Protocol of the Session on May 2, 2007

Mein siebter und letzter Punkt.

Ich bitte, dann auch zum Schluss zu kommen, Herr Kollege.

Wir müssen den Bologna-Prozess voranbringen. Wir sind in Hessen beim Bologna-Prozess immer noch hinten,nach dem HRK-Bericht mit 38,2 %; andere Länder liegen teilweise deutlich über 70 %. Wenn die Umsetzung des Bologna-Prozesses ein Ausweis dafür ist, dass unsere Hochschulen zukunftsfähig sind, dann hinken wir in Hessen leider immer noch hinterher – ein Ergebnis Ihrer Regierungspolitik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen in sieben Punkten nachgewiesen, dass das, was Sie an Regierungspolitik im Hochschulbereich vorgelegt haben, suboptimal gelaufen ist.

(Beifall bei der SPD)

Die Zahl sieben hat eine besondere Bedeutung:die sieben Zwerge, die im Märchen des Schneewittchen hinter den sieben Bergen auftreten, die sieben Weltwunder.

Herr Kollege, ich habe schon Zeit zugelegt. Ich habe die Überziehung der Redezeit von Herrn Corts schon aufgeteilt. Ich habe Sie erst bei 21 Minuten gebeten, zum Ende zu kommen. Sie sind jetzt in der 23. Minute – nur, damit Sie wissen, dass ich Sie nicht benachteilige, sondern wie andere Redner bevorteile, indem ich das schon aufgeteilt habe. Kommen Sie bitte zum Ende. – Danke schön.

Herr Präsident, ich danke für Ihre Großzügigkeit.

Die Zahl sieben hat eine besondere Bedeutung. Es gibt die sieben Weltwunder; diese Regierungspolitik gehört nicht zu den sieben Weltwundern. Heute hat die Zahl sieben noch eine neue Bedeutung bekommen: Es gibt sieben Gründe, die Regierung Koch und ihre Hochschulpolitik am 27. Januar 2008 abzuwählen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Frau Sorge für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung hat leider wenig Neues, wenig Konkretes und noch viel weniger Innovatives enthalten. Der Minister hat eine ganze Anzahl von Problemen und Herausforderungen an die Wissenschaftspolitik gestreift. Er hat aber leider vergessen, Lösungen für diese Probleme anzubieten. Schauen wir daher doch noch einmal genauer hinter die Kulissen:Was sind heute die dringenden Anforderungen an eine zukunftsweisende Wissenschaftspolitik, und inwieweit ist Hessen diesen Anforderungen gewachsen?

Meiner Ansicht nach – aber es ist nicht nur meine,sondern die Ansicht aller, die sich in der hessischen Wissenschaft oder auch im Feuilleton bewegen – sind es die: Wir brauchen mehr Studierende und mehr Absolventinnen und Absolventen. Wir brauchen eine verstärkte Chancengerechtigkeit.Wir brauchen sehr viel bessere Studienbedingungen und eine bessere Lehre. Wir brauchen gute Forscherinnen und Forscher mit exzellenten Ideen.Wir brauchen auch eine sehr viel stärkere Förderung der Chancengleichheit von Frauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, autonomere Hochschulen brauchen wir selbstverständlich auch. Diese sind aber kein Selbstzweck, sondern ein Weg zur Erreichung anderer wichtiger Ziele. Das Gleiche gilt für die Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse.

Ich komme zum ersten und meiner Ansicht nach wichtigsten Punkt. Wir brauchen mehr Studierende und vor allem mehr Absolventinnen und Absolventen.Wir beten es als GRÜNE schon seit Jahren in fast jeder Rede herunter. Wir haben schon jetzt teilweise einen Fachkräftemangel. Aber neben diesem Fachkräftemangel ist noch viel schwerwiegender, dass sich die Arbeit der Zukunft entwickelt und wir diese Entwicklung heute schon mitbekommen: Wir werden in Zukunft mehr und mehr wissensbasierte Arbeit haben, und insofern müssen wir die Ausbildung unserer jungen Leute, der nachkommenden Generation, darauf umstellen. Das bedeutet logischerweise, dass das,was heute noch im dualen Ausbildungssystem geleistet werden kann, in Zukunft mindestens mit einem FH-Abschluss ausgebildet werden muss. Denken wir nur an simple Bereiche wie Kfz-Mechaniker, der heute schon mindestens ein Mechatroniker ist, wenn nicht in Richtung FH-Abschluss geht.Aber auch in anderen Berufen entwickelt sich so viel, geht so viel in Richtung Technisierung, dass es einfach logisch ist, dass es nicht nur um die Zahl der jetzt an die Hochschulen Strebenden geht, weil wir höhere Schülerzahlen haben, sondern dass es mehr Bereiche gibt, in denen wissensbasierte Arbeit stattfindet und in denen wir dieses Wissen den Menschen, die dort arbeiten sollen, auch vermitteln müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommt – das ist wieder ein sehr wissenschaftspolitisches Problem –, dass durch die von uns allen gewollte Umstellung der Studiensysteme auf die Bachelor- und Masterstudiengänge, die sehr viel betreuungsintensiver sind, die Aufnahmekapazitäten de facto heruntergegangen sind, weil durch diese intensivere Betreuung mit dem gleichen Geld weniger Studienplätze zur Verfügung stehen.

Das ist die Beschreibung des Problems. Jetzt schauen wir einmal hin, wie die Lösung aussieht. Bund und Länder haben sich in hartem Ringen auf diesen Hochschulpakt geeinigt; bundesweit sollen 90.000 Studienplätze bis zum Jahr 2010 zur Verfügung gestellt werden.

Jetzt hat der Wissenschaftsminister am 18.April in meinen PC,wo die Presseerklärungen des Wissenschaftsministeriums immer relativ schnell eingehen, um 16 Uhr paarundzwanzig mal eben so eine Presseerklärung hineinflattern lassen: „Hessen richtet bis 2010 gut 8.800 zusätzliche Studienplätze ein“. Da denkt man sich zuerst: Komisch, dass er so etwas, was eigentlich sehr gut klingt, an einem Mittwoch um halb fünf irgendwie mal eben so per Presseerklärung verkündet. – Wenn man aber genauer hinschaut, merkt man, woran es liegt. Denn er wollte, dass keiner genauer hinschaut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Die Presse wird auch ohne Sie gemacht!)

Herr Boddenberg, danke für das Kompliment. – Schauen wir genauer hin:

Die Hochschulen erhalten demnach eine Pauschalzuweisung pro zusätzlich vereinbartem Studienanfänger in Höhe von jährlich 4.250 c für eine Dauer von vier Jahren.

Dann vergleichen wir doch diese 4.250 c einmal mit den sogenannten Clusterpreisen aus der leistungsorientierten Mittelvergabe, also aus dem Haushalt. Clusterpreise sind der durchschnittliche Preis, der den Hochschulen für die Ausbildung von Studierenden in bestimmten Bereichen gewährt wird. Wir sehen hier Zahlen, die schwanken von dem zugegebenermaßen teuersten Ausbildungsplatz, das ist das Cluster Medizin und Zahnmedizin, von 23.597 c bis hin – das geht in 1.000er- oder 2.000er-Schritten herunter – zu einem einzigen Cluster, in dem tatsächlich 4.250 c zugewiesen werden. Das sind die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, allerdings nur an den Fachhochschulen. Das ist der billigste Ausbildungsgang.

Hier sehen wir doch gleich das Problem: Das ist wirklich eine Billiger-Jakob-Rechnung, die Sie uns vorgestellt haben. Sie können uns doch nicht weismachen, dass Sie tatsächlich 8.800 Studienplätze zur Verfügung stellen, wenn Sie sich mit der Finanzzuweisung an dem billigsten Studiengang orientieren. Diese Rechnung geht doch hinten und vorne nicht auf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Nicola Beer (FDP) – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Taschenspielertricks sind das!)

Herr Bocklet, Sie regen sich mit Recht über diese Taschenspielertricks auf. Aber ich kann noch weitergehen. Das ist nicht der einzige Taschenspielertrick, mit dem hier gerechnet wird.

Es ist nicht nur so, dass diese Zuweisung nicht stimmt, sondern wir mussten im Ausschuss auf Nachfrage auch noch erfahren, dass der Wissenschaftsminister zu dem, was bundesweit diskutiert wird – wir brauchen höhere Kapazitäten,wir brauchen mehr Studienplätze –,ohne mit der Wimper zu zucken, sagt: Die Studienplätze, die wir heute schon haben, worauf sich aber gerade keiner angemeldet hat, also die nicht ausgelastet sind, zählen wir bei der Schaffung von neuen Studienplätzen noch dazu.– Das würde ich als Milchmädchenrechnung plus bezeichnen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Milchbübchenrechnung!)

Meine Damen und Herren, wir merken schon: So richtig ist dem Wissenschaftsminister und der Landesregierung an dem Problem „Wir brauchen mehr Studierende“ auch nicht gelegen. Denn es gibt noch ein anderes Problem, bei dem der Wissenschaftsminister genau in die falsche Richtung geht. Herr Siebel hat es eben schon angesprochen. Alle Untersuchungen zeigen es, und es ist eine Binsenweisheit: Studiengebühren – so, wie sie hier in Hessen eingeführt worden sind, ohnehin – schrecken vom Studium ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben schon jetzt einen ersten Rückgang der Erstsemesterzahlen zu verzeichnen.Man kann noch nicht sagen, ob das daran liegt. Wir werden es aber sehr genau weiter beobachten.Wenn wir Gespräche mit Schülergruppen haben – ich denke, wir sind nicht die Einzigen, denen es so geht –, merken wir ganz eindeutig, dass insbesondere die Schülerinnen und Schüler aus den sogenannten bildungsfernen, aus den ärmeren Schichten sagen: Wenn Studiengebühren eingeführt werden, kann ich nicht studieren – Darlehen hin oder her.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das ist doch Unfug!)

Aktuell läuft die Verfassungsklage.Auch das hat Herr Siebel angesprochen. Wir werden sehen, wie das weitergeht. Meiner Ansicht nach ist der Sinn der Hessischen Verfassung hier ganz klar: Allein die Eignung soll über die Aufnahme eines Studiums entscheiden und nicht der Geldbeutel der Eltern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht nur darum, ob Studiengebühren falsch oder richtig sind. Es geht auch darum, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir die Leute, in denen Potenzial steckt, die klugen Köpfe, an unsere Hochschulen und weiter als Professoren in die Wissenschaft lenken. Hier liegt es auf der Hand, dass wir die Potenziale nutzen müssen – auch von denen, die heute noch nicht genug gefördert werden.

Wir diskutieren das auch in der Schulpolitik immer wieder. Es betrifft nicht nur die Hochschulpolitik, sondern es fängt viel früher an. Es kann doch nicht sein, dass wir hier die Ärmeren, die hohes Potenzial haben, von einem Studium ausschließen. Genau das ist auch das Problem an Ihrem Studiengebührengesetz. Denn die wirklichen Ausnahmen, die Sie vorsehen, haben mit allem Möglichen zu tun, aber keine einzige mit dem sozialen und finanziellen Hintergrund des Studierenden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es fällt nicht zum ersten Mal auf, dass der Wissenschaftsminister die soziale Situation von Studierenden überhaupt nicht im Auge hat. Ich erinnere nur an eine der Diskussionen um die Einführung von Studiengebühren,als er hier ganz salopp sagte, die Studierenden sollten einige Päckchen Zigaretten und ein paar Bier weglassen, dann sei das alles kein Problem. Ich finde das einen wirklich zynischen Umgang mit der Situation von Studierenden.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Wo leben Sie denn? – Michael Boddenberg (CDU): Rauchen sie?)

In diesem Zusammenhang muss ich fragen: Wo war eigentlich der hessische Wissenschaftsminister bei der Diskussion, die jüngst zur Erhöhung des BAföG stattgefunden hat? Hier hat es eine lobenswerte Initiative des Präsidiums der Frankfurter Universität gegeben, das seine Sorge in einem Brief an die Bundesbildungsministerin Schavan ausgedrückt hat. Ich zitiere daraus:

Der Anteil der BAföG-geförderten Studierenden an der Zahl aller Studierenden ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Die Lebenshaltungskosten sind von 2002 bis 2007 um durchschnittlich 1,77 % pro Jahr gestiegen. Da die BAföG-Sätze in diesem Zeitraum nicht erhöht wurden, verminderte sich der den geförderten Studierenden für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Betrag um insgesamt 10,62 %. Bei einem Wachstum der Bruttogehälter um insgesamt 1,2 % im gleichen Zeitraum verengt sich der finanzielle Spielraum der geförderten Studierenden in besorgniserregender Weise.

Weiter heißt es in dem Brief:

In dieser Situation die BAföG-Sätze bzw. die Elternfreibeträge nicht zu erhöhen bedeutet, jungen Menschen aus dem unteren Mittelstand und aus den einkommensschwächeren Familien die Entscheidung für die Bildung und für ein Studium in erheblichem Maße zu erschweren.Wir

das Präsidium der Johann Wolfgang Goethe-Universität –

appellieren daher dringend an Sie, das BAföG noch einmal zu überdenken und entsprechend zu revidieren. Niemand darf aus finanziellen Gründen von einem Studium ausgeschlossen werden. Wir bitten Sie, zu Ihren eigenen Worten zu stehen, damit alle jungen Menschen in Deutschland ungeachtet ihrer finanziellen Möglichkeiten entsprechend ihrer Neigung und ihren Voraussetzungen das für sie geeignete Bildungsangebot wahrnehmen können. Dies entspricht nicht nur dem Gedanken von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit, sondern auch dem dringenden Interesse unserer Gesellschaft, dass kein Talent unter den jungen Menschen verloren geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, diesem Brief und dieser Intention ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Auch wir wollen, dass in Hessen die Klügsten und nicht die Reichsten studieren. Auch wir wollen hier alle Potenziale nutzen.Aber der Wissenschaftsminister greift lieber den Studierenden in die Tasche, als die Probleme selbst zu lösen. So ist es auch mit den Studiengebühren. Natürlich brauchen wir bessere Studienbedingungen; natürlich wollen wir eine bessere Lehre. Ich frage mich nur: Warum sollen die Studierenden das zahlen?

Noch ein Beispiel dieser Billiger-Jakob-Politik, die der Wissenschaftsminister hier an den Tag legt. Die Studierenden sollen für die verbesserten Studienbedingungen in Zukunft 500 c oder mehr pro Semester zahlen. Der Wissenschaftsminister lobt sich in einer Presseankündigung – ich weiß nicht, um wie viel Uhr sie eingegangen ist; aber sie wurde nicht groß gefeiert – damit, dass er für die exzellente Hochschullehre sage und schreibe 250.000 c zur Verfügung stellt. Das klingt erst einmal ganz nett. Das ist

nicht wenig Geld.Aber um die Lehre zu verbessern, ist es wirklich lächerlich.

Wir haben hier vor Kurzem einmal über eine Anzeige der hessischen Hochschulen und der Landesregierung im „Scientific American“, einem amerikanischen Wissenschaftsmagazin, diskutiert, die für Hessen geworben hat. Diese Anzeige im „Scientific American“ hat 237.325 c gekostet. Man kann also sagen: Die Verbesserung der Lehre ist dem Wissenschaftsminister genauso viel wert wie eine Anzeige in einer US-amerikanischen Wissenschaftszeitschrift.