Protocol of the Session on May 12, 2004

(Beifall des Rudi Haselbach (CDU))

Das heißt doch nicht, dass man das immer macht. Das heißt auch nicht, dass man das bei Gegenständen macht, die langfristiger Regelung bedürfen, wo es auf Verlässlichkeit für die Betroffenen ankommt. Aber vom Grundsatz her ist das ein sehr richtiger Weg.Gerade in diesen Tagen sind wir dabei, zu prüfen, welche der zu Beginn der letzten Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze heutigen Bedürfnissen noch standhalten und welche möglicherweise außer Kraft gesetzt respektive verändert werden müssen. Dieser Weg muss dringend zur Nachahmung empfohlen werden.

Meine Damen und Herren, zum Stichwort Beweislastumkehr. Ich finde es auch spannend, wenn die CDU/CSUBundestagsfraktion formuliert: Dann lassen wir uns doch einmal, zumindest für eine bestimmte Zeit, auf Quantitäten festlegen. Verpflichten wir uns doch, jedes Jahr 200 Gesetze zu prüfen, auf veraltete Inhalte zu durchforsten und am Ende möglicherweise abzuschaffen.

Das Gleiche gilt für Genehmigungsverfahren.Was spricht denn dagegen, dass man in der Tendenz dahin kommt, wie wir das beispielsweise bei der Hessischen Bauordnung gemacht haben, dass zukünftig häufiger angezeigt und weniger beantragt werden muss? Es ist doch ein beispielhaftes Gesetz, das wir in der letzten Legislaturperiode verabschiedet haben, wonach Menschen, die im Wohnungsbau unter 22 m bleiben wollen, künftig die Möglichkeit haben, das den Bauaufsichtsbehörden anzuzeigen, und damit die Verwaltung in die Pflicht setzen, zu reagieren, und nicht, wie es bei Genehmigungsverfahren in der Vergangenheit häufig der Fall war und auch heute noch ist, teilweise jahrelang auf Baugenehmigungen warten müssen. Bitte nehmen Sie mir das ab: Irgendwann durfte ich auch einmal auf kommunaler Ebene mitwirken. Ich glaube, die Erfahrung haben wir alle gemacht. Die 90 Tage, die von den Kommunalen immer wieder vorgegeben wurden, sind eine statistische Größe, die bei näherem Hinsehen der Prüfung nicht standhält.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) und bei der FDP)

Es ist heute noch so. Sie werden als Abgeordnete die entsprechenden Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern auf dem Tisch haben, dass sich Baugenehmigungsverfahren nicht nur im Unternehmensbereich, sondern auch in der privaten Sphäre häufig noch über viele Monate, wenn nicht sogar Jahre hinziehen.

Meine Damen und Herren, wir alle miteinander sind aufgefordert, jeder an seinem Platz, das zu tun, was wir können. Der englische Ökonom Parkinson hat für uns in dieser Frage vieles Wertvolle hinterlassen. Ich erinnere mich noch, es ist bestimmt 15 Jahre her, eine kurze Beschreibung Parkinsons gelesen zu haben. Er beschrieb ein Unternehmen, das 27 Mitarbeiter beschäftigte und das nicht eine einzige Schraube produzierte, aber diese 27 Mitarbeiter an einem 8-Stunden-Tag voll auslastete. Er beschrieb in einer sehr zynischen, aber auch treffenden Weise,wie man es schaffen kann,dass man sich im Grunde nur mit sich selbst beschäftigt.

Da sind wir alle gefragt, übrigens auch die Abgeordneten des Hessischen Landtags hin und wieder bei der Formulierung von Anträgen und Anfragen, ein wenig genauer hinzuschauen, ob das denn alles sinnvoll und zielführend ist. Insofern bleibt es im Moment bei dem Appell. Die Vorschläge vonseiten der CDU/CSU in Berlin liegen auf dem Tisch. Hessen handelt schon lange mit einer erfolgreichen Landesregierung und wird beim Thema Bürokratieabbau weiterhin Vorreiter in der Republik sein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Nächste Rednerin ist Frau Schönhut-Keil für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Frankenberger, das matte Erscheinungsbild der FDP hat sich zumindest nach dem heutigen Setzpunkt nicht verflüchtigt. Ich würde sogar sagen, es hat sich über das ganze Haus gelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen will ich ganz kurz einsteigen. Herr Kollege Boddenberg, natürlich sind auch wir GRÜNE für Entbürokratisierung und Deregulierung.Wer aber an der Stelle suggeriert, man könne das Kind gleichsam mit dem Bade ausschütten, nach dem Motto: „Weg damit“, der raubt nicht nur der Politik jegliches Gestaltungs- und Lenkungsrecht, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern die Sicherheit und das Vertrauen in Verwaltungshandeln und -vollzug. Insofern ist das immer eine Abwägungsfrage.

Um es kurz zusammenzufassen: Wir sind weder der Auffassung, „Wirtschaft wird ausschließlich in der Wirtschaft gemacht“, noch glauben wir, dass alles, nur wenn es in Richtlinien, Verordnungen und Gesetze gegossen wird, dann auch dazu beiträgt, dass die Welt im Kern gut wird. So ist es natürlich nicht. Wir stehen für eine Politik, die lenkt, die Rahmen setzt, die aber auch Gestaltung zulässt und die die Bürgerinnen und Bürger nicht über Gebühr gängelt.

Herr Kollege Posch, Sie haben hier allerdings Äpfel mit Birnen verglichen. Kein Mensch wird Ihnen ernsthaft widersprechen, dass sinnlose Bürokratie abgeschafft gehört. Aber im Einzelfall ist es doch ein Abwägungsprozess. Da ist es schon verwunderlich, dass ausgerechnet die FDP hier einen Antrag stellt, um Bürokratieabbau anzumahnen. Denn Sie waren es doch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die in den vergangenen Jahren eher als Besitzstandswahrer der Lobbyverbände denn als rigorose Reformer aufgetreten sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich sage es einmal aus meiner eigenen Erfahrung in der letzten Legislaturperiode: als strotzende Lobbyisten von Apotheken-, Ärzteverbänden und Pharmaindustrie, im Wirtschaftsbereich natürlich als Vertreter der Handwerksverbände.

Da kann ich Ihnen – auch Ihnen, Herr Kollege Boddenberg – natürlich nicht das Beispiel der Handwerksordnung ersparen. Diese Diskussion ist uns allen noch sehr

gut in Erinnerung. Da trennt sich doch meines Erachtens die Spreu vom Weizen.Wer redet nur vom Bürokratieabbau, und wer betreibt ihn wirklich? Bundeswirtschaftsminister Clement hat sich doch vehement für eine Reform im Handwerksrecht eingesetzt. Er wollte von ursprünglich 94 Handwerken 65 aus dem Meisterzwang befreien. Nun sind es 53 geworden,dabei tendenziell leider die kleineren Handwerke mit weniger Beschäftigten, aber immerhin. Diese Novelle kann doch mit vollem Recht als der umfassendste Liberalisierungsschritt im Handwerksrecht seit 1953 bezeichnet werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dass den Konservativen in der Union hier die Liberalität ein wenig zu weit geht, das kann nun wirklich ernsthaft niemanden überraschen.

(Michael Boddenberg (CDU): Das hat nichts mit Liberalität zu tun, das war Kahlschlag im Handwerk!)

Herr Kollege Boddenberg, schön, dass Sie auch auf dem Ton sprechen. Denn wer sollte sich eher für das Handwerksrecht einsetzen, dessen Wurzeln in den Zünften des Mittelalters liegen, wenn nicht Sie als Konservative? – Aber ärgerlich finde ich es schon, wenn sich auch die FDP an die Seite der Besitzstandswahrer stellt, nach dem Motto: Deregulierung überall, aber nicht bei mir, Entbürokratisierung unbedingt, aber nicht bei uns.

(Dieter Posch (FDP): Sie scheinen die letzte Legislaturperiode nicht hier gewesen zu sein!)

Meine Damen und Herren, wer Bürokratieabbau tatsächlich will, Herr Kollege Posch, darf auch nicht vor Interessengruppen zurückschrecken, die der eigenen Partei nahe stehen. Die niedrige Selbstständigenquote in Deutschland, die wir alle beklagen – derzeit 9,9 % in Deutschland gegenüber 14 % im EU-Durchschnitt –, muss erhöht werden. Da sind wir uns doch einig. Kaum eine Reform kann die Selbstständigenquote in unserem Land unmittelbarer und wirksamer erhöhen als eben diese Reform des Handwerksrechts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Meine Damen und Herren, wenn ich das alles so anschaue, kann ich nur eines sagen: Wenn wir weiter so arbeiten,brauchen wir uns nicht zu wundern,wenn es in diesem Land nicht vorwärts geht.

Noch eines. Wir sind auch der Meinung, dass wir uns mit den Lobbyverbänden darüber streiten müssen, was in diesem Land noch geregelt werden soll und was nicht. Der Schwerpunkt der Überlegungen muss sein – auch da sind wir zumindest in der Überschrift mit Ihnen einer Meinung –: Wie schaffen und sichern wir neue Arbeitsplätze in diesem Lande? Meine Damen und Herren, aber es darf doch nicht der Preis sein, dass wir sämtliche sozialen und ökologischen Standards, die in diesem Land mühselig erkämpft und erarbeitet worden sind, über Bord werfen. Das muss im Jahr 2004 doch eine Messlatte sein, an der wir uns abarbeiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Im Zusammenhang mit dem Thema Arbeitsplätze und Findung geeigneten Personals möchte ich noch eine Bemerkung zu dem Thema Zuwanderungsgesetz machen. Wir alle waren und sind doch der Meinung, dass wir in

Deutschland in bestimmten Bereichen einen Fachkräftemangel haben oder noch bekommen werden. Dies betrifft hoch qualifizierte Wissenschaftler oder auch Experten in der Informatik.

Es waren doch die Kollegen von der Union, die in der aktuellen Debatte um ein Zuwanderungsgesetz lediglich die innere Sicherheit im Auge hatten. Sie fordern jetzt eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz nicht nur bei Einbürgerungen – das mag man noch nachvollziehen können –, sondern auch bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen oder -berechtigungen. Sie können doch schon jetzt nicht bei einer Einbürgerung garantieren, dass die Anfrage vor dem Fristablauf, innerhalb von sechs Monaten, erteilt wird. Meine Damen und Herren, wollen Sie tatsächlich so in der Welt dafür werben, dass qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland kommen? Es ist doch schon jetzt kein Wunder, dass immer mehr dieser Menschen sich einen Arbeitsplatz in einem anderen europäischen Land suchen, wenn sie nicht gleich in die Vereinigten Staaten gehen.

Um es kurz zu sagen: Was Sie derzeit im Ausländerrecht fordern, ist das Gegenteil von Entbürokratisierung. Es ist pure Gängelung. Alles andere werden wir an anderer Stelle debattieren. Das ist nur ein Beispiel.

Ich bin, wie alle, die bislang geredet haben, der Meinung, dass Deregulierung zu den Aufgaben gehört, die nie abgeschlossen sind. Ich denke, das weiß auch der Bundeswirtschaftsminister. Man kann ihm viel nachsagen, verehrte Kollegen,aber nicht,dass er seine Position schnell aufgibt. Herr Kollege Posch, Herr Clement mag viel verdient haben, aber sicherlich nicht Ihr Mitleid. Ich kann Ihnen auch versprechen, dass wir zu alledem nicht lauthals Ja rufen werden, sondern es wird vor allen Dingen immer eine Entscheidung in der Sache sein.

Meine Damen und Herren von der FDP, Ihr Antrag ist durchaus spitzfindig formuliert. Herr Posch, Sie geben vor, Herrn Clement zu loben. Dabei liegt Ihnen nichts ferner. Sie picken sich ein paar Sachen aus dem umfassenden Katalog heraus, die Ihnen genehm sind, um einen versteckten Vorwurf an die Bundesregierung zu formulieren. Ich denke, entlarvend sind der letzte Absatz und Ihr reales Regierungshandeln in Verantwortung. Wir GRÜNE glauben nicht, dass man so einfach, wie Sie es hier suggerieren, Genehmigungs- und Planungsrecht streichen kann.

(Dieter Posch (FDP): Doch!)

Das glauben wir nicht, ebenso wenig, wie man in einer Art hessischem Wunder Bürger- und Kundenfreundlichkeit erlangen kann. Auch hier muss im Einzelfall und an dem konkreten Thema abgewogen werden. Denn Sie müssen damit leben, dass wir nicht alle e i n Weltbild haben und dass wir nicht alle die gleichen Bedürfnisse haben. Dem muss man Rechnung tragen.

Wie schwierig das ist, zeigt der ewige Evergreen des Ladenschlussgesetzes. In den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurden problemlos komplette Sommerlöcher mit Endlosdebatten zum Ladenschlussgesetz ausgefüllt. Ich darf sanft daran erinnern, dass Sie von der FDP viele Jahre lang in Bonn versucht haben, mit zu regieren. Das zeigt doch, dass auch in Ihrem Lager die Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Sie waren sich nicht einig. Weit reichende Änderungen brauchen eben Geduld. – Um beim Thema zu bleiben: Je weiter die Einkaufsmöglichkeiten ausgedehnt wurden, umso geringer ist unseres Erachtens jetzt der Handlungsdruck, weitere Reformen zu

beginnen.Im Übrigen sind nicht allein die Öffnungszeiten ein Kriterium für den Konsum, sondern zumindest auch die Kaufkraft der Bevölkerung. Uns erscheint das Thema zumindest zum heutigen Zeitpunkt ausreichend geregelt.

Meine Damen und Herren,ein Vorschlag,den wir als Landesparlamentarier ganz genau prüfen sollten, betrifft die Experimentierklausel bei der Gewerbeordnung und den Gaststättengesetzen. Es könnte durchaus interessant sein, bestimmte Vorschriften dieser Gesetze in einzelnen Ländern probeweise auf vier Jahre auszusetzen. Allerdings gehört dazu die Bereitschaft, unterschiedliche Rechtslagen über Landesgrenzen hinweg zu akzeptieren. Sonst macht das Ganze keinen Sinn.

Andere Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers können sicher mit einer sehr breiten Zustimmung rechnen. Dazu zähle ich die Erleichterung bei der Umsatzsteuerzahlung von kleinen und mittleren Unternehmen,die Vereinfachung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, IHKs als Annahmestellen für die Eintragung ins Handelsregister – um nur einige zu nennen.

Zum Abschluss ein Satz zu dem CDU-Antrag. Herr Kollege Boddenberg, wenn Sie das brauchen, können Sie sich gerne selbst loben, auch täglich.

(Michael Boddenberg (CDU):Ja! Von Ihnen würde ich es auch nicht erwarten!)

Viel Vergnügen dabei. Vieles, was Sie vorgeschlagen haben, Herr Kollege Boddenberg, ist auch okay. Aber Sie mogeln sich doch hier vor der Öffentlichkeit um die Wahrheit herum. Sie wissen genauso gut wie wir, dass viele der 3.500 Regelungen, die Sie außer Kraft gesetzt haben, schon längst überholt waren und nicht mehr angewandt worden sind.

(Petra Fuhrmann (SPD): Im Gegenteil! – Michael Boddenberg (CDU): Das war der Grund!)

Sie müssen dafür keine Schildkröten und Feldwege bemühen. – Regen Sie sich doch nicht auf. Es gibt doch gar keinen Grund. Ich will Ihnen doch nur sagen: Wir sind auch der Meinung, dass unsinnige Regelungen abgeschafft gehören, dass Erlasse, Richtlinien und Verordnungen, die sich gleichsam zu einem Dschungel aufgebläht haben, die keiner mehr überblicken kann, überprüft und abgeschafft werden müssen. Das ist doch alles völlig unstreitig.

(Michael Boddenberg (CDU):Ich finde,jetzt könnten Sie uns einmal loben!)

Dafür, dass Sie Sachen in den Papierkorb geschmissen haben? Haben Sie es nötig, dass ich Sie dafür lobe? Ich bitte Sie. Das ist kein Grund, das so aufzublasen.Wir würden uns freuen, wenn Sie endlich wirkliche Entbürokratisierungsmaßnahmen in die Hand nähmen, anstatt es sich so einfach zu machen.

Meine Damen und Herren, zusammenfassend erscheint mir der Antrag der FDP nicht zustimmungsfähig.Ich habe es eben ausgeführt.

(Dieter Posch (FDP): Das habe ich aber nicht verstanden!)

Bei den konkreten Sachpunkten werden wir messen, wie ernst es Ihnen mit diesem Thema wirklich ist, aber nicht bei dieser Art von Schaufensteranträgen einfachster Machart.