Protocol of the Session on August 30, 2018

(Beifall BIW)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Yazici.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns alle in diesem Haus einig: Die Beförderungserschleichung muss Konsequenzen haben. Die Frage ist: Welche? Soll weiterhin das Strafrecht angewandt werden oder so, wie DIE LINKE das vorschlägt, eine Herabstufung auf das Ordnungswidrigkeitenrecht erfolgen? In Ihrem Antrag tragen Sie dann im Kern drei Argumente vor, die für Letzteres sprechen.

Ich möchte diese drei Punkte kurz benennen und unseren Standpunkt deutlich machen. Sie beklagen zunächst, haben Sie ja eben auch vorgetragen, die Kosten von etwa einer Million Euro im Jahr für die Strafverfolgung. Wir, als CDU-Fraktion, haben da eine klare Position: Personalpolitik im Justizhaushalt im Hinblick auf Strafrecht zu betreiben, ist der falsche Ansatz, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Haushälterische Argumente in diesem Kontext vorzutragen, wirft gleichzeitig auch die Frage auf, darauf hat Herr Leidreiter hingewiesen: Inwiefern sich möglicherweise auch die Verfolgung anderer Delikte für den Staat rechnet? Und ich warne eindringlich vor einer solchen Argumentation, weil das letztlich Tür und Tor für eine generelle Entkriminalisierung von sogenannten Bagatelledelikten öffnet. Mit uns als CDU-Fraktion ist so etwas jedenfalls nicht zu machen, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU)

Ihr zweites Argument, das Sie eben nicht vorgetragen haben, ist der Vergleich der Beförderungserschleichung mit den Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr. Da schicke ich vorweg, dieser Vergleich ist völlig falsch. Das Schutzgut von § 256a StGB ist ja das Vermögen des Leistungserbringers. Und das ist ja gerade der zentrale Unterschied zu

den Ordnungswidrigkeiten, wenn jemand falsch parkt oder über Rot fährt, es also nicht zu einer Rechtsgutverletzung kommt. Deshalb handelt es sich hier um bloßes Verwaltungsunrecht, und deswegen ist es ausreichend, hier das OWiG anzuwenden, meine Damen und Herren.

Regelverstöße im Straßenverkehr, solange es freilich nicht zu einer Rechtsgutverletzung führt, sind etwas gänzlich anderes, als wenn jemand in einem hochsubventionierten Bereich auf Kosten der Allgemeinheit versucht, sich so ein bisschen durchzuschlängeln mit der Absicht, das Vermögen der BSAG zu schädigen. Das ist ein Unrechtsgehalt, das nicht mit jemandem zu vergleichen ist, der vergisst einen Euro in die Parkuhr hineinzustecken, meine Damen und Herren. Das können Sie nicht miteinander vergleichen.

(Beifall CDU, BIW)

Und schließlich führen Sie an, dass die Beförderungserschleichung, das ist eines Ihrer Hauptargumente, besonders die Menschen mit geringem Einkommen treffe. Das Argument wiegt durchaus schwer, darüber müssen wir reden, darüber werden wir auch reden. Aber ich möchte deutlich machen, dass die Frage Strafrecht oder Ordnungswidrigkeitenrecht, darüber reden wir hier, nicht die Baustelle werden darf, auf der wir niedrige Ausbildungsvergütung oder Armut in diesem Land reparieren. Das dürfen wir nicht miteinander vergleichen. Der Strafanspruch muss unabhängig davon durchgesetzt werden, was ein Mensch verdient oder nicht verdient. Das dürfen wir nicht vermischen.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Aber sie haben Recht: Die Menschen, die wegen Beförderungserschleichung in Ersatzhaft landen, sind Menschen mit vielen sozialen Problemen, wie Wohnungslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, soziale Isolation. Diesen Menschen kann man auch in der Tat, Herr Erlanson, kaum mit der Haft drohen. Diese Menschen brauchen Hilfestellungen, damit sie nicht zu Dauergästen in der JVA werden, und in Bremen gibt es auch schon wirklich gute Haftvermeidungsprogramme. Ziel muss es sein, diese Programme weiter vorzuhalten und gegebenenfalls auch weiter auszubauen, damit diese Ersatzfreiheitsstrafen, – die mittlerweile auch schon einen erheblichen Raum in der JVA einnehmen – diese Zahlen, reduziert werden.

Denn natürlich sehen auch wir, dass es ein unbefriedigendes Gefühl ist, wenn jemand, der zu einer Geldstrafe verurteilt wird, letztlich wegen etwa Suchtproblemen im Gefängnis landet. Da gehört er eigentlich nicht hin und deswegen müssen wir da etwas tun. Mit passgenauen Handlungsmöglichkeiten müssen wir versuchen, diese Fallzahlen zu reduzieren, und das haben wir uns auch auf die Fahnen geschrieben. Wir werden in naher Zukunft im Rechtsausschuss dieses Thema zielführend bearbeiten. Das ist aus unserer Sicht der richtige Ansatz und nicht die Herabstufung auf eine Ordnungswidrigkeit. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen, meine Damen und Herren. Und dem Antrag, den die Kollegin Frau Aulepp gleich vorstellen wird, wird der Rechtsausschuss zustimmen. – Danke für die Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU, BIW)

Das war jetzt drittes Semester Jurastudium.

(Heiterkeit)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Ich versuche einmal, mich zu bemühen, ohne dass Sie sich alle wie in einer Vorlesung fühlen. Um das noch einmal klarzustellen, ist das Erschleichen von Leistungen in unserem Strafgesetzbuch so geregelt, dass jemand der diese Straftat begeht, nicht eine Freiheitsstrafe bekommen soll, so hat das der Gesetzgeber nämlich vorgesehen, sondern eine Geldstrafe.

Und deswegen kann man den Antrag der Fraktion DIE LINKE, finde ich, hier nicht in Bausch und Bogen niederschmettern. Die Intention, die dahinter steht, ist eine sehr gute. Das möchte ich erst einmal ganz deutlich hervorheben. Und ich möchte auch noch einmal hervorheben, dass es diese Debatte bundesweit gibt, und zwar spricht darüber der Deutsche Richterbund, die Gewerkschaft der Polizei, auch wir als Grüne haben schon Anfang der 90er-Jahre solche Anträge im Bundestag eingebracht. Und auch vor kurzem haben DIE LINKE und auch wir eingebracht, dass man das nicht als Straftatbestand, sondern als Ordnungswidrigkeit ansieht und das herabstuft.

Natürlich gibt es Gegenargumente, das will ich als Grüne nicht verhehlen, denn auch bei einer Ordnungswidrigkeit gibt es einen Verwaltungsaufwand, genauso, als wenn es zu einer Ersatzfreiheitsstrafe kommt. Ich möchte in dieser Debatte aber noch einmal deutlich machen, dass es uns allen darum geht, und das hat Herr Yazici auch deutlich gemacht, aufgrund dessen, dass vom Gesetzgeber eine Geldstrafe vorgesehen wurde, eigentlich alle im Rechtsausschuss die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden wollen.

Und wir haben im Rechtsausschuss auch zur Kenntnis genommen, dass das nicht das Interesse des Justizressorts ist. Und zwar spielt da doch ein hoher Verwaltungsaufwand eine Rolle und auch ein Tag in der JVA kostet uns sehr, sehr viel Geld. Wir wissen auch, dass es natürlich Möglichkeiten einer Ratenzahlung gibt oder einer gemeinnützigen Arbeit, es gibt verschiedene Vereine, die da sehr aktiv sind. Die möchte ich auch kurz erwähnen: Hoppenbank e.V. und in Bremerhaven ist es die GISBU mbH. Die machen eine tolle Arbeit, und das muss man auch noch einmal deutlich hervorheben, finde ich, um nämlich zu vermeiden, dass es zu einer Ersatzfreiheitsstrafe kommt.

Wenn man sich die Zahlen einmal genauer ansieht, sind sie in Bremen und in Brandenburg auch rückläufig. Und die Zahlen, Herr Erlanson, die Sie eben genannt haben, ich glaube, im Juni waren das um die 50, das sind ja nicht alles Menschen die in Haft gekommen sind, weil sie sich dieses Tatbestandes strafbar gemacht haben, sondern es gibt auch noch andere Tatbestände in der Strafgesetzgebung, bei denen man ebenfalls zu einer Geldstrafe verurteilt wird und dann auch dieses Problem entsteht.

Und zwar ist das bei den meisten Menschen so, weil sie viele psychische, Drogenprobleme und so weiter haben. Und da haben wir als Koalition bereits – und das haben auch weitere hier im Haus mitgetragen – seit 2012 das StadtTicket Extra eingeführt, und das ist sehr gut von diesen Menschen angenommen worden. Ich bin gespannt, es wird zurzeit evaluiert, und ich würde mir wünschen, dass wir das Ergebnis der Evaluation auch einmal im Rechtsausschuss diskutieren.

Ich glaube, meine Damen und Herren, dass dieses Thema nicht geeignet ist, den Antrag ganz schlechtzureden, sondern die Intention die dahinter steht, die wird von uns allen geteilt. Und ich glaube, dass es wichtig ist, dass man im Rechtsausschuss eine Anhörung von vielen Beteiligten durchführt, die hier in Bremen und Bremerhaven

eine gute Arbeit machen, um zu schauen, wie man allgemein die Ersatzfreiheitsstrafen minimiert, weil der Gesetzgeber – und das haben wir alle so gesehen in der Diskussion im Rechtsausschuss – das so vorher nicht wollte und daher nur zu Geldstrafen verurteilt wurde.

Abgeordnete Dogan, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leidreiter?

Ja, machen Sie einmal, Herr Leidreiter, bitteschön!

Aber Sie haben zur Kenntnis genommen, dass es sich um notorische Schwarzfahrer handelt, die immer wieder erwischt werden, und dass die ersten Schwarzfahrten ja auch kaum Repressionsfolgen haben?

Herr Leidreiter, ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich: Es gibt auch welche, die zu einer Geldstrafe verurteilt werden, und das nicht nur im Land Bremen, die das auch nicht bezahlen. Und das sind nicht nur Schwarzfahrer. Aber letztendlich geht es nicht darum. Es geht darum, dass diese Menschen, und das haben wir auch im Rechtsausschuss gehört, die haben Drogenprobleme, die haben kein Geld. Und das sind nicht alle. Es gibt ganz viele im Land Bremen, die bekommen eine Geldstrafe und bezahlen die auch.

Ich würde diese Menschen nicht als notorische Schwarzfahrer ansehen, sondern dass diese Menschen wirklich Hilfe benötigen. Da haben wir einiges hier auf den Weg gebracht, und ich glaube, wir sollten in einer Diskussion im Rechtsausschuss schauen, wie wir das intensivieren können. Ich war sehr froh, als das Justizressort gesagt hat, dass beabsichtigt wird, dieses StadtTicket ein bisschen auszuweiten. Da sollten wir unsere Energie, glaube ich, hineinstecken und nicht sagen, das sind alles nur notorische Schwarzfahrer oder Hochkriminelle.

Herr Leidreiter, Sie müssen auch einmal zur Kenntnis nehmen: Als diese Norm – –. Und da sehen Sie sich einmal die Historie an, da hat es nicht solche Straßenbahnen gegeben wie heutzutage, und schauen Sie zum Beispiel einmal in Bremerhaven gibt es keinen Schwarzfahrer, und zwar deshalb, –

(Abgeordneter Leidreiter [BIW]: Da gibt es auch keine Straßenbahn.)

weil man vorn im Bus einsteigen und das Ticket zeigen muss. Und auch über diese Dinge sollten wir einmal, finde ich, nicht nur mit dem Amt für Soziale Dienste, mit dem Verein Hoppenbank e.V., mit GISBU mbH, sondern auch mit der BSAG sprechen, weil es nicht sein kann, dass diese Zahl so bleibt. Ich glaube, Herr Leidreiter,

(Glocke)

wir sind auf einem guten Weg, gehen Sie den einfach mit uns. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Aulepp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines an dieser Stelle und ganz am Anfang ganz deutlich sagen, für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Zielsetzung klar: Menschen, die zu einer Geld- und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, gehören nicht ins Gefängnis!

(Beifall SPD)

Wir sind der Überzeugung, dass die beste Kriminalprävention in vielen Fällen sozialpolitisches Handeln ist, gerade auch hier im Bereich der Beförderungserschleichung. Hilfe, Beratung und Unterstützung sind da besser geeignet, zukünftige Straftaten zu verhindern, als Freiheitsentzug. Meine Kollegin Frau Dogan hat schon gute und vorbildhafte Projekte in Bremen genannt.

Auf dem Weg dahin, wie wir dieses Ziel erreichen, sind noch viele Fragen zu beantworten. Das betrifft zuallererst die Frage nach den unterschiedlichsten Gründen, aus denen Menschen eine Geldstrafe nicht zahlen, weil es doch Fakt ist, dass bei den wenigsten die Androhung der Ersatzfreiheitsstrafe und auch ihre Vollstreckung bei der Erfüllung des Strafzwecks, nämlich dass das nicht wieder vorkommt, helfen. Da hat Herr Erlanson recht, und er hat zu Recht darauf hingewiesen. Allerdings gilt das natürlich auch für die Vollstreckung von Bußgeldern, die ja auch mit Vollstreckungsmaßnahmen bis hin zur Erzwingungshaft belegt werden.

Lassen Sie mich an der Stelle auch noch einmal ganz deutlich sagen, Herr Leidreiter, erstens, dass Sie hier von Schwarzfahrern reden, ist möglicherweise auch schon symptomatisch! Das sind Menschen, die Beförderungserschleichung begehen,

Schwarzfahrer, finde ich, ist an der Stelle politisch auch nicht der korrekte Begriff,

(Beifall SPD)

aber dass Sie dann sagen, das seien notorische Schwarzfahrer und unbelehrbare Rechtsbrecher, und wenn ich dann auch noch höre, da bestehe die Absicht, das Vermögen der Verkehrsbetriebe zu schädigen: Das möchte ich an der Stelle für meine Fraktion hier ganz deutlich zurückweisen!

(Beifall SPD – Zurufe BIW)

Diese Menschen brauchen konkrete Hilfe, und wir müssen uns fragen, wie wir sie gewährleisten.

Natürlich müssen wir uns auch die Frage stellen, wie wir einen unterschiedlichen Unrechtsgehalt unterschiedlich abbilden. Da muss – meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, an der Stelle sind wir möglicherweise auch unterschiedlicher Auffassung – auch das schärfste Schwert des Rechts, nämlich das Strafrecht, überprüft werden. Ist es angemessen, so auf Verhalten zu reagieren, oder ist es nicht angemessen?

Ich will jetzt nicht in ein juristisches Proseminar verfallen und in Richtung von Herrn Erlanson sagen, dass natürlich auch bei der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen gerichtliche Entscheidungen getroffen werden und getroffen werden müssen, wenn da gemäß Strafprozessordnung von der Vollstreckung abgesehen werden soll. Das schenke ich mir jetzt. Daran, wie wir dieses Ziel erreichen, dass Menschen nicht im Gefängnis landen, die dort nach richterlicher Entscheidung nicht landen sollen, werden wir im Rechtsausschuss arbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen und insbesondere Herr Erlanson, Sie sind ja auch Kollege im Rechtsausschuss: So richtig verstehe ich nicht, warum wir das hier in der Bürgerschaft noch einmal debattieren, weil wir uns eigentlich alle einig sind – das haben ja die Vorrednerin und die Vorredner auch gezeigt –, dass wir im Rechtsausschuss daran arbeiten, dass wir das Justizressort gebeten haben, da noch einmal intensiver Fragen zu beantworten. Diese Beantwortung ist jetzt auf dem Weg. Auch die Frage, welche Rolle das StadtTicket Extra spielt, sehen wir uns da an, und gern wollen wir da auch noch einmal überlegen, welchen externen Sachverstand wir in dieser Diskussion heranziehen können. Deswegen, finde ich, hätte es dieser Debatte hier eigentlich nicht bedurft, und es hat ein bisschen den Charakter von Schaufensterreden.