Protocol of the Session on July 9, 2003

(Volker Hoff (CDU): Die Opposition ist völlig depressiv!)

Das Wort hat der Kollege Al-Wazir, Vorsitzender der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat gesagt, dass die Opposition – und wahrscheinlich hat er das auf SPD und GRÜNE bezogen; denn wir haben in der Rede auch gelernt, dass es egal ist, ob die FDP mitregiert oder nicht – frei von jeder Verantwortung sei. Herr Koch, ich sage Ihnen: Wenn hier jemand frei von jeder Verantwortung geredet hat, dann waren das in den letzten 35 Minuten Sie und niemand anderes in diesem Plenarsaal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich möchte Ihnen auch den Grund dafür nennen. Sie haben 1999 und 2003 – 2003 als Amtierender – Wahlen mit typischen Oppositionsstrategien gewonnen. Allerdings sind wir nicht mehr in der Situation – steuerpolitisch schon gar nicht –, dass wir hier in Deutschland in dieser Frage dieses Spiel von Regierung und Opposition überhaupt spielen könnten. Herr Ministerpräsident, Sie sind nicht Opposition – nicht in Hessen und in Steuerfragen auch nicht im Bund. Denn jede dieser Maßnahmen braucht von Ihnen, vom Land Hessen, im Bundesrat eine Zustimmung oder eine Ablehnung. Und wir haben gerade gehört,dass Sie weiterhin das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform ablehnen wollen. Das ist die Quintessenz dieser 35 Minuten, in denen Sie hier versucht haben, um den heißen Brei herumzureden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Mein zweiter Punkt. Herr Ministerpräsident, ich verstehe nicht mehr,

(Volker Hoff (CDU): Das macht nichts, kein Problem!)

was Ihre Position ist. Ich bin ein sehr aufmerksamer und professioneller Beobachter der Christlich Demokratischen Union Deutschlands und der Christlich Demokratischen Union Hessens.

Am Montag vor drei Wochen sitzt Roland Koch im CDUPräsidium in Berlin dabei, und die Union fordert ein Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform. Vor einer Woche – nachdem die Bundesregierung gesagt hat, wir machen das –

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

fordert derselbe Roland Koch: nicht vorziehen.Am Montag – vor zwei Tagen! – sagt derselbe Roland Koch:

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

vorziehen. Und heute, um 9.58 Uhr, sagt er wieder: nicht vorziehen.

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Herr Ministerpräsident, ich verstehe das nicht mehr. Die 35 Minuten, die Sie hier gebraucht haben,

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

haben mir in diesem Verständnis auch nicht weiter geholfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, in diesem Zusammenhang kann ich vielleicht sagen:Wenn ausgerechnet Sie – nachdem Sie vier Jahre lang Hessen zum Sanierungsfall gemacht haben und wir in diesem Land in den Schuldenstaat marschieren,

(Widerspruch der Abg. Volker Hoff (CDU) und Michael Denzin (FDP))

nachdem Sie vor der letzten Landtagswahl aus taktischen Gründen gerade keine Sparmaßnahmen ergriffen haben, sondern alles in die Neuverschuldung gegangen ist – auf einmal die Generationengerechtigkeit entdecken, dann kommen mir angesichts Ihrer eigenen Bilanz die Tränen, aber vor Rührung.

(Beifall des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Ministerpräsident, ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang nur sagen: „Man soll sagen, was man tut, und tun, was man sagt.“ Das hat Roland Koch immer gesagt und damit Johannes Rau zitiert. Aber ein Blick auf Ihre eigene Bilanz zeigt, dass Sie in diesem Punkt wirklich der Allerletzte sind, der sich beschweren darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Herr Koch, ich sage Ihnen, was Ihr Grundproblem ist. Ihr Grundproblem ist, dass Sie alles, aber wirklich alles in Ihrer Politik in der Bundesrepublik Deutschland, im Land Hessen immer nur taktisch sehen. Alles. Sie haben in der Sache null Interesse, keine Stringenz, keine gerade Linie. Alles ist nur taktisch.

Taktik Nummer eins: Wie schwächt es die Bundesregierung?

Taktik Nummer zwei:Wie schwächt es Angela Merkel?

Taktik Nummer drei:Am besten beides.

Das ist die Leitlinie Ihrer Politik. Herr Ministerpräsident, das können wir uns aber in diesem Land nicht mehr leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

Wir können uns ein solches Verhalten auch deshalb nicht mehr leisten – –

(Volker Hoff (CDU): Sagen Sie doch einfach mal einen Satz zur Sache!)

Ich sage etwas zur Sache.

(Zurufe der Abg. Volker Hoff und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Ministerpräsident, die Funktion des Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform ist eine doppelte.

(Volker Hoff (CDU): Einen Satz zur Sache!)

Herr Kollege Hoff, wenn Sie aufhören würden, dauernd dazwischenzurufen, dann könnte ich etwas zur Sache sagen.

(Volker Hoff (CDU): Sie schwadronieren, Sie erzählen nur!)

Die eine Funktion des Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform ist die volkswirtschaftliche: Man lässt den Leuten mehr Geld in der Tasche, das sie dann ausgeben.

Die zweite Funktion – und die ist fast noch wichtiger – besteht darin, dass die Menschen das Gefühl haben, dass die Politik gemeinsam in der Lage ist, die Probleme anzugehen und auch etwas zu bewegen.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Genau, das ist es doch!)

Herr Ministerpräsident, und genau an diesem Glauben versündigen Sie sich aus taktischen, billigen, parteipolitischen Motiven. Und das können wir uns nicht mehr leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Volker Hoff (CDU): Das glaubt doch kein Mensch mehr! – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Koch, das, was Sie eigentlich tun, ist Sonthofen – Sonthofen 1974, eine Rede von Franz Josef Strauß. Ich zitiere einmal aus eben dieser Rede von Franz Josef Strauß aus dem Jahr 1974. Franz Josef Strauß hat gesagt:

Es muss wesentlich tiefer sinken, bis wir Aussicht haben, politisch mit unseren Vorstellungen, Warnungen,Vorschlägen gehört zu werden.

(Volker Hoff (CDU): Jetzt kommt er schon mit dem Jahr 1974 an!)

Es muss also eine Art Offenbarungseid und ein Schock im öffentlichen Bewusstsein erfolgen.

(Zurufe der Abg. Volker Hoff, Gottfried Milde (Griesheim) und Michael Boddenberg (CDU))

Wir können uns gar nicht wünschen, dass dies jetzt aufgefangen wird. Sonst ist es nur eine Pause, und nach der Pause geht es dann doch in der falschen Richtung weiter. Die Auflösung der jetzigen Bundesregierung ist das vorrangige Ziel.

Ihre Redezeit ist zu Ende.