Protocol of the Session on July 9, 2003

Die Frage der Konsumanreizmöglichkeit, die wir bei den Privaten haben, hängt doch damit zusammen, dass sie Angst um ihren Job haben. Die haben sie doch nicht, sobald sie ein paar Mark mehr in der Tasche haben, solange sie nicht sehen, dass in der Industrie irgendetwas passiert.

Wo wollen Sie, dass etwas passiert? – Verstehen Sie, das Entscheidende und das Schwierige,was eigentlich passiert ist, ist, dass Sie auf die Frage „Wo wollen Sie hin?“ seit Ihrer Koalitionsvereinbarung keine Antwort gegeben haben. Sie machen im Prinzip im Moment eine Politik, mit der Sie hoffen,irgendetwas über das nächste Halbjahr ziehen zu können.

(Zuruf des Norbert Schmitt (SPD))

Im nächsten Halbjahr werden nicht ein paar Politiker oder ein paar Wirtschaftswissenschaftler, sondern wird jeder einzelne Bürger in diesem Land, jeder einzelne Mitarbeiter in unserer Verwaltung – von dem größere Anstrengungen verlangt werden als bisher, der weniger Einkommen haben wird als bisher, wie jeder andere öffentliche Bedienstete auch – die Frage stellen: Was tut ihr denn eigentlich?

Ich will Ihnen dazu ein Zitat vorlesen, das mir wichtig ist:

Die Agenda 2010 lässt sich auf den Satz bringen: Reparaturen reichen nicht mehr aus. Doch einen Aufbruch zu neuen Horizonten verspricht sie nicht. Die wichtigste Frage stellt Schröder nicht: Was ist zu tun, um unter neuen Bedingungen mehr Menschen Chancen zu eröffnen? – Siegt am Ende der alte Affe Angst vor Änderungen oder die Hoffnung auf bessere Zeiten? Schröder hat diese Hoffnung bislang nicht geweckt.Warum?

Das ist ein Text von Hubert Kleinert, also jemand, den auf jeden Fall die GRÜNEN einigermaßen einschätzen müssten, sie hatten ihn einmal als Vorsitzenden ihrer Partei. – Das ist die Lage, in der Sie im Augenblick sind.

Wir wollen – übrigens in Kontinuität dessen, was wir in den vergangenen Jahren gemacht haben – in dieser Lage in Hessen unsere Agenda nicht ändern.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auf Platz eins der Agenda steht: Wir wollen, dass dieses Land Hessen unter den wirtschaftlichen Bedingungen zu den führenden Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland gehört, weil es das ist, warum wir uns am ehesten selbst kümmern können – jedenfalls relativ.

(Beifall bei der CDU)

Zum Zweiten: Ich habe gemeinsam mit dieser Regierung den Ehrgeiz, dass wir in der Situation, in der wir alle auf einmal hohe Nettoneuverschuldungen in Kauf nehmen müssen, unseren sehr guten Platz in der Wirtschaftlichkeit und in der Verschuldung unter den deutschen Bundesländern behalten. Das ist für uns ein Anspruch.

Wir sind immerhin in einer Situation,dass Bayern und Baden-Württemberg mit ihrer historischen Situation und die Sachsen, die viel besser gewirtschaftet haben als die anderen neuen Bundesländer, die Möglichkeit hatten. – Übrigens sind alle drei Länder, die vor uns sind, ununterbrochen seit Gründung von Christdemokraten regiert worden. Vielleicht hat es ein klein bisschen etwas damit zu tun, was der eine oder andere an Erblast von Verschuldung mit aufgenommen hat.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen diesen Platz halten.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Sie müssen Ihre Geschichte aufarbeiten! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Ruth, es waren immer wieder andere dabei, aber wir waren immer dabei.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bayernpartei war der Vorläufer der CSU!)

Ich bin bereit, wenn Sie die Vorläufer der CSU, die Bayernpartei, als Extrapartei bezeichnen, diese Einschränkung zu machen. Sie ist für die These, die ich aufstelle, nicht ganz so wichtig. – Unabhängig davon wäre ich jederzeit gerne bereit,meinen liberalen Kollegen zu sagen,dass ich glaube, dass an der Stelle die Wasserscheide nicht zwischen uns verläuft, sondern ob die FDP mitregiert oder nicht.

(Lachen und demonstrativer Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tarek Al- Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eh egal!)

Dass dadurch höhere Schulden entstehen, sagt jedenfalls niemand. Die CDU und die FDP werden Sie in der Frage, dass wir keine Schulden wollen, nicht auseinander bringen.Das in den letzten rund 50 Jahren nicht und jetzt auch nicht. Deswegen müssen Sie diesen Streit schon schön unter sich führen.

Die zweite Frage bleibt. Wir wollen in dieser Verschuldensfrage – –

(Norbert Schmitt (SPD): Das war die erste richtige Aussage!)

Ach, Herr Schmitt, wenn Sie so kleine Dinge haben. Schauen Sie, ich bin den Kollegen der FDP sehr dankbar für ihre Position im Bundestag.Wenn man in der Opposition ist, ist es das Einfachste auf der Welt, Steuersenkungen zu fordern. So fühlen Sie sich ja im Augenblick. Hans Eichel hat wenigstens noch das Problem, dass er es bezahlen muss. Sie sind hier völlig frei von diesen Sorgen.

Die Kollegen von der FDP haben in diesen Antrag sehr richtig hineingeschrieben, was die Bedingungen dafür sind.

(Zuruf des Norbert Schmitt (SPD))

Auf der Basis kann ich mich mit ihnen jeden Tag verständigen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Insofern ist das eine relativ gute Sache, nur muss es dabei bleiben. Ich sage noch einmal, wenn Sie alleine die Zeit von 1998 bis heute nehmen, ist die Pro-Kopf-Verschuldung,in der wir sehr gut sind in Hessen,wie Sie wissen,um 500 c gestiegen; das ist viel.

(Norbert Schmitt (SPD): 18,8 %!)

Aber in Niedersachsen ist sie um 800 c gestiegen, in Nordrhein-Westfalen ist sie auch um 800 c gestiegen. Ich will, dass wir bei allen Krisen, die wir haben, nicht nur bei der Arbeitslosigkeit besser sind, nicht nur beim Wirtschaftswachstum besser sind als die Länder, mit denen wir im Wettbewerb stehen, sondern auch mit dem – leider Gottes – unvermeidlichen Anstieg der Verschuldung. Einen geringeren Anstieg zu haben als andere, das muss unser Ehrgeiz sein, mit dem wir in die nächsten Jahre hineingehen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Norbert Schmitt (SPD))

Drittens. Wir werden auf unserer Seite in der Haushaltspolitik das Notwendige dazu tun.

(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt (SPD) und Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Wir werden uns – das habe ich heute angekündigt – nicht darauf einlassen, indem wir überoptimistische Erwartungen haben, beruhigt durch eine Haushaltsberatung zu gehen, um anschließend in die alten Schwierigkeiten zu kommen.

Dann ist in dieser Reihenfolge das Vierte zu sehen.Wir sehen mit Interesse, ob die Bundesregierung ein Konzept zur Steuersenkung vorlegen kann, indem sie, ohne die Lasten auf unsere Kinder zu verlagern, einen Vorschlag hinbekommt.Wenn sie das schafft,werden wir darüber reden. Sie wissen, dass Sie mit mir einen haben, mit dem Sie über das Thema Steuersenkung durchaus gelassener diskutieren können als vielleicht mit dem einen oder anderen sonst. Ich kenne aber auch die Grenzen dieser Mate

rie ein bisschen genauer als andere und weiß,was in einem Jahr geht.Ich weiß z.B.auch – selbst wenn man es machen würde; ich bin anderer Meinung –, der große Spruch von der Eigenheimzulage bringt im nächsten Jahr zwar einen gigantischen Ausfall in der Bauwirtschaft, aber auch netto cash 128 Millionen c Einsparungen im Haushalt des Bundesfinanzministers.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil es auf acht Jahre gebunden ist! Da muss man doch mal anfangen!)

Ja, deshalb muss man wissen, wenn man über Subventionskürzungen redet und die Verschuldung des nächsten Jahres verhindern will, welches Rad man drehen müsste. Man darf nicht Leute darüber täuschen, wie einfach das wäre. Das kann man in der „Bild“-Zeitung machen: 18 Milliarden c Subventionen in einem Jahr streichen – das ist ganz einfach. Sie müssten wissen, dass es nicht einfach ist.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Der Maßstab ist, ob Sie Politik machen wollen mit Strukturreformen, unter denen wir möglicherweise gemeinsam leiden, durch Einnahmesenkungen in den öffentlichen Haushalten, durch Ausgabesenkungen in den öffentlichen Haushalten, durch Wegnahme von Dingen des einzelnen Bürgers. Sind Sie bereit, darauf einzugehen, ein solches Konzept zu Steuersenkungen so zu machen,dass Sie keine neuen Schulden aufnehmen? Wir haben die Lasten zu tragen und nicht unsere Kinder.

Ich gebe zu, dass es mir schwer fällt, mir einen Weg vorzustellen, wie Sie das schaffen könnten. Sie haben gesagt, dass Sie es schaffen. Deshalb machen Sie einen Vorschlag. Leben Sie damit, dass wir auch diesem Land sagen: Wir haben keine Chance, das in der Grenze der Verfassungsmäßigkeit, bei einer Annahme, die von einem realistischen Wachstum von 1 % ausgeht,ohne Neuverschuldung hinzubekommen, wenn die Steuern gesenkt werden.

Dann machen Sie Vorschläge, auch in Hessen und nicht nur im Bund. Der Bund bezahlt immer nur seinen Teil. Sie haben selbst vorhin gesagt, dass 400 bis 500 Millionen c Mindereinnahmen zu erwarten sind. Soll ich die voll auf die Neuverschuldung buchen? Mit den Zahlen, die Herr Schmitt angegeben hat, kommen Sie ja noch nicht einmal an die Verfassungsgrenze,allein durch die Ausfälle,die wir in diesem Land haben.Wie soll ich das machen, wenn Sie dazu keinen Vorschlag haben?

Dann sagen Sie den Bürgern Hessens ganz offen, dass Sie als hessische Landespolitiker der Meinung sind, dass die Steuersenkung durch 100 % später von unseren Kindern bezahlt werden soll. Denken Sie bitte immer daran, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind – das ist Ihr Satz und nicht unserer.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich halte es nicht aus!)

Und dann kommen Sie nicht hierher, beschimpfen uns wegen Verschuldung und machen selbst ohne irgendeinen Ausnahmetatbestand Vorschläge, die zu 100 % in die Neuverschuldung führen. – Das will ich nicht.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn ich dazu im Bundesrat gefragt werde, ob wir eine Steuersenkung auf Kosten unserer Kinder machen wollen, dann bleibt es die gleiche Antwort, die ich bisher gegeben habe. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es gibt sechs Minuten zusätzlicher Redezeit für die Oppositionsfraktionen.

(Volker Hoff (CDU): Die Opposition ist völlig depressiv!)