Protocol of the Session on May 8, 2003

An dieser Stelle möchte ich auf den Antrag der GRÜNEN eingehen. Liebe Priska Hinz, der Vorschlag einer sechsjährigen Grundschule ist für uns in der Form ein Schnellschuss.

(Beifall des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Es wären auch die Fragen zu beantworten, die Frau Kölsch in Bezug auf Berlin gestellt hat. Der Erfolg dieses Modells einer sechsjährigen Grundschule kann ein Ergebnis einer solchen Diskussion sein, muss aber nicht das sein, was am Ende als Konsens dabei herauskommt. Denn wir müssen auch Akzeptanz für einen solchen Diskussionsprozess zur Umstrukturierung unseres Schulsystems in der Gesellschaft herstellen.Die SPD ist dazu bereit und wird diesen Prozess organisieren.

Ich möchte schließen mit einem weiteren Zitat von Klaus Klemm:

Die Debatte um das Schulsystem wird auch bei guten IGLU-Ergebnissen nicht leicht. Aber an ihr führt dann kein Weg mehr vorbei.

Diese Debatte werden wir führen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin ist Frau Doris Henzler für die FDPFraktion.

Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Frau Habermann, es ist immer schön, Sie enttäuschen einen nie. Zum einen war wieder das Thema Ganztagsschule in Ihrem Vortrag,und zum anderen haben Sie immer nur einen Gedanken: Sie wollen an dem System herumdoktern, Sie wollen das System ändern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie wollen immer nur die Äußerlichkeiten ändern. Das alles bringt nichts, und alle Studien haben jetzt ergeben, dass dieses Thema nicht das Entscheidende ist. Das Entscheidende sind die Inhalte, was in den jeweiligen Systemen gemacht wird. Je vielfältiger die Systeme, umso besser ist es.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Im Gegensatz zu PISA fielen die Ergebnisse der internationalen Grundschuluntersuchung für Deutschland auf den ersten Blick erfreulicher aus. Mit Platz 11 rangiert Deutschland im vorderen Drittel, allerdings immer noch abgeschlagen hinter der Spitzengruppe, die von Schweden, den Niederlanden und England gebildet wird. Das sind alles Schulsysteme mit einer ausgesprochen intensiven vorschulischen Bildung. Das ist etwas, was man da wirklich lernen kann. Die fangen sehr viel früher mit der Bildung an und betreiben die vorschulische Bildung sehr viel intensiver.

Aber die Tatsache, dass die Grundschulen bei IGLU besser abgeschnitten haben als vor zwei Jahren die Mittelstufe bei PISA, hat jetzt wieder eine Reformdebatte angestoßen, die den Sekundarstufe-I-Schulen den schwarzen Peter zuschiebt und die Grundschulen hochjubelt. Das kann meiner Meinung nach aber nicht das Ergebnis dieser beider unterschiedlichen Studien sein. Denn man muss doch genauer hinschauen.

(Beifall bei der FDP)

Ein näherer Ergebnisvergleich von PISA und IGLU zeigt, dass mehrere Gründe gegen eine verengte Sichtweise sprechen und dass das Abschneiden der deutschen Grundschulen zwar erfreulich ist, man es aber nicht überbewerten sollte. Man sollte sich vor allem nicht darauf ausruhen.

An beiden Untersuchungen nehmen ganz unterschiedliche Staaten teil. Von den 20 Ländern, die bei PISA vor Deutschland lagen, waren zehn gar nicht mit dabei, darunter die Spitzenreiter Finnland, Korea und Japan. Bei IGLU kamen bei den Testländern viel schwächere Staa

ten hinzu, nämlich Marokko, Kolumbien und der Iran. Damit ist es natürlich relativer, wie gut wir dabei abgeschnitten haben.

Bei IGLU wurden die Viertklässler getestet, die noch in den Grundschulen zusammen unterrichtet werden. Bei PISA wurden Fünfzehnjährige getestet, die in unterschiedlichen Schulformen unterrichtet wurden. Darüber hinaus waren die deutschen Fünfzehnjährigen erst in der 9. Klasse, während in den Vergleichsländern die Fünfzehnjährigen bereits in der 10. Klasse sind. Das ist das Problem der späten Einschulung. Bei IGLU waren die Deutschen dagegen im Vorteil, da die Viertklässler im Schnitt ein Jahr älter sind. Da macht sich das Alter bei der Reife und den Ergebnissen doch ein Stück weit bemerkbar.

Eine Gesamtschau der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Leistungsstudien macht schließlich das Grundübel des deutschen Schulsystems deutlich: Unsere Kinder gehen viel zu spät in die Schule. Es gibt keinen Grund, die deutschen Ergebnisse der IGLU-Studie zu sehr zu bejubeln und sich darauf auszuruhen. Das habe ich vorhin schon gesagt. Reformbedarf besteht weiterhin, auch in der Grundschule. Deshalb sollte man weiter an den Inhalten arbeiten und nicht nur an den Formen. Wir sollten generell aufhören, uns nur über die Schulsysteme und den Rahmen zu unterhalten, sondern wir sollten die Inhalte betrachten.

Zielführender ist deshalb eine Verbesserung des konkreten Unterrichts, ebenfalls eine Empfehlung der IGLUProjektleitung. Diese Zielsetzung hat bei der FDP schulpolitische Priorität.

Wir stellen schon mit Erleichterung fest, dass die deutschen Ergebnisse bei IGLU besser waren als bei PISA. Allerdings ist das überhaupt kein Grund, die Grundschulzeit zu verlängern. Die grüne Sichtweise – die Grundschulen machen alles besser, also verlängern wir die Verweildauer in den Schulen – ist nur ein Hinauszögern der Probleme der weiterführenden Schulen. Außerdem haben auch hier die Bundesbürger mehrheitlich gesagt, dass sie gegen eine Verlängerung der Grundschulzeit sind.

Es muss vielmehr genauer betrachtet werden, was an den Grundschulen besser funktioniert. Das ist mit Sicherheit der Umgang mit den jetzt leistungsheterogenen Gruppen, weil Grundschullehrer und Grundschullehrerinnen in der 1. Klasse Kinder vorfinden, die völlig unterschiedlich ausgebildet sind, die sich in einem völlig unterschiedlichen Reifestatus befinden und die es deshalb von den Leistungsschwachen bis zu den Leistungsstarken zu beachten gilt. Genau deshalb muss die Ausbildung der Grundschullehrer verbessert werden.

(Beifall bei der FDP)

Aber viele Elemente aus der Ausbildung der Grundschullehrer, nämlich der Umgang mit schwächeren Kindern und stärkeren Kindern, nämlich die Diagnosefähigkeit und die Methodik, müssen in die Ausbildung der Lehrer für die Sekundarstufe I übernommen werden, um dort weiter arbeiten zu können und um die Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I in die Lage zu versetzen, genauso gut zu handeln, wie das die Grundschullehrerinnen tun.

(Zuruf der Abg. Christel Hoffmann (SPD))

Deshalb ist die Verlängerung der Grundschulzeit für uns überhaupt kein Thema. Das gute Abschneiden darf aber weitere Reformen im Grundschulbereich nicht verhin

dern.Dazu zählt unserer Meinung nach die möglichst gute Vorbereitung auf die Grundschule.

(Beifall bei der FDP)

Da sind wir überhaupt nicht der Meinung, dass es sinnvoll ist, die Grundschulzeit im ersten Schuljahr auf drei Jahre zu verlängern, d. h. dass ein Kind drei Jahre lang in der 1.Klasse sein kann,weil dann das einzelne Kind eine Leistungsverzögerung, eine Zeitverzögerung hat, und davon hat es selbst auch nichts.

Vor allen Dingen die Altersspreizung, die schon jetzt in den Grundschulklassen sehr, sehr groß ist und dadurch noch größer wird, dass wir gesagt haben, dass leistungsstarke Kinder früher eingeschult werden können, stellt die Grundschullehrer vor riesige Probleme. Kinder im Alter zwischen fünf und sieben Jahren sind hinsichtlich der körperlichen Größe und Reife dermaßen unterschiedlich, dass es meiner Meinung nach überhaupt nichts bringt, wenn man die Altersspreizung in den Klassen noch größer macht. Das einzig Sinnvolle ist, das Modell der Kinderschule, das die FDP hier schon vorgetragen hat, verpflichtend für alle Fünfjährigen einzuführen.

(Beifall bei der FDP)

Die Sprachförderung, die in dem Antrag der CDU angesprochen wird und sich nur auf ausländische Kinder bezieht, geht uns in diesem Falle nicht weit genug. Wir wollen dazu einen Änderungsantrag stellen. Dem zweiten Absatz, der mit den Worten „Das Bestreben der Landesregierung“ beginnt, sollte folgender Satz angeschlossen werden:

Sie sollten in einem weiteren Schritt auf alle Kinder mit Sprachproblemen ausgeweitet werden.

Ich denke, das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Deshalb sollte dieser Änderungsvorschlag in den Antrag der CDU aufgenommen werden. Dann kann die FDP dem gesamten Antrag zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Wir unterstützen die Forderung nach Bildungs- und Erziehungsplänen in der frühen Kindheit.Wir sind auch dafür, dass es sich dabei um Bildungsstandards und Curricula für die Bildung an Kindergärten handelt.Wichtig ist, dass es dabei nicht um einen Papiertiger geht, sondern um verbindliche Dinge. Wir haben z. B. unsere Probleme mit den Erziehungsverträgen. Erziehungsverträge werden selbstverständlich die Eltern abschließen, die sich sowieso um ihre Kinder kümmern. Ich glaube aber nicht, dass Sie die Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, mit Erziehungsverträgen binden können. Die werden sie weder unterschreiben noch später einhalten.

Es ist auch die Frage, wie bei den momentanen sächlichen und personellen Voraussetzungen unserer Kindertagesstätten ein verbindliches Curriculum einzuhalten ist. Wir haben in Schottland gesehen, dass die Zahl der Kinder in den Vorschulkindergruppen wesentlich kleiner als bei uns ist, und der Personaleinsatz ist erheblich höher. Demzufolge sind natürlich auch die Effizienz und die Möglichkeiten besser, Bildung zu vermitteln. Ich denke, hier muss man überlegen, wie man auch bei den Kindertagesstätten die personelle und sächliche Ausstattung deutlich verbessert.

Bei der Begabtenförderung stehen wir voll hinter dem Antrag der CDU. Der konsequente Ausbau der betonten Grundschulangebote zur Begabtenförderung ist weiterzuführen. Er sollte flächendeckend sein. Wir halten sehr

viel mehr davon, hoch begabte Kinder in den regulären Grundschulen zu fördern, als sie zusammenzuziehen und in eigene Schulen zu stecken.

IGLU darf die Reformanstrengungen an den Grundschulen nicht untergraben. Vielmehr sollten die Ergebnisse Ansporn sein, in dem wichtigen Bereich des Schuleintritts grundlegende Veränderungen anzustreben und die Qualität des Grundschulunterrichts weiter zu verbessern. Damit einhergehend muss aus liberaler Sicht das Finanzierungssystem unseres Bildungswesens umgestülpt und vom Kopf auf die Füße gestellt werden.Wir müssen mehr „unten“ investieren.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP wird mit ihren Konzepten zur Kinderschule und zur Grundschullehrerausbildung dafür kämpfen, dass aus den Grundschulen mit der Note „Befriedigend“ Grundschulen mit der Note „Sehr gut“ werden.

(Beifall bei der FDP)

Abschließend bitten wir darum, dass unser Änderungsantrag zum CDU-Antrag übernommen wird und dass wir über die einzelnen Punkte des Antrags der GRÜNEN einzeln abstimmen, denn dann könnten wir auch Punkt 1, 2 und 5 zustimmen, während wir Punkt 3 und 4 ablehnen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich muss meine Fraktion darauf hinweisen, dass sie gemäß § 27 der Geschäftsordnung Änderungsanträge schriftlich einzureichen hat. Der Änderungsantrag ist bisher nicht bei mir eingegangen.

Ich möchte des Weiteren die CDU-Fraktion bitten, mir zu erklären, ob sie den Vorschlag übernimmt. Das enthebt die FDP-Fraktion aber nicht der Pflicht, den Änderungsantrag schriftlich einzureichen.

Nun gebe ich das Wort an Frau Kultusministerin Wolff.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Äußerungen der CDUFraktion, für die ich nicht sprechen darf, richtig verstanden habe, Frau Präsidentin, dann ist sie bereit, den von Frau Henzler vorgetragenen Satz mit aufzunehmen, weil er vollkommen richtig ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei Abge- ordneten der CDU)