Protocol of the Session on July 12, 2006

Kirchhof! – Zu Kirchhof komme ich noch, Frau Wagner. Vor dem Hintergrund dieser sozialen Schieflage finde ich es grundsätzlich richtig, wenn im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands der Körperschaftsteuersatz weiter gesenkt wird. Die Argumentation ist ja, die Gewinne werden verlagert, weil im internationalen Vergleich die Gewinne niedriger sind und die Unternehmen Steuerflucht aus Deutschland betreiben. (Zurufe von der CDU)

Ja,ich gebe Ihnen Recht,dass das so ist,Herr Milde.Man muss den Steuersatz an dem Punkt senken. Da sind wir gar nicht auseinander. Die Frage ist aber, ob man den Steuersatz gleich halbieren muss. Der beträgt zurzeit 25 %. Die große Koalition schlägt eine Senkung auf 12,5 % vor. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit würde es nach meiner Auffassung aber reichen, wenn wir auf 15 % gehen würden. Dann hätten wir einen Erfolg eingestrichen, und wir hätten um 2,5 Milliarden c geringere Steuerausfälle. An dem Punkt sollte man noch einmal nachdenken, ob man der Steuersenkung, wie ich es vorhin ausgeführt habe, wirklich hinterherlaufen sollte.

Die jetzt bekannt gewordenen Zahlen für eine Umsatzsteuerreform, soweit man sie belastbar heranziehen kann, führen ebenfalls dazu, dass die Schieflage sich weiter verstärkt, und zwar gefühlt und tatsächlich.

Die große Koalition sammelt mit dem Steueränderungsgesetz, um das es ja auch geht, bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mühsam Werbungskosten ein. Beispielsweise wird eine Kürzung der Arbeitszimmerpauschalen kommen, wir bekommen eine ganz verunglückte Neuregelung bei der Pendlerpauschale, der Sparerfreibetrag wird gesenkt, und die Abzugfähigkeit der Steuerberatungskosten wird eingeschränkt. Das alles ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relativ schmerzhaft fühlbar, aber in der Summe geht es doch eher um Kleinbeträge.

Auf der anderen Seite haben Sie ein Steuersenkungsvolumen von rund 5 Milliarden c für Unternehmensteuern – mit relativ wolkigen Gegenfinanzierungsvorschlägen, die noch nicht abgesichert sind. Das wollen Sie miteinander auf den Weg bringen. Daran wird die Schieflage klar. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sammeln Sie Kleinbeträge ein, und die Unternehmen entlasten Sie in einem ersten Schritt um 5 Milliarden c. Vom Ministerpräsidenten haben wir gehört, das soll später noch mehr werden. Da frage ich die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Wie bekommen Sie das mit Ihren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit in Einklang?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Noch ein Beispiel, wo man Zahlen gut in ein Verhältnis setzen kann: die Kosten für die Unternehmensteuerreform,mindestens 5 Milliarden c im ersten Schritt,und die Bereitschaft,die Kinderversicherung aus Steuermitteln zu finanzieren. Da wird mühsam gerungen: im ersten Jahr 1,5 Milliarden c, im zweiten Jahr 3 Milliarden c. Auch hier wird deutlich: Da ist eine Schieflage, da ist eine Unwucht. Sie müssen noch daran arbeiten, dass diese Schieflage nicht dazu führt, dass sich immer mehr Menschen verabschieden. Wenn Sie den Mythos, die Abgabenlast sei zu hoch,weiterhin verbreiten,dann verstärken Sie diese Entwicklung in eine völlig falsche Richtung.

Frau Wagner hat mir vorhin das Stichwort „Kirchhof“ geliefert – Kirchhof, der Mann für die große Steuervereinfachung. Alle haben davon gesprochen. Wer hat sie ge

wählt? Es war nicht die Mehrheit, die diese Steuervereinfachung gewählt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Mehrheit der Menschen in unserem Lande hat einfach nicht darauf vertraut, dass es den großen Steuervereinfacher gibt, wahrscheinlich aufgrund der historischen Erfahrung, die wir alle gemacht haben, dass es dieses einfache Modell, dass man auf einem Bierdeckel oder auf anderen Deckeln in beliebiger Größe eine Steuererklärung unterbringen kann, nicht gibt.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das haben die Damen und Herren von der CDU auch erfahren. Das für sie unbefriedigende Wahlergebnis hat dann dazu geführt, dass Angela Merkel Herrn Müntefering an ihrer Seite hatte. Das macht uns klar: Es gibt nicht das einfache Rezept, mal eben so schnell das Steuersystem umzustellen. Das mag zwar eine akademisch interessante Betrachtung für eine Steuerrechtsvorlesung sein. Aber es ist nicht das, was wir besorgen müssen. Wir müssen solide und valide gegenfinanziert dafür sorgen, dass das Steuersystem für die Menschen erfahrbar und ertragbar wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Ich komme auch gleich zum Schluss. – Ich mache noch eine abschließende Bemerkung zum Antrag der FDP. In ihrem Abschlusssatz sind wir uns einig. Die Landesregierung täte besser daran, das Steueränderungsgesetz im Bundesrat abzulehnen. Darin sind wir aus den Gründen, die ich Ihnen vorgetragen habe, durchaus einig. In der Begründung allerdings sind wir völlig auseinander. Die Unternehmensteuerreform wird für die Mehrheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Lande eine teure Angelegenheit.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin fertig. – Wir wollen eine Verbreiterung in der Bemessungsgrundlage. Meine Damen und Herren, Steuerpolitik ist mehr, als nur darauf zu achten, dass die Unternehmen nicht zu stark belastet werden. Sie blenden den Bereich der abhängig Beschäftigten aus. Das werden wir so nicht mitmachen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Erfurth. – Es liegen zwei Anträge auf Kurzinterventionen vor. Zunächst Herr Hahn.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in den letzten Wochen und Monaten immer stärker erkennen müssen, dass sich die Fraktion der Bündnisgrünen in diesem Hause nicht mehr mit der aktuellen Politik beschäftigt, wenn es um die Steuerpolitik geht, sondern immer wieder in die Vergangenheit abdriftet.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach du liebe Zeit! Sie, die Partei der Höchststeuersätze,haben es nötig,darauf hinzuweisen, in der Tat!)

Das schöne Bild, das Kollege Al-Wazir, Herr Kaufmann und nunmehr auch Frau Erfurth immer wieder stellen wollen, nach dem Motto, dass die GRÜNEN die Steuerentlastungspartei in Deutschland sind,

(Demonstrativer Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind die Partei der Steuererhöhungen!)

dass die FDP die Steuererhöhungspartei sei, lieber Herr Kollege Kaufmann, dieses Bild wollen wir jetzt fachlich ein bisschen von dem Kopf auf die Füße stellen.

(Beifall bei der FDP – Michael Boddenberg (CDU): Die GRÜNEN sind die Partei der Besserverdienenden!)

In der Zeit seit 1999 sind alleine durch die Ökosteuer, die eindeutig die GRÜNEN selbst zu verantworten haben,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Belastungen in Höhe von 57,8 Milliarden c auf die Bürger in diesem Lande heruntergeprallt. Seit 1999: 57,8 Milliarden c allein bei der Ökosteuer.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben im Jahr 1999 eine erste Stufe gemacht: Erhöhung von Kraftstoff-, Heizöl-, Erdgas- und Stromsteuer.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Zum Zweiten haben Sie eine Tabaksteuererhöhung gemacht. Sie können sich noch daran erinnern. Damals gab es den Spruch von Wolfgang Gerhardt: „Wir rauchen jetzt für die Rentner.“ Die GRÜNEN waren dabei, ganz vorneweg.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war falsch: Wir rasen für die Rente, Herr Kollege!)

Im Jahre 2000 gab es die zweite bis vierte Steuerstufe bei der ökologischen Steuerreform. Sie haben darüber hinaus im Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung mitgestimmt, dass sie durch Steuererhöhungen finanziert wird.

(Norbert Schmitt (SPD): Wir rauchen für den Frieden und rasen für die Rente!)

Die Versicherungsteuer wurde erhöht, die Tabaksteuer wurde erhöht, die Feinschnittsteuer wurde erhöht. Darüber hinaus haben Sie im Jahre 2001 das Flutopfersolidaritätsgesetz gemacht und die Körperschaftsteuer von 25 % auf 26,5 % erhöht.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was haben Sie dagegen?)

Sie haben zum Abschluss im Jahr 2003 die Tabaksteuer und alles andere noch einmal erhöht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die GRÜNEN in diesem Hause sollten zur Kenntnis nehmen,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass die FDP viel mehr Steuererhöhungen gemacht hat!)

dass jedenfalls Ihre Kollegen in Berlin diejenigen sind, die die höchsten und auch noch die unsinnigsten und für die Gesellschaft schädlichsten Steuererhöhungen in diesen Jahrzehnten gemacht haben.

(Beifall bei der FDP)

Herr Hahn, die zwei Minuten sind um.

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hinaus, allein seit 2003 mit den GRÜNEN zusammen: zusätzliche Belastungen des Mittelstandes in Höhe von 8,8 Milliarden c. – Aber dazu kann Herr Kollege von Hunnius noch einiges sagen. Sie sind die Steuererhöher. Hören Sie auf, dieses Bild aufzustellen, als ob Sie für geringe Steuern seien. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie können die Zahlen nicht lesen!)

Frau Erfurth, ich möchte noch die zweite Kurzintervention zulassen,bevor Sie antworten.Einverstanden? – Herr von Hunnius, bitte.

(Günter Rudolph (SPD): Antwortet der auf den Hahn? – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wie war das mit den Steuererhöhungen bei der Mehrwertsteuer bei der FDP? Immer waren Sie dabei bei der Mehrwertsteuererhöhung, Herr von Hunnius! Jetzt sind Sie sauer, dass Sie nicht dabei sind!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Erfurth, Sie waren gerade dabei, die Vergangenheit aufzuarbeiten – es muss ein sehr aufregendes Thema für die GRÜNEN sein. Das kann ich voll und ganz nachvollziehen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Mit Dummes-Zeug-Reden kommen Sie nicht weiter, Herr Kaufmann!)

Frau Kollegin Erfurth,Sie waren dabei,die Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie haben freundlicherweise die Steuerpolitik der Regierung von CDU und FDP im Bund erwähnt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie etwas zur Mehrwertsteuererhöhung! Hunderte von Milliarden!)