Sie haben den Eindruck erweckt, als würde die rotgrüne Koalition hier im Land Bremen nur die Flüchtlinge im Blick haben und die anderen Menschen nicht.
Das ist überhaupt nicht so. Das weise ich für die rotgrüne Koalition entschieden zurück. Sie wissen ganz genau, dass es für bestimmte Menschengruppen nach unserem Polizeirecht gewisse Regelungen gibt, sodass Ihr Antrag eigentlich ins Leere läuft. Ich appelliere an Sie, diese Menschen hier im Hause nicht so gegeneinander auszuspielen!
Ich werbe bei Ihnen ganz deutlich für dieses Gesetz. Es ist keine Beschlagnahmung. Sie können das in der Gesetzesbegründung lesen. Das haben wir gestern auch alle besprochen. Das Ziel muss und wird dabei sein, dass man eine Einigung mit den betroffenen Eigentümern erzielt und sie dafür auch eine angemessene Entschädigung bekommen. Das war uns wichtig.
Zum Schluss möchte ich noch eines sagen. Sie zeichnen hier ein Bild, als ob wir die Probleme heute nicht hätten, wenn man mehr abschieben würde.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir debattieren heute in zweiter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden. Was sich hinter diesem langen Titel verbirgt, ist nichts anderes als eine Novellierung des Bremischen Polizeigesetzes. Damit soll den Behörden die Befugnis erteilt werden, ungenutzte Privatgebäude und Grundstücke ab einer Größe von 300 Quadratmetern zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden sicherzustellen. Bremen ist damit nach Hamburg das zweite Bundesland, das eine so konkrete landesrechtliche Regelung erlässt.
Wir Bürger in Wut lehnen den Gesetzentwurf ab, denn er ist nicht nur ein Tabubruch, sondern auch rechtlich höchst fragwürdig. Deshalb ist zu befürchten, dass das Gesetz bei Anwendung eine Welle von Gerichtsverfahren nach sich ziehen wird.
Der Schutz des Eigentums ist ein sehr hohes Rechtsgut. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greift der Staat in das Grundrecht auf Eigentum seiner Bürger ein. Dass eine mögliche Sicherstellung von Privateigentum, wie sie hier in dem Gesetzentwurf gefordert wird, auf wackeligen juristischen Füßen steht, zeigt ein aktueller Fall aus Niedersachsen. Erst vor wenigen Tagen hat die Stadt Lüneburg eine eindeutige juristische
Ohrfeige erhalten als sie eine leer stehende Villa beschlagnahmen wollte. Der Besitzer ist vor das Verwaltungsgericht gezogen und erhielt Recht.
Bevor die Stadt in das Grundrecht auf Eigentum eingreife, müsse sie alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen und gegebenenfalls sogar teure Hotelzimmer oder Ferienwohnungen anmieten, urteilten die Verwaltungsrichter. Die Gewährung sozialer Fürsorge obliege primär der Stadt und dürfe nur als letztes Mittel auf eine Privatperson abgewälzt werden. So die Begründung der Richter! Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, da eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht vorliegt, dürften diese Leitsätze doch zu weiteren Klagen Betroffener führen.
Nun komme ich aber zum Inhalt des uns vorliegenden Gesetzentwurfs. SPD und Grüne versuchen immer den Eindruck zu erwecken, es gehe hauptsächlich darum, den Zugriff auf leere Gewerbeimmobilien zu ermöglichen. Das hatte eben Frau Dogan auch hier angeführt. Man führt auch in der Presse immer gerne an, man würde sich um den leerstehenden Baumarkt an der nächsten Ecke bemühen. Das ist auch gestern so in der gemeinsamen Sitzung des Rechtsausschusses und der Innendeputation angeführt worden. Dann frage ich mich aber, warum in dem ganzen Gesetzentwurf nicht einmal das Wort Gewerbeimmobilien vorkommt. Man hätte das Gesetz doch auch auf diese Gebäudeart beschränken können, wenn es der Koalition tatsächlich darum geht, leer stehende Baumärkte oder auch Hallen sicherzustellen. Das hat man aber nicht getan.
Warum nicht, meine Damen und Herren? Sie wissen genauso gut wie ich, dass sich leer stehende Baumärkte genauso wenig für die Unterbringung von Flüchtlingen eignen wie Turnhallen. Dann seien Sie aber auch ehrlich und streuen den Haus- und Grundstücksbesitzern keinen Sand in die Augen, indem Sie vorgaukeln, dass es Ihnen vornehmlich um die Sicherstellung von Gewerbeimmobilien geht.
An anderer Stelle im Gesetzentwurf wird es dann recht schwammig. In Absatz 4 des Paragrafen 26 a wird ausgeführt, dass der Eigentümer nach der Beendigung der Sicherstellung die Wiederherstellung der Immobilie in den ursprünglichen Zustand verlangen kann – jetzt kommt der entscheidende Halbsatz –, „sofern das nicht unverhältnismäßig ist“. Herr Hinners hatte das auch ausgeführt. Meine Damen und Herren, was ist denn nicht unverhältnismäßig? Wer legt eigentlich fest, was unverhältnismäßig ist oder nicht? Macht das etwa die Ortspolizeibehörde, die als federführende Behörde für die Durchsetzung des Gesetzes auftritt? Was passiert eigentlich, wenn man feststellt, dass ein Rückbau unverhältnismäßig ist? Bleibt dann der Immobilienbesitzer auf den Kosten für die Umgestaltung sitzen? Auch dieser Passus wird vermutlich zahlreiche Gerichtsverfahren betroffener Grundstücks- und Immobilienbesitzer nach sich ziehen.
Ein anderer Punkt, der hier auch eben schon angesprochen wurde, ärgert mich besonders in dem Gesetzentwurf. Die Sicherstellung von Privateigentum darf nur dann erfolgen, wenn die zur Verfügung stehenden Plätze für die Unterbringung der Flüchtlinge nicht ausreichen. Die Flüchtlingsunterkünfte platzen bekanntlich aus allen Nähten. Es passt aber nicht zusammen, wenn man auf der einen Seite Privateigentum von Bürgern zur Unterbringung von Asylanten und Kriegsflüchtlingen mit der Begründung sicherstellen will, dass man keine freien Kapazitäten hat, und auf der anderen Seite keine Anstrengungen unternimmt, um rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber mit Nachdruck in ihre Heimatländer zurückzuführen, um die knappen räumlichen Kapazitäten für die tatsächlich Schutzbedürftigen freizumachen.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass der rot-grüne Senat auf eine freiwillige Ausreise abgelehnter Asylbewerber setzt, wohlwissend, dass nur ein kleiner Teil der tatsächlich abgelehnten Asylbewerber auch das Bundesland Bremen verlässt. Etwa ein Viertel der Asylsuchenden, die das Bundesland Bremen in diesem Jahr aufgenommen hat, stammt aus Balkanstaaten, die mehrheitlich als sichere Herkunftsländer gelten. Von den 1 300 Personen, die eigentlich ausreisepflichtig wären, haben lediglich 72 das Land freiwillig verlassen. Diese eindeutigen Zahlen zeigen doch deutlich, dass Ihre Politik der freiwilligen Ausreise gescheitert ist.
Solange sich die rot-grüne Landesregierung weigert, ausreisepflichtige Asylbewerber tatsächlich in ihre Heimatländer zurückzuführen und damit Platz für die tatsächlich Schutzbedürftigen zu schaffen, können Sie auch nicht glaubhaft begründen, dass man Privateigentum zum Zwecke der Unterbringung sicherstellt. Kommen Sie daher Ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach und schieben Sie die rechtskräftig abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylbewerber konsequent ab. Dann haben Sie zumindest temporär räumliche Kapazitäten für die tatsächlich Schutzbedürftigen.
Lassen Sie mich mit den Worten des SPD-Bauministers aus Nordrhein-Westfalen Michael Groschek schließen, der vorgestern auf die Frage, ob Nordrhein-Westfalen eine Sicherstellung von leerstehenden Immobilien plane, gesagt hat – ich zitiere –: „Ich halte nichts von Enteignungen leer stehender Immobilien zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen, weil das weder zweckdienlich, noch politisch vernünftig und zudem rechtlich höchst fragwürdig ist.“
Schade, dass diese Erkenntnis nicht bis zu seinen Parteifreunden in Bremen durchgedrungen ist. – Vielen Dank!
(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Weil das etwas ganz anderes ist, was Sie hier erzählen!)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Abgeordnete! Die ALFA-Gruppe hat verfassungsrechtliche Bedenken zur Vorgehensweise des Bremer Senats, global Eigentum zu beschlagnahmen, um Flüchtlinge und Asylbegehrende winterfest unterzubringen und Obdachlosigkeit zu verhindern.
Natürlich halten auch wir die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in nicht winterfesten Zelten für absolut unmenschlich. Gemäß Artikel 14 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz gilt das Eigentum nicht schrankenlos. Der Inhalt und die Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Die Tatsache, dass ein Grundrecht einschränkbar ist, darf unserer Meinung nicht dazu führen, dass der Senat die Grundrechte durch die Ausnutzung jeder Einschränkungsmöglichkeit völlig aushöhlt, vielmehr sind ihm Schranken gesetzt. Es gilt hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Die freiheitsichernde Schutzfunktion der Grundrechte verlangt, dass sie nur insoweit beschränkt werden dürfen, als es zur Erreichung eines von der Verfassung gebilligt Zwecks unbedingt erforderlich ist. Zur Einschränkung eines Grundrechts muss der Staat einen von der Verfassung gedeckten Zweck verfolgen. Der Grundrechtseingriff muss erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Dies bedeutet, dass bei mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen die gewählte Maßnahme das geringste Mittel sein muss, dass den Zweck mit gleicher Wahrscheinlichkeit erreicht.
Sie sprechen von der Verhältnismäßigkeit. An welcher Stelle ist bei Ihnen die Verhältnismäßigkeit erreicht? Sie haben eben selbst beklagt, dass Geflüchtete in Zelten und
in Turnhallen leben müssen. Ist damit nicht ein Punkt der Verhältnismäßigkeit erreicht? Nehmen Sie zur Kenntnis, dass im Grundgesetz auch steht, dass das Eigentum verpflichtet?
Vielen Dank für die Fragen! Die Verhältnismäßigkeit ist dahin gedacht, zuerst einmal Immobilien der Stadtgemeinde oder des Landes Bremen für die Unterbringung der Flüchtlinge zu nutzen, aber nicht Privateigentum zu beschlagnahmen.
Ich fahre fort! Der Auslöser der Gesetzgebungsinitiative ist die Tatsache, dass das Bundesland Bremen zur Unterbringung der sich in Bremen aufhaltenden und zu erwartenden weiteren Flüchtlinge nicht über genügend Wohnraum verfügt, um die Ankommenden vor einer drohenden Obdachlosigkeit zu schützen. Dieses zahlenmäßige Problem stellt sich zu einem wesentlichen Teil jedoch nur deshalb, weil neben den Betroffenen mit einer asylbegründeten Bleibeperspektive eine Vielzahl von Personen die bereits vorhandenen Unterkunftsplätze belegen – wir haben es heute schon gehört –, die keinen Anspruch auf Asyl haben.
In der ersten Hälfte 2015 stammten fast 46 Prozent der Flüchtlinge aus dem westlichen Balkan. So lange die Ausländerbehörde in Bremen geltendes Recht nicht anwendet und die Abschiebung ausreisepflichtiger Personen ohne Bleibeperspektive und aus sicheren Drittstaaten verweigert, können die daraus resultierenden Unterbringungsprobleme einen Eingriff in das Eigentumsrecht nicht rechtfertigen.
Ein staatliches Vollziehungsdefizit kann einen Eingriff in Grundrechte nicht begründen. Der vom Gesetzgeber behauptete Notstand lässt sich auf andere Weise beziehungsweise auf anderen Wegen beseitigen als durch den Zugriff auf privates Immobilieneigentum. Der Grundrechtseingriff ist somit nicht erforderlich.
Ein Gericht in Lüneburg – wie es ein Vorredner schon sagte – hat dazu gerade ein eindeutiges Urteil gesprochen. Es hat der Beschlagnahme einer leer stehenden Villa widersprochen und die Regierung aufgefordert, Hotels anzumieten, um die Schutzsuchenden unterzubringen. Das Gericht in Lüneburg fand das Ansinnen der Landesregierung unverhältnismäßig. Dieser Auffassung stimmen wir von der ALFA-Gruppe zu.
Bitte bedenken Sie, wenn Sie selbst Eigentum haben, aber keine Kontrolle mehr darüber haben, dann fühlt sich das für die Bürgerinnen und Bürger wie eine Enteignung an!
Sie, meine Damen und Herren, im Senat werden als Nächstes die einkommensschwache Bevölkerungsgruppe gegen die Flüchtlinge und die Schutzsuchenden in Stellung bringen, wenn es um die Verteilung des knappen Wohnraums geht. Ihre Doktrin, Ihr Dogma wird sozialen Unfrieden in der Stadt stiften, auch wenn Sie alles andere als das wollen, was ich Ihnen von Herzen glaube.
Daher unser Appell: Lassen Sie die Menschen ziehen, die keine Berechtigung haben, hier zu leben, und schaffen Sie Platz für diejenigen, die dringend unseres Schutzes bedürfen!
Zum Schluss noch! Wir werden als ALFA-Gruppe eine abstrakte Normenkontrolle vor dem Staatsgerichtshof initiieren. – Danke schön!