Protocol of the Session on March 30, 2006

Vielen Dank. – Das Wort hat der Herr Innenminister, Herr Staatsminister Bouffier.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Zunächst möchte ich den Kollegen Frömmrich ausdrücklich beglückwünschen. Ich teile seine Auffassungen weitestgehend. Dass Sie meine in diesem Haus so oft zitierte Bemerkung: „Vertiefte Sachkenntnis verhindert die fröhliche Debatte“ an diesem Morgen zweimal verwendet haben, macht mich richtig glücklich.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Ich will das jetzt auch abräumen. Herr Kollege Rentsch ist sicherlich ein richtiger Liberaler. Das will ich hier auch festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Drittens. Die Mitglieder der SPD müssen arg durcheinander sein.

Das Wahlrecht auf den Prüfstand zu stellen,ist immer vernünftig. Wählen ist das vornehmste Recht der Bürgerinnen und Bürger. Aber es ist ungeeignet, teilweise recht komplizierte und grundlegende Fragen in einer Aktuellen Stunde zu diskutieren. Ich habe deshalb den Verdacht, dass es weniger um die grundlegende Frage ging, wie das Wahlrecht konzipiert sein soll. Vielmehr haben Sie unter der Führung von irgendjemandem – ich weiß jetzt nicht, wer es ist – einen Versuchsballon steigen lassen. Sie wollten die Tragfähigkeit des Mottos prüfen: Nicht unsere Politik, sondern das Wahlrecht ist schuld.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist doch Quatsch! Es gab 5 % ungültige Stimmen! Darüber muss man doch nachdenken!)

Das hessische Wahlrecht ist extrem bürgerfreundlich. Herr Kollege Schmitt, ich bin der Minister, der für das Wahlrecht verantwortlich ist. Ich werde mir jetzt erlauben, einige schlichtweg falsche und teilweise sogar absurde Behauptungen, die teilweise auch in den Medien verbreitet wurden, zurechtzurücken. Ich halte es für notwendig, das zu tun.

Ich halte Folgendes fest:Die Wahlbeteiligung ist unbefriedigend.Wer wollte das bestreiten?

(Norbert Schmitt (SPD): Da sind wir einer Meinung!)

Dafür gibt es viele Gründe. Das ist aber weder ein hessisches Spezifikum noch eines der Kommunalwahlen. Ich halte die geringe Wahlbeteiligung auch nicht für dramatisch. Ich halte sie für besorgniserregend, aber nicht für dramatisch.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehen Sie, da unterscheiden wir uns schon!)

Das hat nichts mit diesem Wahlsystem zu tun. Ich will das jetzt noch einmal deutlich festhalten, damit es auch mitgeschrieben werden kann: Die Höhe der Wahlbeteiligung, die auch ich für unbefriedigend halte,hat nichts,aber auch gar nichts mit dem Wahlsystem zu tun. Das will ich eindeutig festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Jeder Blick auf die Fakten belegt das.

Gelegentlich habe ich den Eindruck, manche meinten, dieses Wahlsystem sei zum ersten Mal angewandt worden.

Interessant ist, dass diese Debatte vor fünf Jahren nicht geführt wurde. Damals waren die Verhältnisse fast ähnlich. Ich habe nicht nur den Verdacht, sondern die Gewissheit, dass Sie versucht haben, Ihr schlechtes Wahlergebnis mit einer Diskussion über das Wahlrecht zu verdecken.

(Nicola Beer (FDP): Das ist wohl wahr!)

Lassen Sie uns das einmal anschauen. Seit etlichen Jahren gibt es in der Bundesrepublik Deutschland den Trend zu geringerer Wahlbeteiligung. Wir sollten die Bürger wirklich ernst nehmen und sie nicht nach einer Wahl nach dem Motto beschimpfen: Uns gefällt die Wahlbeteiligung nicht.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das Wahlergebnis gefällt der SPD nicht!)

Wie gehen wir eigentlich damit um, dass die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Bundestag kontinuierlich sinkt? Warum haben wir diese Debatte nicht geführt, nachdem es in Hessen bei der Europawahl eine Beteiligung von 37,8 % gegeben hat? Warum haben wir das nicht getan? Diese Wahl ist doch auch wichtig.

Warum haben sich denn bei den Landtagswahlen, die zum gleichen Zeitpunkt stattgefunden haben, vergleichsweise wenige Bürger beteiligt? In Baden-Württemberg betrug die Wahlbeteiligung 53,4 %.In Rheinland-Pfalz lag sie bei 58,2 %. In Sachsen-Anhalt betrug sie 44,4 %. Das hat nun gar nichts mit dem Wahlsystem zu tun. Da braucht man einfach nur ein Kreuz oder zwei Kreuze zu machen.

Es ist,intellektuell gesehen,Unsinn,die Ursache im Wahlsystem zu suchen. Das ist auch nichts Neues.

(Jürgen Walter (SPD): Das mit Sachsen habe auch ich genannt!)

Meine Damen und Herren, wir sollten dabei auch nicht nur die Landtagswahlen betrachten. Ich nutze die Gelegenheit, die Mitglieder des Hauses ein wenig zu unterrichten, damit die Debatte nicht so völlig falsch geführt wird.

Wir sollten uns einmal die Kommunalwahlen in ganz Deutschland anschauen. In den letzten zehn Jahren hat es in Deutschland eine einzige Kommunalwahl gegeben, bei der die Wahlbeteiligung über 60 % lag. Das war die Kommunalwahl in Bayern. Viele der anderen Kommunalwahlen hatten eine Wahlbeteiligung von etwas über 50 %, bei einer ganzen Reihe der Kommunalwahlen lag die Wahlbeteiligung sogar zwischen 40 und 50 %. In MecklenburgVorpommern lag die Wahlbeteiligung bei 44,9 %.In Sachsen betrug sie 46,0 %. In Sachsen-Anhalt lag sie bei 42,1 % und in Thüringen bei 50,2 %. Ich könnte das jetzt so weiter vortragen.

Wir haben also auf allen Wahlebenen eine aus meiner Sicht unbefriedigende Wahlbeteiligung. Dass das überhaupt nichts mit dem Wahlsystem zu tun hat, zeigt sich, wenn man sich die Direktwahlen anschaut. Die Direktwahl ist eine der einfachsten Wahlen. Da muss man nur ein Kreuz machen und sich zwischen zwei Bewerbern entscheiden.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manchmal muss man sich auch zwischen mehreren Bewerbern entscheiden!)

Wenn Sie sich da die Wahlbeteiligung anschauen, können Sie feststellen, dass das ein Beleg dafür ist, dass Ihre These, in den Kreisen oder in den großen Städten gäbe es irgendwelche Besonderheiten, vollkommen falsch ist. Im Landkreis Bergstraße kam es bei der Landratswahl zu einer Beteiligung von 33,5 %. Im Landkreis Groß Gerau haben sich 32 % der Wahlberechtigten beteiligt. Ich frage mich, warum der Diskurs damals nicht geführt wurde. Ich habe den Eindruck, die Diskussion wird immer von denjenigen gesucht, die die Wahl verloren haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Roland von Hunnius und Florian Rentsch (FDP) – Norbert Schmitt (SPD): Die Debatte haben wir doch geführt! Das ist doch gar nicht wahr! Das, was Sie sagen, ist unwahr! Wir haben die Debatte über die niedrige Beteiligung bei der Direktwahl geführt!)

Bitte tun Sie langsam.Ich bin damit noch nicht am Ende. Herr Schmitt,hören Sie bitte zu.Ich lege Wert darauf,dass ich etwas richtig deutlich gemacht habe. Ich will den Bürgern sagen, dass die Behauptung, die geringe Wahlbeteiligung habe etwas mit dem Wahlsystem zu tun, effektiv und beweisbar falsch ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Jürgen Wal- ter (SPD): Beweisbar ist gar nichts!)

Natürlich kann man das beweisen.

(Jürgen Walter (SPD): Das können Sie doch nicht beweisen! Sie können den Leuten doch nicht in den Kopf schauen!)

Herr Walter, wenn Sie das intellektuell nicht nachvollziehen können, ist das Ihr Problem. – Bei der Direktwahl des Landrats im Landkreis Offenbach betrug die Wahlbeteiligung 31,9 %. Ich will das fortführen. Im RheingauTaunus-Kreis betrug die Wahlbeteiligung 31 %. Im LahnDill-Kreis lag die Wahlbeteiligung bei 29,4 %. Bei diesen Direktwahlen braucht man nur ein Kreuz zu machen. Dass viele Menschen nicht zu diesen Wahlen gehen, hat etwas damit zu tun, dass sie sagen: Das will ich nicht tun, das halte ich nicht für so wichtig. – Wir müssen bei dieser Frage ehrlich miteinander umgehen.

Im Landkreis Limburg-Weilburg betrug die Wahlbeteiligung bei der Wahl des Landrats 39,1 %. Im Vogelsbergkreis lag die Wahlbeteiligung bei 38,0 %. In WaldeckFrankenberg betrug sie 33,0 %.

Das betrifft aber nicht nur die Kreise. Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch einmal die Wahlbeteiligungen bei den Oberbürgermeisterwahlen ansehen. In Wiesbaden betrug die Wahlbeteiligung 33,7 %.

Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch einmal die Zahlen für Offenbach-Stadt ansehen. Im Zusammenhang mit Offenbach-Stadt möchte ich auf etwas ganz Interessantes zu sprechen kommen. Sie werden daran erkennen, dass das nichts Neues ist. 1993 sind in Offenbach bei der Wahl des Oberbürgermeisters 37,1 % zur Wahl gegangen. Interessant ist, dass bei der Wahl des Oberbürgermeisters im Jahre 2005, also vor kurzem, gerade einmal 38,9 % der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen sind.

Das zeigt: All die aufgestellten Behauptungen sind nachweisbar falsch. Es gibt andere Gründe. Schauen Sie sich das für Frankfurt am Main an. Dort lag die Wahlbeteiligung bei 40,4 %.

Ich könnte das weiter fortführen. In der Wissenschaftsstadt Darmstadt lag die Wahlbeteiligung bei 43,5 %. Ich

will Sie nicht weiter mit Zahlen belästigen. Ich könnte das hier noch detailliert vortragen. Es zeigt sich aber, dass die geringe Wahlbeteiligung mit dem Wahlsystem absolut nichts zu tun hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Herr Staatsminister, denken Sie bitte an die Redezeit.

Herr Präsident, hier wurden sehr viele falsche Behauptungen aufgestellt. Deswegen nimmt sich der für das Wahlrecht zuständige Minister jetzt die Freiheit,noch drei Bemerkungen zu machen.

Ich halte fest, dass das hessische Wahlsystem das bürgerfreundlichste ist.Wir haben es gemeinsam erarbeitet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich habe hier einen Stimmzettel aus Baden-Württemberg.

(Der Redner hält einen Zettel hoch.)

Das ist der amtliche Stimmzettel aus Stuttgart. Er umfasst 17 hintereinander liegende Zettel. Dort gibt es nicht die Möglichkeit, mit einem Kreuz eine Partei zu wählen. Dort kann man ausschließlich einzelne Bewerber wählen, und zwar 60 Mal.

(Axel Wintermeyer (CDU): Um Gottes willen!)