Ich wollte nur verbalisieren, was ich in Form von Nicken als Äußerung aus der CDU-Fraktion aufgenommen habe. Dass der Änderungsantrag schriftlich vorliegen muss, ist uneingeschränkt ebenso richtig.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte die Diskussion nach IGLU für außerordentlich erfreulich, weil sie deutlich macht, dass wir eine Gesamtanstrengung in der Bildungspolitik brauchen, die
den vorschulischen Bereich ebenso wie die Grundschulen und die weiterführenden Schulen umfassen muss.
Wir sehen bei den Ergebnissen von IGLU durchaus, dass es Zeichen der Hoffnung gibt, aber auch die Anzeichen für Schwierigkeiten müssen wahrgenommen werden. Wir haben ein gutes Ergebnis, und man könnte nach dem Echo auf IGLU durchaus meinen, only bad news seien good news,denn die Berichterstattung über IGLU war relativ schnell beendet.Wir hatten gute Ergebnisse, aber wir müssen uns über einige Facetten klar werden,wo wir noch weitere Schritte gehen müssen,damit wir Folgerungen aus dieser Studie auch für die Sekundarstufe I ziehen können.
Erstens. Eine Risikogruppe von über 10 % der Kinder – kombiniert mit der Gruppe derer, die sich gemäß ihrer Kompetenz in die eine oder andere Richtung entwickeln können, also auch zu der Risikogruppe stoßen könnten – ist eindeutig zu groß. Auf der anderen Seite steht die Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die sehr gut lesen können; sie ist aber mit 18 % im Vergleich zu den Ergebnissen aus England, wo die Gruppe dieser Kinder 30 % ausmacht, schlicht zu klein.
Das Ergebnis, dass Kinder nicht deutscher Herkunft bereits mit ca. 55 Punkten – d. h. in Jahren gerechnet, um über ein Schuljahr – hinter den anderen zurückliegen, ist hochgradig bedenklich und ruft im Wesentlichen die Folgen hervor, die wir bei PISA an den weiterführenden Schulen zur Kenntnis nehmen mussten.
Wenn bereits 18 % der Kinder im Grundschulalter sagen, sie lesen nicht gerne und nicht freiwillig, dann finde ich das nicht uneingeschränkt erfreulich. Das kumuliert sich zu dem Ergebnis, das wir bei PISA gesehen haben.
Wenn wir sehen, dass leistungsstärkere Kinder in Deutschland nicht speziell gefördert und gefordert werden, sondern eher nebenherlaufen, während man fast ausschließlich auf die schwächeren Schülerinnen und Schüler eingeht, dann sollten wir darüber in unserer unterrichtlichen Praxis nachdenken.
Man kann sehr unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Bevor die Ergebnisse dieser Untersuchung überhaupt auf dem Tisch gelegen haben, gab es schon wieder ganz viele, die gesagt haben, sie wüssten ganz genau, woran das alles liegt, und würden auch die Konsequenz kennen, die laute: Ganztagsschule und Gesamtschule. – Das geschah ein bisschen reflexartig. Frau Henzler hat das mit Blick auf Frau Habermann bereits so qualifiziert. Bei der Bundesbildungsministerin geht es mir gelegentlich ähnlich, weil sie – bis hin zum Thema Analphabetismus in Deutschland – immer nur zwei Stichworte reflexartig bringt, nämlich Ganztagsschule und nationale Bildungsstandards.
Wir müssen uns schon ein wenig differenzierter an die Probleme heranbewegen, d. h. ein pädagogisches Gesamtkonzept entwerfen, das nicht bei den Strukturen anfängt, sondern bei den Strukturen endet, vor allen Dingen aber zu einer pädagogischen Diskussion führt. Deswegen halte ich den Antrag, der heute von der CDU-Fraktion vorgelegt worden ist, für richtig.
Um das zwischendurch kurz einzuflechten: Meine sehr verehrte Damen und Herren von der SPD und zum Teil von den GRÜNEN, wenn diese Reflexe immer wieder durchkommen, dann frage ich mich, warum in den Ländern, in denen die SPD an der Regierung beteiligt ist, vieles sehr viel unverkrampfter und zum Teil gar nicht unähnlich zu dem diskutiert wird, was in Hessen vonseiten der Regierung vertreten wird. Schauen Sie sich an, wie
stark gegen landesweite Vergleichsarbeiten polemisiert wird. Solche landesweiten Vergleichsarbeiten gibt es in all den Ländern, wo die SPD mit an der Regierung ist. In Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz gibt es solche Vergleichsarbeiten. Einheitliche Standards, selbst im Vorgriff auf die KMK-Standards, werden in etlichen von Sozialdemokraten regierten Ländern vorbereitet.
Landesweite Leistungsmessungen – bis hin zu landesweiten Prüfungen – werden auch in etlichen sozialdemokratisch regierten Ländern diskutiert bzw. vorbereitet. Neue Versetzungsbestimmungen gibt es auch in etlichen der anders regierten Länder. Selbst über das Zentralabitur diskutiert man in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen – auch schon, als es noch anders regiert war –, Hamburg, Brandenburg, Bremen und Berlin.
Überall findet diese Diskussion statt. Überall wird über Bildungsstandards und über ergebnissichernde Maßnahmen diskutiert. Nur die SPD in Hessen, die sich in der Opposition befindet, hat sich noch nicht an diese Diskussion gemacht. Ich denke, es ist um messbarer Qualitätsverbesserungen willen dringend erforderlich, diese Diskussion zu führen.
Deshalb ist es richtig, dass der Antrag der CDU-Fraktion bei der Verknüpfung von Kindergarten und Grundschule ansetzt. Dort brauchen wir nämlich – darüber sind wir mit den Trägern bereits im Gespräch – eine Vereinbarung nicht nur darüber, was mit den Fünfjährigen geschehen soll, sondern auch darüber, was im Rahmen des gesamten Bildungsprozesses von der Geburt an bis zum zehnten Lebensjahr stattfindet.Welchen Bildungsauftrag können die Kindergärten für die Drei- bis Sechsjährigen – nicht nur für die Kinder eines einzigen Jahrgangs – übernehmen? Die Bildung im Kindergarten muss als ein Prozess begriffen werden, der von Anfang bis Ende seinen eigenen Wert hat, und sie muss auch auf die Grundschulen vorbereiten.
Die Vorbereitungen in diesem Bereich laufen. Ich denke, wir werden mit den Trägern zu einem Konsens kommen. Die Aussichten sind recht gut, dass dies auch gelingt. In allernächster Zeit wird ein verbesserter Lehrplanentwurf für die Erzieherinnenausbildung in das Anhörungsverfahren gehen, sodass die Erkenntnisse, die sich aus den Untersuchungen und auch aus der Hirnforschung ergeben, jetzt Schritt für Schritt in die Erzieherinnenausbildung einfließen und sich dann multiplizieren werden.
Wenn Frau Habermann erneut in polemischer Weise darauf hinweist, dass die Vorlaufkurse an unseren Grundschulen angeblich zulasten des übrigen Unterrichts an den Grundschulen gingen, sage ich erst einmal: Die Stellen, die zur Förderung von Kindern nicht deutscher Herkunft zur Verfügung gestellt werden, werden erstmals voll und ganz zu diesem Zweck verwendet. Das ist die wesentliche Erkenntnis. Vorher sind sie nämlich schlicht und einfach nicht für die Deutschförderung zur Verfügung gestellt worden – schon gar nicht den Grundschulen und schon gar nicht für die Vorlaufkurse.
65 % aller Stellen, inklusive Vorlaufkurse, die für die Deutschförderung zur Verfügung stehen – bei den Kleinen sind sie genau richtig –, sind jetzt in den Grundschulen angesetzt.
Daran, dass wir im Schuljahr 1999/2000 erst 230 Kinder in den Verlaufkursen hatten, diese Zahl aber jetzt auf 4.600 angestiegen ist, sieht man deutlich, dass es sich nicht nur
um einen quantitativen, sondern auch um einen qualitativen Sprung handelt. Das werden wir merken, wenn beim Übergang in die 1. Klasse weniger Kinder zurückgestellt werden müssen, als dies bisher der Fall war.
Was die Förderung von Begabten in der Grundschule angeht, so hat Frau Kölsch zu Recht darauf hingewiesen, dass 16 Grundschulen, die in vier Regionalgruppen zusammengefasst sind, schon jetzt auch andere Grundschulen unterstützen, die etwas für besonders begabte Schülerinnen und Schüler machen wollen.
Aber es geht natürlich darüber hinaus. Es geht nämlich tatsächlich um eine Steigerung der Zahl der Schülerinnen und Schüler – 18 % bei IGLU –, die die Kompetenzstufe 4 erreichen. Diese Zahl muss sich erhöhen. Sie müssen besser gefordert und gefördert werden können, und das werden unsere Grundschulstandards dann zu leisten haben.
In der Lehreraus- und -fortbildung brauchen wir – da befinden wir uns auf dem besten Wege – eine systematische Personalentwicklung. Wir brauchen auch gerade für die Grundschullehrer eine veränderte Ausbildung.
Wir haben in unser Regierungsprogramm geschrieben, dass wir in Zukunft nicht mehr – ich sage das zugespitzt – bloße Fachlehrer ausbilden, sondern dass wir Klassenlehrerinnen und -lehrer ausbilden, die ihre Klassen von der 1. bis zur 4. Klasse führen können und die die Kinder in dem Erstlese- und Erstrechenprozess begleiten, der als Grundlage für die weitere Ausbildung wesentlich ist.
Ich bin so gut wie fertig mit meiner Rede. – Ich möchte noch einen Aspekt,der mir wichtig ist,nennen.Dabei geht es um die Bildungsstandards. Frau Kollegin Habermann hat geglaubt,dass sie die Bildungsstandards wiederum mit dem Thema Auslese koppeln müsse. Die Länder, die sowohl bei PISA als auch bei IGLU gut abgeschnitten haben, nämlich England, die Niederlande und Schweden, zeichnen sich nicht durch eine Schulformdebatte aus. Übrigens haben das immer gerühmte Italien, das ebenfalls eine längere Schulzeit hat, und viele andere Länder schlechtere Ergebnisse als Deutschland erzielt. Aber die „Siegerländer“ zeichnen sich nicht durch eine Schulformdebatte aus, sondern dadurch, dass sie Bildungsstandards, Schulprogramme und eine klare externe Evaluation haben.
In diese Richtung muss die Diskussion gehen. Das hat etwas damit zu tun, dass wir festschreiben und definieren wollen, welche Ergebnisse am Ende der Klasse 4 erreicht werden sollen. Diese Standards brauchen wir zwingend, damit wir uns darauf verlassen können, dass am Ende der Klassen 4, 9 und 10 das jeweilige Ziel erreicht wird, damit aber den Schulen bei der Arbeit im Detail auch Spielräume eingeräumt werden.
Deswegen glaube ich, dass wir uns an den Besten der Welt in der Weise orientieren müssen,dass wir sagen:Sie haben Standards eingeführt, und sie sorgen durch eine externe Beobachtung dafür, dass diese Standards eingehalten werden. Sie sorgen ebenfalls dafür, dass die Schulen die
Frau Habermann, es ist eben auch wichtig, dass die Schulen die Mittel erhalten, um diese Standards einhalten zu können. Dass die Qualität in der pädagogischen Arbeit Platz greifen kann, hängt unmittelbar davon ab, ob die Schulen genügend Mittel zur Verfügung haben, um den Stundenplan abdecken und sogar ausweiten zu können, so, wie wir das im neuen Schuljahr gerade bei den Grundschulen vorhaben. – Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, da Frau Ministerin Wolff die Redezeit etwas überschritten hat, stehen den Oppositionsfraktionen noch einmal fünf Minuten Redezeit zur Verfügung. – Herr Walter hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das sind ja abwegige Themen, über die wir jetzt diskutieren sollen.
Frau Kultusministerin, ich möchte die Mittagspause nicht hinauszögern, aber Sie haben zwei Punkte angesprochen, die, wie ich glaube, einer Richtigstellung bedürfen. Der eine Punkt war die Position der SPD-Fraktion zu vergleichenden Tests in Grundschulen, in Mittelstufen und auch in der Oberstufe. Natürlich hat die SPD überhaupt nichts gegen vergleichende Tests einzuwenden. Es wäre geradezu widersinnig, wenn wir Anträge mit den Ergebnissen der PISA-Studie und der IGLU-Studie begründen und dann sagen würden: Aber eigentlich sind wir gegen vergleichende Tests.
Nein, wir halten vergleichende Tests für richtig.Wir halten sie für sinnvoll, insbesondere dann, wenn aus den Ergebnissen auch tatsächlich Konsequenzen gezogen werden, d.h.wenn man sich z.B.eine Schule,die schlechter als eine andere Schule in derselben Stadt abgeschnitten hat, genauer anschaut und sich fragt, was an dieser Schule los ist: Ist das ein Problem der Einrichtung dieser Schule? Ist das ein Problem der Lehrerinnen und Lehrer? Ist das möglicherweise ein Problem der Schülerinnen und Schüler? Ich glaube, so kann man objektive Daten gewinnen, die uns auch in Hessen weiterbringen, was die Beurteilung der Schulen angeht.
Aber bei dem zweiten Punkt sind wir nicht Ihrer Meinung. Ich glaube, die komplette Opposition ist nicht Ihrer Meinung. Dabei handelt es sich nämlich um die zentralen Abschlussprüfungen. Die zentralen Abschlussprüfungen halten wir für falsch, denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die zentralen Abschlussprüfungen stehen im Widerspruch zu Ihrer eigenen Forderung nach mehr Autonomie für die Schulen. In dem Moment, da man in Hessen zentrale Abschlussprüfungen einführen will, zwingt man die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer geradezu dazu – jedenfalls in den letzten Schuljahren –, die gesamte Schul
ausbildung auf diese Abschlussprüfungen, die dann von Wiesbaden zentral vorgegeben werden, auszurichten.
Wenn Sie sagen: „Wir wollen, dass die Schulen ein eigenes Profil entwickeln können“, entgegne ich Ihnen, dass dies ein absoluter Widerspruch zu Ihrer Forderung nach zentralen Abschlussprüfungen ist, weil diese zentralen Abschlussprüfungen alle Schulen zwangsläufig in ein Korsett zwängen.
Von dem eigenständigen Profil ist dann nichts mehr vorhanden. Wenn die Frau Kultusministerin sagt: „Auf der sachlichen Ebene geben wir Autonomie, nur auf der fachlichen Ebene“ – nämlich das, was zum Schluss abgefragt wird – „geben wir die Autonomie nicht“, ist dies genauso, also ob Sie jemanden in eine Zwangsjacke stecken und auf seine Beschwerde hin sagen würden: Aber innerhalb der Zwangsjacke kannst du dich frei bewegen. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat nichts mit Autonomie zu tun.
Die zentralen Abschlussprüfungen, wirklich zu Ende gedacht,führen dazu,dass sie jedenfalls in den letzten Schulklassen die hessische Einheitsschule schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass dies auch eine zutiefst unliberale Einstellung in Ihrer Bildungspolitik ist. Deshalb lehnen wir von der SPD-Fraktion die zentralen Abschlussprüfungen ab. Die Vergleichstests während der Schulausbildung halten wir für richtig. Die zentralen Abschlussprüfungen sind der falsche Weg, Frau Kultusministerin.