Protocol of the Session on March 23, 2004

Nun hat diese neue Bundesregierung erstmals in einer Studie nachgewiesen – um den Sozialpartnern ein bisschen Nachhilfe zu geben –, dass es 32 Ausbildungsfelder für zweijährige Berufsausbildungen geben könnte. Die Studie liegt dem Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung vor, damit von dort aus, wie von mir eben beschrieben, die Entwicklung erfolgen kann.

Wegen des fehlenden Konsens – das ist ein Lob an die Bundesregierung, anders als von Ihnen – hat die Bundesregierung dieses Jahr erstmals entgegen dem erklärten Willen der Sozialpartner zwei Berufe plus einen Erprobungsberuf plus einen in Nordrhein-Westfalen in Kraft gesetzt. Das heißt, sie hat sich über das geltende Prinzip, dass es eine Angelegenheit der Sozialparteien sei, hinweggesetzt.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Sie wollen daraus die Regel machen. Das werden wir nicht unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht unser Ziel sein, die Sozialpartner aus der Pflicht zum Konsens zu entlassen und, wie die CDU empfiehlt, nach Gutsherrenart, also von oben herab, Entschei

dungen zu treffen. Ich habe Ihnen an anderer Stelle schon einmal erklärt, dass das nicht mehr zeitgemäß ist.

Herr Riege, die Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Herr Präsident, letzter Satz. – Im Interesse derjenigen, die Ausbildung als Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt benötigen, und nicht, wie der Antragsteller, als Spielwiese, ist es von entscheidender Bedeutung, welche Bezahlung sie dann erhalten. Die Bezahlung unterliegt noch immer der Entscheidungsgewalt der Sozialpartner.Wir sind nicht bereit, ihnen diese Entscheidungsgewalt abzunehmen und an ihre Stelle zu treten.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Riege. – Frau Schönhut-Keil, Sie dürften jetzt reden für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Rüdiger Hermanns (CDU): Sie können es auch zu Protokoll geben!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich etwas hätte, was ich zu Protokoll geben könnte, dann könnte man das machen, aber so geht das nicht.Aus diesem Grund müssen Sie sich anhören, was ich zu sagen habe. Ich kann auch nahtlos an das anknüpfen, was Kollege Riege hier eben ausgeführt hat.

Lieber Herr Kollege Boddenberg,Sie fordern in dem letzten Abschnitt Ihres Antrags eine „Flexibilisierung und Umstrukturierung der Ausbildungskosten“.Wir haben Ihnen z. B. bei der Ausbildungsplatzumlage gesagt, dass diejenigen Unternehmen, die ausbildungswillig sind, aber nicht über die erforderlichen Mittel verfügen, von den anderen, die sich vor der notwendigen Anzahl der Auszubildenden drücken, entsprechende Finanzierung erhalten können, um ihre Ausbildungsplätze erhalten zu können. Da sind Sie dagegen. – Das stellen wir als Erstes einmal fest.

Der zweite Punkt ist, Sie sprechen davon, dass man den Auszubildenden mehr Flexibilität abverlangen kann. Darüber könnten wir uns auch unterhalten, wenn Sie näher ausführen, was Sie unter Flexibilität verstehen. Die CDULandtagsfraktion hat zu diesem Thema bereits einen Antrag vorgelegt, der unter anderem die Forderung enthält, dass jeder Auszubildende sehr flexibel in der Bundesrepublik Deutschland herumreisen sollte und jederzeit flexibel überall einsetzbar sein muss, um die Ausbildungsplätze dort zu besetzen, wo sie angeboten werden.

Erklären Sie mir doch bitte einmal,wie ein junger Mensch das machen soll, wenn Sie auf der einen Seite die Ausbildungsvergütung senken und auf der anderen Seite den Kündigungsschutz lockern wollen. Somit bieten Sie als dritten Punkt keine Möglichkeit, dass jemand ohne Alimentierung vom Staat oder von seinem Elternhaus in der Lage ist, überhaupt noch einen Ausbildungsplatz wahrzu

nehmen. – Das haben Sie bislang nicht erklärt. Das müssen Sie aber erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Kollege Boddenberg, da wir zusammen in Holland und in Dänemark waren, wissen Sie auch, dass natürlich die sozialen Errungenschaften, die bei uns hochgehalten werden, in dieser Form in diesen Ländern nicht mehr vorhanden sind.

Dänemark hat den Kündigungsschutz zwar gelockert – das ist richtig –, aber nicht abgeschafft. Das hätte Herr Koch gern gehabt, aber das wurde nicht bestätigt; man hat ihn gelockert. Auf der anderen Seite hat Dänemark ebenso wie Holland enorme Mittel zur Förderung in die Hand genommen, um das abzufedern, was die Menschen brauchen. Flexibilität verlangt Vertrauen in ein System und auch Vertrauen darauf, dass man nicht gleich dermaßen die Treppe hinunterfällt, dass es keine Auffangmöglichkeit mehr gibt. Genau das gibt es in den Ländern nicht, Herr Kollege Boddenberg. Das müssen Sie dazusagen, aber das tun Sie nicht, und das ärgert mich an der Stelle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU):Das machen wir doch morgen!)

Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe versagt, weil sie nur zwei von insgesamt 18 neuen Berufsbildern zugelassen habe. Dazu sage ich Ihnen ganz klar, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, da müssen Sie sich einmal entscheiden, ob Sie ein Konsensmodell wollen. Ich gebe zu, wenn man sich das Schaubild betrachtet, wie in Deutschland neue Berufe auf den Markt kommen, erschließt sich das einem nicht sofort. Aber dann müssen Sie sich entscheiden: Wollen Sie, dass die Sozialpartner, nämlich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer,die neuen Berufsbilder vorschlagen, die dann die Bundesregierung genehmigt?

(Michael Boddenberg (CDU): Sie müssen spontan ein Problem lösen!)

Oder wollen Sie sich von dem Konsensmodell verabschieden und alles in staatliche Hand legen? Das müssen Sie beantworten. Ich wundere mich sehr über Ihren Antrag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Riege hat Ihnen bereits gesagt, dass erstmals, weil man offensichtlich in dem Konsensmodell nicht sonderlich weitergekommen ist, zum 1. August 2004 zwei neue Berufsbilder ins Angebot kommen. Das eine ist der Fahrradmonteur,und das andere ist der Maschinenführer.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Wie lange haben sie dafür gebraucht?)

An dieser Stelle läuft Ihr Vorwurf, die Bundesregierung entscheide nichts, völlig ins Leere. Man mag einiges an dem Bundeswirtschaftsminister kritisieren können und wollen; das ist auch im Moment ganz schick.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Notwendig ist das, nicht nur schick!)

Nur eines können Sie ihm nicht vorwerfen: Entscheidungsschwäche an diesem Punkt. Er hat entschieden, gegen das Votum der Sozialpartner.Auch hier geht Ihr Vorwurf ins Leere.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir wissen, die Neuordnung der Ausbildungsberufe ist eine Daueraufgabe. Jedes Jahr werden 20 bis 30 neue Ausbildungsordnungen eingeführt, neu geordnet, und es gehen neue Berufe ins Angebot. Aber, Herr Kollege Boddenberg, eine Frage würde ich gerne mit Ihnen diskutieren, vielleicht an anderer Stelle als heute. Die kann man nicht so leicht von der Hand weisen. Sie haben gesagt, die Gewerkschaften hätten immer sehr halsstarrig die Position vertreten, dass man Berufe mit zweijähriger Ausbildung – ich sage dazu:Low-BudgetBerufe – nicht haben möchte. Man möchte im dualen System bei der drei- oder dreieinhalbjährigen Ausbildung bleiben.

Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.

Herr Präsident, ich bin in der Schlussrunde. – Wenn die Qualität der Auszubildenden so schlecht sein sollte, wie es allgemein beklagt wird – im Konjunktiv gesprochen –, muss man sich doch überlegen: Was fangen die Auszubildenden, wenn sie eine zweijährige Berufsausbildung abgeschlossen haben, mit dieser Ausbildung an?

(Michael Boddenberg (CDU): Was ist denn Ihre Alternative, Frau Kollegin?)

Deswegen möchte ich mich gern mit Ihnen an anderer Stelle, nicht heute Abend, darüber streiten. – Ich finde, erstens, die Ausbildung muss modular angelegt sein. Das heißt, die Jugendlichen müssen in der Lage sein, dann auch weiter nach oben zu kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das verhindern Sie gerade, z. B. durch Ihre Schulpolitik. Den zweiten Punkt finde ich auch sehr wichtig: Die Ausbildung muss existenzsichernd sein.

Frau Kollegin.

Herr Kollege Boddenberg,egal was wir später zum Thema Arbeitsmarkt beschließen,wir alle wollen doch nicht,dass die Leute später in der Sozialhilfe hängen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Posch, Sie haben das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erinnere mich noch an die Diskussion, die wir damals geführt haben. Es war genau im Oktober 2000, als wir uns einvernehmlich darauf verständigt haben – Herr Riege, Sie haben es angesprochen –, uns auf den verschiedensten Ebenen mit Nachdruck für die Schaffung neuer

vereinfachter Berufsbilder, vor allem für Jugendliche mit schwachem Hauptschulabschluss bzw. keinem Abschluss, im Bereich der dualen Ausbildung einzusetzen.

Meine Damen und Herren, das war damals gar keine einfache Diskussion und keine einfache Entscheidungsfindung, weil immer wieder darauf hingewiesen worden ist: Wir brauchen qualifizierte Abschlüsse, damit junge Menschen eine Chance haben, sich im weiteren beruflichen Leben zu platzieren und Erfolg zu haben.

Herr Riege, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage keine Entscheidung der Administration und der politischen Führung ist, sondern dass wir hier die Sozialpartner im Boot haben und eine Konsensentscheidung herbeiführen müssen. Ich sage Ihnen aber ganz offen: Langsam habe ich die Schnauze voll, auf solche Konsensentscheidungen zu warten.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal vorlesen, um welche Berufe es sich bei diesen 18 handelt. Da gibt es die Pflegefachkraft für die ambulanten Dienste,die Dienstleistungsfachkraft im Sonnenstudio, die Änderungsschneiderin bzw. den Änderungsschneider, die Fachkraft für Küchen- und Möbelservice, den Holz- und Bautenschützer bzw. die -schützerin. An dieser Aufstellung befindet sich ein Sternchen, da heißt es: „Berufe mit weniger komplexen Anforderungen“. Das teile ich, das sind weniger komplexe Anforderungen. Wenn die Sozialpartner nicht in der Lage sind, das in diesem Zeitraum zu entscheiden, dann müssen es bitte schön andere entscheiden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Denn ich vermag nicht einzusehen, dass wir wegen des Konsensprinzips nicht in der Lage sind,diese Berufsbilder zuzulassen. Es tut mir furchtbar Leid, das ist skandalös.

Nun werden Sie möglicherweise sagen, ich fordere eine politische Entscheidung. Ich will jetzt gar nicht durchdeklinieren, auf wessen Mist es zurückzuführen ist, dass der Konsens nicht zustande kommt. Ich will nur eine Mutmaßung andeuten. Das sind alles Berufe, wo die Gewerkschaften sagen: Das landet irgendwo einmal in der Leichtlohngruppe, und deswegen wollen wir die Berufsbilder nicht zulassen. – Wer so argumentiert, vergeht sich an den Zukunftschancen junger Menschen.