Protocol of the Session on November 25, 2003

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, vorneweg ein Zitat aus dem Online-Magazin der Deutschen Polizeigewerkschaft, die dort einen Artikel aus der „tageszeitung“ vom 4. Mai zitiert. Sie schließen mit der Feststellung:

Tatsächlich zielt die Diskussion von beiden Seiten vor allem auf das politische Klima.Denn in der Praxis spielt der Rettungsschuss, unabhängig von der Rechtslage, kaum eine Rolle. Laut Statistik der Innenministerkonferenz starben im Jahr 2001 fünf Personen durch Polizeiwaffen.Das Berliner Institut für Bürgerrechte und Polizei hat acht Tote gezählt. In keinem Fall handelte es sich um gezielte Todesschüsse auf Herz oder Kopf. Geiselnahmen wurden meistens unblutig, oft sogar durch Verhandlungen beendet.

Zweite Vorbemerkung: Der Landespolizeipräsident Nedela hat am Mittwoch bei der Vorstellung der Vorhaben des Innenministers – nachdem er von einem Mitarbeiter des Innenministeriums korrigiert wurde – festge

stellt, dass es in Hessen keinen erinnerlichen Fall gegeben hat, in dem es jemals zum gezielten Todesschuss gekommen ist.

Ich muss noch etwas vorweg sagen. Herr Kollege Rhein, Sie haben gesagt, das HSOG sei 1999 in einem beklagenswerten Zustand gewesen. Herr Kollege Rhein, ich stelle fest, das HSOG, das Sie 1999 übernommen haben, wurde im Jahre 1990 ins Parlament eingebracht – damals noch von einem Innenminister Milde – und mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP

(Boris Rhein (CDU): Das hat sich aber weiterentwickelt!)

gegen die Stimmen der GRÜNEN beschlossen.

(Zurufe von der CDU)

Überlegen Sie sich doch bitte, welche Redebeiträge Sie hier halten. Gucken Sie sich die Gesetze noch einmal genau an, bevor Sie eine solche Rede halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es kann sein – –

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Irmer, von Ihnen bitte diese Woche keine Zwischenrufe.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das müssen Sie schon mir überlassen! – Zurufe von der CDU: Das muss er selbst wissen! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was glauben Sie, wer Sie sind?)

Herr Irmer, von allen, von Ihnen nicht.

Meine Damen und Herren, in der polizeilichen Praxis hat es diesen Fall in Hessen noch nie gegeben. Ich hoffe, dass es ihn auch in Zukunft nicht geben wird. Es kann aber sein, z. B. bei einer Geiselnahme, wo der Geiselnehmer eine Geisel mit dem Tod bedroht, dass die Polizei vor Ort zu der Auffassung kommt, dass es keine andere Möglichkeit gibt, das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der Geisel zu retten,ohne dort den so genannten gezielten Todesschuss abzugeben.

Dann wird in der Diskussion oft gesagt, dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. Es gibt unterschiedliche Meinungen, ob es diese Rechtsgrundlage gibt oder nicht. Ich sage Ihnen: Wir als Fraktion haben das sehr ausführlich diskutiert, und wir sind der Meinung, es gibt eine Rechtsgrundlage. Deswegen ist die Meinung völlig falsch, dass in Hessen „nach Verwaltungsvorschrift erschossen wird“, wie es bei der Ausbildung der Polizisten manchmal genannt wird. Das ist unseres Erachtens völlig falsch. Die Rechtsgrundlage für die Straffreiheit ist unserer Meinung nach das Strafgesetzbuch. Herr Innenminister, das ist für uns keine Hilfskonstruktion, sondern das ist für uns gültiges Recht. § 32 Strafgesetzbuch, „Notwehr“, heißt es:

Wer eine Tat begeht,die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

Und dann § 34 StGB, „Rechtfertigender Notstand“ – Herr Kollege Rhein –:

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, nament

lich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Herr Kollege Rhein, jetzt gibt es auch von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten die Diskussion: Lasst ihr Gesetzgeber uns dann mit einer Rechtfertigung auf § 32 und § 34 Strafgesetzbuch, auf Notwehr und rechtfertigenden Notstand, alleine? – Ich sage Ihnen: Nein, wir lassen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nicht allein. Wir haben die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Lande Hessen übrigens noch nie alleine gelassen, Herr Kollege Rhein.

(Lachen bei der CDU – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Und das die GRÜNEN! – Gegenruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, aber es gibt zwei Bereiche, die uns in diesem Zusammenhang sehr stutzig gemacht haben.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, gehen Sie doch – – Ja, okay, ich lasse es.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Das ist eine prima Idee!)

Es gibt insofern einen Punkt, der in diesem Zusammenhang sehr ernst zu nehmen ist.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Leere Versprechungen!)

Der Innenminister hat bei der Vorstellung seines Gesetzentwurfes gesagt, es solle darum gehen, die Anordnung zum Todesschuss zu ermöglichen. Ich sage: Meines Erachtens gibt das selbst die Gesetzesformulierung im Vorschlag von Herrn Bouffier nicht her. Aber ich sage Ihnen auf der anderen Seite auch: Das darf es unserer Auffassung nach niemals geben

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hast wohl am Sonntag „Tatort“ geguckt!)

nein, diese Meinung hatte ich schon vorher –, dass ein Polizeiführer einem Polizisten die Anordnung erteilt, einen anderen Menschen zu erschießen. Meine Damen und Herren, das darf es nie geben, weil ich auch nicht will – –

(Zurufe von der CDU – Gegenruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Boris Rhein (CDU): Sie haben doch keine Ahnung zu dem Thema!)

Meine Damen und Herren, der Kollege Al-Wazir redet.

Deswegen entzieht sich eine solche Regelung auch der Befehlskette, weil es nicht sein kann, dass ein Mensch zu Tode gebracht wird, eine irreversible Schädigung erfährt, sich im Nachhinein vielleicht herausstellt, dass das nicht vom Gesetz gedeckt war, und am Ende jemand sagt: Ich

selber habe es nicht gemacht, ich habe den Befehl dazu bekommen. – Das darf es niemals geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen einen zweiten Punkt. Natürlich ist der Polizist keine Privatperson.

(Boris Rhein (CDU):Aber sicher!)

Aber er handelt in letzter Konsequenz allein, weil es in Deutschland keine Todesstrafe gibt und nie wieder geben wird. Er handelt aus einem einzigen Grund in dieser letzten Konsequenz: weil es keine andere Möglichkeit gibt – Sie kennen die Diskussion um das jeweils mildeste Mittel –, das Leben des Opfers zu schützen. Deswegen sage ich Ihnen – Herr Kollege Rhein, das ist leider aus Ihrem Redebeitrag nicht hervorgegangen, weil Sie auch gesagt haben, wir hätten die Polizei am gesetzgeberischen Gängelband geführt –: Soll die etwa in Zukunft mehr schießen, wenn am Ende so ein Gesetz beschlossen wird? Überlegen Sie sich doch einmal, was Sie hier erzählen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU)

Deswegen sage ich Ihnen: Es geht nicht darum, dass irgendwelche staatlichen Ansprüche durchgesetzt werden. Darum darf es auch in diesem Bereich niemals gehen. Es geht nicht darum, den Täter zu bestrafen. Es geht nicht darum, staatliche Ansprüche umzusetzen. Es geht nicht um irgendeinen Strafanspruch, auch nicht um Repression.Es kann in diesem Bereich nur darum gehen,das Opfer zu schützen, wenn es überhaupt keine andere Möglichkeit gibt. Das ist unserer Meinung nach aus der Notwehr – § 32 – und aus dem rechtfertigenden Notstand im Strafgesetzbuch gedeckt. Zu dieser Auffassung sind wir schon gekommen, bevor Sie hier Ihre Rede gehalten haben. Herr Kollege Rhein, aber Ihre Rede hat uns in dieser Auffassung sehr bestärkt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Hahn, FDP-Fraktion, hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über ein ernsthaftes Thema.Ich glaube,wir sollten das auch ernsthaft tun. Ich sage Ja. Über viele Jahre hat die FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, haben die Liberalen in Hessen, aber auch darüber hinaus, die Frage erörtert, ob es legitim, ob es klug ist, die Frage des finalen Rettungsschusses zu kodifizieren. Ja, es ist richtig. Der Innenminister hat – das verstehe ich zwar nicht so ganz – darauf hingewiesen, dass in der Regierungszeit Dr. Wallmann/Dr. Gerhardt die FDP-Fraktion in diesem Hause – damals war der innenpolitische Sprecher zunächst Dieter Posch und dann Jörg-Uwe Hahn,wir leben auch personell in Kontinuität – bei der Novellierung des Polizeigesetzes, unseres HSOG, Nein gesagt hat, wir würden dieses nicht kodifizieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns lange die Frage gestellt, ob es legitim ist – das ist das falsche Wort –, ob es richtig ist, ob es ethisch verantwortbar ist, ins Gesetz zu schreiben: Wenn das und das vorliegt,

dann darf man jemanden töten. – Von seiner Konsequenz her ist dies der finale Rettungsschuss.

Nach langen Debatten – parteiintern mit Polizeifachleuten aus dem Lande Hessen, darüber hinaus mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen – während der letzten Legislaturperiode sind wir zu der Auffassung gelangt, dass es vielleicht sogar klug ist, etwas Derartiges in das Gesetz hineinzuschreiben. Klug ist es dann, wenn dem Polizeibeamten in der Sekunde, in der er endgültig entscheiden muss, Klarheit gegeben wird, wann er einen derartigen finalen Rettungsschuss abgeben darf und wann nicht.

Lieber Herr Kollege Al-Wazir, wir haben damit nicht den Gedanken verbunden, dass mehr geschossen wird. Das war die Abteilung „ein bisschen Polemik“; ansonsten war sie bei Ihnen dieses Mal nicht vorhanden. – Wir haben damit die Sicherheit für den Polizeibeamten in der konkreten Situation verbunden. Ich glaube, dass diese Situation sehr schwer ist. Wer von uns einmal just for fun bei den Polizeischießanlagen gewesen ist, weiß, welche körperliche Belastung das ist. Das werden die Polizeibeamten nicht mehr erleben, weil sie darin trainiert sind.

Uns kommt es darauf an, dass der Polizist in der Zehntelsekunde, in der er entscheiden muss, weiß: Das ist der Rahmen, in dem ich mich jetzt bewegen kann – nur der Rahmen, nicht mehr, auf gar keinen Fall ein Schnellschuss oder eine Lizenz zum Töten. Das alles wollen wir Liberale nicht.Das will auch keiner hier im Raum.Ich will das noch einmal sagen,weil das Wort vom Kollegen Al-Wazir so benutzt worden ist.