Protocol of the Session on September 14, 2004

Sie haben gesagt, die Klassen würden immer voller. Das ärgert mich. Sie sagen nämlich bewusst die Unwahrheit.

Die Zahlen liegen auf dem Tisch, und ich will Ihnen die Zahlen nicht vorenthalten.

(Beifall bei der CDU)

Ich zitiere aus der „Hessenwoche“ vom Jahre 1998. In der Grundschule hatten wir damals in Hessen im Schnitt 22 Schülerinnen und Schüler pro Klasse. Heute sind es 21,5. In der Realschule hatten Sie damals im Schnitt pro Klasse 26,1 Schülerinnen und Schüler. Heute ist die Durchschnittszahl exakt die gleiche. In der Hauptschule hatten Sie im Schnitt 19,7 Schülerinnen und Schüler pro Klasse, heute sind es 19,9. Im Gymnasium gab es zu Ihrer Regierungszeit im Schnitt 27,4 Schülerinnen und Schüler pro Klasse, bei uns sind es 27,9. Das ist die Realität. Sie können doch nicht so tun, als ob die Klassen in diesem Bundesland voll gepfropft würden.Das ist schlicht und ergreifend die Unwahrheit. Das muss ich Ihnen an dieser Stelle noch einmal sagen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die zwei Minuten sind jetzt zu Ende. Danke schön, Herr Irmer.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ging aber schnell! – Heiterkeit)

Zwei Minuten sind eben kürzer als die üblichen fünf Minuten.

(Jürgen Walter (SPD): Mir kam es vor wie eine halbe Stunde!)

Zur Entgegnung, Frau Habermann. Auch Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Herr Irmer, ich nehme an, Sie wollten das neue Instrument ausprobieren. Ansonsten fällt mir nämlich kein Grund dafür ein, warum Sie zu dem Instrument der Kurzintervention gegriffen haben. Sie haben uns absolut nichts Neues erzählt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU)

In jeder Schuldebatte, die wir hier führen, schwelgen Sie in Vergangenheitsbewältigung. Das haben inzwischen alle Kolleginnen und Kollegen zur Kenntnis genommen. Wir reden von der Gegenwart. Sie wissen sehr genau, dass auch in unserer Regierungszeit Lehrerstellen geschaffen wurden und dass die Lehrerarbeitszeit verlängert wurde. Sie haben damals Ihr Recht genutzt, uns zu kritisieren. Sie werden es uns nicht nehmen können, dieses Recht heute für uns in Anspruch zu nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Eine Anmerkung zu den Klassengrößen. Ich habe nicht davon geredet, dass die Klassen aus allen Nähten platzen. Ich habe gesagt, die Klassen werden voller. Das ist in der Tat nachweisbar. Die Kultusministerin erklärt jedes Jahr, die durchschnittliche Klassengröße steige um 0,3. Das klingt überhaupt nicht fürchterlich aufsehenerregend, aber die Schulen, die mit Klassenstärken an der Höchstgrenze arbeiten müssen, wissen, was das bedeutet. Es werden von Jahr zu Jahr mehr Klassen, die bis zur Grenze gefüllt werden. Die Klassenrichtgrößen, die Sie einführen

wollen, werden ein Übriges dazu tun, dass die Klassenhöchstgrenzen in Hessen ausgereizt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Wir haben zum ersten Mal das Instrument der Kurzintervention erleben dürfen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):War das schön!)

Frau Henzler, Sie haben das Wort für die FDP-Fraktion. Redezeit: 30 Minuten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem Herr Irmer in der Vergangenheit war, Frau Habermann in der Gegenwart war, spreche ich jetzt zu Konzepten für die Zukunft.

(Beifall bei der FDP)

Frau Ministerin, Sie haben gesagt, Sie treten gut gelaunt zu dieser Regierungserklärung ans Rednerpult. Das kann ich nachvollziehen, da ein paar Stunden vorher der Finanzminister öffentlich verkündet hat, dass im nächsten Jahr für die Schulen mehr Geld ausgegeben wird. Diese Ankündigung hat er genau richtig terminiert, da Sie heute Ihre Regierungserklärung abgegeben haben.

Bereits der Titel dieser Regierungserklärung ist von Widersprüchen geprägt. Er ist auch inhaltlich falsch. Zu dem zweiten Teil des Titels – Bildung ist Zukunftsfaktor Nummer eins in Hessen – ist zu sagen: Mittlerweile versteht es sich von selbst, dass die Bildung der Zukunftsfaktor unseres Landes und auch unserer Kinder ist. Das weiß in Hessen mittlerweile jede Bürgerin und jeder Bürger. Allerdings wissen das auch die anderen Bundesländer. Die anderen Bundesländer handeln entsprechend dieser Erkenntnis.Für Hessen kommen einem da langsam Zweifel.

(Beifall bei der FDP)

Zum ersten Teil. Die Bedingungen, unter denen dieses Schuljahr gestartet ist, sind von allen Beteiligten, sogar von Ihnen persönlich und von dem Herrn Ministerpräsidenten, als die härtesten überhaupt bezeichnet worden. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, weshalb Sie immer noch mit dem Begriff Unterrichtsgarantie, sogar noch in der Steigerung „bis zur letzten Stelle hinter dem Komma“, durch das Land ziehen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre 1999 waren wir deutlich bescheidener. Wir haben gesagt, wir wollen die Stellen schaffen, die zur Abdeckung der Stundentafel nötig sind. Das ist erfolgt, und das ist auch heute noch so. Da macht Ihnen niemand einen Vorwurf. Trotzdem verstehen die Eltern unter „Unterrichtsgarantie“ eben etwas anderes.

(Beifall bei der FDP)

Sie verstehen darunter, dass alle Stunden gehalten werden, dass keine Stunden ausfallen und dass garantiert wird, dass kein Kind früher nach Hause geschickt wird. Das ist in diesem Lande aber nicht mehr so.

Die Anträge der Regierungsfraktion sowie der beiden übrigen Oppositionsfraktionen bereichern diese Debatte in keinem Falle. Sie alle gehen über reine Polemik nicht hinaus. Keiner dieser Anträge enthält einen ernsthaften konzeptionellen Ansatz, der es wirklich wert wäre, inhaltlich diskutiert zu werden. Auch von Frau Habermann haben wir inhaltlich nichts gehört.

(Beifall bei der FDP)

Lehrer und Schüler werden gleichermaßen verspottet, wenn angesichts der Stimmung an den Schulen vonseiten der CDU eine „hervorragende Schulpolitik“ als Selbstlob proklamiert wird und auf der anderen Seite den Lehrern und Schülern von der SPD bescheinigt wird,blöde zu sein. Der Spruch „It’s öde to be blöde“ war wirklich der größte Blödsinn, der einer Fraktion einfallen konnte.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Solche Aussagen sind für die FDP-Fraktion indiskutabel, und sie werden unserem Anspruch an die Oppositionsarbeit – da haben wir eben einen anderen Anspruch als die beiden anderen Oppositionsfraktionen – nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP)

Die Kritik der GRÜNEN wird inhaltlich auch dadurch nicht besser, dass Sie sie zu viert vortragen. Ich würde Frau Ebeling raten, darauf zu achten, dass die Schulrenovierungen in den Ferien beendet werden und die Schüler am ersten Schultag nicht gleich wieder nach Hause geschickt werden, weil die Fußböden in den Schulen nicht richtig verlegt worden sind.

(Beifall bei der FDP)

Die Situation für die hessischen Schülerinnen und Schüler ist viel zu ernst,um die Regierung mit der Kritik alleine zu lassen. Man muss ihr klare Wege aufzeigen und Aufträge zur Verbesserung der Situation geben. Das tut die FDP mit ihren Anträgen. Nicht ohne Grund sagen alle Verbände in Hessen, die Zeit von 1999 bis 2003 war ein echter Aufbruch für die Schulen in Hessen. Die Darstellung der Ministerin, dass rein rechnerisch alles prima und die Unterrichtsgarantie „bis ins letzte Komma“ erfüllt sei, klingt angesichts der Situation an den Schulen vor Ort unglaubwürdig, und sie verärgert vor allen Dingen die Betroffenen. Es wäre vom Stil her sehr viel besser, zu sagen: Es ist schwierig, es wird schwierig, und wir müssen durch ein schwieriges Jahr. – Dann fühlen sich die Menschen ernst genommen und versuchen, die Probleme zu bewältigen.

(Beifall bei der FDP)

Die Landesregierung sollte nicht zu Statistik und Zahlenakrobatik greifen. Jetzt heißt es, die Zahl der Lehrkräfte sei prozentual stärker gestiegen als die Zahl der Schüler. Mit dieser Zahlenakrobatik sollte man aber nicht verschleiern, dass 1.000 der 2.900 zusätzlichen Lehrerstellen, die wir in der letzten Legislaturperiode geschaffen haben, im vergangenen Jahr dem falsch angelegten Sparprogramm zum Opfer gefallen sind.

(Beifall bei der FDP)

Die Situation an Hessens Schulen ist eindeutig. Die Unterrichtsabdeckung – sie wird als Unterrichtsgarantie verkauft – ist in diesem Schuljahr erstmals nur durch den Einsatz von vielen zusätzlichen BAT-Kräften erreicht worden.

Die Zuspitzung der Situation hat sich bereits im zweiten Schulhalbjahr 2003/2004 abgezeichnet.Aufgrund der Umsetzung der Mehrarbeit der beamteten Lehrkräfte und der damit einhergehenden Stellenstreichungen fehlen den Schulen Lehrer und Geld. Eine große Zahl von Fachlehrerwechseln war die Folge, Lehrertourismus; die Lehrervertretungsbudgets an den Schulämtern sind verbraucht.Das alles hat zu keinem reibungslosen Unterricht im zweiten Schulhalbjahr geführt.

Bereits im Oktober 2003 haben wir darauf hingewiesen, dass die Rechnung der Landesregierung in diesem Sinne nicht aufgehen kann. Fehlende Köpfe können nicht durch mehr Stunden der beamteten Lehrkräfte ersetzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Weil Geld und Stellen fehlen, wartet in Hessen auf junge Lehrer die Arbeitslosigkeit. Sie wandern in die Nachbarländer ab. Das kann man ihnen nicht verdenken – in der vorigen Legislaturperiode haben wir sie ebenso in den Nachbarländern eingekauft. Dort haben sie heute noch eine gute Chance auf Verbeamtung.

Die Landesregierung kann die Zahl dieses Ressourcenverlustes nicht einmal beziffern.Wir haben im Kulturpolitischen Ausschuss nachgefragt. Man wusste nicht einmal genau, wie viele Lehrer ihre Examen gemacht und dann weggegangen sind. Diese Ressourcenverschwendung an in Hessen gut ausgebildeten Lehrkräften ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Für die Schulen hat das zur Folge, dass bei akutem Vertretungsbedarf – und der wird jetzt im Winter zunehmend kommen – keine Lehrkräfte mehr auf dem Markt verfügbar sind. Da sollte man die Warnung des Philologenverbandes wirklich sehr ernst nehmen.

(Beifall bei der FDP)