Protocol of the Session on November 23, 2005

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Neuntes Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) – Drucks. 16/4641 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Das Gesetz wird für die SPD eingebracht vom Kollegen Rudolph. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der CDU-Mehrheit wurde zu Beginn dieses Jahres das HSOG geändert und in § 9 des Gesetzes die Möglichkeit geschaffen, Hilfspolizeibeamtinnen und -beamte als „Ordnungspolizeibeamtinnen und -beamte“ zu bezeichnen.

Die Stadt Frankfurt hat auf Fahrzeugen, mit denen städtische Hilfspolizeibeamte ihren Dienst versehen, den Be

griff Ordnungspolizei aufgebracht. Während früher auf diesen Fahrzeugen der Begriff Ordnungsamt stand,wurde durch die Gesetzesänderung die Verwendung des Begriffs Ordnungspolizei möglich.

Was man nicht bedacht hatte: Es gab daraufhin eine öffentliche Diskussion über den Begriff Ordnungspolizei. Dieser Begriff war zwar schon in der Weimarer Republik gebräuchlich, er wurde jedoch nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten missbraucht.Die „Deutsche Ordnungspolizei“, wie sie damals hieß, wurde SS-Führer Himmler direkt unterstellt. Sie war maßgeblich an der Deportation von Juden und sonstigen Personen in die Vernichtungslager beteiligt.

Die öffentliche Diskussion, die daraufhin nach dem Motto „Muss man diesen Begriff verwenden?“ stattgefunden hat, ist nachvollziehbar. Die Stadt Frankfurt hat auf die öffentlich vorgetragenen Argumente dankenswerterweise schnell reagiert und die Aufschrift „Ordnungspolizei“ von den Fahrzeugen entfernt. Ich denke, das war die richtige Antwort auf einen Vorgang, der so nicht gewollt war.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben nun gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die ersatzlose Streichung des Begriffs „Ordnungspolizeibeamtinnen und -beamte“ vorsieht. In Anbetracht der geschichtlichen Vorkommnisse, auf die ich eben hingewiesen habe, muss unzweifelhaft dem Eindruck entgegengewirkt werden, es solle zu einer Verharmlosung der Geschichte kommen. Insbesondere dürfen Bezeichnungen,die mit der Diktatur und der Schreckensherrschaft der Nazis in Deutschland in Verbindung gebracht werden, nicht mehr verwendet werden.

Deswegen dient die Klarstellung, dass es sich bei den kommunalen Hilfspolizeibeamtinnen und -beamten um kommunale Bedienstete handelt, auch der Unterscheidung zur Vollzugspolizei.Wir sind für eine klare Trennung der verschiedenen Ebenen. In den Siebzigerjahren wurde die damalige kommunale Polizei verstaatlicht – aus guten Gründen. Deshalb sind wir für eine klare Trennung. Die Vollzugspolizei untersteht dem Land.Daneben gibt es Tätigkeiten, die das Ordnungsamt wahrnehmen kann. Hilfspolizeibeamtinnen und -beamte haben eine wichtige Funktion in der Stadt Frankfurt und in anderen Städten, aber sie haben andere Aufgaben wahrzunehmen als die Vollzugspolizei. Deshalb sollten auch die Begrifflichkeiten klar und deutlich unterschieden werden. Das ist durch die Gesetzesänderung offensichtlich nicht mehr möglich.

Auch der Bevölkerung gegenüber muss das klargemacht werden. Deshalb halten wir es für falsch, Herr Innenminister, mit Begriffen wie „freiwilliger Polizeidienst“ zu operieren. Das suggeriert, überall gebe es Polizeikräfte mit der gleichen Ausbildung und der gleichen Qualität. Das ist eben nicht der Fall.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bürgerinnen und Bürger müssen sehr deutlich wahrnehmen, dass dann, wenn sie in Not sind, die Vollzugspolizei eingreifen muss, denn nur diese verfügt über die notwendige Qualifikation und Ausbildung.Sie ist in der Lage, sachgerecht aufzutreten. Deshalb ist es natürlich wichtig, keine Stellen bei der Vollzugspolizei abzubauen, sondern

die vorhandenen Stellen konsequent zu besetzen – gerade in Frankfurt, denn Frankfurt hat eine besondere Situation, auch aufgrund der zentralen Lage.

Deshalb ist das, was die Landesregierung an der Stelle macht, der falsche Ansatz in der Sicherheitspolitik. Wir wollen, dass es sich dort, wo „Polizei“ draufsteht, wirklich um Polizei handelt.

(Beifall bei der SPD)

Von daher gesehen ist die Umbenennung der Hilfspolizeibeamtinnen und -beamten nicht notwendig und unsere Gesetzesinitiative eigentlich zwingend,damit die Missverständnisse, die aufgetreten sind, ausgeräumt werden.

Es unterstellt in diesem Hause keiner, dass dieser Fehler bewusst gemacht worden ist.Wir haben eine Anhörung zu der HSOG-Änderung durchgeführt. Im Fokus der öffentlichen Diskussion standen damals aber die Punkte Videoüberwachung und Kfz-Erfassung. Es gab wohl einen leichten Hinweis darauf, ob „Ordnungspolizei“ der richtige Terminus ist. Die Kommunalen Spitzenverbände haben aber gesagt: Mit diesem Begriff können wir leben. – Da das so ist, müssen wir gemeinsam sagen:Wir haben an der Stelle nicht aufgepasst, wir haben nicht richtig gehandelt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten ganz konsequent handeln. Es gab zu Recht eine öffentliche Diskussion. Wir sind zu einem sensiblen Umgang mit einem Begriff aufgefordert, der so nicht verwendet werden darf. Deshalb ist die einzig richtige Konsequenz, dem Gesetzentwurf von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu folgen und den genannten Terminus ersatzlos zu streichen. Das kann man in einem relativ einfachen Verfahren machen.Wir können eine Anhörung durchführen, meinetwegen auf verkürztem Weg. Die Stadt Frankfurt hat signalisiert, sie sehe den Sachverhalt ähnlich. Ich denke, es ist wichtig, dass wir damit auf Dinge eingehen, die in der Bevölkerung kritisch gesehen werden. Es geht nämlich nicht darum, die Arbeit des Frankfurter Ordnungsamts zu kritisieren, sondern darum, falsche Eindrücke zu korrigieren. Deshalb bitten wir Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Das Wort hat der Kollege Boris Rhein, Frankfurt am Main, für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion nimmt den Gesetzentwurf von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr ernst, weil es um die Frage geht, wie wir mit Begrifflichkeiten umgehen, die zwar nicht originär dem Nationalsozialismus entstammen, aber durch nationalsozialistisches Unrecht geprägt wurden und mit denen sich deswegen ein unbefangener Umfang verbietet.

Sie wissen, die Initiative zur Änderung des Begriffs ging vom Forum Kommunalpolizei aus. So vermerkt auch die Gesetzesbegründung ganz knapp: Mit der Änderung wird einem Wunsch der Kommunen Rechnung getragen. – Ich

will ganz unmissverständlich deutlich machen, dass die Anregung nachvollziehbar ist, dass sie sogar begründet ist, weil es stimmt, dass die städtischen Ordnungsbehörden keine nachrangigen Hilfskräfte sind, sondern wichtige Einrichtungen der Kommunen, die immer stärker polizeigeprägt arbeiten. Nur so kann ich es mir im Übrigen erklären, dass keiner der Experten und keiner der Anzuhörenden an der Namensänderung Anstoß genommen hat und dass von keiner Seite und zu keiner Zeit in den Ausschuss- und Plenarberatungen dieses Thema angesprochen wurde.

Deswegen ist es aber unumgänglich – da stimme ich Ihnen völlig zu –, dass wir die notwendige Debatte jetzt und hier im Plenum führen. Die CDU-Fraktion begrüßt es ausdrücklich, dass wir das hier und heute machen, weil der Gesetzgeber immer dann zu ganz besonderer Sensibilität und Wachsamkeit aufgerufen ist, wenn es um die Empfindungen von Opfern und der Angehörigen von Opfern des grauenvollen Holocaust geht.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass es Einheiten der Ordnungspolizei waren, die sich im Gefolge der Kriegseinsätze der Wehrmacht an der Ostfront an Kriegsverbrechen beteiligt haben und sowohl an der gezielten Ermordung osteuropäischer Juden als auch an der unbarmherzigen Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten beteiligt gewesen sind. Es stimmt, dass es Ordnungspolizisten waren, die zu Vollstreckern einer mörderischen Besatzungspolitik geworden sind. Es trifft auch zu, dass sich manche von ihnen zu furchtbaren Exzessen hinreißen ließen. Thomas Dodd, einer der US-Ankläger im Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg, gerade einmal 60 Jahre her, hat in einem bewegenden Plädoyer diese Truppen als „der Armee folgende Einsatzbanditen“ bezeichnet.

Der berüchtigte Chef des Sicherheitsdienstes, Otto Ohlendorf, hat in Nürnberg in einer wirklich unglaublichen Aussage die unfassbare Brutalität der Truppen geschildert. Seine Aussage vom 3. Januar 1946 ist ein schauderhaftes Dokument der Distanziertheit, der Kälte und der Präzision, mit der der Massenmord begangen worden ist. Seine Aussage ist eine genauso exakte wie erbarmungslose Anatomie der Arbeit dieser Einsatztruppen, die unter der Führung von Staatspolizei, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst aus einem breiten Mannschaftsbestand aus Wachen, SS-Angehörigen und Ordnungspolizei bestanden haben.

Es sind aber exakt diese Gründe, die einen unbefangenen Umgang auch mit dem Begriff Hilfspolizei und damit eine Rückkehr zu diesem Begriff, wie ich meine, verbieten. Denn es waren SA- und SS-Männer, die kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten bewaffnet und mit einer Armbinde „Hilfspolizei“ ausgestattet ihr brutales Unwesen auf der Straße getrieben haben. Einer, der diesen so genannten Verfügungstruppen angehörte, war der im Frankfurter Auschwitzprozess angeklagte Wilhelm Boger, dessen skrupellose und grausame Verhörmethoden berüchtigt waren. Bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung im Rahmen des Frankfurter Auschwitzprozesses sagte er am 9.April 1959 aus:Wir trugen damals die schwarze SS-Uniform mit einer Armbinde „Hilfspolizei“.

Wenn wir diesen Maßstab anlegen, ist auch ein unbelasteter Umgang mit der Bezeichnung Kriminalpolizei schwierig, denn die Angehörigen der so genannten politischen Abteilungen – z. B. der genannte Wilhelm Boger –, die die Häftlinge in Auschwitz und anderswo kujonierten, folter

ten und quälten, waren die Vertreter der Gestapo und der Kriminalpolizei in den Lagern. Die Ohlendorf-Aussage vom 3. Januar 1946 legt Zeugnis darüber ab, dass die Kripo Teil der bereits erwähnten Einsatzgruppen war.

Das verbrecherische NS-Regime hat die Polizei in ihrer Gesamtheit für ihre furchtbaren Taten missbraucht. Deswegen ist es richtig, dass wir uns der Frage stellen, wie wir mit solchen belasteten Begriffen umgehen – insbesondere heute, in einer Situation, in der nicht einmal der leiseste Zweifel an den polizeilichen Institutionen unseres Rechtsstaates besteht.

Das wollen wir als CDU-Fraktion ohne Aufregung, mit der notwendigen Ruhe und unter Zurateziehung von Experten im Wege einer Anhörung und einer weiteren Gesetzeslesung tun.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen und sagen, was nicht geht. Es geht nicht, dass Mitarbeiter und Leistungen der kommunalen Ordnungsbehörden durch ein Boulevardblatt in einer miesen und niederträchtigen Art und Weise diskriminiert und diskreditiert werden, einzig und allein zum Zweck der Auflagensteigerung. Egal, welche Bezeichnung sie auch tragen: Die Männer und Frauen der kommunalen Ordnungsbehörden sind wichtige Organe des pluralistischen und demokratischen Rechtsstaates. Wir brauchen diese Männer und Frauen in den kommunalen Ordnungsbehörden.Sie haben es nicht verdient,mit den Tätern des Dritten Reiches gleichgesetzt zu werden. Deshalb ist es richtig, dass wir so handeln, wie es hier vorgeschlagen wurde. Lassen Sie uns einen Weg finden.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Kollege Rhein. – Das Wort hat der Kollege Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rhein, ich bin sehr froh darüber, dass wir diese Debatte ganz unaufgeregt und an der Sache orientiert führen. Man sollte aber zugestehen: Die Debatte, die wir heute führen, wird letztendlich nur deswegen geführt, weil es eine öffentliche Diskussion durch Zeitungen gegeben hat.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Das sollte man einfach einmal attestieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch die Verabschiedung der achten Änderung des HSOG haben wir die Möglichkeit geschaffen, Hilfspolizeibeamtinnen und -beamte als Ordnungspolizeibeamtinnen und -beamte zu bezeichnen. Mit dem Gesetzentwurf, den wir jetzt vorgelegt haben, wollen wir diese Möglichkeit wieder aus dem Gesetz streichen. Die Bezeichnung „Ordnungspolizei“ ist geschichtlich schlimm belastet. Sie ist mit dem dunkelsten Teil deutscher Geschichte verbunden und sollte deshalb aus dem HSOG gestrichen werden.

Im NS-Regime trug die Ordnungspolizei mit ihren Erlassen, Befehlen und Einsätzen zum Massenmord an Juden, Sinti und Roma bei. Deshalb ist es geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass wir diese Bezeichnung nicht mehr verwenden.

Die Ordnungspolizei im Dritten Reich war an schlimmen Verbrechen beteiligt. Sie hat unsagbares Leid über viele Menschen gebracht. Deshalb gebietet es die Achtung vor den Opfern und ihre Anerkennung, dass diese Bezeichnung nicht mehr verwendet wird. Der Historiker Wolfgang Scheffler sagte in einem Interview zum Thema Ordnungspolizei: Die Ordnungspolizei war ein integraler Bestandteil des Vernichtungsapparates und hat die gleichen Dinge vollbracht und verübt wie die Einsatztruppen der Sicherheitspolizei.

Mitte der Dreißigerjahre formierte der Reichsführer SS Heinrich Himmler aus 16 Länderpolizeien eine Reichspolizei unter seinem Einfluss. Ihm unterstanden sowohl die Sicherheitspolizei als auch die Ordnungspolizei. Der Krieg erweiterte die Aufgaben der Ordnungspolizei: Sie stellte die Wachmannschaften für Deportationszüge in die Vernichtungslager sowie das Aufsichtspersonal für so genannte Arbeitserziehungslager.

Gegen Ende des Krieges unterstanden der Ordnungspolizei die so genannten Land- und Stadtwachen, die die Aufgabe hatten,Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zu überwachen und nach Fluchtversuchen wieder zu ergreifen.

Schließlich stellte die Ordnungspolizei auch zahlreiche Polizeibataillone. Diese waren später an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung Osteuropas beteiligt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, diese Ausführungen haben deutlich gemacht, dass der Name „Ordnungspolizei“ schwer belastet ist. Wenn nun eingewendet wird,dass es dabei um einen Begriff der Weimarer Republik geht, dann ist das nach meiner Auffassung kein Argument. Denn die Bezüge, die jetzt hergestellt werden, werden nicht zur Weimarer Republik hergestellt,

(Reinhard Kahl (SPD): So ist es!)

sondern zu den Verbrechen der Nazis. Deswegen gebietet es der Anstand, dass wir diesen Begriff aus dem Gesetz wieder entfernen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Polizei arbeitet auf der Grundlage der Hessischen Verfassung und des Grundgesetzes. Deshalb sollten wir sensibler mit Begrifflichkeiten umgehen. Schlimm genug, dass uns dieser Begriff ins Gesetz geraten ist.

(Rudi Haselbach (CDU): Wie lange gibt es ihn schon?)