Protocol of the Session on September 23, 2008

Die Regierungen haben für die gesamte Bevölkerung da zu sein. Sie sind für das Wohl aller und nicht nur für den wachsenden Gewinn einiger weniger verantwortlich.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

So stellt sich aber die Politik für die Mehrheit der Menschen unseres Landes nicht dar. Die Politikverdrossenheit ist nur ein Ergebnis davon. Resignation, Perspektivlosigkeit, insbesondere bei den Jugendlichen, und steigende Aggression sind die weitaus alarmierenderen Anzeichen dieser Situation.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sprechen Sie die Situation in Berlin an?)

Als Antwort auf diese Probleme höre ich dann, man müsse über die Verschärfung des Jugendstrafrechts nachdenken. Hier im Hause sind sich fast alle darüber einig, dass wir geschlossene Einrichtungen für 10- bis 14-Jährige brauchen. Ich überlasse es jedem selbst, was das für Assoziationen in ihm weckt.

Ich fordere Sie auf, intensiv darüber nachzudenken, welchen Hintergrund die steigende Gewaltbereitschaft junger Menschen hat. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir den Gründen begegnen können.

Wir erleben die Ergebnisse der Politik gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen dieses Landes und wundern uns. Brauchen wir erst Ausschreitungen, wie es sie in Paris gab? Was tun wir dann? Schreien wir dann nach Polizei und Gefängnissen,anstatt eine Politik zu machen,mit der sich die Menschen unseres Landes wieder ernst genommen fühlen?

Glauben Sie denn ernsthaft, jemand könne den Spruch noch ertragen, er solle den Gürtel enger schnallen, wenn er arbeitslos ist und gleichzeitig in der Zeitung liest, dass die Manager Gehälter in zweistelliger Millionenhöhe abschöpfen? Im Jahr 2006 stieg das feste Grundgehalt der Vorstände im Vergleich zum Vorjahr um 8 %. Die variablen Gehaltsanteile nahmen sogar um 17 % zu.

(Michael Boddenberg (CDU): Frau Kollegin, haben Sie das schon gehört? Die Junge Union verlangt jetzt die Offenlegung der Einkommen des Herrn Lafontaine!)

Die realen Zahlen zeigen, dass der variable Anteil häufig höher als das Grundgehalt ist. Der variable Anteil ist abhängig von der Erhöhung des Gewinns, den das Unternehmen einfährt.Diese Steigerung des Gewinns geht aber leider auf Kürzungen bei denjenigen zurück, die die Gewinne erarbeiten. Hier haben die Betroffenen dann zynischerweise das Wahlrecht zwischen Lohnkürzung oder Arbeitslosigkeit. Wer es genauer wissen will, kann nach Hanau fahren und mit den Kollegen der Vacuumschmelze darüber reden. Sie erleben das nämlich gerade hautnah.

Dauerhaften Aufschwung schafft man nicht durch Senkung der Einkommen, Druck auf die Arbeitnehmer und Senkung der Unternehmensteuern.

Eines hat die jüngste Vergangenheit eindeutig gezeigt: Trotz höherer Gewinne in den Jahren 2000 bis 2006 – sie stiegen von 224 Milliarden c auf 337 Milliarden c, also um etwa 50 % – sind die Investitionen nicht merklich gestiegen.Das Gegenteil ist sogar der Fall.Logisch und sinnvoll wäre eine Politik, die darauf setzt, durch steigende

Einkommen wachsende Nachfrage zu erzeugen. Damit würden mehr Arbeitsplätze geschaffen. Aber das würde eine Wende in der Wirtschafts- und Tarifpolitik voraussetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Schott, danke sehr. – Herr Rentsch, Sie haben sich für die FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Ihnen stehen noch 13 Minuten 50 Sekunden Redezeit zur Verfügung.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen, aber ich werde die Redezeit nicht vollständig ausschöpfen. Wie Sie vermutlich bemerkt haben, fehlt es mir heute etwas an Stimme. Es kann jedem einmal passieren, dass ihm die Stimme fehlt.

(Heiterkeit des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt auf die Debatte zum Thema Arbeitsmarktpolitik zu sprechen kommen. Eigentlich müssten die Mitglieder der LINKEN heilfroh sein, dass es die Agenda 2010 gibt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist ihre Existenzberechtigung!)

Genau so ist es: Die Agenda 2010 ist die Existenzgrundlage der LINKEN.

Herr Kollege Schaus, ich möchte auf das zu sprechen kommen, was Sie gerade in Richtung der Mitglieder der SPD gesagt haben. Da hat nur noch das Wort „neoliberal“ gefehlt. Es hätte nur noch gefehlt, dass Sie die SPD als neoliberal bezeichnet hätten.

Für Sie ist das alles Hexenwerk. Für Sie ist der Aufschwung, der aufgrund der Agenda 2010 sicherlich mit entstanden ist, nicht in Ordnung. Insofern, so glaube ich, gibt es zwischen den Kollegen der Sozialdemokraten, der GRÜNEN und Ihnen einen derartigen programmatischen Widerspruch, dass mir völlig unklar ist, wie Sie mit ihnen zusammen koalieren wollen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Es geht aber alles, wenn man nur fest genug daran glaubt. Frau Ypsilanti glaubt fest daran, dass das alles gehen wird. Inhalte sind Ihnen anscheinend nicht so wichtig.

Ich gehe jetzt der Frage nach, warum sich Rot-Grün damals für diese Reformpolitik entschieden hat. Die Agenda 2010 ist nicht entstanden, weil Gerhard Schröder auf einmal der Meinung war, man müsse wirklich Grundlegendes hinsichtlich des Arbeitsmarktes ändern. Herr Kollege Rock hat für meine Fraktion ausführlich darauf hingewiesen, was die Vor- und Nachteile der einzelnen Reformschritte waren.

Der Hintergrund war vielmehr, dass Rot-Grün mit dem Rücken an der Wand stand. Sie standen mit dem Rücken an der Wand, weil die Politik von Rot-Grün 1999 mit dem Zurückdrehen einiger sozialer Reformen aus der Endzeit der Ära Kohl begonnen hat. Aus Sicht der FDP sage ich dazu selbstkritisch: Es war viel zu wenig, was SchwarzGelb damals durchgesetzt hat.

Frau Kollegin Schulz-Asche, diese Politik war erfolglos. Sie haben dann aus der Not eine Tugend gemacht. Sie haben dann gesagt: Wir müssen auf dem Arbeitsmarkt wesentliche Reformen vornehmen. – Wenn Gerhard Schröder etwas länger an der Regierung gewesen wäre, wäre er sicherlich noch ein Stück weit in den Genuss des Erfolgs gekommen.

Zur Wahrheit gehört deshalb dazu: Die gute Situation, die wir noch vor einem Jahr auf dem Arbeitsmarkt hatten, hängt sicherlich auch ein großes Stück weit damit zusammen, dass die Agenda 2010 auf den Weg gebracht wurde. Davon profitiert auch Bundeskanzlerin Angela Merkel heute noch.

Deshalb sage ich: Mich wundert es wirklich, dass die Sozialdemokraten, aber auch die GRÜNEN, die meiner Ansicht nach heute zu vielen Punktes Richtiges gesagt haben, nicht weiterhin darangehen wollen, Reformen auf diesem Gebiet vorzunehmen, damit Arbeit und Wohlstand für alle entsteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie machen das Gegenteil. Herr Kollege van Ooyen, die LINKEN reden sogar davon, die notwendigen Reformen, die mit der Agenda 2010 vorgenommen wurden, wieder komplett zurückzunehmen. Ich kann dazu nur sagen: Das ist abenteuerlich, wirklich abenteuerlich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Kollege van Ooyen, Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass ein wesentlicher Bestandteil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland – ich meine die soziale Marktwirtschaft – eine Reaktion auf die Wirtschaftspolitik der Nazis war, die damals als neoliberal bezeichnet wurde. Das kritisieren Sie immer so gern. Mit der entsprechenden Politik in der Bundesrepublik Deutschland wurde letztendlich der Wohlstand der Fünfziger- und Sechszigerjahre erwirtschaftet.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Sie sollten die Verfassung noch einmal lesen!)

Herr van Ooyen, ich glaube, wenn man sich mit der Arbeitsmarkt- und der Wirtschaftspolitik beschäftigt, sollte man relativ nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass die Rahmenbedingungen, die wir damals hatten, zum Wohlstand dieses Volkes geführt haben.

Sie sind heute hergegangen und haben gesagt:Wir müssen auf einem Gebiet der Wirtschaftspolitik wieder zurück, nämlich dazu, dass alles gleich gemacht wird. – Die Grundlage jeder Politik ist dann immer, zu fragen: Wie kann man den Menschen, die sich in staatlichen Beschäftigungsverhältnissen befinden, weiterhelfen? – Herr Kollege van Ooyen, dazu muss ich Sie wirklich fragen:Wollen Sie eine Wirtschaftspolitik, wie es sie in der DDR gab? – Das ist mit der FDP mit Sicherheit nicht zu machen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir wollen eine Wirtschaftspolitik, bei der der Staat klare Rahmenbedingungen setzt. Der Staat muss auf der einen Seite versuchen, Rahmenbedingungen zu setzen, die fair sind. Deshalb heißt das soziale Marktwirtschaft.

Dann soll er sich aus der Wirtschaft weitestgehend heraushalten. Herr Kollege van Ooyen, denn weder der Staat noch Sie wissen immer, was ein Unternehmen wirklich will.

Für uns ist es deshalb wichtig, dass Rahmenbedingungen gesetzt werden. Ansonsten soll sich der Staat aus diesem Bereich heraushalten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der ganzen Debatte ist nur eine zentrale Frage wirklich wichtig. Es gibt eine zentrale Frage, die beantwortet werden muss. Herr Kollege van Ooyen, dabei geht es um die Frage, welches Menschenbild wir in Politik und Gesellschaft letzten Endes vertreten.

Ich sage dazu für die FDP: Wir vertreten ein Menschenbild – da hat Frau Müller-Klepper völlig recht –, dem zufolge all das sozial ist, was zunächst einmal Arbeit in diesem Land schafft. Sozial ist, was Arbeit schafft. Sozial ist das, was den Menschen die Möglichkeit gibt, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben.

Herr Kollege van Ooyen, sie sollen nicht von staatlichen Transferleistungen leben müssen. Darin besteht der diametrale Unterschied zwischen uns. Letztendlich wollen Sie staatliche Beschäftigungsprogramme haben. Sie wollen die Menschen in staatlichen Beschäftigungsprogrammen ruhigstellen.Sie wollen Almosen verteilen.Herr Kollege van Ooyen, das ist das Gegenteil von dem, wie wir Wirtschaftspolitik verstehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wissen Sie, von den Sozialdemokraten hört man in den letzten Wochen und Monaten nur noch, wie sie sich die Frage stellen, wie man die Menschen fördern kann. Frau Kollegin Ypsilanti, Sie werden sich gut an die Grundlage von Hartz IV erinnern. Denn Sie waren eine der Protagonistinnen innerhalb der Sozialdemokraten, die gegen all das gewettert haben, was heute als erfolgreich gilt. Sie waren eine der Protagonistinnen, die Herrn Schröder nach dem Motto beschimpft haben, das sei alles nicht richtig und nicht in Ordnung.Anscheinend spielt das heute in der SPD keine Rolle mehr, die jetzt so geschlossen ist, wie Herr Kollege Dr. Spies vorhin gesagt hat.

Frau Ypsilanti, die Frage, wie man fördern und fordern kann, steht im Mittelpunkt der Hartz-IV-Reform. Ich muss deshalb sagen:Man sollte einmal daran denken,welche Situationen es gerade auch in Wiesbaden gab.Ein junger Mann – ich will seinen Namen nicht nennen – hat den ehemaligen Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten angepöbelt. Herr Beck wurde damals dafür kritisiert, dass er gesagt hat: Waschen Sie sich endlich einmal, gehen Sie zum Friseur, dann bekommen Sie vielleicht auch einen Arbeitsplatz. – Nachher haben die Medien gesagt: Er hatte recht.

Natürlich geht es auch darum, was man Einzelpersonen zumuten kann. Diese Frage ist bei der SPD mittlerweile vollständig in den Hintergrund getreten. Es geht nur noch darum: Wie können wir fördern? Wie können wir das Phantom Lafontaine und LINKE wieder in den Griff kriegen?

(Lachen der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Das ist der Grund, warum Sie mittlerweile keine mutige Politik mehr machen. Das, was wir zurzeit von den Sozialdemokraten erleben,ist das Hauptproblem.Das wird man jetzt den Kollegen der Union nicht ersparen können: Auch Sie regieren in Berlin mit.

(Zuruf von der LINKEN:Ach!)

Es drängt sich auf jeden Fall auf, da die Bundeskanzlerin von der Union gestellt wird. Zur Union gehört auch ein