Protocol of the Session on May 14, 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vor jedem Eingriff in die Bürgerrechte abwägen, ob am Ende tatsächlich ein Mehr an Sicherheit herauskommt. Das ist zugegebenermaßen keine einfache Sache. Da helfen auch keine populistischen Schlagzeilen. Herr Kollege Beuth, Sie werden am 14. Mai in der „FAZ“, die ja eine kluge Zeitung ist, mit der Aussage zitiert „Freiräume für Terroristen“ dürfe es nicht geben. Damit haben Sie zwar recht. Aber wer in diesem Hessischen Landtag hat jemals etwas anderes behauptet? Deswegen: Hören Sie auf mit diesen Plattitüden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Das wird dem Thema nicht gerecht. Das mag zwar für den einen oder anderen Parteitag geeignet sein. Ihr Parteitag findet ja am 17. statt, vielleicht brauchen Sie das dort für Diskussionen, um von anderen Dingen abzulenken.

Unter dem Strich bleibt: Das hessische Polizeirecht ist dringend novellierungsbedürftig. Dazu hatten Sie über vier Jahre Zeit. Herr geschäftsführender Innenminister, Sie haben diese Zeit verstreichen lassen.Deswegen ist der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion, das HSOG wieder auf den Boden der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu stellen, der richtige Weg.

Wir werden eine Anhörung durchführen. Herr Beuth, man könnte einwenden, wir warten auf Entscheidungen aus Berlin oder auf sonstige Dinge. Die SPD-Bundestagsfraktion hat aber angekündigt, dass es mehr als Erklärungsbedarf gibt,und das,was Herr Schäuble will,wird am Ende so nicht herauskommen. Man kann sagen – wie die LINKEN –, das ist alles zu weitgehend, aber so einfach machen wir es uns nicht, sondern wir vertreten, wie schon seit vielen Jahren, die Position, sorgfältig abzuwägen.

(Zurufe von der CDU)

Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Schnellschüsse reichen nicht. Wir setzen auf bewährte Lösungen. Ein neues Gesetz sollte ein Mehr an Sicherheit bringen. Diese Prüfung steht noch bevor. Deshalb werden wir in eine Anhörung gehen. Das Signal des Hessischen Landtags ist aber: Da die CDU dazu weder willens noch in der Lage ist, wird das hessische Polizeirecht geändert, der Rechtsprechung angepasst. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber dazu waren Sie nicht in der Lage.Wir werden Ihnen gerne dabei helfen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Kollegen Schaus das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die neuen Medien und die verstärkte Nutzung des Internets ergeben sich neue Chancen für freie, unzensierte Informationen und Diskussionen, aber auch ernste Gefahren für die Freiheit des Einzelnen. Die neue Technik ermöglicht den Behörden und Geheimdiensten, aber auch Arbeitgebern und Konzernen eine totale Überwachung und die Schaffung des gläsernen Bürgers.

Umso wichtiger wird der Schutz der Privatsphäre. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diese Notwendigkeit in seinem Volkzählungsurteil von 1983, das leider sehr in Vergessenheit zu geraten droht, anerkannt und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung klar formuliert. Die Bundesregierung und die Hessische Landesregierung ignorieren dieses Urteil jedoch zunehmend und tun nichts, um die Kontrolle der Bürger über die Speicherung und Nutzung ihrer persönlichen Daten zu stärken. Im Gegenteil, sie alle reden dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, der totalen Überwachung von Wohnungen, Telefonen, des Internets und des E-Mail-Verkehrs das Wort.

Die CDU hat in das hessische Polizeirecht staatliche Überwachungsmaßnehmen eingeführt, die die Grenzen des Grundgesetzes in den Bereichen Lauschangriff, Telekommunikationsüberwachung, Rasterfahndung und KfzKennzeichenerfassung verletzt haben und unser Land in

Richtung eines Überwachungsstaates zu verändern drohen.

(Zurufe von der CDU)

Das Bundesverfassungsgericht hat dem nun Einhalt geboten – ihm sei Dank –, die Verfassungswidrigkeit des CDU-Gesetzes festgestellt und entsprechende Backpfeifen erteilt. Wir als LINKE haben auch in der Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte erkannt, dass die freie Entwicklung jedes Einzelnen die Voraussetzung für die Freiheit aller ist.Die Einschränkung von Freiheitsrechten, Privatsphäre und Datenschutz schafft nicht mehr Sicherheit, sondern ist längst eine viel größere Bedrohung für die Demokratie als Terrorismus und Kriminalität.

(Beifall bei den LINKEN – Zurufe von der CDU)

Wir verteidigen deshalb aktiv die durch Grundgesetz und Volkzählungsurteil garantierten Rechte. Wir fordern deshalb die grundsätzliche Anwendung des Briefgeheimnisses auf die elektronische Kommunikation. Wir fordern, die Sammlung persönlicher Kommunikationsdaten jeder Art durch die Polizei und die Behörden darf grundsätzlich nur in konkreten Einzelfällen und aufgrund eines richterlichen Beschlusses erfolgen. Wir fordern die Einführung eines Anspruchs aller Bürger auf kostenlose Auskunft, Korrektur und gegebenenfalls Löschung von Daten gegenüber Betreibern zentraler Datenbanken. Wir fordern die Stärkung und erleichterte Durchführung des Auskunftsrechts gegenüber Behörden und staatlichen Organen. Wir fordern die Förderung von Anonymisierungsdiensten im Internet und die Aufhebung der Anonymisierung nur nach richterlicher Anordnung. Wir fordern die Stärkung der Rechte der Datenschutzbeauftragten und ihrer Unabhängigkeit.

Die FDP versucht nun, mit ihrem Gesetzentwurf das CDU-Gesetz in die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen verfassungsrechtlichen Schranken zurückzuführen.Dies ist grundsätzlich zu begrüßen.Es entsteht dabei allerdings der falsche Eindruck, als ob das Bundesverfassungsgericht ein volles Ausreizen der von ihm gesetzten Grenzen für geboten hielte. Dies lässt sich jedoch keiner der angeführten Entscheidungen entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, was der Gesetzgeber nicht darf. Es hat angesprochen, was der Gesetzgeber kann. Es hat aber mit keinem Wort erwähnt, dass er dies machen muss.

Nun zu den einzelnen Punkten des FDP-Gesetzentwurfs. Zu § 14 Abs. 5 des HSOG enthält der Vorschlag der FDP zwar wesentliche Einschränkungen. Danach ist die automatisierte Kennzeichenerfassung anlassbezogen durchzuführen; aber bezüglich der Betroffenen ist sie weiter verdachtsunabhängig möglich. Die Erstellung von Bewegungsprofilen ist auch danach nicht ausgeschlossen. Hier besteht also kein Regelungsbedarf. Wir lehnen die entsprechende Regelung zur automatisierten Kfz-Kennzeichenerfassung jedenfalls grundsätzlich ab.

Zu § 15 Abs. 4 HSOG: Datenerhebung in und aus Wohnungen. Die FDP will die besonderen Vertrauenspersonen – Geistliche, Ärztinnen und Ärzte, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Journalistinnen und Journalisten sowie Angehörige anderer Berufsgruppen – von einem Lauschangriff ausnehmen.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Im Übrigen will sie, sobald es um Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung geht, den Lauschangriff sofort abbrechen lassen. Letzteres dürfte eher weltfremd und reine Theorie sein.Wenn überhaupt, dann dürfte es in der Praxis, was diese Frage betrifft, eher zu einem Verwertungsverbot kommen. Alles andere ist eine leere Gesetzeshülse.

Die für den § 15a vorgeschlagene Regelung entspricht inhaltlich der Regelung des § 15 Abs. 4 HSOG für die Telekommunikationsüberwachung. Auch dies ist, mit den genannten Einschränkungen, zweifellos im Ansatz eine Verbesserung.Hierzu bedarf es allerdings einer ausführlichen Debatte – die Anhörung ist angesprochen worden –, weil damit die ganze Frage der Telefonüberwachung verbunden ist, über die wir an dieser Stelle intensiv diskutieren wollen.

Zu § 26 des Vorschlags. Diese Vorschrift betrifft die Rasterfahndung, die nach dem 11.09.2001 zum Aufspüren der Schläfer geschaffen wurde. Über die Möglichkeiten, sie zu missbrauchen, und über die Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung völlig unbeteiligter Personen wurde in der Öffentlichkeit umfassend diskutiert. Der FDP-Vorschlag schränkt zwar die Anwendung auf konkrete Gefahren für bestimmte Rechtsgüter ein, lässt aber die Rasterfahndung im Übrigen unangetastet.

Dagegen haben wir erhebliche Bedenken. Wir wollen keine Bewegungsprofile von Menschen,und wir brauchen sie auch nicht. Nicht alles, was heute technisch machbar ist, muss auch gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Wir verteidigen mit diesen Positionen das durch das Grundgesetz und durch das richtungweisende Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen. Die CDU war hier in den vergangenen Jahren vor allem mit der Abrissbirne unterwegs und stand mit ihren Positionen allzu oft nicht auf dem Boden der Verfassung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Öztürk das Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr verehrter Herr Präsident! Wir reden heute über das Polizeigesetz, das bereits im Vorfeld in der einen oder anderen Pressediskussion thematisiert wurde.

Heute hat die FDP einen Gesetzentwurf vorgelegt,der für uns auf jeden Fall in die richtige Richtung weist. Aber nachdem ich mir die Ausführungen des Herrn Beuth angehört habe, muss ich sagen: Herr Beuth, ich habe das Gefühl, wir bewegen uns auf zwei völlig unterschiedlichen Planeten. Dass wir bei diesem Punkt in der Anhörung irgendwo zusammenkommen, wage ich sehr zu bezweifeln.

Das Verfassungsgericht hat der CDU-Landesregierung nicht nur einmal bescheinigt, dass es mit der Verfassungsmäßigkeit ihrer Vorschriften im hessischen Polizeigesetz

nicht weit her ist.Außerdem gibt es Vorgaben des Verfassungsgerichts – –

(Unruhe)

Meine Damen und Herren!

Außerdem gibt es Vorgaben des Verfassungsgerichts, die im Polizeigesetz umgesetzt werden müssen. Es gibt dazu ein Stichwort: Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Mir scheint es so zu sein, dass das für den Herrn geschäftsführenden Innenminister und erst recht für den Kollegen Beuth in der ganzen Debatte ein Fremdwort ist. Das bedauere ich sehr.

So weit gehen wir also mit dem Gesetzentwurf der FDP konform. Wir begrüßen es, dass Sie den Versuch machen, das Polizeigesetz endlich verfassungsgemäß zu gestalten. Insofern unterstützen wir Ihre Intention.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines aber kann ich mir nicht ganz verkneifen; denn Sie sitzen nicht erst seit gestern im Landtag, sondern waren schon etwas früher hier und haben die einen oder anderen Beschlüsse mit gefasst und die einen oder anderen Gesetze mit auf den Weg gebracht. Dass Sie als Liberale heute als Hüter des Bürgerrechts dastehen möchten, sei Ihnen freigestellt. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das aber nicht abnehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kollegen von der FDP, ich finde es sehr merkwürdig, dass Sie heute Vorschriften kritisieren, die Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung mit auf den Weg gebracht haben. Ein Kritikpunkt ist z. B. auch, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf zwar ein paar Aspekte ansprechen, es aber eigentlich noch mehr Baustellen gibt, die eine wahrhafte Hüterin der Bürgerrechte ebenfalls kritisieren sollte. Die lassen Sie heute aber wohlweislich liegen. Ein Beispiel dafür sind die DNA-Tests bei Kindern, die ich hier unbedingt erwähnen möchte, während Sie sie überhaupt nicht berücksichtigen. Ich frage mich, warum.

Nun zu den automatischen Kennzeichenlesegeräten.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Hahn, ich werde Ihnen die Zwischenfrage nicht erlauben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz im März dieses Jahres mehr oder weniger für nichtig erklärt und darauf hingewiesen, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger durch dieses Gesetz verletzt wird.

Die FDP hat sich jetzt als Hüterin des Grundgesetzes und auch als Kämpferin für die Bürgerrechte hervorgetan. Fakt ist aber, dass Sie momentan dank des Bundesverfassungsgerichts einfach kein Instrument in der Hand haben, um diese Regelung zum Kfz-Massenabgleich zu erneuern oder überhaupt verfassungskonform neu zu gestalten. Ich frage mich, warum Sie das nicht ganz herausgenommen haben, sondern versuchen, einen verfassungskonformen

Weg zu gegen, obwohl wir alle wissen, dass das in der Praxis nicht ganz durchhaltbar ist.

Gehen wir auf die Quote ein. Wenn man einmal von der verfassungsrechtlichen Problematik absieht und sich die Praktikabilität anschaut, stellt man fest: Die Trefferquote bei den Kennzeichenlesegeräten beträgt 0,03 %. Das ist das, was Sie hier als Erfolg verkaufen wollen, was aber meiner Meinung nach überhaupt nicht als Erfolg bezeichnet werden kann.

Meine Damen und Herren, wir haben hier darauf hingewiesen, dass die Kennzeichenlesegeräte sowohl einen finanziellen als auch einen personellen Aufwand bedeuten. Ertrag und Aufwand stehen hier in keiner Weise in einem angemessenen Verhältnis. Deswegen halten wir das für ein sehr kritisch zu betrachtendes Mittel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)