Protocol of the Session on June 4, 2008

Neu ist die Forderung, die Landesregierung solle die Initiative des Bundesarbeitsministers unterstützen. Etwas konkreter hätte es im Antragstext schon sein können, denn angesichts von Forderungen nach Lufthoheit über den Kinderbetten und des verunglückten Konzepts der kooperativen Jobcenter ist ein Freibrief für Herrn Scholz nicht zu vertreten.

(Beifall bei der CDU)

Ich gehe davon aus, Sie meinen das Mindestarbeitsbedingungsgesetz für den Fall besonders geringer Tarifbindung. Staat und Politik müssen den Vorrang tarifvertraglicher Regelungen respektieren. Hierauf werden wir den Entwurf prüfen.

Und Sie meinen das Entsendegesetz.Wir unterstützen, es an seinem ursprünglichen Kern auszurichten, den Schutz vor übermäßigem grenzüberschreitenden Lohnwettbewerb. Eine Einbeziehung weiterer Branchen ist akzeptabel, sofern bestehende Tarifverträge geschützt werden.

Die interessierten Branchen hatten bis Ende März die Möglichkeit, ihre Aufnahme zu beantragen. Das geringe Echo bestätigt unsere Position, dass die bewährte Tarifautonomie Vorrang haben muss.

Ihre negative Bewertung der Zeitarbeit teilen wir nicht. Zeitarbeit hilft, Jobs zu schaffen. 22 % der neuen Stellen sind Leiharbeitsverhältnisse. Die Zeitarbeit ist eine Brücke in den Arbeitsmarkt. 60 % der Zeitarbeitskräfte waren zuvor arbeitslos. Sie ist ein Sprungbrett für Berufsanfänger.Auch Ungelernte haben eine Chance.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ein Drittel der Zeitarbeiter hat keine abgeschlossene Berufsausbildung und dennoch einen Arbeitsplatz. Zeitarbeit vermittelt auch dauerhafte Beschäftigung. Der Klebeeffekt funktioniert. Mehr als jeder Zehnte, der in einem Betrieb fest angestellt ist, war dort zuvor als Zeitarbeiter beschäftigt. Weitere 30 % der Zeitarbeiter finden im Anschluss an eine Entleihtätigkeit einen festen Job in einem anderen Betrieb.

Das Vorurteil, Zeitarbeit verdränge reguläre Arbeitsplätze, widerlegt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Leiharbeitsjobs sind in der Regel nur kurze Phasen im Erwerbsleben – durchschnittlich zwei bis drei Monate. In der Studie heißt es: Langfristige Einsätze – nur sie sind geeignet, reguläres Personal zu ersetzen – gibt es selten.Wer wie Sie die Zeitarbeitsbranche in ihrer Flexibilität einschränken will, der nimmt vielen Menschen Chancen im Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, wir sind in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Wechselspiel von Arbeitgebern und Gewerkschaften bei der Wahrnehmung sozialer und wirtschaftlicher Verantwortung gut gefahren. Das soll so bleiben.Wir wollen nicht mehr Staat, sondern einen Rahmen

setzen, der den Menschen die Teilhabe am Arbeits- und Wirtschaftsleben ermöglicht und innerhalb dessen sie sich eigenverantwortlich entfalten können. Nur so können Arbeit und Wohlstand für alle entstehen. – Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Klepper. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Schäfer-Gümbel zu Wort gemeldet.

(Michael Boddenberg (CDU): Der wird jetzt mit neuesten Zahlen kommen!)

Die Fachkraft der Union erklärt sich. – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine lieben Besucherinnen und Besucher, Sie haben eben einen sehr untauglichen Versuch zur Beschreibung der realen Welt erlebt, die Sie wahrscheinlich besser kennen als viele andere, und sind einer wunderbaren Welt von ordnungspolitischen Fantasien begegnet.

(Zurufe von der CDU)

Frau Müller-Klepper, deswegen will ich vier Bemerkungen machen.

Erstens. Wir haben wiederholt und immer wieder gesagt, dass tarifliche Lösungen Vorrang haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass durch Ihre politischen Aktivitäten, unter anderem durch das Zertrümmern der Tariflandschaft, die Kampf- und Arbeitskraft der Gewerkschaften geschwächt ist

(Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

und sie an vielen Stellen überhaupt nicht mehr in der Lage sind, tarifliche Lösungen herbeizuführen – weil es den zweiten starken Partner gar nicht mehr gibt, den Sie auch gar nicht wollen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Zweite Bemerkung. Frau Müller-Klepper, Ihre Bemerkung zum Thema Leiharbeit ist natürlich insofern völlig daneben, weil wir ausdrücklich immer wieder gesagt haben, dass wir das Instrument der Leiharbeit für sinnvoll und notwendig halten.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist doch ein Widerspruch zu dem, was Frau Ypsilanti vertritt!)

Herr Boddenberg,es wäre für Sie wirklich sehr hilfreich, wenn Sie wenigstens einmal in Ihrem Leben einfach nur zuhören würden.Das könnte dann vielleicht auch Ihre Ergebnisse verbessern.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Bei der Leiharbeit gibt es zwei völlig verschiedene Entwicklungen. Bei den Fachleiharbeitern gibt es inzwischen eine Situation, in der die Leiharbeit zusammengebrochen ist, weil wir einen solch großen Fachkräftemangel haben, dass das kein interessantes Instrument mehr ist.

Beim Niedriglohn wird die Stammbelegschaft durch den Einsatz von Leiharbeit systematisch reduziert, um das Gesamtlohnniveau in den Betrieben zu senken. Das ist der Punkt, über den wir reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Dritte Bemerkung.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel,die dritte Bemerkung bitte sehr kurz, denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Norbert Schmitt (SPD): Frau Müller-Klepper durfte länger reden! – Gegenruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Frau Präsidentin, meine dritte Bemerkung ganz kurz. – Ihre Form der Staatslohntheorie mit dem Aufstocken ist völliger Unfug. Der Mindestlohn zerstört nicht Arbeit, sondern er schafft Arbeit. Ein Blick über die Grenzen Deutschlands würde Ihnen bei der Einsicht sehr helfen, die richtige Politik zu machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Das Wort hat Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Müller-Klepper, bisher habe ich Sie eigentlich für eine engagierte Sozialpolitikerin gehalten.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist sie ja auch!)

Ich bin ziemlich entsetzt, dass Sie hier den Niedriglöhnen das Wort reden, obwohl Sie aus Ihrem Ausschuss genau wissen, wer davon betroffen ist,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

was das für die Frauen, die Kinder und die Familien heißt. Sie kommen jetzt mit einem solch lächerlichen Argument wie Steuersenkung, die für diese Leute 52 Cent ausmacht.

(Gernot Grumbach (SPD): Das ist wirklich lächerlich!)

Das rettet keinen vor Armut in unserem Lande. Das finde ich für eine Sozialpolitikerin relativ armselig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Wenn ich mich richtig erinnere, sitzen auf der rechten Seite dieses Saales diejenigen, die fordern, der Staat solle sich aus der Wirtschaft heraushalten. Ich verstehe nicht, dass es genau die gleichen Politiker befürworten, dass der Staat über Transferleistungen ganz gewaltig in die Wirtschaft eingreift: Transferleistungen zu Löhnen sind Sub

ventionierungen, und das widerspricht völlig dem, was Sie sonst immer propagieren – der Staat solle sich heraushalten. Das müssten Sie mir noch einmal erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dieter Posch (FDP))

Würde die Wirtschaft im Moment ihrer Verantwortung nachkommen, dann könnten wir uns heraushalten. Inzwischen aber haben wir uns in eine Schieflage entwickelt. Die Lohnentwicklung klafft auseinander. Die Einkommensschere öffnet sich immer weiter. Da kann sich Politik nicht mehr heraushalten. Dann haben wir die Verantwortung wahrzunehmen.

Das Statistische Bundesamt hat dazu Zahlen vorgelegt. Danach ist in den Jahren von 2000 bis 2005 der Anteil der durch abhängige Arbeit erwirtschafteten Einkommen von 72 % auf 64 % gesunken und der Anteil der Gewinne dagegen von 28 % auf 36 % gestiegen. Das sagt schon viel darüber aus, womit in diesem Land Geld verdient wird. Die Löhne bleiben hinter dem Produktionswachstum zurück, und das seit Jahren. Das kann einfach nicht sein.

Bei den Niedriglöhnen geht es um Gerechtigkeit, aber auch – Frau Müller-Klepper, das möchte ich Ihnen nochmals ans Herz legen – um Menschenwürde.