Protocol of the Session on July 12, 2006

(Demonstrativer Beifall des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr von Hunnius, bei allem persönlichen Respekt: Wer soll das der FDP noch abnehmen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die FDP als Partei der Steuersenkung und Steuervereinfachung ist wenig glaubhaft.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Habt ihr noch eine neue Platte drauf, oder ist das noch die alte?)

Wir antworten auf die Platten, die uns hier vorgespielt werden, Herr Hahn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Aber nicht zeitnah, sondern zehn Jahre im Rückblick!)

Wir finden sicherlich Eingang in die Geschichte, Herr Hahn. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie bis zum Ende der Ära Kohl jahrzehntelang ununterbrochen mitregiert haben. Ich darf Sie daran erinnern, was Sie in dieser Zeit an Steuervereinfachung und Steuersenkung durchgesetzt haben. Damals hatten Sie die Chance dazu, dies umzusetzen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): So wie Herr von Plottnitz in Hessen für die Justiz zuständig war!)

Darf ich Sie daran erinnern, dass zum Ende Ihrer Regierungszeit der Eingangsteuersatz bei der Einkommensteuer skandalöse 25,9 % betrug? Man stelle sich vor,welche Belastungen Kleinverdiener zu tragen hatten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zu den 25,9 % müssen noch der Solidaritätszuschlag und Sozialversicherungsbeiträge hinzugerechnet werden.RotGrün hat es geschafft, diesen Eingangsteuersatz von 25,9 % auf 15 % zu reduzieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Damit haben wir einen wesentlichen Beitrag zur Steuergerechtigkeit geleistet. Außerdem hat Rot-Grün den unbürokratischen Minijob für Verdienste bis 400 c eingeführt.

(Zurufe von der FDP)

Den Midijob haben wir eingeführt. Deshalb müssen Sie keinen Geschichtsbetrug betreiben. Jetzt dreht SchwarzRot an der Abgabenschraube. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Minijob – eine gute Chance für Kleinverdiener im Bereich von 400 c bis 800 c, bei dem sich die Sozialversicherungsbeiträge langsam aufbauen – gab es erst mit uns. Den haben wir eingeführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten haben wir für die Entlastung der unteren Einkommensgruppen gesorgt. Diese Bevölkerungsgruppe kommt in Ihrem Antrag, den Sie mit „Steuern, Steuern und nochmals Steuern“ überschreiben, mit keinem einzigen Buchstaben vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich mich der Klientel zuwende, auf die Ihr Antrag abzielt,dann stelle ich fest,dass Rot-Grün für diese Klientel sehr viel mehr getan hat als Sie in den Jahren zuvor.

Vielleicht haben wir an der einen oder anderen Stelle des Guten ein bisschen zu viel getan.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Den Spitzensteuersatz hatten Sie unter Ihrer Ägide auf 53 % hochgetrieben.Wir haben es geschafft, ihn auf 42 % zu senken. Bei der Körperschaftsteuer gab es zu Ihren Zeiten einen gespaltenen Steuersatz, ein Unding in der Steuerrechtssystematik.Wir haben dafür gesorgt, dass das abgeschafft wurde. Wir haben dafür gesorgt, dass der Steuersatz auf einbehaltene Gewinne von 40 % auf 30 % gesenkt wurde. Wir haben dafür gesorgt, dass auch der Steuersatz für ausgeschüttete Gewinne gesenkt worden ist.

Trotzdem waren wir an mancher Stelle vielleicht doch ein bisschen übereifrig. Ich meine damit die Körperschaftsteuer. Da sind wir ein Stück weit über das Ziel hinausgeschossen und haben dazu beigetragen – dass muss man der Ehrlichkeit halber an der Stelle sagen –, dass der Einbruch bei den Einnahmen aus der Körperschaftsteuer 2001 zu stark ausfiel und insbesondere wir Hessen darunter gelitten haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU: Späte Erkenntnis!)

Ja, aber was wird an dem Punkt deutlich? Es wird deutlich, dass wir die Steuern gar nicht so schnell senken können, wie Teile der Wirtschaft das immer wieder einfordern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Geschäft auf Gegenseitigkeit, an das man geglaubt hat – die Politik schafft Steuervorteile, und die Unternehmen schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze –, ist nicht

zustande gekommen. Dieses Geschäft auf Gegenseitigkeit hat es nicht gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

An die Adresse der FDP kann ich nur sagen:Der Wettlauf um die schnellste Steuersenkung ist einfach nicht zu gewinnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das müsste auch der FDP klar sein. Es geht nicht um ein Abkassieren um des Abkassierens willen. Ich glaube, Sie sprachen von „abkassieren“. Der Staat brauchen Steuereinnahmen,wenn wir versuchen wollen,steuernd und lenkend einzugreifen. Möglicherweise wünschen sich die Wählerinnen und Wähler der FDP weniger Steuern, aber wir müssen auch an die denken, die nicht so viel in der Tasche haben und für die wir staatliche Leistungen erbringen müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Ihnen noch einmal vorhalten, wie hoch die Steuersätze waren, als Sie aufgehört haben zu regieren, meine Damen und Herren von der FDP und der CDU. 1998 betrug die Körperschaftsteuer 45 %.Wir haben es in drei Stufen geschafft, auf 25 % und einen einheitlichen Satz für ausgeschüttete Gewinne herunterzukommen.

(Zuruf des Abg. Roland von Hunnius (FDP))

Wir haben einen Eingangssteuersatz von 25,9 % vorgefunden, den Steuersatz für Geringverdiener. Wir haben die Eingangsstufe angehoben, und wir sind bei den Niedrigverdienern auf 15 % heruntergegangen. Das war eine großartige Leistung, die viel Arbeit gekostet hat, um diese Steuersenkung durchsetzen und durchfinanzieren zu können. Den Spitzensteuersatz haben wir von 53 % auf 42 % gesenkt. Dann stellen Sie sich hierhin und sagen, wir brauchten mehr Einfachheit und Transparenz im Steuersystem.Ich frage Sie,aus welcher Sicht auf die Realität Sie hier Wahlkampf machen und Anträge schreiben.

(Roland von Hunnius (FDP): Stimmt das etwa nicht?)

Das war ein langer Weg. Sie hatten vor uns 29 Jahre lang Zeit, diesen Unsinn aufzubauen. Wir haben es innerhalb von sieben Jahren geschafft, immerhin mit einigem groben Unfug aufzuräumen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Roland von Hunnius (FDP):Und neue Steuern einzuführen!)

Ich möchte mich mit ein paar Legenden beschäftigen, die Sie, Herr von Hunnius, auch heute wieder verbreitet haben. Diese Legenden und Mythen werden gern immer dann verbreitet, wenn man über die Steuern spricht.

Mythos Nummer eins lautet, das deutsche Steuerrecht sei so kompliziert,dass sich weltweit 80 % der Steuerliteratur mit dem deutschen Steuerrecht beschäftigten. Wenn man diese Aussage gegenzubürsten und wissenschaftlich zu untermauern versucht, dann kommt man zu folgendem Ergebnis. Es gibt eine wissenschaftliche Auswertung der weltweit größten Sammlung reiner Steuerliteratur einer international anerkannten Bibliothek in einem Institut in Amsterdam. Da haben Wissenschaftler einmal nachgezählt. Deutschland hat einen Anteil von 10 % an der weltweiten Steuerliteratur. Das ist zwar Platz eins – das muss

ich zugeben –, aber die USA, Großbritannien und die Niederlande folgen uns dicht auf den Fersen. Ich meine nicht, dass wir uns zurücklehnen und sagen können, es sei alles gut; auch ich denke, wir müssen Wert darauf legen, dass wir unsere Steuerliteratur und unser Steuerrecht weiter vereinfachen. Ich möchte aber ein bisschen abschichten und die Aufregung aus der Diskussion nehmen.Wenn man sich der Wahrheit zuwendet, dann wird manches ein bisschen einfacher.

Der nächste Mythos lautet – auch den haben Sie heute wieder verbreitet, Herr von Hunnius –, die Unternehmensbesteuerung in Deutschland sei viel zu kompliziert, viel komplizierter als anderswo.Das sagt sich immer leicht und ist auch sehr einfach und eingängig. Es ist trotzdem falsch. Das wissen auch Sie. Überall auf der Welt muss der Gewinn eines Unternehmens definiert werden, wenn man ihn besteuern will. Das wollen alle Industriestaaten tun. Ich kenne keinen Staat, der hier eine Ausnahme macht. Jeder,der schon einmal versucht hat,sich mit der Gewinnund Verlustrechnung eines Unternehmens zu befassen, weiß, man muss zur Ermittlung des Gewinns bestimmte Regeln einhalten, bestimmte Kriterien und Zeiträume festlegen, für die der Gewinn zu erfassen ist. Man braucht eine Rechnungsabgrenzung, man braucht Kriterien für die Bewertung von Vermögen. All das ist nicht sehr einfach zu leisten. Auch das System der internationalen Rechnungslegung ist sehr kompliziert und ähnlich komplex wie das deutsche Handels- und Steuerrecht.Wir müssen also festhalten, die Ermittlung des Gewinns eines Unternehmens ist eine anspruchsvolle Arbeit – in jedem Land dieser Welt, nicht nur bei uns in Deutschland.

Die dritte Behauptung ist die beliebteste,und sie wird von Ihnen immer wieder vorgetragen. Sie behaupten, Deutschland sei ein Hochsteuerland, Deutschland habe die höchste Steuer- und Abgabenlast aller vergleichbaren Industrieländer.Auch hierzu muss ich sagen:Legende und Mythos. Nach einer OECD-Studie aus dem Jahre 2002, der neuesten Studie, die mir vorliegt, haben wir in Deutschland eine Steuer- und Abgabenquote von 36 %. Damit liegt Deutschland leicht unter dem OECD-Schnitt, der 36,3 % beträgt. Deutschland liegt sogar deutlich unter dem Durchschnitt der EU-Länder, der bei 40,6 % liegt. Deutschland ist also kein Hochsteuerland.Wir haben eine Abgaben- und Steuerquote, die sich im europäischen Vergleich im unteren Bereich bewegt und in etwa dem OECD-Durchschnitt entspricht.

Ich gebe aber gerne zu, die gefühlte Steuerbelastung ist bei manchen Menschen sicherlich höher. Die gefühlte Belastung ist bei manchen Menschen höher, als es die statistisch ermittelte Quote ausweist.Warum ist das so? Das ist, glaube ich, relativ einfach zu erklären. Die gefühlte Steuerbelastung wird von den Menschen so wahrgenommen, weil die Abgabenlast ungleich verteilt ist, weil die abhängig Beschäftigten viel zu viel zahlen und die Vermögenden tendenziell zu wenig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben eine soziale Schieflage, die auch Rot-Grün nicht aufzufangen und abzuarbeiten vermochte. Die soziale Schieflage wird durch die aktuellen Beschlüsse der großen Koalition tendenziell aber eher noch vergrößert.

Kirchhof! – Zu Kirchhof komme ich noch, Frau Wagner. Vor dem Hintergrund dieser sozialen Schieflage finde ich es grundsätzlich richtig, wenn im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands der Körperschaftsteuersatz weiter gesenkt wird. Die Argumentation ist ja, die Gewinne werden verlagert, weil im internationalen Vergleich die Gewinne niedriger sind und die Unternehmen Steuerflucht aus Deutschland betreiben. (Zurufe von der CDU)