Protocol of the Session on December 16, 2004

Ich komme nun zur hessischen CDU. Ich bin der Auffassung – wie Kollege Al-Wazir –, dass die CDU mit ihrer auch in Hessen geführten Leitkulturdebatte durchaus die Absicht verfolgt, die Kulturen zu hierarchisieren.

Frau Wagner hat in einer der letzten Sitzungen darauf hingewiesen, dass es sehr gut gewesen wäre, wenn sich alle Parlamentarier die Mainzer Ausstellung im Dom, initiiert von Kardinal Lehmann,angeschaut hätten.Herr Dr.Jung, es wäre sehr schön gewesen, wenn Sie als Fraktion geschlossen einen Ausflug dorthin gemacht hätten, um die Botschaft dieser Ausstellung mit nach Hause in Ihre Parteizentrale zu nehmen. Dort wurde ganz klar dargelegt, dass es keinerlei Sinn macht, aufzuteilen in die jüdischchristliche Kultur auf der einen Seite und die islamische Kultur auf der anderen Seite.

Wenn es Kultur in Europa gibt, hat sie sich aus dem Spannungsverhältnis der drei monotheistischen Religionen gespeist. Wenn wir an die Entstehung der Wissenschaften auf dem europäischen Kontinent denken,haben wir zu erinnern, dass im arabischen Raum berühmte Universitäten, wie die in Kairo, bereits existierten, als die erste christliche Universität im 13. Jahrhundert in Bologna, also viel später, gegründet wurde.

Frau Kollegin Pauly-Bender, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident,ich komme zum Schluss.– Die SPD-Landtagsfraktion fordert die CDU auf, davon abzulassen, mit ihrer Leitkulturdebatte die Religionen hierarchisieren zu wollen und Öl in ein Feuer zu gießen,das uns allen in Hessen schadet. Es geht um die Integration.

(Beifall bei der SPD)

Um Sie noch einmal aufzurütteln und auf den Status der islamischen Kultur bei der CDU an die richtige Stelle zu rücken: Herr Dr. Jung, im Prinzip geht es um die Vorbereitung von Wahlkampagnen auf der Basis von Ressentiments.

Überlegen Sie doch bitte einmal, mit welchen Zahlen Sie sich Ihre Wahlergebnisse ausrechnen müssen. Das sind arabische Zahlen. Denken Sie bitte darüber nach, warum Sie nur in arabischen Zahlen rechnen können.

(Beifall bei der SPD)

Diese Rechenkultur ist aus unserer Kultur nicht hinwegzudenken. Vielleicht sollten Sie Ihre Leitkultur einmal in dieser zivilisierten Form durchdenken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Ruth Wagner für FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist völlig richtig, bei einer solchen Debatte an die Grundlagen unserer Gesellschaft in Deutschland, nämlich das Grundgesetz, und in Hessen auch an unsere Hessische Verfassung zu erinnern. Diese beiden Grundlagen sind 1946 und 1948 entstanden. Das war eine Zeit, in der es eine bestimmte Religion fast nicht mehr gab. Die Deutschen hatten sie ausgerottet. Eine andere Religion gab es damals noch überhaupt nicht, nämlich den Islam.

Ich glaube, deshalb ist es auch wichtig, aus dieser geschichtlichen Erfahrung heraus festzuhalten, dass diejenigen, die das Grundgesetz konzipiert haben – ich nenne jetzt einfach nur einmal die drei Namen Theodor Heuss, Kurt Schumacher und Konrad Adenauer –, und andere, die als Professoren der Politik und der Geschichte am Chiemsee daran mitgewirkt haben, sich auf die christliche abendländische, aber auch die jüdische Tradition berufen haben.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Sie haben nicht über andere Religionen geredet. Ich möchte, dass wir auch im Jahre 2004 nicht geschichtslos argumentieren, sondern uns auf das besinnen, was uns unsere Großeltern bei der Neukonstituierung unserer Gesellschaft mitgegeben haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist offensichtlich – ich komme auf Ihre Argumentation, Herr Al-Wazir, zu sprechen –, dass, auch wenn die christliche Religion und die jetzt wachsende jüdische Religion nicht mehr die Bindekraft haben und nicht mehr das Wertegerüst sind, das viele Menschen in unserem Land empfinden,sie doch die Grundlage sind,auf der wir leben.Das hat diese Umfrage ergeben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, natürlich!)

Das bestreiten Sie auch gar nicht. In Ordnung.

Daraus aber folgende Schlussfolgerung zu ziehen wäre falsch. Unterstützt von uns Politikern aus allen Parteien hat in den Fünfziger- und Sechzigerjahren eine Arbeitsanwerbung stattgefunden. Max Frisch hat das schön so formuliert: Wir haben Arbeiter gebraucht und geholt, und Menschen sind gekommen.– Das waren Menschen aus allen Religionen. Vor 15 bis 20 Jahren haben wir plötzlich erkannt, dass eine mächtige Ein-Gott-Religion, wie es die beiden anderen auch sind, in Deutschland Fuß fasst. Das hat es Jahrhunderte lang nicht gegeben.Es wäre falsch,sie nun auszugrenzen. Das ist die eine Seite. Ich glaube, das will in diesem Haus keiner.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da bin ich mir leider nicht so sicher!)

Nein, ich glaube, Herr Al-Wazir, wir sollten auch das annehmen, was Herr Jung hier für die Union gesagt hat.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen, dass es ein gleichberechtigtes Nebeneinander dieser Religionen und anderer Religionen gibt, soweit sie sich unter den Wertekonsens unseres Grundgesetzes stellen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) )

Ich halte es für falsch – mein Kollege Hahn hat das in der letzten Woche gesagt –, dass Sie, Herr Al-Wazir, in einem Interview gesagt haben, wir bräuchten in Deutschland und in Hessen mehr Islam.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich nicht gesagt! Quatsch!)

Das mögen Sie für richtig halten. Ich sage: Das, was wir bisher an Integrationswilligkeit von der Mehrheit der Menschen erleben, die dem Islam angehören, zeigt, dass sie mehrheitlich bisher nicht integriert sind. Bei vielen haben wir den Eindruck, dass sie sich nicht integrieren wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist unsere Pflicht, die wir Verantwortung in der Öffentlichkeit tragen, darauf hinzuweisen.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Wir haben das vor drei bis vier Wochen schon einmal diskutiert. Die Diskussionen der letzten Wochen haben doch dazu geführt, dass Bundeskanzler Schröder plötzlich Äußerungen getan hat, die er vor fünf Jahren so noch nicht getan hätte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Schröder hat erklärt, dass er meint, dass das Symbol des Kopftuches, von einer Lehrerin getragen, wegen ihrer Vorbildfunktion – das ist im Grunde die Position der FDP – in Deutschland nicht zugelassen werden sollte. Frau Eck, die Ausländerbeauftragte der GRÜNEN, hat gesagt, die Vision einer multikulturellen Gesellschaft sei gescheitert.

Ähnliches gilt für den EKD-Vorsitzenden Wolfgang Huber. Das hätte ich ihm vor zwei Jahren noch nicht zugetraut, und das hätte er sich selbst nicht zugetraut. Damals hat er auch anderes gesagt.Aber es ist richtig, ich möchte da gar nicht polemisieren,die Einsicht ist da.Er sagte zum ersten Mal: Wegen der Gefahr, die auch Herr Al-Wazir nicht bestreitet – das hat er eben kundgetan –, dass in Moscheen Predigten gehalten werden können, die nicht dem Grundgesetz entsprechen, sei zu fordern, dass Predigten in deutschen Moscheen in deutscher Sprache erfolgen sollen.

Das alles hat doch nicht so sehr mit den Anschlägen oder der Angst vor Anschlägen zu tun. Diese Angst gibt es seit dem September 2001 immer. Das hat vielmehr damit zu tun – ich glaube,das ist das Empfinden vieler Menschen in Deutschland –, dass die Menschen das Gefühl haben, dass es ganze Stadtteile gibt, in denen sich die Deutschen im Grunde als Minderheit fühlen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das kann in einem Land nicht sein, in dem gesagt wurde: Wir wollen, dass Menschen zu uns kommen, aber sie müs

sen sich auch an unsere Werte und eine bestimmte Verhaltensweise in der deutschen Zivilgesellschaft anpassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das alles verlangt die Türkei, wie Sie in diesen Tagen in vielen Fernsehfilmen sehen können, auch.

Frau Kollegin Wagner, Dr. Spies möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Nein, nicht bei sieben Minuten Redezeit. – Gestern Abend habe ich wieder gesehen, wie z. B. die griechischen Christen in Istanbul behandelt werden. Wer heute in Europa darüber entscheidet, dass Verhandlungen für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union stattfinden, der muss auch sagen, dass diese Entscheidung so lange ergebnisoffen ist,wie nicht auch Christen und Juden gleichberechtigt in der Türkei behandelt werden, wie es für Angehörige des Islam in Deutschland der Fall ist. Das ist ein Grundsatz der deutschen Verfassung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Lassen Sie mich noch einmal Folgendes sagen: Parallelgesellschaften jedweder Art sind in einer demokratischen Gesellschaft nicht hilfreich. Deshalb sage ich: Die Anerkennung der Verschiedenheit liegt in Wahrheit am Gleichstellungsparagraphen des Grundgesetzes. Wir müssen nicht alle gleich in Rasse, Haarfarbe oder Religion sein. Aber der Punkt ist doch, dass wir uns als Gleichberechtigte anerkennen.

Das verlangen wir von Migranten, von ihren Kindern und ihren Enkeln, die in Deutschland leben und die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wollen. Deshalb sage ich es noch einmal: Ich finde den Kompromiss des Zuwanderungsgesetzes richtig. Ich finde es richtig, dass man sagt: Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erwirbt,der muss die deutsche Sprache und die deutsche Geschichte kennen, und er muss sich zu dem Wertesystem unserer Republik bekennen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Frau Kollegin Wagner, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich wiederhole noch einmal: Es ist richtig, Frau PaulyBender, die wunderbare Ausstellung über die Kreuzzüge in Mainz, die Kardinal Lehmann organisiert hat und die den Titel trägt „Kein Krieg ist heilig“, zeigt eine Einsicht, die vor 10 oder 50 Jahren die katholische Kirche in Deutschland noch nicht gehabt hätte. Das Betrachten der Kreuzzüge unter drei Aspekten, aus der Sicht von drei Religionsgemeinschaften, zeigt, dass wir in Wahrheit weder einen Krieg der Religionen noch den Krieg irgendwelcher Ideologien oder den Krieg von Stadtkulturen in Deutschland haben wollen. Alles, was dazu beiträgt, dies anzuheizen, sollten wir gemeinsam bekämpfen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) )