Protocol of the Session on May 31, 2018

Zu Frage eins: Nach Auffassung des Senats ist Prozesskostenhilfe für einen sozialen Rechtsstaat essenziell. Prozesskostenhilfe bewirkt, dass der Begünstigte keine Gerichtskosten zahlen muss und auch seine Anwaltskosten von der Staatskasse übernommen werden. Sie sichert dadurch den gleichen Zugang zum Gericht für alle, unabhängig von

Einkommen und Vermögen. Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe sind hinreichende Erfolgsaussichten der Klage beziehungsweise der Verteidigung gegen die Klage und die wirtschaftliche Bedürftigkeit des Antragstellers.

Die Bewilligung oder Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe ist Teil der Rechtsprechung. Die Richterinnen und Richter entscheiden daher in richterlicher Unabhängigkeit darüber, welche Nachweise sie im Einzelfall zum Beweis der Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe für erforderlich halten. Sie unterliegen dabei aus guten Gründen keiner Kontrolle durch den Senat oder die Bürgerschaft. Eine Berichtspflicht der Gerichte gegenüber dem Senat bezüglich der Frage, welche Kammern beziehungsweise Senate in welchen Fällen welche Nachweise für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für erforderlich erachten, wäre daher nicht statthaft. Aus diesem Grund ist dem Senat über die entsprechende Praxis der Kammern und Senate der bremischen Gerichte nichts bekannt.

Zu Frage zwei: Jede Rechtsanwältin und jeder Rechtsanwalt muss in individueller Eigenverantwortung entscheiden, in welchen Fällen er oder sie von Mandantinnen und Mandanten eine Vorschusszahlung verlangt. Mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe „rechnen“ können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auch bei Mandantinnen und Mandanten, die Arbeitslosengeld II beziehen, unabhängig von der Frage der wirtschaftlichen Bedürftigkeit schon deswegen nicht, weil die Bewilligung von Prozesskostenhilfe immer von der Einschätzung der Erfolgsaussichten der Klage durch das Gericht abhängt.

Zu Frage drei: Prozesskostenhilfe sichert – wie oben ausgeführt – den Zugang zum Gericht. Der Senat hält es daher für sachgerecht, dass Richterinnen und Richter in freier Beweiswürdigung und richterlicher Unabhängigkeit darüber entscheiden, wann sie die Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe im Einzelfall für erwiesen halten. Daher hält der Senat eine Änderung der Rechtslage für nicht erforderlich. – So weit die Antwort des Senats!

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Sie haben ja unter anderem alle Voraussetzungen genannt. Mich würde interessieren, ob dem Rechtsausschuss einmal ein Bericht über die Praxis der einzelnen Kammern der Gerichte vorgelegt werden kann, trotz der richterlichen Unabhängigkeit.

Da bin ich etwas am zweifeln, weil die Frage ist, auf welcher Rechtsgrundlage man die Kammern und Senate der Gerichte auffordern kann, diesen Bericht vorzulegen. Ich will das nicht endgültig ausschließen, das ist ja auch Sache des Justizressorts. Sie können diese Frage ja einmal an den Rechtsausschuss richten, aber meine Erfahrung sagt mir, weil wir dabei im Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit sind, sind der Senat und die Bürgerschaft eigentlich gut beraten, auch dieses Prinzip der Gewaltenteilung zu akzeptieren und entsprechend zurückhaltend damit umzugehen.

Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Die meisten Fälle betreffen ja auch die Einzelrichter bei den Amtsgerichten, aber unabhängig davon interessiert mich Folgendes: Während vor Jahren mit der einmaligen Bewilligung von Prozesskostenhilfe oder jetzt Verfahrenskostenhilfe in manchen Verfahren die Sache mit der Abwicklung beendet war, ist man vor Jahren dazu übergegangen, bei dem Antragsteller, dem die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde, erneut nachzufragen, ob sich seine Vermögensverhältnisse geändert haben und ob man dann nicht doch noch wieder das zurückfordern kann, was man quasi als Darlehen zur Verfügung gestellt hat. Deshalb meine Frage: Ist daran gedacht, diese Praxis auf die Jahre hin auszuweiten, dass man also die Vermögensentwicklung der Rechtsuchenden für längere Zeiträume überprüft?

Herr Abgeordneter, da bitte ich um Nachsicht. Ich bin seit zehn Jahren nicht mehr im Justizressort, und deshalb wäre meine Bitte, diese Frage dann auch im Rechtsausschuss zu stellen.

Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, aus meiner Sicht haben Sie die Fragen der Kollegin Dogan nicht ausreichend beantwortet. Die Frage war, dass die Richter trotz eines vorliegenden Bedürftigkeitsbescheids der Sozialbehörden darüber hinweggehen und weitere Nachweise fordern, und für ein solches Vorgehen gibt es im Gesetz keine Grundlage. Meine Frage an Sie direkt ist: Meinen Sie, dass die richterliche Unabhängigkeit so weit geht, dass man als Richter auch behördliche Bescheide infrage stellen kann?

Ich kenne diese Praxis nicht, aber ich bin überzeugt davon, dass unsere Justiz die gestellten Anträge mit großer Sachlichkeit prüft. Dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst ist, weiß ich aus eigener Erfahrung, und sie ist nun doch noch nicht so lange her, dass sich dort etwas geändert haben wird. Deshalb: Akzeptieren Sie einfach, dass Richter ihre Sachentscheidungen in freier Beweiswürdigung treffen und die Verwaltung und die Bürgerschaft gut beraten sind, dies auch zu akzeptieren!

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Können Sie Ihre Bereitschaft erklären, dem Rechtsausschuss trotzdem einen Bericht über die aktuelle Praxis der verschiedenen Gerichte im Land Bremen in diesen Angelegenheiten vorzulegen?

Als Innensenator kann ich das nicht zusagen, aber ich werde Ihre Anregung weitergeben.

(Abgeordneter Özdal [CDU]: Danke!)

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Die fünfte Anfrage trägt die Überschrift „Gibt es einen neuen Sozialleistungsbetrug in Bremen?“. Die Anfrage ist unterschrieben von den Abgeordneten Frau Grönert, Hinners, Frau Neumeyer, Röwekamp und Fraktion der CDU.

Bitte, Herr Kollege Hinners!

Wir fragen den Senat:

Welche Erkenntnisse hat der Senat zum Betrugsprozess am Kieler Landgericht, in dem mehrere Männer angeklagt sind, die Bundesagentur für Arbeit mit fingierten Anträgen auf Arbeitslosengeld I geschädigt und Scheinfirmen unter anderem in Bremen eingerichtet zu haben?

Inwiefern wurden strafrechtliche Ermittlungen in Bremen eingeleitet, und wenn ja, welchen Stand hat das Verfahren?

Inwiefern wurden weitere Überprüfungen, etwa bei Bremer Sozialleistungsträgern, eingeleitet?

Die Anfrage wird beantwortet von Staatsrat Siering.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Auf Nachfrage hat die Agentur für Arbeit BremenBremerhaven mitgeteilt, das Bundesland Bremen sei in diesem Fall nicht betroffen. Es habe aber den Versuch der Angeklagten gegeben, einen Betrieb im Bundesland Bremen zu errichten. Dazu sei es allerdings nicht mehr gekommen, da die zuständigen Ermittlungsbehörden zuvor eingegriffen hätten.

Das Hauptzollamt Bremen teilte mit, dass es den zuständigen Behörden in Kiel bei der Durchführung strafprozessualer Maßnahmen im Sommer 2017 operative Unterstützung geleistet habe. Im Land Bremen wurde kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. – So weit die Antwort des Senats!

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Gibt es Personenbezüge zwischen dem Verfahren in Kiel und Personen, die in Bremen anwesend sind?

Nach unseren Erkenntnissen oder dem, was uns mitgeteilt worden ist, gibt es dort familiäre Zusammenhänge, ja.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Und was bedeutet das für Sie?

Zunächst einmal muss man feststellen, ausgehend von dem großen Verfahren, das ja durch den Untersuchungsausschuss auch begleitet worden ist, dass da sehr viel passiert ist, insbesondere in den Jobcentern, dass es eine ganze Reihe von Taskforces und sozusagen Alarmierungsstufen gibt, sodass sehr frühzeitig grundsätzlich der Versuch unternommen wird, so etwas aufzudecken. In diesem Fall gab es keine Hinweispunkte aus Bremen heraus, aber natürlich hat man, ausgehend von diesen Ermittlungen in Kiel, dann auch in Bremen noch einmal sehr genau nachgeschaut.

Wichtig ist zunächst einmal, offensichtlich funktionieren Warnsysteme dabei, die implementiert worden sind, und so auch in Bremen. Wie gesagt, es ist in Bremen überprüft worden durch die Agentur. Dementsprechend gab es für uns keine weitere Veranlassung, darüber hinaus noch einmal vorzugehen. Ich erinnere aber daran, dass wir eine ganze Reihe von Taskforces und runden Tischen haben, an denen wir die entscheidenden Behörden alle zusammenholen, um jeweils genau Absprachen zu treffen, ob es Auffälligkeiten gibt.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Staatsrat, haben Sie den Modus Operandi dessen, was in Kiel bisher offenkundig geworden ist, mit dem Modus Operandi, den wir in Bremerhaven hatten und der durch den Untersuchungsausschuss hier in der Bürgerschaft ja hinreichend aufgeklärt worden ist, einmal verglichen? Also haben Sie Bezüge festgestellt? Nicht personeller Art, das haben wir eben ja geklärt, sondern inhaltlicher Art?

Ich kann Ihnen leider zu wenig zum Ermittlungsverfahren in Kiel sagen. Wir haben rudimentäre Kenntnisse darüber, dass es insbesondere hier um unterschlagenes, zu geringes oder vorenthaltenes Arbeitsentgelt und Leistungsmissbrauch geht. Das deutet darauf hin, dass das ähnlich wie in Bremen dort auch sein könnte, aber ich will noch einmal sagen: Wir haben keine Detailkenntnisse, wie genau das dort in Kiel organisiert worden ist. Da ist ja eine Anklage erfolgt, wir werden das sicherlich weiter beobachten müssen.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Staatsrat, weil Sie es eben schon angedeutet haben, dass wir das weiter beobachten müssen, das halte ich für ganz wichtig, um Präventionsmaßnahmen hier in Bremen möglichst früh treffen zu können, und weil ich ja hier Fragen stellen muss, meine Frage an Sie: Haben Sie diese Präventionsmaßnahmen schon auf den Weg gebracht?

Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage, weil ich da noch einmal deutlich machen kann, ja, es gibt eine ganze Vielzahl von Maßnahmen, die ja grundsätzlich eingerichtet worden sind. Zunächst einmal will ich ausdrücklich sagen, es gibt spezialisierte Teams mittlerweile, es gibt eigene Dolmetscher, die eingesetzt werden, die

Echtheitsüberprüfung von Dokumenten wird sehr viel genauer gemacht.

Wir haben darüber hinaus die enge Vernetzung der wesentlichen Akteure Polizei, Zoll, wir haben das Sozialamt, die Einwohnermeldedaten, das Ausländeramt, die Bauordnung. Sie sind alle zusammen an einem runden Tisch, um sehr frühzeitig unterschiedliche Bewegungen sozusagen zuordnen zu können. Es gibt regelmäßige runde Tische mit konkreten Fallbesprechungen, wo so etwas erfolgt.

Es ist auch zusätzliches Personal für das Thema Leistungsmissbrauch eingesetzt worden. In Bremerhaven spielt das vor allen Dingen eine Rolle, aber auch in Bremen. An den runden Tischen ist natürlich auch Bremen beteiligt. Es gibt eine Taskforce „EU-Bürger", um sich genau diesen Leistungsmissbrauch auch hier noch einmal sehr viel genauer jeweils anzuschauen.

Es gibt eine Vielzahl von Schulungen, auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern, um sehr frühzeitig dort aufmerksam zu werden. Sie können gewiss sein, dass durch die Berichterstattung, durch das Ergebnis des Untersuchungsausschusses eine hohe Sensibilität grundsätzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort besteht, und ich denke, die Maßnahmen, die dort alle eingeleitet worden sind, sind gut. Soweit wir bislang das kennen, bewähren sie sich. Es wird aber immer wieder darum gehen, dort auch wachsam zu bleiben.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ja, eine letzte! Herr Staatsrat, können Sie aus Ihrer Sicht damit Sozialhilfebetrug im organisierten Maße zukünftig ausschließen?

(Lachen CDU – Abgeordneter Strohmann [CDU]: Ja, klar!)

Genauso könnten Sie mich fragen, ob ich vielleicht die Hitze abstellen könnte. Ich bitte um Verständnis, das wird man für die Zukunft nie ganz ausschließen können, und es wird immer wieder Möglichkeiten geben, doch Tatbestände zu umgehen. Deswegen, das Versprechen kann ich Ihnen leider nicht geben, aber das Versprechen, dass wir uns dort intensiv jeweils darum bemühen, das kann ich Ihnen geben.

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.