Unserer Meinung nach sollte sich an den Kindergarten die Kinderschule anschließen. Frau Kollegin Henzler hat unser sehr profiliertes Modell dafür vorgelegt.Wir stellen uns vor, dass alle Kinder ab fünf Jahren nach einer eingehenden Diagnose ihres Entwicklungsstandes und der Erstellung eines individuellen Förderplans in der Kinderschule auf die Grundschule vorbereitet werden sollen. Defizite, in welchem Bereich sie auch immer bestehen, müssen so weit wie möglich behoben werden. Die Kinder sollen gute Startchancen für ihre Schullaufbahn haben.
Ich möchte zum Abschluss noch ein Beispiel erwähnen.In Wiesbaden gibt es zwei Kindergärten, die nur zwei Straßen weit voneinander entfernt sind. Sie gehören zu unterschiedlichen Stadtvierteln.In dem einen Kindergarten haben die Kindergärtnerinnen – dort sind nur Frauen tätig – ein Projekt aufgelegt, um Kinder schon frühzeitig mit deutscher Literatur auf spielerische Art und Weise vertraut zu machen.
In dem anderen Kindergarten wird zwei Jahre lang mit Bauklötzchen gespielt. Das ist nicht schlecht. Das kann sehr viel Spaß machen. Aber wir können es nicht hinnehmen, dass es diese Unterschiede gibt.
Eltern haben einen Anspruch darauf, darauf vertrauen zu können,dass in den Kindergärten Bildungsarbeit geleistet wird. Wir wollen mit unserem Antrag sicherstellen, dass diese Bildungsarbeit geleistet wird. – Herzlichen Dank.
Herr Rentsch, vielen Dank. – Ich darf nunmehr Frau Hartmann zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD das Wort erteilen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, vorab ein paar Sätze zu der Rede des Herrn Rentsch zu sagen. Sehr geehrter Herr Rentsch, Sie haben anfangs angesprochen, es bestünden große Unterschiede
zwischen dem Konzept der FDP-Fraktion und dem der SPD-Fraktion. Ich sehe diese großen Unterschiede nicht. Auch Ihre Ausführungen haben deutlich gemacht, dass wir bei diesem Punkt nicht sehr weit auseinander liegen.
Aber hinsichtlich eines Punktes liegen wir doch etwas auseinander. Dabei geht es um den Begriff „Kindergärtnerinnen“, den Sie in Ihrer Rede oft verwendet haben.
Ich denke, das ist ein überholter Begriff. Es ist ein Begriff, den wir, gerade wenn wir von Bildung in Kindertagesstätten reden, nicht so oft gebrauchen sollten. Denn bei „Kindergärtnerinnen“ gibt es immer noch die Assoziation mit der Kindergartentante.
Das ist eine Pädagogik wie vor 30 Jahren – Frau Hinz sagt es –, von der wir eigentlich Abstand genommen haben sollten.
Meine Damen und Herren, im Dezember wurde der UNESCO-Weltbericht „Bildung für alle“ vorgestellt. Dieser Bericht beinhaltet erneut eine deutliche Kritik am deutschen Schulsystem. Ein wesentlicher Kritikpunkt in diesem Bericht richtet sich darauf, dass bislang noch keine geregelte Vorschulerziehung in Deutschland eingeführt ist. Dies geht nachweislich zulasten insbesondere der Kinder aus sozialen Problemlagen und der Kinder mit einem Migrationshintergrund.
Meine Damen und Herren, was wir hier mit einem Bildungs- und Erziehungsplan fordern, das ist kein blinder Aktionismus als Reaktion auf PISA. Andere Länder, wie beispielsweise Bayern haben bereits vor den PISA-Veröffentlichungen erkannt, dass im Vorschulalter die entscheidenden Weichen für Lernmotivation und lebenslanges Lernen gestellt werden
und dass der frühkindliche Bereich eine deutliche Aufwertung erfahren muss. Auch vonseiten der hessischen CDU werden Sie langsam erkennen müssen, dass Kindertagesstätten die erste und auch die wichtigste Stufe des Bildungswesens sind.
Die Landesregierungen, die frühzeitig den großen Stellenwert frühkindlicher Bildung erkannt haben, haben als Konsequenz nicht nur Bildungs- und Erziehungspläne ausarbeiten lassen und diese vorgelegt, sondern die meisten davon haben den Bereich frühkindliche Bildung dort eingegliedert, wo er hingehört: in den Bildungs- und nicht in den Sozialbereich.
Seit einem halben Jahr gibt es Informationen, dass diese Landesregierung endlich eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die sich mit der Erstellung von Bildungs- und Erziehungsplänen beschäftigen soll. Ich hoffe, dass es sich mit der Ausarbeitung dieser Pläne nicht so verhält wie mit dem Kindertagesstättengesetz, das Sie bereits vor fünf Jahren angekündigt und immer noch nicht vorgelegt haben.
Meine Damen und Herren, es muss nicht in jedem Bundesland das Rad neu erfunden werden. Eine hessische Konzeption kann sich sehr wohl an den guten Konzeptionen, beispielsweise von Bayern oder Berlin, orien
tieren.Sie brauchen aber gar nicht über Landesgrenzen zu gehen. Gerade in Hessen gibt es sehr erfolgreiche Projekte zur Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten. Diese Projekte können eine gute Basis für die Entwicklung von frühkindlichen Bildungs- und Erziehungsplänen bilden. Dann kann gleich der hessische Sachverstand aus der Praxis in diese Pläne einfließen.
Am 20.12.2003 war ein äußerst interessanter Artikel des dänischen Soziologen Gösta Esping-Andersen in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen. Der Titel hieß: „Aus reichen Kindern werden reiche Eltern“. Interessant an der Analyse ist, dass der soziale Status ein wesentlicher Faktor für die Bildungschancen von Kindern ist und dass Bildungsreformen in Deutschland im Gegensatz zu Reformen in anderen Ländern nur wenig gegen die Vererbung sozialer Nachteile ausgerichtet haben.
Wichtig im Zusammenhang mit frühkindlicher Bildung ist die Erkenntnis, dass kognitive Fähigkeiten der wichtigste Faktor für lebenslanges Lernen sind. Kognitive Fähigkeiten als wesentliche Vorbedingung für erfolgreiche Schulbildung werden aber sehr früh im Leben eines Kindes entwickelt, zu einem sehr großen Teil bereits vor Eintritt des Schulalters. Das hat auch Herr Rentsch ausgeführt. Deshalb gilt es, allen Kindern unabhängig vom Status der Familie und der Leistungsfähigkeit des Elternhauses die Chance zu geben, ihre Lernpotenziale optimal auszuschöpfen.
Meine Damen und Herren, nicht nur aus entwicklungspsychologischen und sozialpolitischen Gründen können wir uns zukünftig nicht mehr leisten, dass Bildungsressourcen bei vielen Kindern nicht genutzt werden. Auch aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten werden wir im Interesse unserer internationalen Konkurrenzfähigkeit alle Bildungspotenziale optimal nutzen müssen. Wenn wir wissen,dass kognitive Fähigkeiten der Schlüssel zu lebenslangem Lernen sind, muss dieser Bereich schnellstmögliche eine Aufwertung erfahren.
Ich kann auch hier Herrn Rentsch zustimmen, dass der kognitive Bereich in vielen Kindertagesstätten bisher vernachlässigt wurde. Deshalb wird er eingebettet werden müssen in eine erfolgreiche Pädagogik, in der seither schon personale, soziale und instrumentelle Kompetenzen vermittelt wurden. Er wird aber nicht der einzige Schwerpunkt in der Kindergartenpädagogik sein dürfen.
Wir halten einen Bildungs- und Erziehungsplan als Orientierungsrahmen für eine qualitative Weiterentwicklung in Kindertagesstätten für dringend notwendig.
Das bezieht auch die Evaluation der Arbeit ein, die in Kindertagesstätten geleistet wird, und auch die Frage, wie das Personal zukünftig ausgebildet sein muss. Hier müssen wir uns auch der Frage stellen, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um unseren politischen Anforderungen in der Praxis gerecht werden zu können, auch im Hinblick auf die Ausstattung von Kindertagesstätten.
Ich warne aber davor, Kindertagesstätten und Vorschulen zu zeitlich vorverlegten Schulen machen zu wollen. Kindertagesstätten haben einen eigenständigen, ganzheitlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag, der in vielen Einrichtungen selbstverständlich auch seither schon umgesetzt wird. Es gibt aber auch Einrichtungen, in denen es
nach wie vor Probleme mit der Vermittlung von kognitiven Fähigkeiten gibt und in denen jegliches Interesse an Zahlen und Buchstaben immer noch als einzig den Schulen zu überlassen angesehen wird. Wir wollen sicherstellen, dass alle Kinder Gelegenheit haben, unabhängig vom Elternhaus, spielerisch und ohne Leistungsdruck ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, auch im kognitiven Bereich.
Die Hirnforschung hat nachgewiesen, dass die Zeit bis zum Alter von sechs Jahren unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten die Zeit ist, in denen die wichtigsten Weichenstellungen für das spätere Leben erfolgen. PISA und andere Studien haben gezeigt, dass dieser Phase viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde und dass sich dies insbesondere auf schwächere Kinder ausgewirkt hat.
Bei einem Bildungskonzept, wie wir es fordern, geht es nicht um die gleichen Vorstellungen wie in den Siebzigerjahren, nicht um eine schulorientierte oder schulvorbereitende Bildung. Wir müssen uns auch Gedanken machen über eine kindgerechtere Gestaltung von Schule. Es besteht übereinstimmend in allen Bundesländern, die Bildungs- und Erziehungspläne vorgelegt haben, die Auffassung, dass bessere Bildung in Kindertagesstätten auf einem kindgemäßen Weg konzeptionell abzusichern ist, nicht als Vorlauf und einzige Zuarbeit auf Schule.
Mit dem Begriff Bildung meine ich auch nicht nur die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten. Es geht vielmehr auch darum, Kinder in den verschiedensten Entwicklungsbereichen, wie wir sie in unserem Antrag aufgelistet haben, zu begleiten, zu fördern und herauszufordern. Bildungsprozesse müssen darauf ausgerichtet sein,Eigenverantwortung, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein ebenso zu entwickeln wie persönliche Identität und soziale Verantwortung.
Meine Damen und Herren, Erziehung zur Selbstbildung bedeutet nicht, Kinder sich selbst zu überlassen. Es geht vielmehr darum, Kinder frühzeitig damit vertraut zu machen, wie sie lernen können, zu lernen, wie sie sich eigenständig Wissen erfahrbar machen können. Die Funktion von vorschulischen Bildungsprozessen liegt weniger in der Vermittlung von Wissen als in der Vermittlung von lernmethodischen Fähigkeiten.
Es geht weiterhin um die Vermittlung von Basiskompetenzen, wie wir sie aufgelistet haben, im sozialen Kontext, damit Kinder lernen, auch schwierige Situationen erfolgreich zu bewältigen. Ich hoffe, dass es gelingt, in den nächsten Wochen endlich einen Bildungsplan dieser Landesregierung auf den Tisch zu bekommen.
Ich würde mir aber auch wünschen,dass im Fachausschuss zu diesem Erziehungs- und Bildungsplan die Bereitschaft besteht, über parteipolitische Positionen hinweg eine Diskussion zu führen, in die man erfolgreiche Aspekte aus PISA-Ländern mit aufnimmt und berücksichtigt, dass andere Länder andere Vorgaben haben, wie z. B. die besten
Diese Anregungen sollten wir aus anderen Ländern übernehmen, in unsere Konzepte einbinden und weiter fordern, dass die Landesregierung aktiv wird. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon etwas seltsam, dass bei dem Thema Kinder, das für alle Parteien ein Schwerpunkt ist,hier eine so gähnende Leere herrscht.Auf der anderen Seite hat sich bisher auch schon gezeigt, dass alle recht nah beieinander sind. Ich hoffe, dass wir im Fachausschuss auch tatsächlich zu Gemeinsamkeiten kommen und endlich etwas passiert.