Protocol of the Session on November 27, 2003

Sie reden ganz locker davon, dass sich Leistung wieder lohnen muss, und tun dies im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer. Das ist das Musterbeispiel leistungsloser Einkommen. Das ist das Musterbeispiel für eine Berufsgruppe, die „Sohn“ oder „Tochter“ heißt. Das ist leistungsloses Einkommen. Das ist geschenkt. Das sind Startchancen, die mit Chancengleichheit nichts zu tun haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ich finde das ganz nett. Ich verstehe ja, dass Sie, wenn Sie so aufgewachsen sind,Ihre Interessen an dieser Stelle vertreten. Aber dann müssen Sie das auch anders machen. Was ist denn das für eine Gesellschaft? Ihre Partei hat in der Gesundheitsreform durchgesetzt, dass diejenigen, die in dieser Gesellschaft arbeiten, ihren Zahnersatz selber bezahlen.

Da haben Sie den Mut, denen, die harte Arbeit machen, in die Tasche zu greifen. Aber bei denjenigen, die aus Zinseinkommen leben, haben Sie keinen Mut, weil Sie dafür sorgen wollen, dass sie geschützt werden. Ich sage Ihnen an der Stelle: Sie haben ein Gesellschaftsbild, das selbst in der CDU rechtskonservativ ist. An der Stelle sollen Sie ein Stück dazulernen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Ihre politische Richtung war schon einmal moderner.

Wir brauchen eine Steuer, die die ungezügelte Anhäufung von Vermögen über Generationen beendet und jeder Generation die gleichen Startchancen gibt.

Dieses Zitat ist aus dem Jahre 1792

(Zurufe von der CDU)

und die Übersetzung des Vorsitzenden der britischen Tories bei der Einführung der Erbschaftsteuer in Großbritannien. Das Bürgertum hat einmal gewusst, wie man Chancengleichheit herstellt. Sie haben es aber vergessen. Sie haben Ihre eigene Parteigeschichte an dieser Stelle vergessen.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt ist auch offensichtlich. Wie gehen Sie mit den jungen Menschen um? – Sie haben den Mut,überall zu sagen: Es ist doch ganz grässlich, wir müssen dafür sorgen, dass Druck auf diese jungen Leute ausgeübt wird, die keine Arbeit haben, damit sie endlich Arbeit finden.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wenn aber die Unternehmen ihre gesellschaftliche Verpflichtung, auszubilden – –

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Sagen Sie einmal, können wir Sie nicht einfach leiser stellen?

(Fortgesetzte Zurufe des Abg. Clemens Reif (CDU))

Leiser! Leiser! Leiser!

Meine Damen und Herren, ich bitte, doch die Zwiegespräche einzustellen – alle Seiten.

Herr Raureif will weiter dazwischenreden. Dann muss ich lauter reden.

Jedenfalls wir haben bei der Frage der Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten junger Menschen überhaupt kein Problem. Wenn es darum geht, die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen einzuklagen, dann bekommen Sie Fracksausen. Ich sage Ihnen an der Stelle: Wer sich in der Gesellschaft auf eine Seite stellt, der muss damit rechnen, so behandelt zu werden. Sie sind Vertreter der Interessen der Minderheit dieser Gesellschaft.

(Lachen des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wir werden das deutlich thematisieren. An der Stelle haben wir keinen Nachholbedarf. Laut schreien wird Ihnen auch nicht helfen, weil laut schreien in der Regel ein gutes Zeichen für Unrecht ist.Wir als Sozialdemokraten stehen jedenfalls für Gerechtigkeit. Gerechtigkeit heißt, dass die Leistungsfähigen auch nach ihrer Leistungsfähigkeit beitragen – eine Tradition, die in den Vereinigten Staaten, die in allen anderen Ländern dazu führt, dass Vermögen dazu beitragen, Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Nehmen

Sie sich bitte ein Beispiel am guten Bürgertum und nicht an den schlechten Emporkömmlingen, die nur noch ihr Vermögen im Blick haben.

(Beifall bei der SPD – Horst Klee (CDU): Klassenkämpfer!)

Das Wort hat Kollege Denzin, FDP.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der nicht zum Frisör muss!)

Nein, ich muss in der Tat nicht zum Frisör.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich die beiden Themen für die Aktuelle Stunde heute Morgen gesehen habe, habe ich gedacht: Oh Gott, da ist das eine so dusselig wie das andere.

(Beifall bei der FPD)

Wissen Sie, warum?

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Weil euch nichts eingefallen ist!)

Weil wir das eine gerade mit einem Beschlussvorschlag abgehandelt haben. Den hätten wir auch so abstimmen können, weil die Argumente, die gefallen sind, alle schon dreimal vorgetragen wurden. Mein lieber Clemens Reif, zu dem anderen kann man sagen, da reicht nicht „alle Jahre wieder“, sondern in jedem Plenum haben wir dieses Thema. In jedem Plenum haben wir dieselben Fronten. In jedem Plenum überlegt sich einer, wie er das in andere Worte kleidet. Es hilft uns doch nicht weiter.

Wir haben so viel in diesem Land zu tun, zu erledigen und zu entscheiden,dass es überhaupt keinen Spaß macht,sich mit solchen Dusseligkeiten aufzuhalten. Dusseligkeiten sind natürlich nicht das, was dahinter steht. Insofern gehe ich auf die beiden Beiträge der Kollegen von der SPD und den GRÜNEN ein.

Wissen Sie, uns unterscheidet ein grundlegend anderes Verständnis von Gesellschaft, Staat, Aufgaben des Staates, Aufgaben der Gesellschaft und Anspruch der Gesellschaft und dem, was für uns im Mittelpunkt steht, nämlich das Verhältnis zu den einzelnen Menschen.

(Beifall bei der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! – Zuruf von der SPD: Stimmt!)

Wenn wir so argumentieren, dann kommen wir in die Verhältnisse, wie wir sie mit der DDR überwunden haben.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein lieber Herr Wagner, solange wir 5 Millionen Arbeitslose haben, heißt das mit Ihrer Logik: Wir machen eine Gewässerschutzabgabe; das schafft ein paar Arbeitsplätze. Dann machen wir eine Sauerstoffabgabe; das schafft Arbeitsplätze, usw. – Dann haben wir allmählich diese Staatsgesellschaft.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Stuss! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): So ein Blödsinn!)

Genau diese Staatswirtschaft ist das Übel, dass wir nicht ausreichend Steuern für die wichtigen und wesentlichen

Aufgaben des Staates und dieses Landes haben. Genau das ist doch das Problem. Das liegt doch genau andersherum. Je mehr Steuern Sie nominal – ob von den Steuerarten oder von der Höhe der Steuersätze her – verlangen, desto weniger haben Sie effektiv in der Kasse. Die Lehre ist doch umgekehrt:Alle Staaten, die ihr Steuersystem bereinigt haben, haben mehr in den Kassen als wir, die wir mehr als die Hälfte der Einkommen abschöpfen. Genau das ist der Punkt. Da liegt bei Ihnen auch der Hund begraben.

Herr Grumbach, Sie wissen, ich bin kein Betroffener von Erbschaftsteuer – ich muss sagen: leider. Das waren kriegsbedingte Umstände usw. Da ist nichts da. Nur, ich neide keinem, der von seinen Eltern das, was die in ihrem Leben erarbeitet und aufgebaut haben, ererbt. Das ist viermal versteuert, bevor es vererbt wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)

Wir haben eine Erbschaftsteuer. Wir diskutieren eine Schimäre. Jetzt besteht die Frage, wie sie ausgestaltet wird. Diese Frage wird uns demnächst real beschäftigen, weil uns – wie wir alle wissen – das Bundesverfassungsgericht Aufträge geben wird.Aber ich sehe schon, wohin das geht. Sie wollen die Vermögensteuer einführen. Selbst Herr Schröder – das muss man sich einmal vorstellen, der hat nicht viele Einsichten – sieht bei der Vermögensteuer ein, dass das eine Schimäre ist. Allein der Aufwand, die Steuer einzutreiben, ist größer als das Aufkommen.

(Reinhard Kahl (SPD): Das stimmt doch nicht! 30 % ist doch gesagt worden!)

Natürlich.Aber mein Lieber, 30 % – hören Sie doch einmal, was die Steuer-Gewerkschaft gesagt hat, wie viel Personal man braucht. Die sprechen von 6.000 Steuerbeamten. Dann stellen Sie das dem effektiven Aufkommen gegenüber. Dann stellen Sie die Wertermittlung gegenüber, die das letzte Mal von 1964 bis 1974 – zehn Jahre – gedauert hat, um die Bemessungsgrundlage überhaupt herzustellen. Und dann hören Sie auf mit diesem Unsinn.

Da es aber auch Ihr Bundeskanzler kapiert hat, kommen Sie durch die Hintertür mit der Erbschaftsteuer. Es war der SPD-Parteitag.Da musste etwas hingeworfen werden. Da mussten Beruhigungspillen ausgeteilt werden. Da hat man gesagt:Auf diese Vermögensteuer – okay – kann man nicht bestehen, jeder Fachmann sagt, es sei ein Unsinn, aber dann kriegen wir diese bösen Reichen über die Erbschaftsteuer, und da langen wir zu.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Jedes Vermögen, das in einer Generation entsteht, ist im Entstehen schon viermal versteuert. Dann überlegen Sie, wie hoch Sie den Steuersatz anschließend ansiedeln.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Alles Unsinn. Ich fasse zusammen: Der umgekehrte Weg ist der richtige. Je weniger der Bürger den Eindruck hat, vom Staat abgezockt zu werden, desto mehr Aufkommen kommt in die Staatskasse. Und das ist richtig. Deshalb brauchen wir eine Steuersenkung. Deshalb brauchen wir eine Zurückhaltung des Staates, wo er nichts zu suchen hat. Dann geht es uns allen besser. – Vielen Dank.