Was ist denn Armut eigentlich? Hält man sich an den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung – wir hatten es schon gehört –, so ist jeder Haushalt von Einkommensarmut bedroht, dessen Einkommen weniger als 60 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens beträgt. Das sagt über Armut im Land noch nicht viel aus, wohl aber über das Maß der Einkommensungleichheit.
Wenn wir uns über das Ziel, zukünftig einen Armuts- und Reichtumsbericht zu erstellen, einigen, dann müssen wir uns darüber verständigen, mit welchen Mitteln bzw. mit welchem Aufwand wir dieses Ziel erreichen wollen. Wir bezweifeln, dass die im Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN angegebenen Kosten bei dem geforderten Erhebungsaufwand realistisch sind. Bei einigen Daten, die in Hessen jetzt schon zur Verfügung stehen, wird, wenn die im Gesetzentwurf geforderten Inhalte tatsächlich aussagekräftig bearbeitet werden sollen, zur Erstellung dieses Berichts auch wissenschaftliche Unterstützung notwendig, die bekanntlich Geld kostet.
Andere Bundesländer haben über die tatsächlichen Kosten einer solchen Erhebung bereits Erfahrung gemacht. Deshalb sollten wir hier reinen Wein einschenken und sagen, dass eine solche Untersuchung vermutlich weit mehr als die im Gesetzentwurf prognostizierten Kosten von 150.000 c verursachen wird. In Nordrhein-Westfalen kostet eine solche Berichterstattung gut das Doppelte. Es muss erlaubt sein, festzustellen, mit diesem Geld aus dem Sozialhaushalt kann man wichtige Projekte zur Bekämpfung der Armut unterstützen.
Zur Frage der Kosten gehört nach unserer Auffassung auch die im Gesetzentwurf geforderte Rhythmisierung. Wie auch in anderen Bundesländern praktiziert, empfiehlt es sich, einen Armuts- und Reichtumsbericht alle fünf Jahre zu veröffentlichen. Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, der Bund hat bereits einen Armuts- und Reichtumsbericht erstellt.
Diese Ergebnisse können selbstverständlich auch für Hessen genutzt werden. Die Ursachen für Armut sind doch keine unbekannten Größen,die es neu zu erforschen gilt. Insofern gibt es auch keinen Blindflug.Wir werden in einem solchen Bericht alle die Benachteiligten,die uns am Herzen liegen, wiederfinden können. Bei den einen handelt es sich um die kinderreichen Familien, bei den anderen um die Alleinerziehenden, die Rentner, die Migranten, die geringfügig Beschäftigten und die gering Qualifizierten.Alle werden in einem solchen Armutsbericht auftauchen. Da frage ich Sie: und dann? Wir werden erfahren,dass es in Offenbach mehr Arme gibt als in Bad Homburg.Wo ist hier der nachhaltige Erkenntnisgewinn?
Meine Damen und Herren, wir können jetzt schon ablesen, das wissen auch alle, dass hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere hohe Langzeitarbeitslosigkeit, und Geringqualifizierung Jugendlicher dazu führen, dass Armut ansteigt.
Das ist in Hessen doch nicht anders als in anderen Bundesländern. Dafür bedarf es keines eigenen Berichts, sondern der Vernetzung von Beratungsangeboten, die wir in Hessen mit der Kommunalisierung von Angeboten sicherstellen.
Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um Beratung effektiv einzusetzen.Vor allem müssen aber wieder Möglichkeiten geschaffen werden, mehr Arbeitsplätze in Hessen und in Deutschland zu schaffen. Damit kann dem Armutsrisiko vorgebeugt werden. Dann kann es auch gelingen, dass Kinder kein Armutsrisiko mehr sind. Das ist der Fall, wenn deren Eltern Arbeitsplätze haben und von dem Einkommen, das sie damit erzielen, auch leben können. Die Steuerlast für Familien ist nach wie vor viel zu hoch.
Die Freistellungsbeträge für Kinder sind nach wie vor viel zu niedrig. Zunächst wird den Menschen das genommen, was sie eigentlich für ihren Lebensunterhalt brauchen. Danach bekommen sie nur einen kleinen Teil wieder zurück. Hier wird wieder deutlich, wie wichtig es ist, das Thema Arbeitsplätze in den Mittelpunkt zu stellen. Der Armutsbericht des Bundes weist gerade aus, dass junge Familien sehr stark davon betroffen sind.Noch viel größer ist die Gefahr, von Armut betroffen zu sein, bei Alleinerziehenden. Hier kommen die verschiedenen Risiken zusammen: keinen Arbeitsplatz zu haben, den Unterhalt nicht finanzieren zu können. Das ist das eigentliche Armutsrisiko, wenn die Eltern keine Chance haben, auf eigenen Füßen zu stehen. Das sind die eigentlichen Punkte, die angegangen werden müssen. Diese sind auch ohne einen eigenen hessischen Armutsbericht längst bekannt. Wir brauchen keinen Armutsbericht, sondern eine Politik gegen Armut.
Zusammenfassend ist für die CDU-Fraktion festzustellen, dass wir einen Armuts- und Reichtumsbericht nicht prinzipiell ablehnen. Der Aufwand sollte allerdings in vertretbaren Grenzen bleiben.Wir sind der Auffassung, dass wir für dieses Vorhaben kein eigenes Gesetz brauchen. Wir sind auch der Überzeugung, dass die Erkenntnisse eines solchen Berichts keine neuen Offenbarungen beinhalten werden. Entscheidend ist und bleibt, dass wir in der hessischen Politik auch in Zukunft auf bessere Bildung, auf Wachstum und auf die Schaffung von Arbeitsplätzen setzen.
Man kann einen solchen Bericht für sinnvoll halten, wenn er sich nicht in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Sozialwissenschaftler erschöpft. Man darf nicht vergessen, dass es letztlich nur um relative Armut geht. Eine Armut, die sich schon durch ihre Definition nicht beseitigen lässt,da sie sich an den Durchschnittswerten einer reichen Gesellschaft bemisst, lässt sich nicht abschaffen.
Mit weniger als 60 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens – hier liegt die Messlatte des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung – werden in einer freien Gesellschaft immer Menschen zurechtkommen müssen.Im Kommunismus ist das freilich anders.Da dürf
Vielen Dank, Herr Bauer. – Auch Ihnen die Gratulation dieses Hauses zu Ihrer ersten Rede im Hessischen Landtag.
Mit dieser Rede haben Sie gleich eine Kurzintervention des Kollegen Dr. Spies ausgelöst. – Bitte schön.
Sehr geehrter Kollege Bauer, Sie haben völlig recht: Wir brauchen eine Politik gegen Armut. Leider findet diese Politik in Hessen seit acht Jahren nicht mehr statt.
Leider sind all die Strukturen, mit denen man auf landespolitischer Ebene Armut bekämpft, im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ auf null gefahren worden.
Sie klagen, dass 150.000 c viel Geld sind. Ich erwidere: In Hessen sind 30 Millionen c für soziale Infrastruktur gestrichen worden, das ist eine Menge Geld.
(Axel Wintermeyer (CDU):Wie viele Arbeitsplätze sind denn in den letzten acht Jahren geschaffen worden?)
Es ist gerade die Herausforderung, zukünftig die notwendigen Strukturen überhaupt wieder zu bieten. Wenn Sie eben beklagt haben,wir wüssten doch schon,dass es Arme in Offenbach gibt und dass dort mehr Arme leben als woanders, kann ich nur sagen: Ja. Sie haben eine Reihe von Punkten angesprochen. Wenn ein Armuts- und Reichtumsbericht auf diesem Niveau stattfinden würde, dann brauchten wir ihn tatsächlich nicht. Das ist genau der Grund,warum wir ein Gesetz dafür brauchen.Wir kennen diese Landesregierung und wissen,was wir von einem von ihr allein zu verantwortenden Armutsbericht zu erwarten haben. Genau deshalb brauchen wir eine Regelung, die das genau vorgibt.
Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, dass Sie uns zusichern, auch die CDU-Fraktion werde dafür sorgen, dass die Vorgaben des Landtags oder seiner Mehrheit für einen Armuts- und Reichtumsbericht vollständig umgesetzt werden, dann könnte man auch auf ein Gesetz verzichten.Wir hören die Kunde wohl. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete! Ich gebe zu, ich habe in diesem Haus noch nicht genug schlechte Erfahrungen gemacht, sonst wäre ich nicht auf
die Idee gekommen, einen Antrag zu schreiben, in dem es nicht um einen Gesetzentwurf ging. Ich muss mich heute eines Besseren belehren lassen.
Wenn ich feststellen muss,dass man davon ausgeht,in diesem Land wird es immer Arme geben, weil Armut per Prozentzahl definiert wird, dann ist das ein derartig arroganter Umgang mit Menschen, die versuchen, mit dem bisschen Geld, das sie haben, in diesem Land über die Runden zu kommen.
Ich habe viele Jahre meines Lebens in der Schuldnerberatung und der Sozialarbeit gearbeitet. Ich weiß genau, wovon ich rede. Ich weiß sehr genau, wie arm Kleinunternehmer sein können.
Ich weiß, wie arm Erwerbslose sein können. Ich glaube, dass viele in diesem Haus keine Vorstellung von dem Ausmaß dieser Armut haben.Es ist ein Hohn,davon zu reden, dass das Ganze nur eine statistische Größe ist, die wir schon kennen.
Wenn ich mir anhöre, dass wir alle vier Jahre einen Bericht bekommen sollen, zu dem wir uns unter Umständen anhören müssen, dass er so überaltet ist, wenn er kommen soll, dass wir ihn nicht mehr herausgeben können – was sollen wir damit? Wenn wir wissen, dass wir in Offenbach mehr Arme haben als andernorts, dann brauchen wir gezielte Programme. Genau dafür brauchen wir auch eine strukturelle Analyse. Dafür müssen wir genau hinschauen, wie es in diesem Land aussieht.
Wir brauchen nicht nur eine Diskussion darüber, was Armut in diesem Land ist, sondern auch sehr wohl darüber, was Reichtum ist. Denn wenn ich mit Steuern steuern kann, dann kann ich es an dieser Stelle tun, aber nur dann, wenn ich weiß, welche Sorten Einkommen und welche Sorten Vermögen ich habe, ob es sich mehr um Einkommensvermögen oder mehr um bestehendes Vermögen im Form von Immobilien usw. handelt. Wir müssen genau hinschauen, welche Möglichkeiten wir dann haben und welchen Einfluss wir auf den Bund nehmen können, um unsere Einkommenssituation so zu generieren, dass wir eine Chance haben, eine vernünftige Politik gegen Armut zu machen. Wir dürfen nicht nur Armut bejammern und Mängel verwalten, wie wir das hier dauerhaft tun.
Ich möchte, dass wir dahin kommen, dass wir eine Klarheit gewinnen, welche Einnahmen wir brauchen, um dann mit diesen Einnahmen arbeiten zu können. Diese Einnahmen müssen wir einzunehmen versuchen.Wir müssen in dieser Republik versuchen, die notwendige gesetzliche Grundlage zu schaffen, um eben diese Einnahmeseite zu verbessern. Wir können nicht immer nur ins Portemonnaie schauen und bedauern, dass darin nichts ist, während wir es vorher lange und gründlich leer gemacht haben. Jetzt sagen wir, für alles mögliche andere reicht das Geld nicht.