Protocol of the Session on March 7, 2012

Aber immerhin sind Sie lernfähig. Das hoffen wir zumindest. Sie haben begriffen, dass die Nutzung der erneuerbaren Energien die Grundlage für die Energiewende ist. Das schafft Arbeitsplätze und bringt die Region voran. Deswegen fordern wir von Ihnen ein deutliches Zeichen, dass Sie diese Branche auch weiterhin zuverlässig unterstützen und nicht hopplahopp die Rahmenbedingungen auf einmal von heute auf morgen verändern. Das werden wir aber morgen noch einmal länger diskutieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den Infrastrukturprojekten, die in Punkt 5 des Entschließungsantrags aufgeführt sind, sage ich nichts mehr. Im sechsten Punkt loben Sie den Schienenverkehr. Da hätte ich mir auch ein paar lobende Worte zur RegioTram, dem Erfolgsmodell in der Region, gewünscht.

Gut ist auch, dass Sie sagen, dass der Ausbau der Strecke Kassel – Korbach – Frankenberg – Marburg kommen muss. Aber was ist denn mit dem Lückenschluss zwischen Frankenberg und Korbach? – Auf den warten wir heute noch. Da gibt es die Tourismusregion Edersee/Nationalpark Kellerwald. Die ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen. Wir zahlen im Moment mehr für bestellte Leistungen drauf, die nicht erbracht werden können, als wenn die Strecke reaktiviert worden wäre. Herr Posch, was ist also mit Ihren Versprechen aus zwei oder drei – das weiß ich nicht mehr so genau – Wahlkämpfen? Jedenfalls warten wir auf die Reaktivierung, damit der Nationalpark Kellerwald auch erreichbar wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Krise war für Nordhessen eine Chance, die genutzt wurde. Jetzt gilt es, daran anzuknüpfen und in Zukunftsprojekte zu investieren. Nordhessens Wirtschaftswachstum ist auf die Vernetzung unterschiedlicher Akteure vor Ort und die Konzentration auf die Schwerpunkte Nutzung erneuerbarer Energien, Gesundheit, Wellness, Tourismus und Logistik zurückzuführen. Diese Bereiche und die Universität als bedeutendste Bildungseinrichtung der Region gilt es zu stärken.

Hier könnten Sie beweisen, dass Sie es mit der Unterstützung Nordhessens ernst meinen. Schon jetzt klagen nämlich Unternehmen über einen signifikanten Fachkräftemangel. Junge Leute unter 40 Jahren verlassen die Region. In Saldo haben insgesamt 9.000 Menschen in zehn Jahren die Region verlassen. Herr Landau, nicht die Arbeitsplätze, sondern die Fachkräfte sind der begrenzende Faktor. Deswegen, das habe ich schon gesagt, muss neben den anderen – –

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Ja, ich beeile mich.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen muss es eine ausreichende Zahl an Kinderbetreuungsangeboten geben. Kulturelle Einrichtungen und die Documenta, all das ist wichtig, um die Menschen nach Nordhessen zu bekommen. Investieren Sie nicht nur in Beton, sondern auch in die Köpfe, dann wird es mit der Region auch weiterhin vorangehen.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Frau Kollegin Müller, schönen Dank. – Für die Fraktion DIE LINKE erhält jetzt Herr Schaus das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es trifft zu, dass sich Teile – –

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Günter, wir müssen uns in allen Bereichen auskennen. Das ist bei dir nicht anders als bei mir.

(Zurufe: Oh!)

Es trifft zu, dass sich Teile Nordhessens in den vergangenen Jahren positiv entwickelt haben. Das ist gut für die Region. Das ist letztlich auch für ganz Hessen gut.

Aber ich habe doch große Zweifel, ob das alles an den zahlreichen Maßnahmen liegt, die die Fraktionen der CDU und der FDP in ihrem Entschließungsantrag aufgelistet haben. Denn wo Licht ist, ist schließlich auch Schatten.

Von der positiven Entwicklung profitieren nicht alle Wirtschaftsbranchen und nicht alle Menschen. So gibt es trotz der positiven Entwicklung in Nordhessen dennoch viel Armut und vor allem eine überdurchschnittlich hohe Kinderarmut.

Nun sollen aber die Branchen, wie die der Solarindustrie – das wurde schon angesprochen –, die in den vergangenen Jahren zu Wachstumsmotoren geworden sind, durch ideologisch geprägte Fehlentscheidungen der Bundesregierung aus CDU und FDP benachteiligt werden. Meine Damen und Herren der CDU und der FDP, es ist schon erstaunlich, dass Sie sich just in dem Moment feiern lassen wollen, in dem in Nordhessen die wichtigste Wirtschaftsbranche gegen die schwarz-gelben Kürzungsorgien resolut wird und die Bundesregierung in den letzten Tagen schon langsam zurückrudert.

In Ihrem Entschließungsantrag, der also nicht zeitgemäß ist, spielt das alles natürlich keine Rolle. In Ziffer 4 Ihres Entschließungsantrags feiern Sie selbst mit großen und glorreichen Worten die vielen Arbeitsplätze, die gerade im Bereich der alternativen Technologien, also der Nut

zung der Windenergie und der Solarenergie usw. entstanden sind, und reklamieren das für sich selbst.

Leider hat sich die teilweise positive Entwicklung der Region überhaupt nicht nachhaltig in der Finanzkraft der Kommunen niedergeschlagen. Davon schreiben Sie in Ihrem Entschließungsantrag natürlich nichts.

Ich halte es für wenig akzeptabel, dass sich CDU und FDP wieder einmal die Erfolge der Menschen auf ihre Parteifähnchen schreiben wollen. Es waren aber nicht die Entscheidungen der Regierungen in Berlin oder Wiesbaden, die die positive Entwicklung in der Region begünstigten. Nach dem Mauerfall rückte Nordhessen in die Mitte Deutschlands. Es wurde damit für einige Branchen aus dem Handel und dem Speditionsgewerbe zu einem attraktiven und verkehrsgünstigen Standort.

Meine Damen und Herren der CDU, es lag jedenfalls nicht an dem Zustand Ihrer Partei in Kassel. Zwischenzeitlich wurden Neonazis aus Ihren eigenen Reihen ausgeschlossen. Es gibt ständig Querelen zwischen Jung und Alt. Das kann man heute in einem großen Artikel der „Frankfurter Rundschau“ nachlesen. Da gibt es noch vieles mehr. Das ist kein Ruhmesblatt. Ich an Ihrer Stelle würde da nicht so laut werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Einige Zahlen sollen belegen, dass in Ihrem Entschließungsantrag der Schatten geflissentlich ignoriert wurde. Aufgrund der starken Wirtschaftsleistung der vergangenen zwei Jahre ging z. B. die Kinderarmut in Deutschland leicht zurück.

Mit 17,2 % der unter Dreijährigen in Westdeutschland ist die Kinderarmut skandalös hoch; aber Hessen ist im Vergleich der westdeutschen Länder noch schlechter. Der nordhessische Kreis Werra-Meißner mit über 22 % und die Stadt Kassel mit 33 % nehmen sogar Spitzenplätze ein.

(Zuruf des Abg. Helmut Peuser (CDU))

Dort ist also jedes vierte bzw. jedes dritte Kind arm. Dazu steht nichts im Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft. Das ist klar: Da wird die Stadt Kassel nur abgefeiert, und das wollen Sie für sich reklamieren.

Wir LINKE sagen: Jedes arme Kind ist für ein so reiches Land eine Schande.

(Beifall bei der LINKEN)

In dieser Beziehung gibt es auch nichts zu bejubeln. Im Gegenteil muss man sich doch fragen: Wem dient das Wirtschaftswachstum in Kassel, wenn dort jedes dritte Kind in Armut lebt? Kein Wort dazu in Ihrem Antrag.

Zweiter Punkt. Dass Sie in Ihrem Antrag die Förderung der Universität durch das Land Hessen rühmen, ist wohl ein schlechter Witz. Da setzt die CDU-Hochschulministerin aus Kassel per Diktat die Kürzung der Hochschulförderung durch. Die Hochschulpräsidenten rebellieren. Die Hörsäle platzen aus allen Nähten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

Für Kassel bedeutet das ganz konkret: Die Planung ist auf 17.000 Studierende ausgerichtet. Es sind aber bereits 21.500 eingeschrieben. Das ist ein knappes Viertel darüber. Dauerhaft sollen es 24.000 werden. Sie schreiben sich dies auch noch als gelungene Hochschulförderung ins Zeugnis. Meine Damen und Herren, nein, die Hochschule,

die Studierenden und die Forschungsinstitute haben mit Ihnen keinen Partner an ihrer Seite.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt ist die Frage, welche Wirtschaftsbranchen von der schwarz-gelben Politik profitieren und welche nicht. Da ist Ihr Antrag richtig: Jubeln kann vor allem die Verkehrslogistik und die Bauwirtschaft. Über 250 Millionen € hat die Landesregierung allein für den ökonomisch völlig unsinnigen Flughafen in Kassel-Calden lockergemacht. Dies gilt ebenso für den Ausbau von zwei Autobahnen, ganz abgesehen davon, was das kostet.

Lassen Sie mich Ihnen dazu Folgendes sagen. Ja, wir brauchen Mobilität, und ja, wir brauchen auch Infrastruktur. Aber Ihre Subventions- und Infrastrukturpolitik ist aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und schadet mehr, als sie nutzt. Angesichts von Klimawandel, Ressourcenknappheit oder der Verlärmung ganzer Regionen sollten wir andere Prioritäten setzen. Man stelle sich vor, diese Hunderte von Millionen Euro würden in die Bildung und die Wirtschaftskreisläufe vor Ort sowie in die öffentliche Infrastruktur in der Region fließen. Dann würden auch wieder Menschen aufs Land ziehen. Was für eine Perspektive z. B. für den Werra-Meißner-Kreis.

Auch bin ich nicht bereit, jede Form der Industrieproduktion so wie Sie zu bejubeln. Dass in Kassel Panzer zusammengeschraubt werden und dass diese zu Hunderten unter anderem nach Saudi-Arabien ausgeführt werden, halte ich nicht für ruhmreich.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb: Nicht jedes Gewerbe, mit dem sich Geld verdienen lässt, ist auch moralisch in Ordnung. Das muss differenziert betrachtet werden. Die Rüstung muss aus unserer Sicht endlich begrenzt und die Produktion auf zivile Güter umgestellt werden, auch in Kassel.

(Beifall bei der LINKEN)

Welche Wirtschaftsbranchen fördern Sie hingegen ausdrücklich nicht? Die Antwort habe ich eingangs schon gegeben: z. B. die Energieerzeugung im Hinblick auf erneuerbare Energien. Gerade Nord- und Mittelhessen eignen sich hervorragend für eine dezentrale Energieversorgung mit Windstrom. Doch gerade die Möglichkeit für hessische Kommunen, vor Ort gemeinsam in die Energieerzeugung einzusteigen, haben Sie insbesondere durch Ihre HGO-Novelle vor wenigen Monaten verhindert, im Übrigen gegen den vehementen Protest aus nordhessischen Kommunen. Ich kann Ihnen die ganzen Schreiben aus nordhessischen Kommunen vorlegen.

(Peter Seyffardt (CDU): Das ist schlicht falsch!)

Noch härter trifft es momentan, wie gesagt, nur die Solarbranche, die für Kassel und Nordhessen von großer Bedeutung ist. Zum wiederholten Mal wird die Förderung für Solarenergie von Schwarz-Gelb gekürzt. Das konterkariert nicht nur alle Erklärungen zur angeblich angestrebten Energiewende. Es bedeutet für die privaten und öffentlichen Investitionen sowie für die Bürgerinnen und Bürger auch konkrete Verluste für bereits gebaute oder geplante Anlagen. Meine Damen und Herren, das alles bedroht sehr konkret seit wenigen Tagen Tausende von Arbeitsplätzen in Nordhessen, beispielsweise bei SMA in Kassel. Das ist die Wahrheit, die in Ihrem Antrag keinen Niederschlag findet.

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Die Entwicklungen in Nordhessen sind teilweise sehr erfreulich. Mit einer erfolgreichen, gerechten und visionären Politik hat das aber wenig bis gar nichts zu tun. Im Gegenteil, die Schwächsten der Gesellschaft profitieren nicht davon. Das sind vor allem die Kinder.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))