Protocol of the Session on November 5, 2003

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst auf einen Satz eingehen,den der Kollege Hahn gesagt hat und bei dem er uns als SPD-Fraktion direkt angesprochen hat. Herr Hahn, Sie haben gesagt: Sozialdemokraten, andere Parteien, kommt aus dem Schützengräben. Wir sind in einer schwierigen Situation im Land und müssen gemeinsam gucken, insbesondere da ein Großteil von dem, was zu besorgen ist, auf bundespolitischer Ebene zu besorgen sein wird. Auf bundespolitischer Ebene geht es nur, wenn die Regierung und der Bundesrat gemeinsam zu Kompromissen kommen werden, weil es ansonsten nicht funktionieren wird.

Ich gebe Ihnen hier an dieser Stelle völlig Recht.Aber sehen Sie: Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat in diesem Jahr in allen Bereichen, die wichtig sind – man kann immer sagen, es ist zu wenig und zu spät –, ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt, auch in Form von Gesetzesinitiativen wie die Hartz-Gesetze für den Arbeitsmarkt, die Gemeindefinanzreform und auch das Zuwanderungsgesetz, das momentan ansteht, Veränderungen an den sozialen Sicherungssystemen. Alles das sind Sachen, bei denen man sagen kann: zu spät, hätte man früher machen können, hätte man mehr machen können. – Nur, meine sehr verehrten Damen Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem, das die rot-grün geführte Bundesregierung hat – das ist der Unterschied zum Hessischen Landtag –, ist, dass die Bundesregierung aus eigener Kraft diesen Gesetzen nicht zur Wirklichkeit verhelfen kann, weil die Zustimmung des Bundesrats notwendig ist. Hier im Landtag ist es anders. Mit 56 Stimmen kann man hier Gesetze beschließen.

Herr Ministerpräsident, jetzt komme ich zu Ihnen. Ich finde es schon dreist, dass Sie als eine der treibenden Kräfte in der Union, die versucht, alles zu verhindern, was in diesem Land beschlossen werden soll, sich hierhin stellen und sagen: Wir haben ganz große Probleme auf der Bundesebene.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin Ihnen nur an einer Stelle dankbar, und zwar für Ihre große Offenheit, nicht hier im Parlament, aber in einem Zeitungsinterview vor einigen Wochen, in dem Sie der geneigten Öffentlichkeit Ihre Strategie bekannt gegeben haben: Wir als Union müssen versuchen, die amtierende Bundesregierung möglichst schnell aus dem Amt zu bekommen.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

Das können wir dadurch bewerkstelligen, dass wir im Bundesrat – jetzt fällt es auf euch zurück, liebe Freunde – möglichst alles blockieren, was diese Regierung vorlegt.

Wir haben es hier schon mehrfach gehabt. Das ist die Sonthofen-Strategie mit dem Inhalt: Es muss in unserem Land schlechter werden, weil dies gut für die Union ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Kollege Wulff, den Sie öfter zitiert haben und der ansonsten sehr nahe bei Ihnen steht, hat Ihnen die richtige

Antwort gegeben,Herr Ministerpräsident:Zurzeit geht es um das Land und nicht um die Partei. – Das war der Satz, den Ihnen Herr Kollege Wulff auf den Weg gegeben hat. Aber dieser Satz wird von der hessischen Union in der Tat nicht vergegenwärtigt.

Noch einen Satz zu Ihrer Bundespartei. Sie sagen, Sie seien diejenigen, die das Land sozusagen wieder zum Licht führen könnten.– Ich habe es mir einmal angeguckt. Auf die Herzog-Vorschläge will ich nicht eingehen. Aber wenige Tage später kommt Herr Merz mit einem Steuerkonzept. Das Steuerkonzept finde ich von der Idee her gar nicht schlecht, dass man sagt, wir setzen die Steuersätze herunter und vereinfachen das Steuersystem. Aber diese beiden Konzepte passen in keiner Weise zusammen. Herr Herzog sagt, wir machen den Sozialausgleich in der Krankenversicherung über das Steuersystem. Aber Herr Merz hat in keiner Weise berücksichtigt, was der andere vorher gesagt hat.

(Beifall bei der SPD)

Zum Steuerkonzept. Die rot-grüne Bundesregierung hat einen Vorschlag zum Vorziehen der Steuerreform gemacht. Man kann sagen, es hätte mehr sein müssen, oder man könne mehr machen in Richtung Vereinfachung. Aber es ist ein Vorschlag, der vorliegt. Ich glaube, dass es ein ganz zentraler Punkt ist, wenn wir über Wachstum reden, denn an dieser Stelle gebe ich Ihnen Recht: Bund, Länder und Kommunen, alle brauchen Wachstum. Ohne Wachstum wird es nicht funktionieren.

Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Vor zwei Jahren waren Sie selbst noch der Meinung, mit dem Vorziehen einer Steuerreform, dadurch, dass man den Menschen mehr Geld in die Tasche gibt, können wir wirtschaftliches Wachstum anregen. – Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, weil alle Wirtschaftsinstitute übereinstimmend sagen,dass wir am Anfang eines Wirtschaftswachstums stehen.

(Beifall bei der SPD)

Dies wollen Sie aber verhindern, weil Sie Angst haben, dass, wenn es im nächsten Jahr nur ein kleines bisschen besser wird, unsere Regierung sagen kann: Seht, die Reformen greifen,und wir sind auf dem Weg aus der Talsohle heraus.

Das befürchten Sie, Herr Ministerpräsident, weil dann natürlich die Chancen für die Union deutlich schlechter werden. Aber das ist keine Politik für das Land. Das ist eine Politik für eine kleine Gruppe in einer Partei, und es ist die Politik für die eigenen Karrierechancen. Was Sie hier tun, schadet den Menschen in unserem Lande.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in Ihrer Rede – wegen der kurzen Redezeit muss ich das leider auch machen – 90 % über den Bund und 10 % über Hessen geredet und gesagt, das, was Sie in Hessen machten, sei alternativlos.

Nein, Herr Ministerpräsident, es ist nicht alternativlos. Wir sind auch der Auffassung, dass wir massive Sparbeschlüsse brauchen. An anderer Stelle werden wir das ein bisschen breiter ausführen. Das geht nicht in fünf Minuten. Ich sage Ihnen nur eines: Sparen muss sein, aber man kann gut sparen, und man kann schlecht sparen, und man kann Sparbeschlüsse fassen, die uns relativ schnell mehr Geld kosten werden als das, was Sie jetzt einsparen.

(Beifall bei der SPD)

Das beste Beispiel – hier sind die Oppositionsfraktionen einer Meinung, glaube ich – zum Beweis meiner Aussagen sind die Einsparungen bei den Investitionen. Wenn es stimmt, was die Wirtschaftsinstitute sagen, dass wir tatsächlich am Anfang eines Wirtschaftsaufschwungs stehen, dann wirken die Sparmaßnahmen bei den Investitionen doppelt negativ. Sie kosten relativ schnell Arbeitsplätze, und sie dämpfen natürlich auch die positiven Signale.

Was sollen denn die Menschen denken – Sie sagen immer, die Menschen hätten Angst,und das sei schlecht;natürlich ist es schlecht, wenn die Menschen Angst haben –, wenn wir Politiker zwar das Signal aussenden wollen, wir alle müssten die Ärmel aufkrempeln und anpacken, wobei es dann auch die Chance gibt, dass es aufwärts geht, dieses Land aber sagt: „Wir kürzen bei den Investitionen und deckeln damit eine schwierige wirtschaftliche Situation“? Damit können Sie es schaffen, dass die Wachstumsimpulse in unserem Land geringer werden und dass unser Land nicht so schnell wie andere Länder von dem Wirtschaftsaufschwung profitieren wird, Herr Ministerpräsident.

Herr Kollege Walter, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Dieses Land steckt unbestritten in einer Krise. Aber es kommt darauf an, wie man – auch die Länder – in der Krise agiert. Bei dem Vorschlag, den wir hier als Haushalt 2004 oder als „Operation sichere Zukunft“ – wie auch immer – vorliegen haben, besteht wahrscheinlich die große Gefahr, dass unser Bundesland Hessen nicht so gut aus der Krise herauskommt wie die anderen Bundesländer. Dafür tragen allein Sie die Verantwortung, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Walter. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Sorge, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass wir an dieser Stelle über die Einführung von Studiengebühren diskutieren,die in einem Haushaltsbegleitgesetz versteckt sind, das sich auch noch hinter dem zynischen Namen „Zukunftssicherungsgesetz“ verbirgt, ist ein ziemlich dickes Ding.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Sie das Gesetz einfach so durchziehen wollen – zack auf zack von einer Lesung in die andere, noch schnell eine Anhörung dazu –, kann man wirklich nur noch unter „Arroganz der Macht“ abbuchen,mit der Sie zurzeit vieles gegen die Interessen des Landes und ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Einführung von Verwaltungsgebühren an den Hochschulen und insbesondere die Einführung von Langzeit

studiengebühren sowie Zweitstudiengebühren sind mit heißer Nadel gestrickt und dienen ausschließlich dazu, die durch eine unseriöse Haushaltspolitik entstandenen schwarzen Löcher des Landeshaushalts zu stopfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Das ist so. Sie brauchen gar nichts dazwischenzurufen. – Sie werden die Studierenden massiv belasten, ohne dass dadurch die Studienbedingungen auch nur einen Deut besser werden. Im Gegenteil, die Landesregierung nimmt den Hochschulen auch noch 30 Millionen c, bürdet ihnen Mehrbelastungen auf und verunsichert jetzige und zukünftige Studierende. Damit schaden Sie dem Bildungsimage der hessischen Hochschulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen Sie jetzt bitte nicht wieder damit, dass alle ihren Beitrag zur Haushaltssanierung leisten müssen. Sie haben den Haushalt ruiniert.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben überhaupt nicht aufgepasst!)

Meine Fraktion hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Sie einerseits durch die Bundesratsblockade auf mögliche Einnahmen verzichten und dass es andererseits Haushaltsprioritäten der Koch-Regierung gibt, wie die Vertriebenenverbände, die Pferderennbahn oder jetzt auch den Kauf der „Rose“, die wirklich kein Mensch im Land mehr nachvollziehen kann.

(Nicola Beer (FDP): Das sah gestern im Haushaltsausschuss schon anders aus!)

Sie prägen hier bewusst das Bild vom Bummelstudenten, haben aber von der Realität an den hessischen Hochschulen und von der Lebensrealität der Studierenden überhaupt keine Ahnung.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Warum spricht Herr Al-Wazir nicht dazu? Haben Sie ausgerechnet, was Herr Al-Wazir zurückzahlen müsste?)

Herr Al-Wazir hat de facto ein Teilzeitstudium gemacht. Über solche Leute rede ich hier, Herr Irmer.

In Frankfurt beispielsweise benötigen Studierende nach einer Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft durchschnittlich mehr als 800 c. Die höchstmögliche Unterhaltsverpflichtung der Eltern liegt demgegenüber gemäß Düsseldorfer Tabelle bei 654 c.In Frankfurt als einem der deutschlandweit teuersten Studienorte müssen Studierende also hinzuverdienen, und zwar nicht, um ein Zweithandy zu bezahlen, wie es gerne behauptet wird, sondern um die Lebenshaltungs- und die Studienkosten aufbringen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung scheint diese Belastungssituation nicht wahrzunehmen und lenkt mit ihrer Debatte über einige wenige von der schlechten Situation für die große Mehrheit der Studierenden ab. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist aus grüner Sicht legitim, dass die Landesregierung überlange Studienzeiten reduzieren will und die Frage stellt, ob vereinzelt Personen eingeschrieben sind, die tatsächlich gar nicht studieren. Die Antwort auf beide Fragen in Langzeitstudiengebühren zu suchen erscheint mir vereinfacht und trifft mehrheitlich die Falschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Machen Sie einen Vorschlag!)

So werden nämlich die Probleme der Hochschulen auf die Studierenden abgewälzt und auf diese Weise individualisiert. Verzögerungen im Studium, die durch die Hochschule oder die mangelhafte Studienfinanzierung verschuldet sind, dürfen nicht zulasten der einzelnen Studierenden gehen.

Schauen wir uns die Realität an den Hochschulen an. In etlichen Studiengängen ist es strukturell nicht möglich, auch nur das Grundstudium in weniger als sechs Semestern abzuschließen. Die Regelstudienzeit ist in diesen Fächern eine Farce. Hinzu kommen die Probleme, Praktikaplätze zu bekommen, Pflichtseminare zu belegen oder auch nur einen Prüfer zu finden. Dies trifft insbesondere die Lehramtstudierenden. Die Ergebnisse der PISA- oder der TIMS-Studie sind die Früchte dieser Zustände. Hier gäbe es für die Landesregierung ein reiches Feld der Betätigung mittels Zielvereinbarungen, Strukturreformen, Standardsetzungen und der Entwicklung von Qualitätskontrollen. Das alles würde Sinn machen, aber es bringt eben nicht kurzfristig Geld ein. Deshalb machen Sie es nicht.

Natürlich sind auch wir dagegen, dass sich gut verdienende Menschen, ohne zu studieren, ausschließlich wegen der Vorteile – Stichwort: Semesterticket – einschreiben können. Es gibt viele evidente Hinweise, dass dies insbesondere Bankerinnen, Lehrerinnen, Telekom-Mitarbeiterinnen und sogar Mitarbeiterinnen des Finanzamts Frankfurt tun.