Herr Ministerpräsident, ich frage Sie jetzt: Warum setzen Sie sich so vehement für Wachstumsverhinderung in unserem Land ein?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerhard Bökel (SPD): Weil die Merkel etwas anderes will! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Er hat die Rolle der SPD übernommen, ihr habt nur getauscht!)
Herr Hahn,auch das ist wieder unterschiedlich.Bei euch bestimmt der Standort immer den Standpunkt, wir versuchen unsere Standpunkte möglichst gleich zu behalten.
Herr Ministerpräsident, ich glaube, es ist an der Zeit, dass Sie – nicht jetzt, sondern am besten nach meiner Rede – ans Mikrofon gehen
und uns beantworten,warum Sie das,was Sie vor zwei Jahren für richtig hielten, was Sie über lange Jahre und in vielen Reden erklärt haben, nun anders sehen.
(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Sie haben es vor einem Vierteljahr noch abgelehnt! Woher kommt der Sinneswandel der SPD?)
Herr Ministerpräsident, ich lade Sie ein: Kommen Sie hierher, und geben Sie uns Auskunft, was die Gründe Ihrer Meinungsänderung sind.
Erlauben Sie mir, dass ich eine kleine Mutmaßung anstelle, was die Motivation, der Schub für die Meinungsänderung war. Bei der Klarheit der Worte des Hessischen Ministerpräsidenten wäre es wohl müßig, die Antwort im Bereich der Ökonomie oder der Vernunft zu suchen. Ich persönlich vermute und stehe damit nicht alleine, dass die Frage der innerparteilichen Taktik eher eine Rolle gespielt hat.
Die Union in Deutschland ist seit Wochen und Monaten völlig von der Rolle. Sie flattert führungs- und orientierungslos zwischen Opposition und Obstruktion.
Es wird Zeit, dass auch Sie Ihrer Verantwortung ein Stück weit gerecht werden. Stillstand können wir uns in Deutschland nicht leisten. Wir brauchen Mut zur Veränderung und Mut zu Optimismus.
Herr Ministerpräsident, ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie ein eigenes Interesse daran haben, Frau Merkel insbesondere im Vorfeld des Bundesparteitags der CDU zu schwächen. Aber Ihr Job ist es nicht, Frau Merkel zu schwächen. Die ist schwach genug. Ihr Job ist es, unser Land zu stärken. Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde der Aufforderung des Oppositionsführers nachkommen, dieses Land auch in Zukunft zu stärken. Das kann ich Ihnen zunächst sagen.
Aber das wird auch in Zukunft nicht möglich sein, wenn man sich nicht darüber unterhält, wie die Ausgangslage ist. Zur Ausgangslage gehört, dass Ihr früherer hessischer Parteivorsitzender und jetziger Bundesfinanzminister und eine rot-grüne Regierung die Verantwortung dafür tragen, dass wir uns in den letzten vier Jahren aus einer konjunkturellen Krise in die schwerste Wirtschaftsstrukturkrise der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland entwickelt haben.
Herr Kollege Walter, ich finde es bezeichnend, wenn der Bundesfinanzminister in der Haushaltsausschusssitzung des Deutschen Bundestages gefragt wird, warum er die klugen Ideen, die jetzt diskutiert werden, nicht schon vorher gehabt hat,und antwortet:Ich habe erst das dritte Jahr der Stagnation abwarten wollen.
Wir sind an dem Punkt sehr präzise, an dem wir in der Analyse unterschiedlicher Meinung sind. Möglicherweise – nicht nur ich fürchte, das ist im Augenblick so – hat man im dritten Jahr einer Stagnation nicht mehr die gleichen Möglichkeiten. Man hat immer noch Möglichkeiten – über die reden wir –, aber nicht mehr die gleichen Möglichkeiten zur Bekämpfung einer Krise wie im ersten Jahr.
Genauso ist das in jedem privaten Unternehmen oder bei jedem Mittelständler, bei jedem, der im Wirtschaftsleben steht. Wenn er in eine Flaute kommt, wenn er sieht, dass er nicht mehr genug Umsatz macht, dann kann er über Preissenkungen, über Werbemaßnahmen und alles Mögliche nachdenken,um anzukurbeln.Wenn er nicht mehr genug Einnahmen hat, muss er möglicherweise zur Bank gehen,ihr ein Geschäftskonzept vorlegen und sagen:Ich will mit Werbung und anderem das ankurbeln, damit es mir wieder besser geht.– Dafür bekommt er einen Kredit.Das ist ein normales und vernünftiges System. Ich habe mir erlaubt, darüber in der Öffentlichkeit auch bei staatlicher Steuerpolitik öfter zu reden.
Herr Kollege Walter, Sie haben nur eines nicht begriffen. Sie legen in diesem Jahr im Bund und wir alle in den Ländern Haushalte vor, die jenseits der Verfassungsgrenze liegen, auch für das nächste Jahr. Deshalb haben wir weder bei der Bank noch bei unseren Kindern einen Kredit.
Das ist das Problem.Verstehen Sie? In einem Jahr, in dem die Verschuldung 57 % oder 59 % des Volksvermögens beträgt,ist die Frage,ob wir nicht für eine kurze Zeit 59 % hinnehmen, damit es uns wieder besser geht, eine richtige.
Herr Kollege Walter, ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist: Wir haben nicht mehr 57, 58 oder 59 % des Brut
toinlandsprodukts, wir überschreiten in Europa nicht nur das Kriterium der 3-%-Neuverschuldung, sondern auch das Kriterium der 60-%-Verschuldung. In diesem Sinne sind wir als Staat nach unseren eigenen Regeln nicht mehr kreditfähig. Da muss man sich überlegen, ob und wofür man neue Schulden aufnimmt.
(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie tragen doch dazu bei! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das entdecken Sie auf einmal!)
Einer der Weisen des Sachverständigenrats, Herr Franz, sagt auf die Frage, was er vom Vorziehen der Steuerreform halte. „Prinzipiell ist die Steuerreform und damit auch die dritte Stufe eine gute Sache.Warum soll man eine gute Sache nicht zeitlich vorziehen?“
Damit habe ich kein Problem. – Frage: Sie finden kein Haar in der Suppe? Franz: „Entscheidend ist natürlich die Frage der Gegenfinanzierung. Da sieht es nicht so überzeugend aus.“
Frage: Bundesminister Hans Eichel will die Steuerreform offensichtlich auch auf Pump finanzieren. Franz: „Das ist der falsche Weg.“ – Das ist exakt die korrekte Zusammenfassung meiner Position.
Das hat nur eine Folge. Wenn die Steuerreform wirklich nur auf Pump zu machen ist, dann geht sie nicht.Wenn jemand sagt, es geht ohne Pump, dann soll er ein Konzept vorlegen. Deswegen ist die Antwort richtig. Was Sie über die interne Lage bei der CDU und CSU, und was wir miteinander gemacht haben, sagten – das betrifft mich ebenso wie andere –, mag alles richtig sein. Wir haben Herrn Schröder einige Tage erlaubt, mit den Scheinwerfern auf uns zu zeigen,als hätten wir die Finanzierung vorzulegen,und von sich abzulenken,der bis heute dazu nicht in der Lage ist. Da er leider immer noch Bundeskanzler ist,wird er ein bisschen weniger fröhlich nach Italien,oder wohin er gerne fahren möchte, fahren müssen. Er hat den Job, zu sagen, wie er seine eigenen Vorschläge finanzieren will. Das hat er bis heute nicht getan.