Protocol of the Session on September 23, 2008

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Deshalb zurück in den Sozialismus!)

Insbesondere für die Kinder sind die weitverbreitete Armut sowie die Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und Perspektivlosigkeit ein massives Problem.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Nennen Sie doch einmal Ihre Lösung!)

Wir reden hier doch nicht über Lösungen.

(Michael Boddenberg (CDU): Das habe ich mir schon die ganze Zeit gedacht! – Weitere Zurufe von der CDU)

In der vergangenen Plenarwoche wurde schon ein gesamter Dienstagnachmittag damit verbracht, dass die CDU die Regierung beklatscht, und heute verbringen wir einen ganzen Dienstagnachmittag damit, Debatten zu führen, die uns keinen Schritt weiterbringen. Sie haben doch überhaupt keine Lösungen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ihre Lösung ist die Enteignung von Familienunternehmen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Die einzige Idee, die Sie haben, besteht darin, dieses Parlament lahmzulegen, anstatt zu arbeiten. Fragen Sie nicht nach Lösungen, wenn Sie selbst keine haben.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Zurück in den Sozialismus! – Weitere Zurufe von der CDU)

Im Übrigen erklären Sie uns hier, die Armut sei zurückgegangen. Tatsächlich ist die Armut nicht zurückgegangen, sondern die Definition dessen, was Armut bedeutet, ist enger gefasst worden.

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Zurück in die DDR!)

Wir reden darüber, dass die Armutsgrenze bei 60 % des medianen Einkommens liegt, und dann haben wir weniger Arme. Das ist doch ganz einfach. Wenn wir statt 1.000 c nur noch ungefähr 800 c medianes Einkommen haben, haben wir logischerweise auch weniger Arme.

(René Rock (FDP): 1.400 c!)

Wenn die Armutsgrenze demnächst bei 400 c liegt, haben wir noch weniger Arme. Das ist es, wovon Sie hier reden.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): In der DDR gab es 100 % Arme, Frau Kollegin! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ich nehme an, Sie haben Ihr Leben in der DDR verbracht und wissen es deshalb so genau.

(Unruhe)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Ich darf darum bitten, dass auf der rechten Seite des Hauses ein bisschen weniger lautstark argumentiert wird.

(Michael Boddenberg (CDU): Geht nicht!)

Sie scheinen ein intimer Kenner der DDR zu sein. Ich wüsste gern, woher Sie Ihre Weisheit haben. Ich für meinen Teil bin nicht aus der DDR.Ich komme aus Bad Hersfeld, und das liegt in Hessen. Falls Sie das noch nicht wissen, nehmen Sie sich eine Landkarte.

(Michael Boddenberg (CDU): Wir wissen, woher Sie kommen und wohin Sie wollen! Das reicht! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Warum sind Sie denn so aufgeregt? – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Fortgesetzte Zurufe von der CDU)

Aber wir können uns das noch einmal im Einzelnen anschauen. Wir können an der Stelle auch einmal auf diese viel gelobten Arbeitsplätze in Nordhessen eingehen. Ich möchte Ihnen das an einem gut nachvollziehbaren Beispiel deutlich machen.

(Norbert Schmitt (SPD),an die CDU gewandt:Ihre Bundeskanzlerin, war die nicht in der FDJ?)

Ich jedenfalls war da nicht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Nennen Sie jetzt einmal die Lösung des Problems!)

Es gibt die Abteilung eines relativ großen Betriebs, den Sie alle kennen dürften. In dieser Abteilung gibt es 250 Arbeitsplätze. Das ist das Briefzentrum Kassel. Von den 250 Menschen, die diese Arbeitsplätze innehaben, sind noch 50 vollzeitbeschäftigt. Die anderen 200 arbeiten in Teilzeit. Ein erheblicher Teil dieser Stellen wird ständig neu besetzt.

(Michael Boddenberg (CDU):Was haben Sie denn gegen Teilzeitbeschäftigung?)

Herr Boddenberg, lassen Sie mich doch auch einmal ausreden. Ihre Kinderstube lässt verdammt zu wünschen übrig.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Schreien Sie mich doch nicht so an!)

Von den verbleibenden 200 in diesem Betrieb arbeitet darüber hinaus ein erheblicher Teil in prekären Beschäftigungsverhältnissen; denn sie sind bei Leiharbeitsfirmen angestellt. Das heißt, sie werden alle drei Monate ausgewechselt – und das ohne besonderen Grund, nur damit man sie nicht gleich bezahlen und so wie alle anderen in diesem Betrieb beschäftigen muss.

Ich kann Ihnen sagen, warum ich etwas gegen diese Teilzeitarbeit habe. Sie erfolgt in Wochenarbeitszeiten von 15 bis 26 Stunden. Gearbeitet wird überwiegend nachts. Der Arbeitsort ist mit dem öffentlichen Personennahverkehr nicht zu erreichen.Ein Mensch verdient dort zwischen 700 und 900 c netto, je nach Familienstand, und davon muss er auch noch einen Pkw finanzieren. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass man von dem, was am Ende übrig bleibt, leben kann. Das sind Ihre hochgelobten nordhessischen Arbeitsplätze.

(Michael Boddenberg (CDU): Ich glaube ernsthaft, dass Sie von nichts eine Ahnung haben!)

Das ist sehr freundlich von Ihnen.

(Michael Boddenberg (CDU): Das bleibt auch so!)

Ich finde Ihre Art, mich hier zu beleidigen, absolut grenzwertig und darüber hinaus. Ich glaube, dass Sie auch keine Ahnung haben.

Im Übrigen gibt es in Nordhessen eine ganze Menge solcher Arbeitsplätze. Schauen Sie sich die Situation in Bad Hersfeld an. Dort gibt es ebenfalls Arbeitsplätze in der Logistik, und die sind nicht anders.Aber das wollen Sie ja nicht wahrhaben. Sie wollen sich hier beklatschen. Das ist Ihre Hauptaufgabe. Das ist reine Geldverschwendung und dient nur Ihrem Einkommen.

Wir haben in diesem Haus erst kürzlich erfahren, dass die Anzahl der Menschen, die an Bildungsurlauben teilnehmen, ständig zurückgeht. Was glauben Sie denn, woran das liegt? Die Verdichtung der Arbeit und der steigende Druck der Kollegen, wenn man nur eine Woche weg ist, sind gar nicht mehr zu bewältigen. Lebenslanges Lernen

ist eine wichtige Aufgabe. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig.Aber wenn wir in prekären Verhältnissen leben, haben wir kein Geld,um an der Bildung teilzuhaben.Deswegen werden solche Angebote nicht wahrgenommen.

Die Kinderarmut ist wohl das traurigste Kapitel in dieser ganzen Working-Poor und Arbeitslosigkeitsgeschichte. Ärzte schreiben wachrüttelnde Artikel über die Auswirkungen der zunehmenden Verarmung auf die Gesundheit der Kinder. Es gibt in diesem Land wieder Kinder, die hungern.Ich habe es nicht für möglich gehalten,dass in einem Land, in dem Wohlstand herrscht und keine Naturkatastrophen das alltägliche Leben beeinflussen, Hunger zum Lebensalltag einer bestimmten Bevölkerungsschicht gehört. Aber die 4,29 c, die einem erwachsenen Arbeitslosengeld-II-Empfänger, und die 2,60 c, die einem Kind pro Tag für die Ernährung zur Verfügung stehen, reichen eben nicht aus, um jemanden dauerhaft gesund zu ernähren.

Mit anderen lebenswichtigen Dingen sieht es nicht besser aus. Hinweise auf warme Wollpullover sind in diesem Zusammenhang eine mehr als unangemessene Verhöhnung der bewusst arm gemachten Menschen.

(Zurufe von der CDU)

Ja, das kann schon sein. – Die Bildungschancen hängen in diesem Land schon seit Längerem vom Geldbeutel der Eltern ab. Nur wer es sich leisten kann, die notwendigen Lernmittel zu kaufen, kann dem Unterricht in vollem Umfang folgen. Taschenrechner, PC und Internetzugang gehören heute zu den selbstverständlichen Hilfsmitteln an modernen Schulen. Das ist auch gut so; denn Ausbildung und Schule sollen zeitgemäß sein.

Nicht gut ist, dass diese Dinge von den Eltern angeschafft werden müssen und im Etat eines erheblichen Teils unserer Bürgerinnen und Bürger eben nicht mehr unterzubringen sind. Auf diese Weise zementieren wir die Armut über die Generationen hinweg.

Wenn wir uns die Einkommensentwicklung im unteren Segment anschauen, stellen wir fest, dass der Lohnanstieg im Niedriglohnsektor vom Preisanstieg völlig aufgefressen wird.

(Michael Boddenberg (CDU): Jetzt ein paar Lösungen, Frau Kollegin!)

Wenn wir die Verbraucherpreise im Hinblick auf die Einkommen der Arbeitslosengeld-II-Bezieher betrachten, erkennen wir, dass das Ergebnis noch viel grauenvoller ausfällt. Da das gesamte Einkommen für die Existenzsicherung ausgegeben werden muss,ergibt sich seit der Einführung des Arbeitslosengelds II ein realer Einkommensverlust von 175 c im Monat. Das entspricht fast 50 %.

Die Unternehmensgewinne schießen durch die Decke. Den Managern werden Rekordgehälter gezahlt.Wir können nicht nachvollziehen, warum wir hier dann darüber reden, dass es nicht möglich sein soll, den Menschen vernünftige Gehälter zu zahlen.

Die Arbeitslosigkeit sinkt, weil die Menschen unter dem herrschenden Druck bereit sind,Arbeit unter den ungünstigsten Bedingungen anzunehmen. Andere verdienen daran, dass die Menschen unter diesen Bedingungen arbeiten.Wir sind damit so weit weg von einem Sozialstaat, wie es sich kaum jemand in diesem Land je vorstellen konnte.

Wir hören immer wieder, dass das noch nicht reichen würde und dass kein Grund zur Klage bestehe. Das sind Schläge in die Gesichter der Betroffenen.

Die Regierungen haben für die gesamte Bevölkerung da zu sein. Sie sind für das Wohl aller und nicht nur für den wachsenden Gewinn einiger weniger verantwortlich.