Dabei muss man sich von zwei Dingen verabschieden.Die einen müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass sich dieses Problem von selbst erledigt, etwa weil sie alle heimgehen, die anderen von dem Motto, das lange Zeit von den GRÜNEN so verfochten wurde – heute nicht mehr; das will ich durchaus anerkennen –: Das wird schon irgendwie von selbst gehen.
Nein. Ich möchte den Gedanken gerne zu Ende führen. – Diese Debatte gehört in den großen Zusammenhang der gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands und damit auch der Integration. Ich unterstreiche es, und es ist auch mehrfach gesagt worden: Integration bedeutet ein faires Angebot derer, die schon hier sind, und ein intensives und entschiedenes Bemühen derer, die hierher gekommen sind, um diese Integration erfolgreich werden zu lassen.
Nun findet Integration nicht im Himmel statt. Die Debatten der letzten Jahre bis hin zum Kompromiss des Aufenthaltsgesetzes sind nur deshalb erklärbar, weil so leidenschaftlich darum gerungen wurde, was wir von den Menschen erwarten.
Im Innenausschuss hat der Kollege Rudolph gesagt: Sie haben wieder ein Thema,das ausschließlich Ausländer betrifft. – Das ist wahr, aber es ist begrifflich und intellektuell nicht anders möglich, weil es genau um die Menschen geht.
Jetzt müssen wir uns die Frage stellen – Sie haben die Zahl genannt, wir haben in den letzten Jahren ca. 800.000 Menschen eingebürgert –: Wie wollen wir definieren, was wir von diesen Menschen erwarten, bevor wir sie zu Staatsbürgern machen? Das ist eine Teilsequenz der großen Integrationsaufgabe.
Sie haben sich ein bisschen mit Gesetzen beschäftigt. Ich will nur zwei Punkte ansprechen, damit Sie sehen, dass es nicht nur normal ist.
(Michael Siebel (SPD): Das müssten Sie auch machen! – Jürgen Walter (SPD): Ich habe Ihnen die Rechtslage beschrieben, ohne Ihnen eine Honorarrechnung zu schicken, obwohl es notwendig wäre! – Lachen bei der CDU)
Ich will das Thema sehr ernst verhandeln.Aber wer darüber nachdenkt,ob er der richtige Kandidat ist,dieses Land als Ministerpräsident zu führen, von dem erwarte ich mehr als das, was Sie hier geboten haben. Da erwarte ich, dass Sie in der Sache etwas bringen.
Wir haben folgende Situation gesetzlicher Art. Wenn Sie in Deutschland im Jahre 2006 eine Niederlassungserlaubnis erlangen wollen, was unstreitig weniger ist als die Staatsbürgerschaft, dann müssen Sie einen Integrationskurs machen. Wenn Sie die Staatsbürgerschaft erwerben wollen, müssen Sie ihn nicht machen. Das halte ich nicht für vernünftig.
Deswegen habe ich immer gesagt – da sind wir uns völlig einig –: Das Gesetz muss geändert werden. Ich vertrete das seit Jahren. Das haben wir auch in allen Diskussionen über das Aufenthaltsgesetz vertreten. Im Übrigen steht – wir sind in Berlin jetzt Freunde, das muss man nüchtern sehen – in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD, dass das Aufenthaltsgesetz evaluiert werden muss. Das ist doch unstreitig.
Derzeitig gibt es die Novellierung, und derzeit hat das Bundesinnenministerium einen Entwurf auf der Ebene
der Referate vorgelegt, der aus meiner Sicht nicht hinreichend ist, weil er weitgehend dem Entwurf entspricht, der schon vor einem Jahr vorlag.
Ich sage dies, damit Sie das nachvollziehen können: Genau an dieser Stelle ist aus meiner Sicht diese Inkongruenz aufzuheben.
Ich möchte Ihnen gleich zu Beginn sagen: Wenn jemand hier dauerhaften Aufenthalt durch Niederlassungsfreiheit oder durch Staatsbürgerschaft nimmt, möchte ich, dass er sich zuvor mit zwei Dingen auseinander setzt und dass wir sie gleich behandeln.
Das haben wir unter dem Stichwort „Wissen und Werte“ behandelt.Daran arbeiten wir.Sie waren in dieser Sitzung des Innenausschusses nicht anwesend, und ich will nicht alles wiederholen,was ich dort vorgetragen habe.Ich habe gesagt: Wir gehen ruhig daran. Wir sind für Verbesserungsvorschläge offen. – Ich habe alle eingeladen, daran mitzuarbeiten.
Sie haben auch gefragt, ob es denn Handlungsbedarf gebe. Wir können doch nicht daran vorbeigehen, dass wir in Teilen unserer Republik Parallelgesellschaften haben,
dass in unserem Land Menschen leben, ohne an dieser Gesellschaft wirklich teilzunehmen, und dass sie zum Teil ein Wertesystem vertreten, das mit der demokratischen Grundordnung nichts zu tun hat.
Dies ist kein esoterisches Thema, das nur ganz wenige Menschen beschäftigt. Wenn Sie sich im Land bewegen – das tun Sie doch – und Ihre eigenen Mitglieder fragen, stellen Sie fest, dass sie sich darum sorgen, wie wir das in Zukunft entwickeln.
(Jürgen Walter (SPD): Darum geht es nicht! Das ist alles völlig unstrittig! – Petra Fuhrmann (SPD):Was hat das mit dem Thema zu tun?)
Wenn das unstrittig ist, müssen Sie zu dem Ergebnis kommen, dass es so, wie es ist, nicht ausreicht.
Meine Damen und Herren, Ihre Aufgeregtheit beweist mir nur eines. Ich will das ganz deutlich sagen, damit klar ist, was ich meine: Integration ist ein Prozess. Dieser Prozess ist außergewöhnlich schwer. Menschen, die andere Traditionen hochhalten – vielleicht auch solche, die mit unseren Grundwerten schwer in Einklang zu bringen sind –, sind deshalb keine schlechten Menschen.Vielmehr handeln sie aus ihrer Tradition, aus ihrer Überzeugung heraus. Wenn ein muslimischer Vater seiner Tochter, die älter als zwölf Jahre ist, nicht gestattet, einem Verein beizutreten oder auf eine Messe zu gehen, tut er dies in der Regel nicht, um diesem Kind zu schaden, sondern er handelt aus der Überzeugung heraus, dass er dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht zulassen dürfe.
An diesem Konflikt wird deutlich, worum wir ringen. Wenn wir über Werte sprechen und darüber, was die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedeutet, möchte ich nicht – ich kenne sämtliche Unterlagen;sie stammen ja von mir –, dass der Betreffende das einfach unterschreibt, sondern ich möchte,dass er sich vorher damit auseinander setzt und weiß, was das heißt.
Aus einer Vielzahl von Untersuchungen wissen wir, dass wir dort einen erheblichen Nachholbedarf haben. Wenn Sie die Untersuchungen des Zentrums für Türkeistudien in Essen und vieles andere lesen, wenn Sie sich z. B. mit den Aufrufen und den sehr lesenswerten Aufsätzen der deutsch-türkischen Schriftstellerin Necla Kelek auseinander setzen,stellen Sie fest,dass es immer einen Punkt gibt, der besonders interessant ist. Es geht z. B. darum, dass die Grundordnung unseres Staates elementar damit verbunden ist, dass der Staat das Gewaltmonopol hat.
Jetzt stellen wir uns die Frage: Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie – oder eines Ihrer Familienmitglieder – beleidigt werden? Wir würden Sie sich verhalten, wenn Ihre Religion beleidigt wird? Würden Sie sozusagen persönlich Rache nehmen? Würden Sie Selbstjustiz für richtig halten? Sämtliche Untersuchungen weisen auf Besorgnis erregende Werte hin.
Das ist eine Kernfrage,um die es uns gehen muss.Dass wir uns darum bemühen und dass wir darum ringen müssen, ist selbstverständlich. Daran kann kein ernsthafter Zweifel bestehen.
Wer sich in der Sache damit beschäftigt, sollte lesen, was Herr Prof. Raddatz und viele andere mehr dazu schreiben.
Herr Walter, im Gegensatz zu Ihnen nehme ich an diesen Veranstaltungen teil. Ich lade Sie herzlich ein, einmal das Opferfest zu besuchen. Ich habe Sie noch nie daran teilnehmen sehen. Kommen Sie einmal zum Fastenbrechen am Ende des Monats Ramadan. Dann können Sie wunderbar nachvollziehen, und es lässt sich auch belegen – Herr Kollege Al-Wazir weiß es –, dass ich dort nichts anderes vortrage als hier.
Nein. – Deshalb bleibe ich dabei: Wenn wir es richtig anstreben, genügt es nicht, bloß zu unterschreiben, dass man die freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptiert, sondern man muss auch verstehen, was sie bedeutet. Man darf sie nicht nur hinnehmen, sondern man muss sie aktiv leben, wenn das eine erfolgreiche Gesellschaft werden soll.