Protocol of the Session on March 30, 2006

(Axel Wintermeyer (CDU): Um Gottes willen!)

Ich habe das nur gesagt, damit wir wissen, worüber wir hier eigentlich diskutieren.

Die Behauptung, in den Landkreisen und Großstädten hätten die Leute vom Kumulieren und Panaschieren keinen Gebrauch gemacht, ist falsch. Darauf hat Herr Kollege Frömmrich schon hingewiesen. Bei der Wahl in den Kreisen und kreisfreien Städte haben sich 42 % am Kumulieren und Panaschieren beteiligt. Auf der Ebene der Gemeinden haben sich knapp 54 % am Kumulieren und Panaschieren beteiligt. Das heißt: Über die Hälfte der Menschen macht von dieser Form des Wahlrechts Gebrauch.

Ich möchte jetzt auf die ungültigen Stimmen zu sprechen kommen, mich aber gleichzeitig an die Mahnung des Präsidenten halten.

Nach der letzten Kommunalwahl haben wir gemeinsam mit dem Wahlamt der Stadt Frankfurt eine Untersuchung durchgeführt. Dabei ging es um die Frage, wie es zu den ungültigen Stimmen gekommen ist. Damals wurde festgestellt, dass in Frankfurt am Main 20 % der ungültigen Stimmen irgendetwas mit dem Wahlrecht zu tun hatten. Der Großteil der ungültigen Stimmen ging aber darauf zurück, dass die Menschen das politische Angebot nicht überzeugt hat.Das haben sie dann dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie einen ungültigen Zettel abgegeben haben. Das können wir im Einzelnen diskutieren.

(Norbert Schmitt (SPD): Wir haben jetzt 5 % ungültige Stimmen!)

Zum Schluss meiner Rede möchte ich Folgendes sagen: Die Menschen haben dieses Wahlrecht sehr gut angenommen.Das betrifft zumindest diejenigen,die wählen gegangen sind.

Die geringe Wahlbeteiligung ist in ganz Deutschland ein Thema. Das hat viele Gründe. Offenkundig hat es aber überhaupt nichts mit dem Wahlsystem zu tun. Ich bin gerne bereit, in geeigneter Weise, aber nicht in einer Aktuellen Stunde, über die einzelnen Aspekte zu diskutieren.

Wir sollten aber ehrlich miteinander umgehen: Unbefriedigende Wahlergebnisse werden nicht dadurch befriedigender, dass man das Wahlrecht ändert. Vielmehr muss dann die Politik geändert werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Staatsminister, vielen Dank. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zu Tagesordnungspunkt 73 vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 39 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Verschuldungsgrenze – Drucks. 16/5367 –

Vereinbart ist eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion. – Das Wort hat Herr Kollege von Hunnius.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit jedem Euro Schulden versündigen wir uns an den Kindern und Kindeskindern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wer dieser Feststellung zustimmt – –

(Unruhe)

Herr Präsident, soll ich noch ein bisschen warten?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie um Aufmerksamkeit bitten. Wer wichtige Gespräche zu führen hat, möge diese bitte draußen führen.

Wer dieser Feststellung zustimmt, muss sich eigentlich darüber wundern,was Herr Kollege Milde als Erwiderung auf die Pressekonferenz zu Papier gebracht hat. Herr Kollege Milde, nicht alles, was ein Stück Baum in Form eines Papiers füllt, ist auch sinnvoll. Ich bin etwas enttäuscht darüber, dass Sie das Problem nicht erkannt haben. Es geht nicht darum, dass das Land Hessen in einem bestimmten Jahr die nach der Verfassung zulässige Grenze der Verschuldung nicht gerissen hat.Das erkennen wir an. Darüber freuen wir uns. Herr Kollege Milde, es geht hier um das grundsätzliche Thema der Verschuldung in Deutschland und Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Die Debatte, die Sie hier angezettelt haben, greift zu kurz. Sie sind in das alte Schema verfallen, zu behaupten: „Ich bin nicht schuld, ich habe eine weiße Weste. Andere machen die Schulden.“

Sie haben uns empfohlen, die Kollegen aus RheinlandPfalz anzusprechen. Das machen wir gern. Aber das löst das Problem nicht. Alle Länder haben ein Problem mit den Schulden.

(Beifall bei der FDP)

Ich will das einmal verdeutlichen. Wir haben im Landesschuldenausschuss zusammengesessen. Sie kennen den Bericht des Landesrechnungshofs. Die Schulden steigen und steigen. Sie steigen einmal ein bisschen schneller, einmal ein bisschen langsamer. Aber sie steigen und steigen. Das kann so nicht weitergehen. Unser Ziel muss es deshalb sein,die Verschuldung auf null zu senken und mit der Nettotilgung zu beginnen.

(Beifall bei der FDP – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Da sind wir einig!)

Herr Kollege Milde, das muss schon deshalb unser Ziel sein, weil unsere Verschuldung gar keinen Effekt mehr hat. Wir machen die Schulden weitgehend dafür, um die Zinsen zu bezahlen, die von alten Schulden rühren. Ein Nettoeffekt ist überhaupt nicht mehr vorhanden. Wenn das so ist und wenn wir sehen, dass wir eine Nullverschuldung brauchen, dann muss der Weg zur Nullverschuldung dargelegt werden. Das bedeutet: Wir brauchen verlässliche Grenzen, innerhalb derer sich der Staat maximal verschulden kann.Diese Grenzen sind zurzeit eben nicht verlässlich.Ich muss dem Herrn Kollegen Schmitt auch leider sagen, dass er da völlig daneben gegriffen hat. Die Definition ist sowohl im Grundgesetz als auch in der Hessischen Verfassung völlig unklar.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Schmitt, wenn Sie es mir nicht glauben wollen, dann glauben Sie es vielleicht dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Er hat in einem Interview 2005 bereits gesagt, dass die Grundgesetzregel aus drei Gründen versage: aufgrund des zu weit gefassten Investitionsbegriffs, der Krediterlaubnis bei der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und der fehlenden Verpflichtung, Schulden wieder abzutragen. Das sind die drei entscheidenden Gründe, weshalb diese Grenzen überhaupt nicht greifen.

Sie sind davon abgesehen auch nicht sanktionsbewehrt. Wenn jemand gegen sie verstößt, dann hat er immer jemanden, der daran die Schuld trägt. Er schüttelt sich kurz und macht gerade so weiter wie bisher, hofft auf steigende Steuereinnahmen und feiert sie dann als Erfolg der eigenen Politik. Ich habe das ganz neutral ausgedrückt, und zwar unabhängig von irgendwelchen Länderministern. Das ist die Situation. Ich will Ihnen am Beispiel des Begriffs der Investitionen sagen, wo das Problem liegt. Wir haben im Grundgesetz und auch in der Hessischen Verfassung – hier unter der Bezeichnung „werbende Ausgaben“ – eine Bindung an die Investitionen. Hessen hat auch außergewöhnliche Bedarfe.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Eben, da gibt es doch einen Zusammenhang, Herr von Hunnius!)

Die Investitionen sind nicht auf Nettoinvestitionen reduziert. Die Abschreibungen werden nicht berücksichtigt. Es werden vorher keine Desinvestitionen abgesetzt. Natürlich kann ich,wenn ich etwas verkaufe – also etwas desinvestiere –, mir die Investition nicht zugute halten, wenn ich sie mit Krediten finanziere. Es kann sinngemäß lediglich gemeint sein, dass Nettoinvestitionen mit Krediten finanziert werden, sonst macht das Ganze keinen Sinn. Es

ist keine Beschränkung auf Sachinvestitionen gegeben. Die Finanzinvestitionen sind also auch enthalten.Wir haben es hier mit einem ganz diffusen Begriff zu tun, der für eine vernünftige Begrenzung der Verschuldung nicht tauglich ist.

Von daher brauchen wir eine andere Definition,auch eine Definition, die sachlich haltbar ist. Denn wenn Sie sich überlegen, dass wir die Nettoinvestitionen nach Feststellungen der Bundesbank im gesamten Jahr 2004 um 0,2 % zurückgefahren haben, dann wird deutlich, dass praktisch 0,2 % desinvestiert wurde. Wir hatten im gleichen Jahr trotzdem einen Verschuldungsrekord. Wir waren zwar noch halbwegs unter der Verschuldungsgrenze – jedoch auch nicht mehr so richtig –, und alles unter dem Motto: Wir investieren. Aber investiert wurde netto letztlich überhaupt nichts mehr. Im Gegenteil: Es wurde desinvestiert. Herr Kollege Schmitt, hier merkt man, wie unsinnig diese Begrenzung ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Was reden Sie denn mit mir! Reden Sie mit der Landesregierung!)

Herr Kollege Schmitt, ich beziehe mich auf Ihre Presseinformation. Ich lese Ihre Presseinformationen immer sehr sorgfältig,deshalb erlaube ich es mir auch,darauf Bezug zu nehmen.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das würde ich einfach lassen!)

Herr Kollege Hahn, das ist vielleicht die bessere Möglichkeit. Ich werde mir den Rat des Fraktionsvorsitzenden angelegen sein lassen. – Wenn wir überlegen, was wir tun können, dann hat die FDP-Fraktion – Herr Kollege Wintermeyer weiß das – überlegt,weitere Restriktionen in die Verfassung einzubauen, also Abschreibungen abzusetzen usw. Dieser Weg hat auch deshalb nicht zum Ziel geführt, weil es keine Verfassungsänderung gegeben hat, und es wird wohl vorläufig auch keine geben.

Natürlich brauchen wir außerdem eine Grenze, die bundeseinheitlich gegeben ist. Da bietet es sich einfach an, die Maastricht-Grenzen auch für die Länder verbindlich zu machen. Wir haben hier Grenzen, die in Deutschland, aufgrund des gültigen Vertrages zur Bildung der Europäischen Gemeinschaft, bereits ohnehin geltendes Recht sind. Das ist bereits für den Gesamtstaat geltendes Recht. Es gibt aber unterhalb des Bundes keine vernünftige Regelung, die getroffen worden wäre. Es gibt im Rahmen der Föderalismuskommission die Empfehlung 35:65. Vorher hat es dazu andere Überlegungen gegeben, wie man dies regeln könnte. Es muss in jedem Falle geregelt werden, denn für den Fall eines Falles – so unwahrscheinlich ist das leider Gottes nicht – wird Hessen möglicherweise mit einem Teil des Bußgeldes in Höhe von rund 10 Milliarden c ebenfalls herangezogen.

Ob Hessen Schuld hat, also zur Situation beigetragen hat oder nicht, das muss im Einzelfall nachvollziehbar sein. Das ist es aber nur, wenn die Maastricht-Grenze auch für Hessen verbindlich definiert ist. Das ist bereits in Kraft. Die Begrenzungen sind konkret nachvollziehbar, und sie sind an die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gebunden. Das ist ganz entscheidend. Ich binde mich nicht an einen fiktiven Investitionsbegriff, der in jeder Hinsicht manipulierbar ist, sondern an die Leistungsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft.

Es ist ganz wichtig: Die Grenzen von Maastricht gelten ex post. Es sind keine Ex-ante-Grenzen. Bei ex ante ist es ja

immer so, dass ein geschickter Minister jeden Haushalt so aufstellen kann, dass er verfassungskonform ist.

(Norbert Schmitt (SPD):Vor allem 2002!)

Das haben wir bei Rot-Grün gesehen. Die meisten Haushalte waren zunächst verfassungskonform, aber im Haushalts-Ist erfolgte anschließend die Überschreitung. Diese Ausrede haben wir mit Maastricht in Hessen nicht mehr. Sie gelten ex post.

Ein weiterer Vorteil ist: Die Schwankung ist ausgesprochen gering und damit kalkulierbar. Denn wenn Sie einmal überlegen, dass das Bruttoinlandsprodukt zwischen einer Rate von, sagen wir einmal, minus 1 und plus 3 – das wäre schon sehr viel – schwankt, dann können Sie sehen, dass dies eine kalkulierbare Zahl ist, auch wenn Sie von einer 3-prozentigen Neuverschuldung abzüglich des Bundesanteils ausgehen.

Der Finanzminister kann mit einer Schuldengrenze rechnen, gegen die er arbeiten kann. Er ist nicht auf überraschende Investitionen angewiesen: auf einmal mehr oder weniger Investitionen für den Straßenbau, eine Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einer Landesbank. Das spielt alles keine Rolle mehr, sondern wir haben einen relativ kontinuierlichen Verlauf.

Es ist wichtig, dass das Ganze sanktionsbewehrt ist. Wir haben uns an dieser Stelle als FDP-Fraktion darüber beklagt, dass diese Sanktionen von Herrn Eichel aufgeweicht worden sind. Das ist leider so. Daran können wir nichts mehr ändern.

Es ist aber ein erheblicher Vorteil, dass es überhaupt Sanktionen gibt, denn alles andere ist nicht sanktionsbewehrt, sondern nur eine Angelegenheit der treuen Augen und des Glaubens bzw. Nichtglaubens. Es ist ganz entscheidend, dass wir zwei Grenzen haben: zum einen die Grenze der Neuverschuldung in Höhe von 3 % des Bruttoinlandproduktes, zum anderen aber auch die Grenze des Schuldenstandes in Höhe von 60 % des Bruttoinlandproduktes. Das sind alles Punkte, die ganz entscheidend dafür sprechen, die Maastricht-Grenze auch für Hessen einzuführen.

Es macht natürlich keinen Sinn, dies nur für Hessen zu tun. Es macht nur Sinn, dies bundesweit für alle Bundesländer zu tun. Es gibt natürlich die Problematik, die gelöst werden muss, dass in dem hessischen Anteil auch die Kommunen enthalten sind. Wir müssen also überlegen, wie man die Kommunen hierbei berücksichtigen kann. Nach bisherigem Stand gibt es da viele Möglichkeiten, so z. B. nach Kopfzahlen.