Protocol of the Session on September 25, 2008

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD, der CDU und der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Al-Wazir. – Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Frau Wissler das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bemerkenswert an dieser Aktuellen Stunde ist zweierlei, erstens dass die CDU Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch eine Aktuelle Stunde im Hessischen Landtag würdigt.

Zweitens bekommt die Aktuelle Stunde eine ganz neue Bedeutung. Das Ereignis, über das wir hier reden, liegt immerhin 90 Jahre zurück.

(Widerspruch bei der CDU)

Vielleicht erleben wir auf Antrag der CDU-Fraktion in Zukunft im Rahmen der Aktuellen Stunden spannende Debatten wie: „Prager Fenstersturz verurteilen“, „Europäische Stabilität sichern“ oder „Mord an Julius Cäsar aufklären“, „Recht und Ordnung des Römischen Reiches bewahren“.

(Beifall bei der LINKEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Eigenartige Dialektik!)

Jetzt zur Sache. Die CDU bezieht sich auf eine Äußerung von mir, in der ich die historische Verantwortung der SPD für die Ermordung der beiden Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erwähnt habe. Ich frage: Interessiert Sie das wirklich, oder wollen Sie von meiner Fraktion ein Bekenntnis zu Luxemburg und Liebknecht haben? – Das können Sie gerne haben. Karl Liebknecht hat als einziger Reichstagsabgeordneter 1914 gegen die Kriegskredite gestimmt. Für den Ausruf „Nieder mit dem Krieg“ am 1.Mai 1916 musste Karl Liebknecht bis Kriegsende ins Zuchthaus.

So auch Rosa Luxemburg.Auf einer Massenveranstaltung in Frankfurt im September 1913 rief sie – ich zitiere –:

Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder andere Brüder zu erheben, dann rufen wir: Das tun wir nicht.

Das kostete sie ein Jahr Gefängnis.

Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg konnten den Krieg nicht verhindern. Aber sie haben entscheidenden Anteil daran gehabt, dass die Soldaten und Arbeiter 1918 in ganz Deutschland mit einer revolutionären Erhebung den Massenmorden ein Ende bereiteten. Beide haben sich für eine demokratische sozialistische Gesellschaft ohne wirtschaftliche Ausbeutung und ohne politische Unterdrückung eingesetzt.

Ihnen geht es aber um etwas anderes. Sie wollen die Abwahl dieser Regierung verhindern. Das wird Ihnen nicht gelingen.Wohlmöglich hoffen Sie, dass ich am Ende Frau Ypsilanti die Schuld an der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht geben werde. Das werde ich nicht tun.Ich habe im Übrigen auch nie von Schuld und,Herr Al-Wazir, auch nie von direkter Täterschaft gesprochen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sondern? – Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Ich habe von Verantwortung gesprochen. Das ist ein großer Unterschied.Alles, was ich sage, ist Folgendes: Die geschichtlichen Fakten können Sie nicht ändern.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Also ist die SPD verantwortlich! – Clemens Reif (CDU): Das aus Ihrem Mund! Das ist nicht zu glauben!)

Die Geschichte von 1919 zeigt auf dramatische Weise, was passiert ist, als die SPD damals mit den Rechten zusammengearbeitet hat. Zu der Zeit gab es in Deutschland eine SPD-geführte Regierung. Es hatten sich Arbeiterund Soldatenräte gebildet. Es gab revolutionäre Aufstände in ganz Deutschland. Der SPD-Reichswehrminister Gustav Noske war für die blutige Niederschlagung des Spartakusaufstandes 1919 verantwortlich. Im Zusammenhang mit diesen Gräueltaten wurden auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. Generalstabsoffizier

Waldemar Pabst gab damals den Befehl zu den Morden. Er gab später zu Protokoll, dass er vor den Morden mit Noske telefoniert habe und Ebert dabei anwesend gewesen sei. Die wirklichen Auftraggeber aber waren andere.

Pabst wurde vom Leiter der antibolschewistischen Liga – der Leiter hieß Stadtler – zu den Morden an Liebknecht und Luxemburg aufgefordert. Alle Beteiligten sollen dafür aus dem Antibolschewisten-Fonds Geld für ihre Tat erhalten haben. Dieser Spendentopf von Großindustriellen war eingerichtet worden, um Gruppen zu fördern, die gegen die revolutionären Sozialisten vorgingen.

Die Aussage von Waldemar Pabst kann man sicher bezweifeln. Tatsache ist, dass Waldemar Pabst für seine Tat nie angeklagt wurde. Er starb 1970 als reicher Mann. Zuletzt war er Mitglied in der NPD. In seinem Nachlass fand sich ein von ihm verfasstes Schriftstück, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Zitat:

Dass ich die Aktion ohne Noskes Zustimmung nicht durchführen konnte – mit Ebert im Hintergrund – und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unglaublich!)

Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Also sind Ebert und Noske verantwortlich! Das ist unglaublich!)

Ich habe als Kavalier das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert,dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit.

Nun war die SPD-Regierung um Ebert und Noske nicht die SPD. Das ist vollkommen richtig. Das wollte ich so nicht verstanden wissen. An der Basis war die Stimmung eine andere. Es gab damals infolge seiner Rolle bei der Niederschlagung der Aufstände Anträge gegen Noske,um zu verhindern, dass er wieder als Reichstagsabgeordneter aufgestellt wird. Nach 1945 sorgte unter anderem Kurt Schumacher dafür, dass Noske in der Partei keine Rolle mehr spielte.

Ich bin nicht der Meinung – das habe ich mit dem Interview zum Ausdruck bringen wollen –, dass wir wechselseitig eine Aufarbeitung vermeintlicher oder tatsächlicher historischer Fehler fordern sollten. Wir sollten Roland Koch lieber gleich abwählen.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Ich will mit einem Zitat von Rosa Luxemburg schließen, das wir uns immer vor Augen halten sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat.“ – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die FDP erteile ich dem Kollegen Greilich das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es noch eines Beleges bedurft hätte, dass diese Aktuelle Stunde sehr aktuell ist, dann haben wir den eben erlebt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frau Kollegin Wissler, es geht hier nicht um eine Aktuelle Stunde zu dem, was vor 90 Jahren passiert ist. Es geht um eine Aktuelle Stunde zu dem, was heute hier aktuell ist. Was heute aktuell ist, das ist die Geschichtsklitterung, die Sie auch hier wieder versucht haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Deswegen ist das Zitat von Ihnen, das Anlass zu der Aktuellen Stunde war, eigentlich nur der Ausgangspunkt. Womit wir uns hier befassen müssen,ist das Ergebnis,dass wir nach jetzt bislang 17 Plenartagen mit der Linksfraktion festzustellen haben: Das sind verschiedene Facetten des gleichen Tatbestandes Geschichtsklitterung. DIE LINKE verklärt das Bild der DDR. Sie leugnet geschichtliche Wahrheiten, wie den Schießbefehl und die Unterdrückung von Millionen von Menschen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ich habe gar nicht über die DDR gesprochen!)

Sie verleumdet die SPD, deren Vorsitzende – das finde ich bezeichnend – diese Debatte gar nicht selbst verfolgt. Gleichzeitig begehen die Mitglieder der Landtagsfraktion vorsätzlich und mit offener Ankündigung Rechtsbruch im Kelsterbacher Wald.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Diese Partei und ihre Mandatsträger zeigen damit ihr wahres Gesicht. Rechtsstaat und Verfassung sind für diese Leute nicht verbindlich, nicht das Maß aller Dinge. Deshalb muss die Linkspartei wegen ihrer verfassungsfeindlichen Tendenz auch weiterhin vom Verfassungsschutz genau beobachtet werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn man sich mit dem Thema Geschichtsklitterung durch Herrn van Ooyen und anderen beschäftigt, dann empfiehlt sich Quellenstudium. Gehen wir zurück an die Wurzeln. Ihre Vorgängerpartei PDS hatte auch einmal ein Grundsatzprogramm in der Nachwendezeit verabschiedet.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Ich dachte, wir reden hier über Rosa Luxemburg!)

Dort heißt es wörtlich – ich zitiere –:

Die Deutsche Demokratische Republik hat unter Führung der SED der Macht des deutschen Imperialismus Grenzen gesetzt. Vier Jahrzehnte lang war in einem Teil Deutschlands die Herrschaft der Monopole und Banken beseitigt.

Damit ist die Bundesrepublik Deutschland gemeint.

Die Befreiung vom Faschismus hatte dem deutschen Volk günstige Möglichkeiten für die Schaffung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung in ganz Deutschland eröffnet. Allerdings wurde diese Chance in konsequenter Weise nur im östlichen Teil, in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR, genutzt.

Meine Damen und Herren, diese sozialistische Alltagsprosa verklärt und versucht, die brutale Unterdrückungs

politik zu verdecken, die zu antifaschistischen Glanzleistungen umfrisiert werden soll.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Dr.Ulrich Wil- ken (DIE LINKE):Thema verfehlt!)

Heute ist das nicht anders. Romantisierung und verklärende Ostalgie beherrschen das Weltbild der Kommunisten und Sozialisten der Linkspartei.