Protocol of the Session on February 24, 2005

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Visa-Affäre, Skandal – bei solchen Themen ist zunächst einmal immer die Frage, ob es auch um Sachpolitik geht oder ob es eine rein politische Kampagne ist. Dass auch bei Sachpolitik politische Kampagnen eine gewisse Rolle spielen, ist nicht schädlich.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Deshalb wollen wir einmal gucken, was denn der sachliche Kern der Debatte ist. – Es geht darum, dass insbesondere in der Ukraine Visa-Erleichterungen gang und gäbe waren, die man so nicht beibehalten kann. Reisepässe wurden ausgegeben, Reiseversicherungen wurden abgeschlossen und galten gewissermaßen als Vorvisum. Dann gab es keine weitere Prüfung. Da gebe ich Ihnen Recht, Herr Dr.Jung.Es wurde nicht gefragt:Wie sieht es mit den Voraussetzungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts aus, wie sieht es mit dem Reisezweck aus, und wie sieht es mit der Rückkehrbereitschaft aus? Diese drei Dinge wurden nicht geprüft. Das war falsch. Das ist, wenn ich das richtig sehe, im März 2003 beendet worden.

Jetzt gehört es zum politischen Geschäft, dass man diejenigen, die in der politischen Verantwortung standen und diesen Vorgang auch beendet haben, kritisiert. Das ist normal. Dann schreit man: „Da sind 100.000 Ukrainer gekommen, das ist alles ganz schlimm! Ein unglaublicher Vorgang! Da muss politisch etwas passieren! Untersuchungsausschuss!“ – Das ist das übliche Programm.

Aber die Sache fängt dann an, interessant zu werden, wenn fast zwei Jahre später ein nicht ganz unbedeutender Vertreter derjenigen, die am lautesten schreien, zu genau der gleichen Fragestellung

(Michael Denzin (FDP): Das war etwas anderes!)

im Herbst 2004 von jenem ach so kritisierten Bundesaußenminister, der extra zurücktreten soll, genau das verlangt, was hier kritisiert wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte es – um bei Ihrer Sprache, Herr Dr. Jung, zu bleiben – für einen unglaublichen Vorgang, dass man denjenigen,den man auffordert,etwas zu tun,dafür kritisiert,dass er genau das getan hat. Ich glaube, das ist ein besonderes Beispiel für die politische Strategie der hessischen Union.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt ruft der Kollege Denzin mir zu,das sei etwas ganz anderes gewesen.

(Michael Denzin (FDP): Ja!)

Herr Kollege Denzin, zum Thema China schreibt „die Süddeutsche Zeitung“: 2002 wurden zwischen beiden Ländern, Deutschland und China, Reiseerleichterungen vereinbart und das Reisebüroverfahren eingeführt. VisaAntragsteller mussten, ähnlich wie in der Ukraine, nicht mehr persönlich erscheinen, um den Antrag zu begründen.Seit September 2004 – da ist nämlich die Affäre hochgekommen – wurden auf Anregung des Auswärtigen Amtes China-Besuchsvisa der EU in einem erleichterten Visums-Verfahren erteilt,aber das erschrockene Auswärtige Amt tritt jetzt auf die Bremse.

Wir sehen also, dass genau das gleiche Verfahren in China angewandt worden ist. In dieser Situation ist Herr Koch natürlich ein Stück weit ertappt worden. Sein Regierungssprecher, der veritable Herr Metz, wird angesprochen und gefragt: Was ist denn da los? Ihr schreit nach Rücktritt, aber verlangt das Gleiche. – Da hat Herr Metz, der an dieser Stelle mit heruntergelassenen Hosen erwischt wurde, die geniale Idee, zu sagen, das sei alles ganz anders. Der Ukrainer als solcher sei ein Straftäter, und der Chinese als solcher sei ein Wirtschaftsfachmann und Tourist.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Man kann so argumentieren und sagen, die Ukrainer seien eine gefährliche Bevölkerungsgruppe, während die Chinesen vom Körperwuchs her nicht so groß sind, dass sie irgendwie gefährlich sein könnten.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Na, na, na!)

Nein, die Zahlen sagen objektiv etwas anderes aus. Hören Sie einmal genau zu, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich habe hier eine Aufstellung aus der polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2003. Von der Gesamtzahl der Tatverdächtigen stammen 1.148 aus der Ukraine. Aus China stammen 1.660 Tatverdächtige.

(Zurufe von der SPD: Ah! – Norbert Schmitt (SPD): Das ist doch unglaublich!)

Das heißt, es gab 50 % mehr Tatverdächtige aus China. Lieber Herr Metz, da muss irgendetwas falsch gelaufen sein. Da müssen sich ein paar Chinesen als Ukrainer ausgegeben haben – oder umgekehrt.Ich glaube,hier wird relativ deutlich, auf welch dünnem Eis sich die Argumentation der Union und möglicherweise auch der FDP bewegt.

Tatsächlich geht es um etwas ganz anderes. Tatsächlich geht es um ein Spannungsverhältnis. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen, das im Ausland gern und richtigerweise seine Weltoffenheit beschreit und das Menschen einlädt, als Touristen zu uns zu kommen und sich bei uns als Geschäftsleute niederzulassen,werden immer in dem Spannungsverhältnis stehen und sich der Frage stellen müssen: Wie schwer mache ich es einem Menschen aus einem anderen Land, in unsere Region zu kommen? Wir werden immer vor dieser Auseinandersetzung stehen. Gerade bei Touristen ist das natürlich relativ schwierig. Denken Sie doch einmal an sich selbst. Sie wollen in ein Land einreisen,um Urlaub zu machen.Wenn die Ihnen ein halbes Jahr vorher Ärger und Probleme bei der Visum-Erteilung machen, dann fliegen Sie halt in ein anderes Land, wo es auch schön warm ist.

Dies ist der Kern der Debatte. Wenn es sich lohnt, sich Gedanken darum zu machen, wie wir dies gestalten, dann müssen wir als weltoffenes Land Hessen diese Frage beantworten. Bei uns reisen über Frankfurt, unserem Tor zu Europa,Menschen ein.Wir müssen uns überlegen,wie wir diese Einreise gestalten. Deshalb ist die Kritik an Herrn Koch an dieser Stelle nicht wirklich ernst gemeint.

Herr Kollege Walter, Sie müssen zum Schluss kommen.

Denn auch ich bin der Auffassung,dass man den Chinesen die Möglichkeit geben muss, hierher zu kommen. Umgekehrt muss man natürlich auch die Sicherheitsvorkehrungen berücksichtigen.

Letzter Satz: Herr Kollege Jung, wenn Sie sich hier hinstellen und den Rücktritt des Bundesaußenministers fordern, weil er politisch die Verantwortung übernommen hat:

(Lachen bei der CDU)

Ich glaube, es gibt in diesem Hause einen Punkt, an dem Sie sehr vorsichtig sein müssen.

Herr Kollege Walter, Sie müssen zum Schluss kommen.

Denn Ihre Truppe ist ein ganz „hervorragendes“ Beispiel für die Übernahme politischer Verantwortung. Sie haben bei der Spendenaffäre in unserem Land das „beste“ Beispiel für politische Verantwortung gezeigt. Sie dürfen diese Art von Forderung in diesem Hause nicht mehr aussprechen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP) – Frank Gotthardt (CDU): Der letzte Satz war der Höhepunkt!)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Hahn, Vorsitzender der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Einen Moment, Herr Kollege Hahn. – Meine Damen und Herren, darf ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Wenn Gespräche zu führen sind, bitte ich, dies außerhalb des Plenarsaals zu tun.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eine erste Vorbemerkung: Es liegen von drei Fraktionen Anträge zu Aktuellen Stunden vor, und alle drei Anträge beziehen sich auf dasselbe Thema. Entgegen der Regel in diesem Hause ist erstmals eine Verbindung dieser Aktuellen Stunden nicht vorgenommen worden, weil – das sollen alle 109 Kollegen dieses Hauses wissen – der parlamentarische Geschäftsführer der GRÜNEN gesagt hat, man wolle, dass Al-Wazir dreimal reden kann. Das ist das Problem der GRÜNEN.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unwahr! – Norbert Schmitt (SPD): Lieber dreimal Al-Wazir als einmal Hahn!)

Zweite Vorbemerkung: Wir haben gelernt, dass Angriff die beste Verteidigung ist. Das sagt man. Ich glaube, dass der Bundesaußenminister einen besseren und fähigeren Verteidiger verdient hätte als Tarek Al-Wazir.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Verteidigen kann man nämlich nur dann, wenn man Argumente hat.

(Michael Denzin (FDP): Wie der Herr, so’s Gescherr!)

Ich will Ihnen aus der Sicht der FDP-Fraktion sagen, dass wir es durchaus ärgerlich finden, dass es diese ChinaBriefe des Ministerpräsidenten des Landes Hessen gibt – nicht wegen des Inhalts,sondern weil natürlich Menschen, die so gestrickt sind wie die GRÜNEN in diesem Landtag, versuchen, ein Problem mit einem anderen Problem, welches eigentlich gar kein Problem ist, zu überdecken.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hätte es die Briefe nicht gegeben, hätten wir eine noch bessere Angriffsstrategie gegen Herrn Fischer und seine Leute in Berlin.

(Lachen bei der SPD)

Jetzt kommt die Hauptbemerkung: Es gibt ein lateinisches Sprichwort – ich kann es noch sagen –, das lautet: Si tacuisses. Das könnte man auf dieses Schreiben anwenden.

Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie können gar nicht mehr erfolgreich angreifen – spätestens nachdem Daniel Cohn-Bendit in der „Zeit“ das gesagt hat, von dem wirklich jedem klar ist, dass es das einzig Richtige ist. Daniel Cohn-Bendit hat erklärt, in zwei Punkten hätten die GRÜNEN und mit ihnen die Sozialdemokraten in Berlin einen erheblichen Fehler gemacht. Zum einen, sagt er, sei es eine Absurdität, eine liberalisierte Politik bei der Visa-Vergabe durchzuführen, ohne

die Anzahl der Konsulate zu erhöhen. – Recht hat Daniel Cohn-Bendit. Wenn man eine andere Politik macht, muss man auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ordentlich gearbeitet wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es wurden aber keine Voraussetzungen dafür geschaffen, dass ordentlich gearbeitet werden kann. Es konnte überhaupt nicht mehr so geprüft werden, wie es in den Erlassen steht. Es ist ein böser Bube, der sich dabei denkt, dass das Absicht gewesen ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen im Hessischen Landtag.

Ich sage ganz deutlich:Wo wir nur können,bekämpfen wir diese Politik der GRÜNEN, unser Land und unseren Staat in Richtung Multikulti zu ändern, und sei es auch nur über Kriminalitätimport. So etwas akzeptieren wir nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tarek Al- Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unverschämter Lümmel!)

Sie nehmen das billigend in Kauf, Herr Kollege Al-Wazir und die anderen Kollegen von den GRÜNEN.Cohn-Bendit hat Recht.Wenn Sie eine Politikänderung vornehmen, aber die Behörden nicht mehr in die Lage versetzen, ordentlich zu arbeiten, dann kann es dazu kommen, dass sich, wie offensichtlich geschehen – auch mit Auswirkungen auf Wiesbaden –, Kriminelle dieser neuen Politik von Herrn Fischer, Herrn Schröder und Herrn Schily bedienen können.