Warum haben Sie die Projekte in den sozialen Brennpunkten gestrichen,wenn es in der Antwort auf die Große Anfrage heißt, Herkunft aus sozial belasteten Familienverhältnissen, Arbeitslosigkeit der Eltern, unzureichende Chancen schulischer und beruflicher Ausbildung sind Faktoren, die Straffälligkeit bei Jugendlichen begünstigen?
Warum tun Sie nichts für die Integration der ausländischen Jugendlichen und der Kinder von Aussiedlern, wenn in der Antwort auf die Große Anfrage festgestellt wird, dass deren Rückzug in Peergroups die Bereitschaft, Straftaten zu begehen, begünstigt? Warum streichen Sie die Projekte zum Gewaltschutz von Frauen und Kindern, wenn klar ist, dass eigene Gewalterfahrungen leider ein guter Nährboden für die Bereitschaft sind, später selbst einmal Gewalttaten zu begehen?
Ihre „Operation düstere Zukunft“ ist, was die Jugendpolitik betrifft, eine einzige Bankrotterklärung. Der beste Opferschutz besteht nach wie vor darin, zu verhindern, dass Straftaten begangen werden. Das heißt, statt alle Hilfe reichenden Maßnahmen zu kürzen oder sogar zu streichen, muss zum Schutz der Opfer alles getan werden, um einmal straffällig gewordenen Jugendlichen den Weg zurück in die Gesellschaft zu ermöglichen. Ihre Politik besteht darin, dass Sie dem Lahmen, der strauchelt, die Krücke wegtreten und ihn dann auch noch dafür bestrafen, dass er fällt. Das ist die Politik der Hessischen Landesregierung.
Lassen Sie mich am Beispiel der Schulschwänzer die Irrwege darstellen, die die Hessische Landesregierung gegangen ist. Ihre Antwort auf die Große Anfrage stellt fest: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Schuleschwänzen und delinquentem Verhalten. – Wen wundert das? Was fordern Sie? Sie fordern kriminalpräventive Maßnahmen. Sie wollen die Kapazitäten der Polizei nutzen, um Schulschwänzer aufzustöbern. Das verbessert vielleicht Ihre Kriminalstatistik, aber es bedeutet, dass Sie mit Kanonen
Wenn in der Schule nicht mehr feststellbar ist, wer eigentlich schwänzt, liegt das vielleicht an den Klassengrößen. Das ist der Punkt, an dem man intervenieren müsste. Dort müsste eine Zusammenarbeit zwischen den Eltern und den Institutionen der Jugendhilfe eingeleitet werden. Aber man schaut erst einmal zu,bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, und dann wird nach der Polizei gerufen. Dann gibt es Modellregionen, Projektpläne und Interventionspläne. Ich denke mir: Herrgottszeiten, es wäre doch so einfach, rechtzeitig zu intervenieren, wenn man die Hilfsmöglichkeiten bestehen ließe.
Diese Landesregierung ist eine Meisterin darin, Gesprächsrunden zu veranstalten. Natürlich sind Kooperation, Koordination und Vernetzung wichtig. Fangen Sie doch am besten in Ihrem Kabinett an. Bleiben Sie nicht beim Schaffen von Strukturen stehen, sondern tun Sie etwas. Es wäre an der Zeit, dass das Sozialministerium, das Kultusministerium, das Innenministerium und das Justizministerium gemeinsam ihre Konsequenzen aus der Antwort auf die Große Anfrage ziehen.
Fehlanzeige. Sie sind leider nicht in der Lage, so viel zu lernen. Es folgt der Hinweis auf die Kommunen, denen Sie aber im Zuge der Kommunalisierung kein Geld mehr dafür zur Verfügung stellen; denn Sie haben die Mittel im Zuge der „Operation düstere Zukunft“ gestrichen.
Sie schmücken sich mit Projekten, die weiß Gott nicht auf Ihrem Mist gewachsen sind, die aber positive Effekte haben,wie z.B.die Projekte der Polizeipräsidien,AG Jaguar, AGGAS und SMOG. All das sind regionale Projekte, die auf einem außerordentlich hohen persönlichen Einsatz Einzelner basieren, die sich glaubwürdig und konsequent für die Jugendlichen einsetzen. Aber mit der Hessischen Landesregierung hat das nicht viel zu tun.
Dass Sie sich von Experten nicht belehren lassen, kennen wir aus einer Vielzahl von Anhörungen zu den verschiedensten Fachgebieten. Dass Sie nicht in der Lage sind, eigene Erkenntnisse in Handlungen umzusetzen, ist eine Bankrotterklärung.
Dass beim Thema Jugend und Straffälligkeit nur noch die Sheriffs von Innen- und Justizministerium auftauchen, während von den Vertretern des Sozial- und des Kultusministeriums nichts zu sehen ist, führt all die Behauptungen der Landesregierung, sie hänge dem Erziehungsgedanken an, ad absurdum. Es bleibt die beschämende Erkenntnis übrig, dass die CDU noch nicht weiter gekommen ist, als es die Überschrift Ihrer Presseerklärung ausdrückt: „Straffälligkeit ist nicht angeboren“. Da kann ich nur sagen: Fröhliche Weihnachten, dass Sie das auch schon gemerkt haben.
Da Sie sich immer auf die christlichen Werte berufen, empfehle ich Ihnen zu Weihnachten die Lektüre der alttestamentarischen Gleichnisse. Das, was dort steht, ist an Ihren Herzen bisher anscheinend spurlos vorübergegangen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Hölldobler-Heumüller. – Ich darf Frau Eckhardt für die SPD-Fraktion das Wort erteilen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Uns liegt ein umfangreicher Fragenkatalog zur Jugendgewalt und zur Jugendkriminalität vor. Die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind immer sehr fleißig. Sehr umfangreich ist auch die Beantwortung. Aber was den Inhalt betrifft, halte ich sie für ausgesprochen dünn.
Unstrittig ist mit Sicherheit die Beurteilung, dass das Kriminalitätsniveau bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden unbefriedigend hoch ist.Zirka ein Viertel der von der Polizei festgestellten Tatverdächtigen ist jünger als 21 Jahre. Bei ca. 14 % der Tatverdächtigen handelt es sich um so genannte Heranwachsende zwischen 21 und 25 Jahren. Damit sind die Tatverdächtigenbelastungszahlen der unter 21-Jährigen doppelt so hoch wie die der Erwachsenen.Ob diese Zahlen wirklich ein höheres Gewaltund Kriminalitätspotenzial bei jungen Menschen signalisieren oder ob sie durch ganz andere Faktoren zu erklären sind, ist noch umstritten.
Fest steht jedoch, dass Jugendliche und Heranwachsende einer besonderen Form der sozialen Kontrolle unterliegen, weil sich ihr Handeln wesentlich mehr in den öffentlichen Nahräumen abspielt als das der Erwachsenen. Eine weitere Erklärung des Anstiegs der Jugendkriminalitätsrate in den letzten Jahrzehnten könnte in der Tatsache liegen, dass sich die jugendtypischen Konflikte immer mehr in den Bereich des Strafrechts verlagert haben. Früher wurde z. B. ein Obstdiebstahl ganz anders geahndet. Das war eine Sache, die man unter sich ausgemacht hat. Demgegenüber hat ein Ladendiebstahl heute immer eine Anzeige zur Folge.
Die Konflikte, die Jugendliche im Zuge ihres Erwachsenwerdens durchleben, sind auch durch die Stichworte „Konsumorientierung“, „Mobilität“ und „Gruppe“ gekennzeichnet. Daraus folgt, dass die Jugendlichen beispielsweise an einem Ladendiebstahl, an einem Delikt rund um das Auto und an einer Gewalttat näher dran sind. Die Gewalt entwickelt sich auffallend häufig in oder aus der Gruppe heraus.
Alle diese Erklärungsversuche, die auf eine Besonderheit der Kriminalität bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden verweisen, können aber keine Rechtfertigung der Taten oder eine Verharmlosung des Problems darstellen.
Die Stagnation der Tatverdächtigenbelastungszahlen seit 1997/1998 ist deshalb bei weitem keine Trendwende, wie es die Landesregierung behauptet. Die Zahlen drücken eine ungebrochen hohe Gewalt- und Kriminalitätsbereitschaft schon bei sehr jungen Menschen aus. Sie sind deshalb auch ein Hinweis auf eine Situation, die verstärkte Anstrengungen erfordert, die primär im Zusammenhang mit präventiven Maßnahmen unternommen werden müssen. Es gibt Beispiele in diesem Land, die ein großes, teilweise ehrenamtliches Engagement von Menschen auf dem Gebiet der Präventionsarbeit zeigen. Beispielhaft sind hier sicher die Maßnahmen der hessischen Polizeipräsidien, die das Problem mit hoher Kompetenz und mit
Alle Präventionsprojekte, die in der Antwort auf die Große Anfrage beschrieben werden, sind mit Sicherheit sehr gut. Ich frage allerdings auch: Wo ist da, um Gottes willen, das Verdienst der Landesregierung?
Was nützen aber das Engagement,die Kompetenz und die richtige Herangehensweise, wenn diese Landesregierung die Bedingungen, unter denen die hessische Polizei arbeiten muss, ständig verschlechtert? Arbeitszeitverlängerung, höhere Belastungen des einzelnen Polizeibeamten und der einzelnen Polizeibeamtin, Verlagerung von Verwaltungsarbeiten auf Bereitschaftspolizisten.
Ein Beispiel aus meinem Landkreis – das habe ich gerade aus einem Bericht entnehmen können: Es können keine weiteren Trainingsmaßnahmen von Schülerinnen und Schülern vorgenommen werden, die zu Schulbuslotsen ausgebildet werden. – Das sind diejenigen, die gleich morgens deeskalierend und Streit schlichtend wirken sollen. Die Dienststelle sagt, sie könne dies in Zukunft aufgrund des eklatanten Personalmangels in der Dienststelle nicht mehr leisten. Das ist ein grobes Missverhältnis zu all den netten Ausführungen in Ihrem Bericht.
Besonders bedrückend finde ich aber die Gewaltbereitschaft an unseren Schulen. Die Landesregierung verweist in Ermangelung eigener Zahlen auf den BKA-Bericht. Dort wird von einem Drittel gewalttätiger Schülerinnen und Schüler gesprochen und von 5 % junger Menschen, die ihre Mitschüler regelmäßig drangsalieren, bedrohen oder herabwürdigen.
Man kann sich vorstellen, wie es jedem einzelnen Kind morgens geht, das leicht zum Opfer wird, wenn es zur Schule muss. Man kann sich auch vorstellen, wie sich Eltern fühlen, die diese Kinder jeden Morgen in diese Situation schicken müssen. Es handelt sich häufig um Schüler mit schlechteren Noten, um Sitzengebliebene, Schulschwänzer, die dieses aggressive und manchmal auch delinquente Verhalten zeigen.
Meine Herren, meine Damen, das hat unmittelbar etwas mit zu großen Klassen zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass Lehrerinnen und Lehrer zu wenig Zeit für die einzelnen Schüler haben, dass Förderung schwächerer Schüler nicht mehr stattfinden kann und dass Abschieben in andere Schulformen leichter geworden ist.
Wundert es Sie denn überhaupt nicht, dass es ausgerechnet die Aussortierten oder die von Aussortierung Bedrohten sind,die vermehrt aggressives Verhalten an den Tag legen? Das Landesinstitut für Pädagogik oder die schulpsychologischen Dienste in Hessen sollen diese Problematik anschließend wieder aufarbeiten. Meine Damen und Herren, dies ist wirklich nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ganz besonders spannend finde ich es dann, wenn die Landesregierung in ihrer Antwort die Wiesbadener Erklärung, also das Schließen von Erziehungsvereinbarungen mit Eltern, als Mittel zur Kriminalitätsvorbeugung darstellt. Das ist ja nun wirklich realitätsfern.
Wenn Sie glauben, mit diesem Instrumentarium Prävention zu leisten, dann kennen Sie schlicht und ergreifend die Situation der Menschen nicht, über die Sie hier dauernd reden.
(Beifall bei der SPD und der Abg.Margaretha Höll- dobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Birgit Zeimetz-Lorz (CDU):Aber Sie!)
Ja, das nehme ich für mich in Anspruch. – Glauben Sie wirklich, dass Sie Eltern, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Situation bildungsfern sind und am untersten Ende der Leiter der sozialen Hierarchie stehen, mit Erziehungsvereinbarungen erreichen?
Meine Damen und Herren, diese Ansätze sind völlig untauglich, damit erreichen Sie die Adressaten nicht.
Im Gegenzug müssen Sie sich aber fragen lassen: Warum haben Sie den Modellversuch Kooperation von Jugendhilfe und Schule beendet, ohne dass das Konzept der Landesservicestelle umgesetzt wurde?
Warum wurden zusätzlich die wenigen Maßnahmen zur Sozialarbeit an Schule komplett gestrichen? – Sie hätten doch nur einmal nach Baden-Württemberg schauen müssen, Sie sind doch sonst auch südstaatenorientiert. Dort läuft es gut. Es gibt in diesem Land eine Reihe positiver präventiver Maßnahmen in Bezug auf Kriminalitätsbekämpfung bei jungen Menschen. Was die Landesregierung an eigenem Engagement in dieser Frage einbringt, ist viel zu wenig, und die Ansätze sind teilweise auch völlig untauglich. Die Verantwortung wird teilweise auf die Kommunen abgeschoben. Die Landesregierung sieht sich in einer rein koordinierenden Funktion; sinnvoller wären hier griffige Konzepte.
Besonders negativ wird von uns die Tatsache bewertet, dass Sie den Präventionsprofis in den Erziehungsberatungsstellen, der Drogen- und Suchtberatung, der Jugendberufshilfe etc. – leider ist es ein ewig langer Schwanz, den man hier aufzählen könnte – die Unterstützung aufgekündigt haben.