Nein. – Deshalb bleibe ich dabei: Wenn wir es richtig anstreben, genügt es nicht, bloß zu unterschreiben, dass man die freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptiert, sondern man muss auch verstehen, was sie bedeutet. Man darf sie nicht nur hinnehmen, sondern man muss sie aktiv leben, wenn das eine erfolgreiche Gesellschaft werden soll.
Zweitens. Ich hielte es für richtig – an der Stelle müssen die Gesetze verändert werden –, wenn sich derjenige, der hier Staatsbürger werden will, zuvor mit diesem Land beschäftigte.
Er sollte von diesem Land etwas wissen. Außer Deutschland gibt es auf der Erde kein einziges größeres Land, das, wenn es um die Staatsbürgerschaft geht,darauf verzichtet, die Bewerberin oder den Bewerber zu fragen: Hast du eine ungefähre Vorstellung von unserer Geschichte? Hast du eine ungefähre Vorstellung von diesem Land? Wie heißt unsere Hauptstadt? Wann ist das Land gegründet worden? Kannst du uns sagen,wie die Nationalflagge aussieht? Das sind alles relativ banale Geschichten. Aber sie sind in Tests erprobt worden.
Wenn wir das nicht machen, müssen wir uns fragen, ob wir klug handeln. Aus meiner Sicht handeln wir nicht klug. Deswegen habe ich zigmal öffentlich gesagt – ich wiederhole es vor dem Hessischen Landtag –: Ich halte es für richtig, wenn wir unter dem Stichwort „Wissen und Werte“ das – wie ich es einmal nenne – Staatsbürgerschaftserwerbsrecht weiterentwickeln, wie das in den Vereinigten Staaten von Amerika, in der Schweiz und in Australien geschieht. Dort werden Wissensgrundlagen und bestimmte Grundverständnisse erwartet. Das halte ich nicht für banal, sondern im Ergebnis für unverzichtbar.
Deshalb haben wir von vornherein versucht – manches große Thema leidet darunter, dass man sich mit Nebensächlichkeiten aufhält –, sämtliche Seitendiskussionen zu vermeiden. Deshalb wird das für alle gelten. Wir werden niemanden in irgendeiner Form herausgreifen. Von jedem, der Staatsbürger werden will, werden wir erwarten dürfen, dass er sich mit diesen Themen beschäftigt. Das halte ich für richtig.
Das ist auch kein Misstrauen irgendwelchen Behörden gegenüber. Ganz im Gegenteil, es handelt sich im Kern um die Frage: Nehmen wir zur Kenntnis, was z. B. der Senatsvorsitzende im Kaplan-Prozess uns allen öffentlich ins Stammbuch geschrieben hat? Er hat seinerzeit gesagt: Dem Senat ist es völlig unbegreiflich, wie in Deutschland jemand Staatsbürger werden kann, der sich nicht einmal in Ansätzen zu der Grundordnung bekennt.
Das war im Jahr 2000.Dann haben wir das in Ansätzen geändert. Ich wünsche mir – deswegen habe ich auch immer die Auffassung vertreten, dass dies am besten bundeseinheitlich geschieht –, dass der große Prozess der Integration, den wir leisten müssen, von uns so klug wie irgend möglich, aber auch mit einem klaren Bekenntnis geführt wird.
Verstehen Sie das bitte richtig:Wenn jemand für sich und seine Kinder entschieden hat, hier zu leben, ist er herzlich willkommen.Wenn er – auch und gerade als Staatsbürger – auf Dauer hier leben will, müssen wir von ihm erwarten, dass er akzeptiert, dass wir eine gemeinsame Grundlage haben, die sich nicht beliebig auf der Grundlage von Parallelgesellschaften, sondern im Miteinander entwickelt.
Wenn jemand sagt – dafür hatten wir im Innenausschuss eine Reihe von Beispielen; fragen Sie die Kollegen danach –: „Ich kann die Regeln, die hier gelten, nicht akzep
tieren“,ist das kein schlechter Mensch.Dann besitzt er genauso viel Würde wie jeder andere.Aber dann müssen wir ihm ohne Schaum vor dem Mund und mit aller Klarheit sagen: Pass auf, dann musst du dorthin gehen, wo die Regeln gelten, die du für richtig hältst.
Hier geht es nicht um Schnellschüsse. Dieses Thema begleitet uns seit vielen Jahren und wird uns noch viele Jahre begleiten. Die Regierung, die ich hier vertrete, ist stolz darauf, dass sie bereits seit 1999 eine Vielzahl von Integrationsansätzen umgesetzt hat. Ich darf Ihnen anhand von zwei Beispielen darlegen, wie sehr sich die Verhältnisse verändert haben.
Ich bin gleich fertig.– Als ich entschieden habe,dass wir in Hessen die Regelanfrage beim Verfassungsschutz einführen, haben SPD und GRÜNE vorgetragen – ich könnte Ihnen das vorlesen –, das sei eine unzulässige Diskriminierung und Kriminalisierung. Die Landesregierung wurde aufgefordert, das auf jeden Fall zu unterlassen. Heute ist das Standard und Gesetz. Darauf kann man die Hoffnung gründen, dass wir weitergekommen sind.
Es war die Regierung von Roland Koch,damals von CDU und FDP getragen, die als Erste in Deutschland festgestellt hat, es sei ein Unding, Kinder, die ihren Lehrer nicht verstehen, in die Schule gehen zu lassen. Einen Großteil der Probleme haben wir deshalb, weil diese Kinder keine vernünftige Schulausbildung, keinen Schulabschluss, keine Lehrstelle und keinen Arbeitsplatz bekommen haben. Damals haben wir uns jahrzehntelang über muttersprachlichen Unterricht gestritten.
Heute sagen wir, jemand muss mindestens so viel Deutsch können, dass er die Lehrer versteht. Die Sprachkurse sind zu 98 % ausgebucht. Andere Länder folgen dem. Wenn wir das vor Jahren gemacht hätten, hätten Sie gesagt, auch das sei eine Diskriminierung. Heute freue ich mich, dass wir uns darin einig sind.
Das gehört in einen größeren Zusammenhang. Wir machen es uns nicht leicht. Es ist schon gar nicht banal.Aber es ist klug, wenn wir eine friedliche und erfolgreiche Zukunft bauen, und das geht nur, wenn wir auf einem gemeinsamen Fundament stehen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Bouffier. – Herr Walter, Sie haben die Gelegenheit, noch einmal das Wort zu ergreifen. Sie haben sechs Minuten Redezeit.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, ich bin sehr sicher, dass Sie genau verstan
den haben, was ich gesagt habe und wie ich es gemeint habe. Trotz dieses Wissens haben Sie so reagiert, dass ich es noch einmal versuchen muss.
Sie versuchen ein bisschen,von der SPD das Bild zu zeichnen, als ob es hieße: Na ja, Kopftuchzwang, ist alles gar nicht so schlimm. – Darüber reden wir nicht. Das wäre nicht banal; da haben Sie völlig Recht. In gewissen Bereichen, z. B. bei Zwangsheiraten oder Kleidervorschriften für erwachsene Frauen, liegt die SPD relativ nahe bei dem, was Sie sagen. Diesen Problemen kann man nicht mit Toleranz, sondern nur mit Härte begegnen.
Darüber diskutieren wir hier aber überhaupt nicht. Bislang haben wir über die Frage diskutiert:Wie erkennt der Staat die Zustimmung zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Wir reden über eine Ausführungsvorschrift, die lautet: Verwaltungsvorschrift über das Verfahren bei Anspruchsund Ermessenseinbürgerungen vom 25. Juni 2001. – Diese Verwaltungsvorschrift hat eine so unglaublich große Bedeutung gehabt, dass sie heute das erste Mal in diesem Parlament behandelt wird. Als sie erlassen wurde, haben wir nicht darüber geredet.Wir reden jetzt darüber, ob ein Fragebogen möglicherweise hilfreicher ist als das Befragen durch Beamte.
Das bezeichne ich als banal. So etwas können Sie regeln. Wir sind uns im Ziel der freiheitlich-demokratischen Grundordnung völlig einig. Das wird von keinem im Hause bestritten. Wir reden darüber, ob die Vorschrift in diesem Punkt so verändert wird, dass sie Ihren Beamten einen Leitfaden an die Hand gibt oder dass sie wie bisher ein Gespräch führen. Das ist der Punkt, über den wir im Kern diskutieren. Deshalb sage ich, dass dieser Kern relativ banal ist.
Ein weiterer Punkt der Rede, den Sie allerdings nicht angesprochen haben, den ich auch für relativ banal halte, ist die Frage nach den schriftlichen und mündlichen Deutschkenntnissen.
Wenn Ihnen das höchste Gericht in Hessen attestiert, dass das noch nicht ausreicht und es auch noch schriftlich geprüft werden muss, dann würde ich normalerweise sagen, dass die Verwaltungsvorschrift verändert werden müsste. Dazu hätten Sie etwas sagen können.
Was Sie in Ihrer Rede ansonsten angesprochen haben, ist in der Tat nicht banal. Jedenfalls ich höre zum ersten Mal, dass Sie die Gesetzeslage ändern wollen. Das war bislang noch nicht in der Debatte gewesen. Ich habe noch nicht einmal von Ihren baden-württembergischen Freunden gehört – nachdem wir sehr, sehr lange gebraucht haben, mit dem Zuwanderungsgesetz einen Kompromiss in einer gesellschaftlich schwierigen Frage zu schließen;wenn ich das richtig sehe, ist der Kompromiss von allen vier Fraktionen, die im Hause vertreten sind, auf Bundesebene geschlossen worden –, dass sie jetzt sagen, dass sie daran etwas ändern wollen. Das ist neu. Es würde mich schon interessieren, wenn Sie den Kompromiss irgendwie aufknüpfen wollen. Das war bislang überhaupt noch nicht in der Debatte. Das ist jedenfalls für mich das erste Mal, das ich das höre, dass wir diesen Kompromiss wieder aufknüpfen wollen.
Bisher war mein Eindruck: Wir reden über Verwaltungsvorschriften, über Ausführungsvorschriften. Wenn Sie aber tatsächlich die Rechtslage ändern wollen,die ich hier dargelegt habe, dann hätte die Sache eine andere Qualität. Dann wäre das etwas Neues. Das ist allerdings nicht Anlass der Debatte, die wir hier heute geführt haben.
Sagen Sie mir, was Sie für stillos halten. Sagen Sie es. Bitte sehr, sagen Sie es.Was halten Sie für stillos?
(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie wissen es doch genau! Der Vorwurf mit der Gewalt in der Ehe! Das ist eine Stillosigkeit! – Zurufe von der CDU)
Diese Dialoge halte ich nicht für besonders zielführend, was die Debatte angeht. – Herr Al-Wazir, Sie haben das Wort.