Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Irmer, ich weiß schon, warum Sie mir den Vortritt lassen wollten, aber da müssen Sie zukünftig bessere Nerven entwickeln.
Die einzige Erkenntnis aus Ihrer Rede war, dass Ihr Zeitungsarchiv genauso verstaubt ist wie Ihre schulpolitischen Vorstellungen.
Bei Ihnen gilt: Mehr Schein als Sein. Das konnte die Kanzlerin nicht wissen, als sie sich bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU in Limburg lobend über die Unterrichtsgarantie der Landesregierung äußerte.
Herr Boddenberg, vorhin hat Herr Hahn so schön gesagt: Wir reden über Kommunalwahlen, nicht über Landtagswahlen,und wir beziehen Ergebnisse von Kommunalwahlen auch nicht auf Landtagsdebatten.
Aber in Limburg trafen die Kanzlerin die Unmutsbekundungen der Zuhörer recht unerwartet. Von Berlin aus konnte Frau Merkel ja auch nur die virtuellen Leuchttürme wahrnehmen. Die Hessen dagegen wissen längst, dass sich die Unterrichtsgarantie beim Näherkommen als Fata Morgana entpuppt, und waren deshalb zu Recht ungehalten.
Meine Damen und Herren, diese Anekdote aus dem Kommunalwahlkampf ist deshalb so pikant, weil sie deutlich macht,welche Diskrepanz zwischen Ihren Lobeshymnen hier im Landtag und der Realität in den hessischen Schulen besteht.
Seit nunmehr sieben Jahren versuchen Sie, mit Sparakrobatik und Medienkampagnen der Unterrichtsgarantie jenes Leben einzuhauchen, das ihr von Anfang an versagt war. Der Wahlkampfschlager von 1999 erwies sich schnell als Totgeburt und hätte eigentlich spätestens nach dem Streichen von 945 Lehrerstellen beerdigt werden müssen. Aber Sie haben mit Sondermaßnahmen und Flickschuste
Mit der Ankündigung der „Unterrichtsgarantie plus“ hat das Kultusministerium dann endlich bestätigt, dass in Hessen Unterricht ausfällt, und zwar 7 % der Stunden.
Bereits in der Landtagsdebatte im vergangenen Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass die „Unterrichtsgarantie plus“ das Eingeständnis einer gescheiterten Personalpolitik dieser Kultusministerin und gleichzeitig ein Danaergeschenk an die Schulen ist. Das Trojanische Pferd trabt nämlich im Mäntelchen der Selbstverantwortung daher; im Inneren verbirgt sich der schwarze Peter für die Schulen, die ab sofort die Verantwortung dafür tragen, dass dieses Land nicht mehr genügend Lehrerstellen zur Verfügung stellt.
Statt Ganztagsschulen qualitativ auszubauen, in denen ausfallender Unterricht besser kompensiert werden könnte, zwingen Sie die Schulen mit hohem Aufwand, Ehemalige und Eltern – ob mit oder ohne pädagogische Qualifikation –, Lehramtsstudenten oder pensionierte Lehrkräfte anzuwerben.
Von einem Qualitätskonzept kann man dabei ebenso wenig reden wie von einer „Unterrichtsgarantie plus“.
Die Vorsitzende des Landeselternbeirates, Sibylle Goldacker, nennt den Begriff gar eine Katastrophe und prophezeit allenfalls eine Betreuungsgarantie.
Offensichtlich ist Ihnen auch die feinsinnige Ironie des Bildungsbeauftragten der VhU, Jörg Feuchthofen, entgangen, der das neueste Projekt des Hessischen Kultusministeriums als „Beschulungsgarantie“ bezeichnete.
Hätte Frau Merkel dies alles gewusst, dann hätte sie das Thema Bildungspolitik bei einer Veranstaltung der Hessen-Union sicherlich ausgespart. Denn nicht nur die Unterrichtsgarantie steht in Hessen für leere Versprechungen und falsche Schulpolitik. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln bescheinigte Hessen vor wenigen Tagen, dass wir nach Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein den geringsten Qualitätszuwachs in unserem Bildungssystem zu verzeichnen haben.
Sachsen und Thüringen haben hier nicht nur die höchsten Qualitätszuwächse, sondern zugleich Plätze in der Spitzengruppe der Bundesländer erobert. Es wiederholt sich das Ergebnis von PISA 2003: Hessen bleibt Mittelmaß und schafft keine signifikanten Verbesserungen in den nationalen Vergleichsstudien.
Aber auch hier kommt man sich vor wie bei Orwells „1984“: Aus Mittelmaß und Stillstand wird hier am Rednerpult des Landtags die „Qualitätsdebatte“, und die Kultusministerin kreiert noch die „Qualitätsgarantie“.
Wen wundert es da eigentlich noch, dass 58 % der Hessen Roland Koch bescheinigen, dass er keine gute Bildungspolitik macht? Wenn man die Äußerungen des Minister
präsidenten zur Bildungspolitik liest, muss man sich eher wundern, dass der Prozentsatz nicht noch wesentlich höher ist.Aber ich denke, daran wird er kräftig weiterarbeiten. Ein Zitat: Unter der Überschrift „Koch spricht vor halb leerem Saal“ – das finde ich recht gelungen – berichtet die „Frankfurter Rundschau“ vom 16.03. über eine Veranstaltung in Mörfelden.
Koch spricht zum Thema Gesamtschulen: „Wir verbieten sie nicht, aber wir sagen, dass das Niveau niedriger als in den Hauptschulen ist.“
Meine Damen und Herren, das ist falsch. Ich kann das hier jetzt nicht länger darstellen, aber ich will Ihnen eine andere Äußerung zu der Debatte, die wir führen werden, dagegenhalten, mit Genehmigung des Präsidenten.
Wenn die höhere Chancenungleichheit als Preis für eine höhere durchschnittliche Schülerqualität angesehen werden könnte, ließe sich das deutsche System vielleicht noch rechtfertigen. Da dieses System jedoch die Ungleichheit vergrößert, ohne den Durchschnitt zu verbessern,
gehört es in den Abfalleimer der Geschichte. Deutschland muss die Diskussion um die Gesamtschule noch einmal führen.
Herr Präsident,meine Damen und Herren! Nur keine solche Aufregung bereits am frühen Morgen – wir tagen heute noch länger. Deswegen die Nerven nicht gleich zu früh strapazieren.
Herr Kollege Irmer, aber eines muss ich Ihnen doch sagen. Sie haben ja völlig Recht, es ist alles besser, als es zu
Zeiten von Rot-Grün war. Von 1999 bis 2003 hatte die FDP daran ein gehöriges Maß an Anteil. Trotzdem muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ein bisschen Selbstkritik und ein gelegentlicher Blick auf die Realität können nicht schaden – auch wenn vom Grundsatz her vielleicht alles besser ist.
Sie müssen doch merken, dass es Unzufriedenheit gibt. Das müssen Sie nicht erst seit Limburg merken, sondern Sie müssen das anhand der Briefe merken, die von Eltern kommen, von Elternbeiräten und auch anhand der besorgten Äußerungen von Schulleitern.Das sollte uns doch zu denken geben. Das müssen wir doch ernst nehmen.