Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend endlich fördern statt nur fordern – Sicherstellung der Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose in Hessen – Drucks. 16/4643 –
Antrag der Abg. Fuhrmann, Eckhardt, Habermann, Dr. Pauly-Bender, Schäfer-Gümbel, Dr. Spies (SPD) und Fraktion betreffend Fördermöglichkeiten für Arbeitslose und Langzeitarbeitslose nutzen – Drucks. 16/4877 –
Als Erster hat Herr Abg. Bocklet für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Fünf Minuten Redezeit, Herr Kollege.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben schon vor einigen Wochen einen Antrag eingebracht, der sich mit der doch sehr bizarren Situation auseinander setzt, dass wir auf Bundesebene eine der umfangreichsten Sozialreformen in dieser Bundesrepublik erlebt haben und dass, noch bevor die Reform überhaupt greifen konnte, man ihr hinterrücks die Beine wegzieht. Ich spreche von der Umsetzung von Harz IV, der Arbeitsmarktreform. Dort wurde festgestellt, dass der Anstieg der Kosten über dem Erwarteten lag. Die schwarz-rote Regierung in Berlin kommt zu dem Schluss, dass das dazu führen muss, dass man in dem Gesetz weitere Leistungskürzungen vornimmt.
Wir GRÜNE stellen fest: Es war doch gerade unter RotGrün politisch gewollt, dass erwerbsfähige Sozialhilfeempfängerinnen in der Arbeitslosenstatistik wieder vorkommen, weg vom Sozialamt, hin zur Arbeitsverwaltung. Der Deutsche Städtetag hatte frühzeitig darauf hingewiesen, dass die von der Bundesregierung geschätzten Zahlen zu niedrig sind. Es ist deshalb falsch, angesichts der gestiegenen Kosten über die Missbrauchsdebatte massive Leistungskürzungen in dem Gesetz vorzunehmen.Wir GRÜNE haben das auch verurteilt.
Wir fordern deshalb in unserem Antrag, dass die Landesregierung sich nicht nur dadurch hervortut, dass sie auf Bundesebene weitere Leistungskürzungen vorschlägt, sondern interveniert und sagt: Lasst uns diesem Gesetz erst einmal zum Erfolg verhelfen, lasst die Reform greifen, lasst uns doch erst einmal den Versuch unternehmen, die Arbeitslosen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, bevor man weitere Kürzungen vornimmt. – Da würden wir uns von der Hessischen Landesregierung wünschen, dass sie in diese Richtung interveniert und sagt: Lasst die Millionen Euro, die zur Verfügung stehen, kürzt sie nicht weiter, gerade bei den Eingliederungshilfen.
Wir GRÜNE sind durch sehr viele Jobcenter in Hessen getourt. Wir haben uns mit den Geschäftsführern unterhalten und haben gefragt, was die Sorgen und Nöte vor
Ort sind. Unabhängig von der Organisationsform vor Ort kann man sehen, dass es nach wie vor umfangreiche Mängel bei der Umsetzung gibt. Es fehlen Fallmanager, es fehlen Ansprechpartner, Eingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose werden noch nicht angeboten, Angebote der Qualifizierung und Fortbildung und vor allem Maßnahmen für Menschen mit Behinderung werden nicht in ausreichendem Maß durchgeführt.
Hier fordert unser Antrag schlicht und ergreifend ein Ende der Dampfplauderei, welche Organisationsform besser ist, ob Optieren oder Arbeitsgemeinschaft, wie das die Hessische Sozialministerin tat. Wir fordern, wie es in § 10 des Ausführungsgesetzes festgelegt ist, dass die Hessische Sozialministerin ihrer Aufsichtspflicht nachkommt und endlich Druck ausübt, dass all das, was in diesem Land fehlt, tatsächlich durchgeführt wird.
In einer Anfrage des Kollegen Schäfer-Gümbel wurde gefragt, was die Landesregierung getan hat.Wir stellen fest, sie hat zu einigen Treffen eingeladen, es wurde auch ein bisschen parliert, aber passiert ist daraufhin nichts. Was wir brauchen, ist im Gesetz eindeutig formuliert: Frau Ministerin, üben Sie doch einmal Druck auf den Landkreis Bergstraße, auf den Odenwaldkreis, auf die Arbeitsgemeinschaften in verschiedenen Landkreisen aus,
und fragen Sie: Wo sind ausreichend Fallmanager? Wo sind Eingliederungshilfen, die tatsächlich verpflichtend werden? Wo sind die Angebote an Behinderte? Wo werden Fortbildung und Qualifizierung so angeboten, dass absehbar ist,dass die für die Langzeitarbeitslosen zur Verfügung stehenden Mittel, um in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden,endlich ausgeschöpft werden? Wo ist Ihre Arbeit? Wo touren Sie vor Ort, wo machen Sie Druck? Das machen Sie nicht, und das ist ein Versäumnis Ihrer Regierung.
Dieses Hartz-Gesetz bietet die Chance für Langzeitarbeitslose – wir haben in Hessen 300.000 Arbeitslose und nur 30.000 offene Stellen –, über die Fluktuation des ersten Arbeitsmarktes wieder eine Arbeit aufnehmen zu können. Wir wollten eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik.Was wir feststellen, sind grobe Mängel in der regionalisierten Arbeitsmarktpolitik vor Ort.
Die hessische Ministerin hat die Aufsicht. Aber alles, was sie tut, ist, Treffen einzuberufen und zu plaudern, wie der Laden so läuft. – Wichtig ist, dass man die Aufsicht wahrnimmt und auch Druck ausübt. Wir brauchen in Hessen wieder eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen sie im Sinne der arbeitslosen Menschen.
Kein Geplauder, sondern Druck ausüben. Dahin zielt unser Antrag. Wir fordern Sie in der Hessischen Landesregierung auf:Werden Sie endlich aktiv im Interesse der Arbeitslosen. Hören Sie auf mit dem Plaudern. – Danke.
Vielen Dank, Herr Bocklet. – Frau Fuhrmann, Sie haben Redemöglichkeit zum Antrag der SPD-Fraktion. Fünf Minuten Redezeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bilanz der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, kurz Hartz IV, reicht erkennbar von heftigster Kritik aus den Reihen der Gewerkschaften und Sozialverbände, leiseren kritischen Tönen vom BDI bis hin zu positiven Hinweisen auf Vermittlungserfolge in den Kommunen, egal welcher Organisationsform sie angehören.
Immer wieder flammen wie der pawlowsche Reflex drei Themen auf, die durch die Diskussion geistern. Der erste Punkt ist das Thema Missbrauch. Immer wieder wird Missbrauch vermutet. Ein abstruses Beispiel war in der „Welt“ vom 30. Januar zu lesen, wo es hieß, es könne nicht angehen, dass ein Millionärssohn als Langzeitarbeitsloser Gelder nach Hartz IV bekommt. – Meine Damen und Herren,das bekommt er auch nicht.Das sollte auch Herrn Landsberg vom Städte- und Gemeindebund bekannt sein. Wir sollten uns nicht damit aufhalten, jeden auch noch so theoretisch möglichen Missbrauch zu debattieren, sondern wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir die Menschen fördern und in Arbeit bringen.
Das zweite Thema, das immer durch die Debatten geistert, ist der Ruf nach Nachbesserungen – die Landesregierung tut sich hier auch hervor – bzw. nach neuen Instrumenten, weil sich bestimmte Instrumente bisher nicht als erfolgreich erwiesen haben. Als Beispiel diskutieren wir im Verlauf dieser Plenarwoche vermutlich noch das Thema Kombilöhne.
Natürlich ist man nach Anlaufen einer Reform schlauer als zuvor. Aber ich halte die Bundesregierung schon für handlungsfähig, um taugliche von untauglichen Maßnahmen zu unterscheiden. Daran werden wir uns auch beteiligen.
Das dritte Thema in dieser Debatte war:Warum bleibt der Erfolg aus? Wir können und sollten uns nichts vormachen. Hartz IV funktioniert nicht, weil wir fest daran glauben oder uns gebetsmühlenartig gegenseitig versichern, dass die Optionskommunen oder Arbeitsgemeinschaften besser aufgestellt sind.Tatsache ist, jeder Mensch, der aus der Arbeitslosigkeit dauerhaft herausgeholt werden kann, ist ein Erfolg. Darüber gibt es überhaupt keine Diskussion, von keiner Seite des Hauses. Aber um dem Fördern und Fordern wirklich zum Erfolg zu verhelfen, muss mehr Arbeit her.
Da hat Franz Müntefering vollkommen Recht:Arbeit,Arbeit und Arbeit, gepaart mit der Bereitschaft von Arbeitssuchenden, Hilfen und Angebote anzunehmen.
Dann kommen wir zum Punkt. Eingliederungshilfen sind die wichtigste Waffe gegen Arbeitslosigkeit. 1,4 Millionen Menschen haben nach Angaben des Städtetags im vergangenen Jahr eine Eingliederungsmaßnahme begonnen. Das reicht von Sprachkursen über berufliche Fortbildung und Praktika bis zur Organisation der Kinderbetreuung, zu Zuschüssen zu Existenzgründungen oder zu – das sollten Ausnahmefälle sein – Ein-Euro-Jobs. Die Statistik sagt, dass etwa 1 Million Menschen im Jahre 2005 in ein Arbeitsverhältnis vermittelt worden sind, davon ungefähr 530.000 in einen Ausbildungsplatz. Ich sage, das ist keine ganz schlechte Bilanz. Hartz IV aufgrund dieser Bilanz ein grundsätzlich schlechtes Zeugnis auszustellen, obwohl viele Menschen durch die Reform eine Chance bekommen haben, halte ich für falsch.
Nach wie vor ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt aber ernst, und ich bin, leise gesagt, ziemlich sauer, wenn ich lese, dass die Mittel, die für die Förderung und Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen gebraucht wurden, nicht ausgeschöpft wurden, obwohl die Menschen Perspektiven brauchen. Ich bin auch sehr enttäuscht darüber, dass das Ziel, mit der Reform jedem arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahren ein Angebot zur Beschäftigung oder zur Qualifizierung zu vermitteln, verfehlt worden ist.
Hier müssen endlich alle Instrumente genutzt werden. Es ist unerträglich, wenn Mittel vorhanden sind und junge Menschen Chancen brauchen, die Verwaltungen aber offensichtlich nicht in die Pötte kommen. Das muss aufhören.
Nach meinen Erfahrungen ist ein Grund für diese schleppende Umsetzung allerdings auch, dass einige bisherige Sozialhilfeträger schlicht über keine Erfahrung mit der Wiedereingliederung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen verfügt haben.
Das Beispiel Bergstraße spricht Bände. Dann hört man Argumente wie, man wolle zunächst einen Plan für den Aufbau, oder die Förderprogramme seien erst im März 2005 angelaufen, sodass sich der Abruf der Mittel verzögert habe. Dies kann ich, wiederum sehr vorsichtig formuliert, nur teilweise nachvollziehen, eher gar nicht. Es erstaunt mich schon sehr, wenn ich lese, dass ein Mitarbeiter des Ministeriums von Frau Lautenschläger sagt,es sei besser, wenn die Gelder liegen blieben
ich komme ganz schnell zum Schluss, Herr Präsident –, als von irgendwelchen Trägern für sinnlose Maßnahmen ausgegeben zu werden. Hier muss ich schon fragen, wer das beurteilt.
Nach einem Jahr sollten die Förderungskonzepte überall auf dem Tisch liegen. Es sollten alle Fördermöglichkeiten genutzt werden. Die Vermittlung muss verbessert werden, und es dürfen keine ideologischen Grabenkämpfe geführt werden.
Die Landesregierung ist aufgefordert, ihr Möglichstes zu tun, damit die Optionskommunen und die Arbeitsgemeinschaften die Förderung von Menschen in den Vordergrund stellen und man sich nicht innerhalb der Behörden miteinander aufhält.
Einen Satz noch, Herr Präsident. – Ich erwarte auch, dass die Landesregierung ihrer Pflicht als Aufsichtsbehörde nachkommt, die Einhaltung der Gesetze zu überprüfen.
(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Dass wir das noch erleben dürfen! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie haben aber keine Zeit mehr für solche Unverschämtheiten!)