Protocol of the Session on May 8, 2019

24. Landesmindestlohnerhöhung – Auswirkungen auf die öffentlichen Betriebe und den öffentlichen Haushalt Kleine Anfrage der Fraktion der FDP vom 16. April 2019 Dazu Antwort des Senats vom 7. Mai 2019 (Drucksache 19/2178)

III. Sonstige Eingänge

1. Mitteilung des Senats über die vom Senat beschlossene Mitantragstellung der Bundesratsinitiative „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zur Schließung der Förderlücken von Geflüchteten im Analogleistungsbezug – Antrag der Länder Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen“ Mitteilung des Senats vom 2. April 2019 (Drucksache 19/2091)

2. Mitteilung des Senats über die vom Senat beschlossene Mitantragstellung der Bundesratsinitiative „Akzeptanz und Wertschätzung statt Pathologisierung und Diskriminierung: Menschen in ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität stärken – „Konversionstherapien“ verbieten – Antrag“ Mitteilung des Senats vom 2. April 2019 (Drucksache 19/2092)

3. Mitteilung des Senats über die vom Senat beschlossene Einbringung der Bundesratsinitiative „Funktionsschwäche der Tarifautonomie: Problem benennen, Strategie entwickeln, Gestaltungswillen bezeugen – Antrag des Landes Bremen“ Mitteilung des Senats vom 30. April 2019 (Drucksache 19/2162)

4. Mitteilung des Senats über die vom Senat beschlossene Mitantragstellung der Bundesratsinitiative „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes – Antrag des Landes Niedersachsen“ Mitteilung des Senats vom 30. April 2019 (Drucksache 19/2163)

Wird das Wort zu den interfraktionellen Absprachen gewünscht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Wer mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

(Einstimmig)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass die SPD-Fraktion am 28. März 2019 den Abgeordneten Mustafa Güngör zum neuen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt hat.

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von den Abgeordneten Frau Vogt, Frau Bernhard, Janßen und Fraktion DIE LINKE folgendes Thema frist- und formgerecht beantragt worden:

Kaum Einkommenszuwachs in Bremen, Einkommensverluste in Bremerhaven: WSI-Verteilungsmonitor zeigt negative Abkopplung vom Bundestrend

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Vogt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das WSI, das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung, hat Daten zur Einkommensentwicklung seit dem Jahr 2000 vorgelegt, und zwar bundesweit, aber auch für einzelne Städte und Regionen. Das ist äußerst interessant, denn diese Zahlen zeichnen ein ganz anderes Bild der sozialen Lage, als uns das gern hier vermittelt wird.

Wir bekommen oft und gern mitgeteilt, wie sich die Vollzeitbruttoeinkommen im produzierenden Gewerbe entwickelt haben. Da liegt Bremen immer ganz gut, aber in dieser Studie geht es darum, was die Haushalte real zur Verfügung haben, alle Haushalte, inflationsbereinigt, netto und mit der Arbeitszeit, die sie tatsächlich haben. Diese Ergebnisse, die sind für Bremen und Bremerhaven außerordentlich bedenklich. Das WSI fragt nach dem realen Haushaltsnettoeinkommen pro Person zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2018, also bis heute, und bundesweit ist dieses reale Nettoeinkommen der Haushalte um 12 Prozent gestiegen. Das ist etwas weniger als das reale Wirtschaftswachstum in dem gleichen Zeitraum, aber in Bremen ist das nicht geschehen.

In der Stadt Bremen ist das verfügbare Haushaltseinkommen nur um 2,3 Prozent gestiegen, also ein Fünftel des bundesweiten Anstiegs, und in Bremerhaven sind die Haushaltseinkommen sogar um 4,9 Prozent gefallen. In Bremerhaven heißt das übersetzt, dass die Haushalte weniger Geld zur Verfügung haben als vor 18 Jahren. Nach der Höhe des Haushaltseinkommens liegt Bremerhaven im Vergleich der Städte auf Rang 391 von 401 und wenn es um den Zuwachs geht, dann liegt Bremerhaven sogar nur auf Rang 397. Das heißt, nur in vier anderen Kreisen oder Städten gibt es höhere Einkommensverluste als in Bremerhaven. Das ist in Offenbach, Ansbach, Pforzheim und Baden-Baden der Fall.

Das ist, auch das vergleicht die WSI, typisch für die 15 größten Städte, denn der Zuwachs, der in der Stadt Bremen liegt, der liegt im unteren Fünftel. Da liegen die Einkommen weit auseinander. In München ist das Einkommen fast doppelt so hoch wie in Duisburg und Bremen liegt in der Mitte. Alle 15 liegen beim Zuwachs der Einkommen aber ähnlich wie Bremen. Das heißt, die Städte, und das ist absolut interessant, weil da immer mehr Menschen hinziehen, koppeln sich von der Einkommensentwicklung negativ ab, trotz guter Konjunktur, die wir in den letzten Jahren hatten, trotz neuer Arbeitsplätze, trotz einer immer stärkeren Konzentration des Wirtschaftsgeschehens auf die Städte.

Die Städte werden im Verhältnis ärmer, beziehungsweise die Menschen, die in ihnen leben und arbeiten. Sie profitieren also nicht vom Wirtschaftswachstum. Auch das muss man hier einmal hervorheben, weil uns oft vom Senat erzählt wird, wie gut die Wirtschaftsentwicklung in Bremen doch ist. Man muss einfach einmal festhalten, für die Menschen, die hier arbeiten, gilt das nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Bremerhaven ist durch die Entwicklung der letzten 18 Jahre spezifisch hart getroffen und als Bundesland und Stadtstaat erscheinen wir auf der Karte der Einkommen inzwischen auf der Farbe des Ostens. Die reichen Zonen in Deutschland liegen zunehmend im Süden, in Bayern und Baden-Württemberg. Warum sind diese Zahlen für uns wichtig? Sie erklären zum Beispiel, warum wir eine derart hohe Mietbelastungsquote haben, auch das hat die Hans-Böckler-Stiftung ermittelt. Wir sind auf Platz fünf in der Mietbelastungsquote aller Städte.

Fast die Hälfte der Haushalte in Bremen, nämlich 47,5 Prozent, hat eine Mietbelastungsquote von mehr als 30 Prozent. Das ist der höchste Wert aller 77 verglichenen Städte. Fast ein Viertel der Haushalte, nämlich 23 Prozent, hat sogar eine Mietbelastungsquote von über 40 Prozent des Einkommens. Wir sind alle hier oder die meisten von uns auf diversen Veranstaltungen und Podien in der letzten Zeit gewesen, und es wird oft gesagt, ja die Mieten steigen, aber das Mietniveau in Bremen ist noch lange nicht so hoch wie das in München. Das stimmt. Die verfügbaren Einkommen sind aber in München auch doppelt so hoch wie in Bremen.

Während die Mieten rapide steigen, steigen die Einkommen nicht, in Bremen nur minimal, in Bremerhaven fallen sie sogar. Wenn man das nicht zusammen sieht, versteht man auch nicht den Druck, der in der Stadt an der Wohnungsfrage entstanden ist.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe auf einigen Veranstaltungen gern gehört oder oft gehört, dass das mit den Mieten und den Immobilienpreisen in Bremen ja nicht so schlimm wäre. Ehrlich gesagt, die Menschen im Publikum, die sind dann immer außer sich. Die sind richtig außer sich, weil das nämlich nicht mit ihrer real erlebten Welt übereinstimmt. Wenn sie nämlich spüren, dass ihr Einkommen nicht mehr ausreicht zwischen dem Tatsächlichen, was sie zur Verfügung haben zum Ausgeben, und dem, was sie für Mieten und Nebenkosten zahlen. Dann kippt nämlich in den Veranstaltungen schnell die Stimmung im Publikum, und dann hat man auch oft die Sprüche: Ihr habt ja keine Ahnung, wie es wirklich aussieht! Ehrlich gesagt, stimmt das dann auch.

(Beifall DIE LINKE)

An dieser Stelle geht es mir nicht darum, was der Senat jetzt alles falsch gemacht hat, oder gestern hat ja auch die grüne Sozialsenatorin gesagt, was der rot-schwarze Senat vor 15 Jahren alles falsch gemacht hat. Sondern mir geht es darum, dass wir diese Realität endlich einmal zur Kenntnis nehmen und dass wir nicht immer nur einzelne Jubelzahlen zur Wirtschaftsentwicklung ausgesucht bekommen. Wenn das alles gut wäre oder wie man in Bremen sagt, auf einem guten Weg wäre, dann hätten wir diese Stimmung in der Stadt nämlich nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen endlich verstehen, dass für sehr viele Haushalte in Bremen und noch mehr in Bremerhaven überhaupt nichts auf einem guten Weg ist. Zu denen, die von sich selbst sagen, im Verhältnis zu den anderen fahren wir noch ganz gut, da steigt trotzdem die Angst, dass es in ein paar Jahren bei ihnen auch so ist. Das ist doch völlig logisch. Weil die Einkommen nicht in dem Umfang steigen, sind die steigenden Mieten und die steigenden Nebenkosten nichts anderes als eine kalte Enteignung der Menschen, die hier leben und arbeiten.

(Beifall DIE LINKE)

Für Bremen und Bremerhaven gilt, beides ist richtig. Die Einkommen sinken, die Mieten steigen und zur Wohnungspolitik haben wir nachher auch noch eine ausführliche Debatte. Dazu muss man sich aber auch die Einkommenspolitik ansehen. Woran liegt es, dass wir in den Städten so ein hohes Einkommensproblem haben? Natürlich konzentriert sich in den Städten, also auch in Bremen und Bremerhaven, die Arbeitslosigkeit. Bremen ist seit 2015 das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote. Das war früher nicht so. Das ist während der Sanierungsphase geschehen.

Die anderen Bundesländer haben uns überholt, und der Abstand wächst. Auch die Bundesländer im Osten dieser Republik haben uns überholt. Die Armut, das ist auch ein Befund, wohnt überwiegend in den Städten, aber ganz besonders in Bremen und Bremerhaven. Das kann nicht alles sein. Die neuen Arbeitsplätze entstehen eigentlich auch in den Städten. Das erleben wir auch. Die qualifizierte Arbeit konzentriert sich in den Städten, und der öffentliche Dienst hat einen sehr hohen Anteil an der öffentlichen Beschäftigung, in den Stadtstaaten sowieso. Trotzdem zieht es die Einkommensentwicklung nicht hoch.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ja, weil alle in das Umland ziehen!)

Nein, das ist nicht der Fall, weil, abgesehen von den gut bezahlten Arbeitsplätzen, diese Tendenzen nämlich in der Masse nicht zu den hohen Einkommen führen. Gerade in Bremen wissen wir nämlich, die Zahl der Arbeitsplätze, die wächst schneller als die Anzahl der Arbeitsstunden. Das heißt, die Arbeit wird eigentlich nur scheibchenweise immer weniger verteilt oder beziehungsweise umgekehrt in kleinere Scheiben geschnitten, und für Frauen ist Teilzeit die Regel und die prekären Beschäftigungsverhältnisse haben einen hohen Anteil. Das bedeutet auch, dass die Lohnschere auseinandergeht.

Da hat natürlich der Staat auch eine Verantwortung als Arbeitgeber, weil im öffentlichen Dienst hat es, insbesondere in Bremen und Bremerhaven, überhaupt keine großen Reallohnzuwächse gegeben. Wir haben 45 000 Beschäftigte in Bremen und Bremerhaven im öffentlichen Dienst. Da gibt es große Anteile, da kann man von dem Gehalt nicht besonders gut leben. Das betrifft Kitas, die Erzieherinnen, das betrifft die Polizei, und das betrifft auch die Pflege. Wenn man das noch in Teilzeit macht, zum Beispiel, weil man Kinder zu betreuen hat, dann wird es ziemlich schnell eng.

Das merken wir im Moment auch bei den Schwierigkeiten von Stellenbesetzungen. Auch in den oberen Entgeltgruppen des öffentlichen Dienstes ist Bremen nicht wirklich konkurrenzfähig mit den Gehältern in der Privatwirtschaft. Das heißt, die Sanierungsphase und die Konsolidierungsphase, die Politik der knappen Kassen im öffentlichen Dienst schlagen dann auf die gesamte Einkommensentwicklung im Bundesland und in diesem Stadtstaat negativ durch. Wie gesagt, 45 000 Menschen leben und arbeiten im öffentlichen Dienst.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben uns alle schon ein bisschen, und das ist leider auch traurig, daran gewöhnt, dass es vor der Bürgerschaft ständig Kundgebungen gibt, auf denen die Beschäftigten sagen: Wir werden unter Wert bezahlt. Wir haben eine hohe Arbeitsverdichtung, die immer mehr Teilzeitarbeitsplätze mit sich bringt, weil die Menschen die Arbeitsbelastung nicht mehr aushalten, in Kitas und Schulen ist das oft so. Es reicht aber dann beim Einkommen nicht mehr.

Das ist genau das Problem, bei dem wir der Meinung sind, dass die Haushaltssanierung auch dazu geführt hat, dass Bremen und Bremerhaven sich vom Bundestrend so weit abkoppeln. Das ist die große Herausforderung, vor der wir in den nächsten vier Jahren stehen oder in den nächsten acht Jahren. Das ist nämlich nicht nur die Frage, wie entwickeln sich die Mieten, sondern auch, wie entwickeln sich die Einkommen in Bremen und Bremerhaven. Wie gesagt, auch der Staat hat da eine eigene Verantwortung und das ist ein Problem, das in den nächsten zehn Jahren dringend gelöst werden muss, wenn wir dieses Schlusslicht nicht mehr sein wollen und wenn wir auch wollen, dass Bremen diese Attraktivität behält und die Menschen, die hier leben, von ihrer Arbeit auch leben können. – Dankeschön!

(Beifall DIE LINKE)

Bevor ich den nächsten Abgeordneten an das Rednerpult bitte, möchte ich jetzt gern herzlich den Kurs der berufsorientierten Sprachförderung auf der Tribüne begrüßen. Seien Sie uns willkommen!

(Beifall)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der sogenannte WSI Verteilungsmonitor der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung, der das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Haushalte in Deutschland nach Region ausweist, zeigt für das Land Bremen ein ernüchterndes Bild. 2016 betrug das reale Haushaltseinkommen bei uns 20 724 Euro. Das ist, wenn man einmal von Berlin absieht, der schlechteste Wert in den alten Bundesländern.