probleme der professionell Pflegenden belegen dies ebenfalls eindeutig. Dem Problem werden Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht gerecht.

Mit Ihrem Gesetzentwurf lösen Sie die Hauptprobleme nicht, sehr geehrte Damen und Herren der Regierungsfraktionen. Nicht das Pflegepersonal, das Sie unter Generalverdacht stellen, gefährdet die Pflege, sondern Sie mit Ihrer Missachtung des Problems der ungenügenden personellen Ausstattung. – Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Für die Landesregierung hat Herr Sozialminister Grüttner das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat sind schon viele Argumente ausgetauscht worden. Einiges ist aber anscheinend immer noch nicht deutlich geworden, sodass man es durchaus noch einmal ausführen kann.

Es ist vollkommen klar, dass die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft nottut, zur Pflege und zur Unterstützung von pflegebedürftigen älteren und auch behinderten Menschen einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der eine Antwort auf die zukünftigen Herausforderungen gibt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist genau die richtige Antwort gegeben worden. Er ist deutlich weitgehender als das, was im Bundes-Heimgesetz einmal vorgeschrieben gewesen ist, und er ist deutlich weitgehender als das, was in anderen Bundesländern bereits verabschiedet und zum Teil abgeschrieben erneut in den Hessischen Landtag eingebracht worden ist.

Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen und dabei insbesondere auf Argumentationen eingehen: Von Frau Kollegin Müller wurde die Einbeziehung der ambulanten Dienste angesprochen. Wenn Sie den Gesetzentwurf genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass es hier keine regelmäßige Überprüfung gibt, sondern wir haben eine Regelung getroffen, dass anlassbezogen – nämlich dann, wenn sich jemand beschwert – eine entsprechende Prüfung vorgenommen wird, und zwar durch jemanden, der über ordnungsrechtliche Möglichkeiten verfügt. Das ist nicht der Medizinische Dienst der Krankenkassen, sondern das ist letztendlich die Heimaufsicht.

Um es an dieser Stelle auch noch einmal zu sagen: Ich finde es schon erstaunlich, dass Herr Dr. Jürgens in seiner Aufzählung kritischer Punkte zu dem Gesetzentwurf intensiv auf die Frage der Undurchführbarkeit des Gesetzes durch die betroffenen Behörden eingeht. Wenn Sie sich die Stellungnahme der Heimaufsicht, die unmittelbar betroffen ist, oder auch die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu dem Gesetzent

wurf der Regierungsfraktionen durchlesen, dann werden Sie merken, dass sie nicht die Kritik üben, sondern sich sehr zufrieden über den Gesetzentwurf geäußert haben, auch weil ihre Anregungen, die sie in der Anhörung gemacht haben, aufgenommen worden sind. Ich finde es schon erstaunlich, dass ein Abgeordneter sagt: Diejenigen, die das Gesetz durchführen müssen, werden massive Schwierigkeiten haben. – Denn diejenigen, die das Gesetz durchführen müssen, haben in der Anhörung gesagt: Das ist ein gutes Gesetz. – Den Widerspruch werden Sie auch in Zukunft nicht auflösen.

Wir sind froh, dass viele pflege- oder betreuungsbedürftige Menschen noch in ihrer häuslichen Umgebung versorgt und betreut werden. Dann brauchen sie aber auch entsprechende Unterstützungsleistungen vor Ort. Die haben in dem Gesetz ihren Platz gefunden, auch durch entsprechende Beratungsangebote, die nicht nur den stationären, sondern auch den ambulanten Einrichtungen zugutekommen.

Vollkommen verschwiegen wird, dass wir mit dem Beschwerdetelefon auch ein niedrigschwelliges Angebot – gerade zum Schutz – eingebracht haben. Ein Schutzaspekt – das muss man an dieser Stelle sagen – wird auch durch die Regelung des Rechts auf eine gewaltfreie und menschenwürdige Pflege deutlich. Dieses Ziel soll insbesondere durch Prävention und Schulungen erreicht werden.

Jetzt wird durch einen Änderungsantrag der SPD die Streichung verlangt, und die Fraktion die LINKE spricht von einem Generalverdacht. Deswegen will ich noch einmal sagen: Ziel des Gesetzes ist es, Betreuungs- und Pflegebedürftige zu schützen. Das ist schon in § 1 des Gesetzentwurfs normiert: Schutz und Achtung der Würde, Bewahrung vor Beeinträchtigungen der körperlichen und seelischen Gesundheit, Achtung und Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, auch hinsichtlich Religion, Kultur und Weltanschauung sowie geschlechtsspezifischer Erfordernisse, Schutz des Rechts auf gewaltfreie Pflege und Intimsphäre. – Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass der Gesetzgeber den Pflegekräften unterstellt, sie würden ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, oder sie würden nicht menschenwürdig pflegen. Es kann aber natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass es im Einzelfall auch einmal zu Fehlverhalten kommen kann.

(Günter Rudolph (SPD): Ja, klar! Das ist ja unstreitig! Aber das ist kein Grund, alle unter Verdacht zu stellen!)

Es kann schwarze Schafe oder ein situatives individuelles Fehlverhalten geben. Genau deswegen bedarf das Schutzbedürfnis der zu Pflegenden einer gesetzlichen Regelung, die Sie mit Ihrem Antrag wieder herausstreichen wollen. Sie geben den zu Pflegenden keinen gesetzlichen Rahmen für ihr Schutzbedürfnis. Das ist das Problem an der Stelle.

(Beifall bei der CDU)

Denn wenn es einmal zu einem Fehlverhalten kommt, dann muss man doch im Interesse der Betroffenen annehmen, dass sie unter dem Schutz des Gesetzes stehen.

(Günter Rudolph (SPD): Wenn das so einfach wäre!)

Das ist so einfach, Herr Rudolph. Ich erkläre Ihnen das einmal anhand eines Bereiches, der Ihnen vielleicht bekannt ist, bei dem Sie immer klatschen: Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz werden Arbeitgeber

verpflichtet, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Diskriminierungen geschützt werden. Dazu müssen entsprechende Programme aufgelegt werden. Da stellen Sie doch auch nicht jeden Arbeitnehmer unter den Generalverdacht der Diskriminierung, sondern Sie schaffen im Grunde genommen einen gesetzlichen Rahmen, damit derjenige, der von einer solchen Situation betroffen ist, dem Schutz des Gesetzes unterliegt. Das ist ein ganz wesentlicher und wichtiger Passus des vorliegenden Gesetzentwurfs. Es ist kein Generalverdacht im Hinblick auf die Pflegekräfte.

Ich möchte auch deutlich sagen: Die Pflegekräfte haben eine sehr schwere Arbeit zu verrichten. Deswegen gebühren ihnen unser Dank und unsere Anerkennung. Das kommt in den Debatten leider viel zu kurz.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Insofern ist es natürlich auch falsch, ein solches Gesetz zum Anlass zu nehmen, um damit den Pflegekraftnotstand beheben zu wollen. Wer davon ausgeht, dass mit einer gesetzlichen Regelung, möglicherweise auch noch mit einer Aufstockung des Fachkraftschlüssels, das jetzige Defizit zu regeln ist, der liegt schlicht und einfach falsch.

Herr Grüttner, gestatten Sie mir den Hinweis darauf, dass die vereinbarte Redezeit abgelaufen ist.

Ich komme zum Ende meiner Rede, Frau Präsidentin. – Insofern ist es vollkommen klar, dass die Kritikpunkte an der Stelle ins Leere laufen. Die Regierungsfraktionen haben einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Ich denke, dass er im Interesse der Arbeitenden, der Pflegenden und auch der zu Pflegenden seine Wirkung in Hessen entfalten wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Grüttner.

Wir kommen nun zur Abstimmung. Ich lasse zuerst über Tagesordnungspunkt 7 a abstimmen, den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, Drucks. 18/5295 zu Drucks. 18/5180 zu Drucks. 18/2512. Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – CDU und FDP. Enthaltungen? – Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Nun lasse ich abstimmen über Tagesordnungspunkt 7 b, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP. Zunächst lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion, Drucks. 18/5341. Wer dem Änderungsantrag die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und LINKE. Gegenstimmen? – CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Jetzt kommen wir zu dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung. Wer diesem die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Gegenstimmen? – SPD, GRÜNE und LINKE. Da

mit ist dieser Gesetzentwurf so angenommen und wird zum Gesetz erhoben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 8:

Antrag der Abg. Merz, Roth, Faeser, Habermann, Gnadl, Siebel, Dr. Spies (SPD) und Fraktion betreffend Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen – Drucks. 18/5108 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt fünf Minuten. Die erste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Merz von der SPD-Fraktion.

(Unruhe)

Ich darf schon vorab um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Redner bitten, weil es hier gerade ein bisschen laut geworden ist. Herr Merz, warten Sie bitte kurz. Ich möchte hier erst einmal Ruhe im Saal haben. Dann dürfen Sie gerne anfangen.

(Unruhe)

Hallo? Ich hätte gerne einen ruhigen Saal. – Vielen Dank.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Dann kann Herr Merz sich ja wieder hinsetzen!)

Jetzt können Sie loslegen.

Wenn es noch länger dauert, setze ich mich auch wieder hin.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herzlichen Dank für Ihre Bemühungen. Ich will den Betrieb gar nicht lange aufhalten, weil die Mittagspause herandämmert und wir uns in der Sache, über die hier zu reden ist, im Grundsatz weitgehend einig sind. Das ist in einer ganzen Reihe von Diskussionen herausgearbeitet worden.

Nichtsdestoweniger gibt es in der Sache Kritik an der Ausführung dessen, was zur Regelung des Missstandes vorgeschlagen wird. Es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, die das Land zu erledigen hat, wo wir bis dato keine Bemühungen erkennen oder auch von keinen gehört haben, dass dieser Regelungsbedarf erledigt würde. Ich bin gespannt, was die Landesregierung nachher zu dieser Angelegenheit sagen wird.

Der Gegenstand ist, dass über Jahrzehnte in diesem Land Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung ihren Berufen, die sie gelernt haben, nicht oder nicht in adäquater Weise nachgehen konnten. Die Schätzung, wie viele Menschen mit einer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifizierung bis hin zu akademischen Abschlüssen sich in Deutschland aufhalten, geht auf mehrere Hunderttausende, bis zu 800.000. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung war von einem Beratungsbedarf für ungefähr 300.000 Menschen die Rede. Aber tatsächlich wissen wir, dass die Zahl der Menschen, um die es hier geht, bis zu 800.000 beträgt.

Das ist natürlich ein Zustand, der in vielerlei Hinsicht nicht hinnehmbar ist und nicht hinnehmbar war. Er ist für die Betroffenen selbst eine ungeheure Beschwernis gewesen. Jeder von uns kennt diese Beispiele von Menschen mit teilweise mehreren akademischen Abschlüssen, die ihr Dasein in Berufen fristen müssen, für die sie vollkommen überqualifiziert sind. Wir wissen, dass alleine in Hes

sen mehrere Zehntausend Menschen mit akademischem Abschluss, der im Ausland erworben ist, von SGB-II-Leistungen leben müssen. Das ist nicht nur für die Betroffenen selbst eine Beschwernis, sondern es ist natürlich auch inakzeptabel unter dem Gesichtspunkt der Belastung der sozialen Sicherungssysteme.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ganz sicher eine Verschwendung von Qualifikation, von beruflicher Eignung, die sich dieses Land, das sich mitten in einem alle Bereiche der Wirtschaft betreffenden Fachkräftemangel befindet, nicht weiter leisten kann. Es ist also höchste Zeit gewesen, dass hier etwas geschah. Es ist dann in der Tat nach langem Hin und Her im letzten Jahr ein Bundesgesetz verabschiedet worden, das zum 01.04. – nicht, wie fälschlich in unserem Antrag steht, zum 01.03.; ich bitte, das insofern zu ergänzen – in Kraft tritt. Insofern ist noch Zeit für die Landesregierung, noch halbwegs rechtzeitig zu handeln.

Dieses Gesetz ist verabschiedet worden. Es weist eine Reihe von Problemen auf. Diese bestehen z. B. bei der Nachqualifizierung. Wir wissen, dass natürlich, wenn Menschen zehn oder zwanzig Jahre nicht in ihren erlernten Berufen gearbeitet haben – das ist zum Teil die Realität –, Nachqualifizierungen erforderlich sind. Die Landesregierung hat bei anderer Gelegenheit – ich glaube, es war Minister Grüttner –, gestern oder vorgestern eine Presseerklärung über die Nachqualifizierung von deutschstämmigen Lehrerinnen und Lehrern herausgegeben. Wir wissen also, dass es diese Nachqualifizierungsmöglichkeiten geben muss. Sie sind unzureichend ausgestattet.

Was wir aber vor allem wissen – das ist die landespolitische Pointe –: Es müssen die zuständigen Stellen für die Anerkennungsverfahren bestimmt werden. Das ist bisher nach unserer Kenntnis nicht geschehen. Das sind zum einen die Stellen, wo das Land ausführend ist. Es sind aber auch nach § 8 Abs. 4 BQFG solche Stellen, die es in Hessen nicht gibt und wo das Land bestimmen muss, wer dafür verantwortlich sein soll. Dies muss gemacht werden.

(Beifall bei der SPD)